Urteil des AG Leverkusen vom 10.01.2002

AG Leverkusen: wirkungen der ehe, rechtshängigkeit, getrennt leben, staatsangehörigkeit, zerrüttung, hindernis, zusammenleben, verfahrensrecht, unterhaltspflicht, scheidungsverfahren

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Amtsgericht Leverkusen, 34 F 104/01
10.01.2002
Amtsgericht Leverkusen
Abteilung 34
Urteil
34 F 104/01
Die am 0.0.1987 vor dem Türkischen Generalkonsulat Köln
geschlossene Ehe der Parteien wird geschieden.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
TATBESTAND
Der Antragsteller war türkischer Staatsbürger. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen
Verhandlung hatte er durch Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.
Die Antragsgegnerin ist Türkin. Am 4. September 1987 hatten die Parteien vor dem
türkischen Generalkonsulat in Köln geheiratet. Aus der Ehe sind die Kinder P, geb.
0.0.1998, und Z, geb. 0.0.1992, hervorgegangen. Sie leben im Haushalt der Mutter. Dort
werden sie betreut und versorgt
Der Antragsteller möchte die Scheidung dieser Ehe. Er trägt zur Begründung vor, dass die
Parteien seit 1992 getrennt leben, dass keine Gemeinsamkeiten mehr bestehen und dass
die Antragsgegnerin mit einem anderen Mann zusammen in eheähnlicher Gemeinschaft
lebt. Darüber hinaus weist der Antragsteller darauf hin, dass der eheliche Hausrat bei der
Antragsgegnerin blieb, dass diese die gemeinsamen Kinder alleinverantwortlich erzieht,
und dass der Antragsteller seine Unterhaltspflicht gegenüber den Kindern verbindlich
anerkannt hat.
Der Antragsteller hatte die Scheidung 1995 auch in der Türkei beantragt. Das Verfahren
wurde vor dem Landgericht Mersin geführt. Der Antrag ist in der Verhandlung vom
16.5.2001 zurückgenommen worden. Daraufhin wurde der Scheidungsantrag abgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat das gegen diese Entscheidung zugelassene Rechtsmittel
eingelegt. Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung war darüber noch nicht
entschieden. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass nach seiner Antragsrücknahme in
der Türkei einer Scheidung in Deutschland nichts mehr im Wege steht.
Der Antragsteller beantragt,
die am 4.9.1987 vor dem türkischen Generalkonsulat in Köln geschlossene Ehe der
Parteien zu scheiden.
Die Antragsgegnerin widerspricht der Scheidung.
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Sie beruft sich darauf, das Scheidungsverfahren in der Türkei hindere eine Ehescheidung
in Deutschland.
Der Antragsteller ist im Termin vorn 6.12.2001 zur Zerrüttung seiner Ehe angehört worden
Dabei hat er den oben dargestellten Sachvortrag bestätigt. Die Antragsgegnerin sollte im
vorerwähnten Termin ebenfalls angehört werden Sie hat die Aussage verweigert.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der Scheidungsantrag des Antragstellers ist zulässig. Dass zwischen den Parteien sowohl
im Inland wie in ihrer türkischen Heimat ein Scheidungsverfahren geführt wird,
beeinträchtigt die Zulässigkeit des hier zur Entscheidung gestellten Antrages nicht. Richtig
ist der Ausgangspunkt der Antragsgegnerin, daß eine im Ausland anhängige
Scheidungsklage im Inland ein Prozeßhindernis begründen kann (vgl. BGH NJW 1986,
2195), wenn es in gleicher Weise um die Scheidung der Ehe der Parteien geht (vgl. KG
NJW 1983, 2324). Die Verfahrensgegenstände müssen identisch sein (vgI. BGH NJW-RR
1993, 5). Ob und wann im Ausland Rechtshängigkeit eingetreten ist, entscheidet dabei das
jeweilige Verfahrensrecht des ausländischen Staates (vgl. BGH NJW 1987, 3083). Eine
weitere Bedingung für die Annahme eines Prozesshindernisses liegt darin, dass das
ausländische Urteil in Deutschland voraussichtlich anerkannt würde (vgl. BGH in ständiger
Rechtsprechung). Die vorhergehende Rechtshängigkeit des ausländischen Eheverfahrens
steht dem Scheidungsantrag des späteren deutschen Ehescheidungsverfahrens jedoch
dann nicht entgegen, wenn der angestrebte Rechtsschutz in Deutschland unzumutbar
beeinträchtigt wird (vgl. BGH NJW 1983, 1269; KG FamRZ 1995, 1074).
Nach diesen rechtlichen Vorgaben ist die vom Antragsteller angestrebte Inlandscheidung
möglich. Dazu kann unentschieden bleiben, ob der Scheidungsantrag vor dem Landgericht
Mersin noch rechtshängig ist. Daran bestehen erhebliche Zweifel, weil auch die in Art. 150
des türkischen Zivilgesetzbuches (MK) für Familiensachen vorgesehenen richterlichen
Einwirkungsmöglichkeiten bei einer Klagerücknahme enden. Nachdem diese ausweislich
eines Beschlusses des Landgerichts Mersin vom 16.5.2002 erklärt wurde, dürfte die
Rechtshängigkeit des türkischen Verfahrens hinsichtlich der Ehescheidung weggefallen
sein. Ein Prozeßhindernis für das vorliegende Verfahren bestände nicht. Eine andere
Sichtweise wäre allenfalls dann veranlasst, wenn auch die Antragsgegnerin in der Türkei
Scheidungsantrag gestellt hätte. Das ist den insoweit vorgelegten Urkunden nicht zu
entnehmen, und von der Antragsgegnerin auch nicht behauptet. Nachforschungen von
Amts wegen sind ohne substantiierte Anhaltspunkte nicht zu veranlassen. Auch wenn eine
anderweitige Rechtshängigkeit von Amts wegen zu prüfen ist, besteht keine
Ermittlungspflicht "ins Blaue hinein".
Abgesehen von der Frage, ob nach türkischem Verfahrensrecht im Anschluss an eine
ausdrücklich erklärte Antragsrücknahme bereits die Rechtshängigkeit entfallen ist, bleibt
ferner ungeklärt, ob der in der Türkei noch zur Entscheidung stehende Sachverhalt und
Streitgegenstand mit dein hier zu beurteilenden Verfahren identisch ist. Nur dann wäre eine
Fortsetzung des inländischen Verfahrens versperrt. Nach dem Wortlaut des Beschlusses
des Landgerichts Mersin vom 16.5.2001 ist jedoch nur eine Schlussfolgerung naheliegend
und richtig. Der Scheidungsantrag ist ausdrücklich abgewiesen, eine berufungsfähige
Beschwer besteht allein hinsichtlich der Kosten. Unter diesen Umständen spricht nichts
dafür, dass sich das türkische Verfahren noch mit dem Scheidungsantrag befasst. Es
scheint allenfalls um Kosten und Unterhalt zu gehen. Im Ergebnis kann jedoch auch diese
Frage unentschieden bleiben.
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Der Antragsteller würde bei einer Sperrwirkung des türkischen Verfahrens eine
unzumutbare Beeinträchtigung seines Rechtsschutzes erleiden. Die Parteien leben seit
1992 getrennt. Schon bei diesen zeitlichen Umständen liegt die Schlussfolgerung nahe,
dass es dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, mit der von ihm erstrebten
Ordnung seiner persönlichen Angelegenheiten noch länger zuwarten zu müssen. Dies gilt
umso mehr, weil die Antragsgegnerin nichts dazu vorträgt, weshalb sie das Verfahren in
der Türkei abwarten möchte. Auf mehrfaches Nachfragen im Termin zur mündlichen
Verhandlung hat sie Insoweit keine Gründe genannt. Der damit verbundene Anschein,
dass die Antragsgegnerin ohne erkennbaren Grund eine Scheidung verzögern möchte, ist
nicht schützenswert. Hinzu tritt ferner, dass der Antragsteller nach dem persönlichen
Eindruck, den er im Termin hinterließ, an der 'bisher ungeklärten Situation sehr leidet. Dies
und die lange Trennungszeit rechtfertigen die Abweichung vom Grundsatz des Vorrangs
der Rechtshängigkeit eines früheren Verfahrens bei gleichem Verfahrensgegenstand (vgl.
BGH IPRax 1984, 152). Soweit gegen die hier angewendete Rechtsprechungslinie
Bedenken erhoben werden und größte Zurückhaltung empfohlen wird (vgl. Schumann
IPRax 1986, 14), ändert das die Entscheidung nicht. Die vorliegende Fallgestaltung
rechtfertigt die Annahme eines extremen Ausnahmefalls.
Der Scheidungsantrag ist auch begründet. Die Entscheidung muss unter Anwendung
türkischen Rechts ergehen. Die anzuwendende Rechtsordnung zur Bewertung eines
Scheidungsantrages von gemischtnationalen oder ausländischen Ehepartnern ergibt sich
aus den Vorschriften des internationalen Privatrechts. Danach unterliegt die Scheidung
dem Recht des Staates, das im Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit für die
allgemeinen Wirkungen der Ehe gilt, Art. 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Eingetreten ist die
Rechtshängigkeit im Termin vom 6.12.2001. Zu diesem Zeitpunkt war der Antragsteller
deutscher und die Antragsgegnerin türkische Staatsbürgerin. Unter diesen Umständen
kommt türkisches Recht zur Geltung. Gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1 EGBGB gilt primär, wenn
und solange die Ehegatten Angehörige des gleichen Staates sind, das Recht dieses
Staates. Fehlt es hieran, wenn einer der Ehegatten während der Ehe die vormals
gemeinsame Staatsangehörigkeit durch Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit
aufgegeben hat, ist das Recht der letzten gemeinsamen Staatsangehörigkeit maßgebend,
wenn jedenfalls der andere Ehegatte diese Staatsangehörigkeit immer besaß. So liegt der
vor liegende Fall. Zunächst sind beide Parteien türkische Staatsbürger gewesen; die
Antragsgegnerin hat diese Nationalität behalten. Damit ist an türkisches Recht
anzuknüpfen, auch wenn der Antragsteller zwischenzeitlich die deutsche
Staatsangehörigkeit erwarb.
Der Scheidungsantrag des Antragstellers ist nach Art. 134 MK berechtigt. Die
Voraussetzung dieses Scheidungsgrundes ist die faktische Zerrüttung der ehelichen
Gemeinschaft. Das ist der Fall, wenn die Grundlagen des Ehelebens unheilbar zerstört und
Zweck und Bedeutung der Ehe verloren gegangen sind. Dabei muss die Zerrüttung so tief
sein, dass die Fortsetzung der Ehe unzumutbar wird. Diese Voraussetzungen sind im
Streitfall festzustellen. Wenn nach dem Vorbringen des Antragstellers die Parteien seit
1992 getrennt voneinander leben, die Antragsgegnerin und der Antragsteller die Ehe nicht
fortsetzen möchten und die Antragsgegnerin zudem mit einem anderen Mann
zusammenlebt, ist nur eine Schlussfolgerung aus diesen Fakten möglich und richtig. Diese
Ehe ist tiefgreifend zerrüttet, dem Antragsteller ist eine Fortsetzung nicht weiter zuzumuten.
Es gibt keinerlei eheliche Verbundenheit mehr. Der Wille zu äußeren Gemeinsamkeiten ist
eindeutig erloschen. Dem Vorbringen des Antragstellers kann ohne weiteres gefolgt
werden. Er hat seine Angaben aus der Antragsschrift im Termin zur mündlichen
Verhandlung ausdrücklich und glaubhaft bestätigt. Seine Schilderungen wurden von der
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Antragsgegnerin nicht ausgeräumt. Sie hat vielmehr von ihrem
Aussageverweigerungsrecht Gebraucht gemacht.
Der Widerspruch der Antragsgegnerin hindert den Scheidungsausspruch nicht. Die
Antragsgegnerin hat zwar nach Art. 134 Abs. 1 MK grundsätzlich das Recht, der Scheidung
zu widersprechen. Doch nach Art. 134 Abs. 2 MK ist trotz des Widerspruchs des beklagten
Ehegatten auf Scheidung zu erkennen, wenn der Widerspruch rechtsmißbräuchlich ist (vgl.
FamRZ 1939, 363) Das ist der Fall, wenn weder für den beklagten Ehegatten noch für die
Kinder ein schützenswertes Interesse an der Fortsetzung der gescheiterten Ehe besteht.
Interessen dieser Art sind für die Antragsgegnerin weder ersichtlich, noch vorgetragen (vgl.
OLG FamRZ 1995, 933). Schützenswerte Interessen der Antragsgegnerin könnten darin
liegen, dass die das ehelichen Zusammenleben wieder aufnehmen möchte, oder dass sie
beachtliche wirtschaftliche Gründe anführen kann (vgl. OLG FamRZ 1992, 1436; FamRZ
1991, 1306). Doch von alledem findet sich im Vorbringen der Antragsgegnerin nichts, eher
das Gegenteil. Wie ausgeführt ist nicht erkennbar, dass sie ein weiteres eheliches
Zusammenleben anstrebt. Auch wirtschaftliche Gründe zur Berechtigung des Widerspruchs
bestehen nicht. Die Unterhaltspflicht des Antragstellers hinsichtlich der Kinder ist geregelt.
Letztendlich beschränkt sich die Begründung des Widerspruchs der Antragsgegnerin auf
den Wunsch, das in der Türkei geführte Verfahren abzuwarten. Dazu ist oben alles
Notwendige gesagt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 93a ZPO.
Der Streitwert der Sache wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
Der Antragsgegnerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt T aus X zu den
Bedingungen eines ortsansässigen Anwaltes, beim glaubhaft gemachten Einkommen ohne
die Verpflichtung Raten zu zahlen, Prozesskostenhilfe bewilligt.