Urteil des AG Leverkusen vom 10.01.2002

AG Leverkusen: internationale zuständigkeit, elterliche sorge, faktische trennung, msa, aufenthalt, verordnung, unzumutbarkeit, lebensgemeinschaft, verfahrensrecht, leitlinie

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Amtsgericht Leverkusen, 34 F 346/97
10.01.2002
Amtsgericht Leverkusen
Abteilung 34
Urteil
34 F 346/97
Die am 15.4.1981 in D, Provincia di Reggio Calabria, geschlossene Ehe
der Parteien wird getrennt.
Das Recht der elterlichen Sorge für die gemeinsame Tochter X wird der
Antragsgegnerin übertragen.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
TATBESTAND
Die Parteien sind italienische Staatsbürger, welche am 15.4.1981 in ihrem Heimatstaat
geheiratet haben. Sie leben seit längerem in Deutschland. Aus der Ehe sind drei Kinder
hervorgegangen. Die am 0.0.0000 geborene X ist noch minderjährig. Sie wohnt im
Haushalt der Mutter. Seit 1992 sind die Parteien dauerhaft von Tisch und Bett getrennt.
Beide streben die Scheidung der Ehe an. Der eheliche Hausrat ist geteilt. Hinsichtlich des
Sorgerechts für die Tochter X besteht Einvernehmen, dies der Antragsgegnerin und Mutter
zu übertragen. Eine Versöhnung der Eheleute wird von beiden Parteien ausgeschlossen.
Der Antragsteller beantragt,
die am 15.4.1981 in D geschlossene Ehe der Parteien zu trennen.
Die Antragsgegnerin hat dem zugestimmt und ebenfalls Trennungsantrag gestellt.
Die Parteien sind in den mündlichen Verhandlungen vom 27.9.2001 und vom 10.1.2002
persönlich angehört worden. Sie haben den eingangs geschilderten Sachverhalt bestätigt.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Der Antrag der Parteien, ihre Ehe zur Vorbereitung eines Scheidungsverfahrens zu
trennen, ist zulässig. Die internationale Zuständigkeit des Familiengerichts Leverkusen
ergibt sich aus Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 29.5.2000, die am 1. 3.2001
in Kraft getreten ist. Nach dieser Regelung begründet der gewöhnliche Aufenthalt beider
Ehegatten die Zuständigkeit der Gerichte des Aufenthaltsstaates für Ehesachen. Diese
rechtlichen Vorgaben sind im vorliegenden Fall erfüllt. Als notwendige Voraussetzung
einer Ehescheidung nach italienischem Recht ist das Trennungsverfahren Ehesache im
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Sinne von Art. 2 der o.a. Verordnung. Zudem leben beide Parteien seit langem in
Deutschland. Neben der internationalen Zuständigkeit sind auch die übrigen
Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben. Die Antragsgegnerin wohnt mit ihren Kindern im
Bezirk des Amtsgerichts Leverkusen, so dass an der örtlichen Zuständigkeit kein Zweifel
besteht, § 606 I S. 2 ZPO. Die im italienischen Verfahrensrecht für den Staatsanwalt
vorgesehen Eingriffsmöglichkeiten sind im hier maßgebenden deutschen Verfahrensrecht
gewahrt. Dessen Aufgaben werden durch das Familiengericht mit abgedeckt. Der nach
italienischem Recht vorgesehene Versöhnungsversuch ist offenkundig gescheitert.
Der von beiden Parteien gestellte Trennungsantrag ist begründet. Der gerichtliche
Ausspruch der Trennung, und nur dies kann später als Scheidungsvoraussetzung gelten,
setzt voraus, daß dem antragstellenden Ehegatten die Fortsetzung der Ehe unzumutbar
oder das Wohl der Kinder gefährdet ist, Art. 151 Codice civile (Cc). Woher die
Unzumutbarkeit rührt, ist ebenso unbeachtlich, wie es auf ein schuldhaftes Verhalten eines
oder beider Ehegatten nicht ankommt. Ein Schuldauspruch bei der Trennung ist zwar
möglich, mit Konsequenzen etwa für einen eventuellen Unterhaltsanspruch, doch nur wenn
ein darauf abzielender Antrag gestellt wird. Das ist im Streitfall nicht geschehen. Auch im
übrigen tragen die Parteien nichts dazu vor, wonach die ehelichen Pflichten oder das Wohl
der Kinder schuldhaft verletzt worden wären. Für den Ausspruch der Trennung genügt im
zur Entscheidung stehenden Sachverhalt, dass die Fortführung der ehelichen
Gemeinschaft den Parteien in mehrfacher Hinsicht nicht mehr zumutbar ist. Sie leben
schon seit 1993 endgültig und dauerhaft getrennt, eine Versöhnung wird von beiden
Parteien ausgeschlossen, so dass die eheliche Verbindung objektiv nicht mehr besteht und
auch subjektiv erloschen ist. Bei dieser Sachlage gibt es zur Fortführung der Ehe keinerlei
Basis mehr. Schon die langjährige faktische Trennung läßt nur eine Schlußfolgerung als
naheliegend und richtig erscheinen, nämlich dass die weitere eheliche
Lebensgemeinschaft endgültig aufgehoben und mit einer Wiederherstellung nicht mehr zu
rechnen ist. Verstärkt und untermauert wird diese Schlußfolgerung, weil die Parteien sich
zu einigen Trennungsfolgen schon abschließend verständigt haben. Eine solche
Verabredung setzt voraus, dass niemand die Ehe fortsetzen möchte. Diese Ablehnung
begründet in Verbindung mit den vorerwähnten Aspekten für beide Parteien die
Unzumutbarkeit der Ehefortsetzung.
Ob öle Trennung auch als einverständliche Trennung berechtigt gewesen wäre, ist nach
den bisherigen Ausführungen nicht mehr zu entscheiden. Wünschen Ehegatten wegen der
Unzumutbarkeit der Fortführung der Ehegemeinschaft übereinstimmend die Trennung,
kann die Trennung grundsätzlich auch durch gerichtlich bestätigte Trennungsvereinbarung
erfolgen. Ob eine für diesen Weg wirksame Trennungsvereinbarung im vorliegenden Fall
besteht, kann bisher nicht sicher angenommen werden. Die Parteien haben sich über die
Trennung, die Ehewohnung, den Kindesunterhalt und hinsichtlich des Sorgerechts, nicht
aber zum Ehegattenunterhalt verständigt. Die Behandlung solcher Vereinbarungen, die
einzelne Fragen offen lassen, ist strittig. Teilweise werden die Unterhaltsansprüche als
unverzichtbarer Bestandteil einer Trennungsvereinbarung gesehen, so dass die
vorliegende Verabredung wegen der fehlenden Unterhaltsregelung nichtig wäre. Teilweise
wird angenommen, dass nur die Vereinbarung über die Auflösung der ehelichen
Gemeinschaft für die Wirksamkeit einer Vereinbarung unverzichtbar ist. Da bereits die
Unzumutbarkeit der ehelichen Lebensgemeinschaft für beide Parteien festgestellt ist, muss
diese Streitfrage des italienischen Rechts nicht entschieden werden.
Das erkennende Familiengericht ist auch für die angestrebte Sorgerechtsentscheidung
international zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 3 I, II der EG-Verordnung Nr. 1-347/2000.
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Hiernach ist das nach Art. 2 der Verordnung für die Ehesache zuständige Gericht auch für
die Sorgeregelung zuständig. Auch das weitere Erfordernis dieser Annexkompetenz ist
gewahrt. Das betroffene Kind hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedsstaat, in
welchem die Ehesache anhängig ist.
Zur Entscheidung der Sorgerechtsregelung ist auf deutsches Aufenthaltsrecht
zurückzugreifen. Autonome Kollisionsnorm zur Frage des auf die familiengerichtliche
Regelung der elterlichen Sorge anwendbaren Rechts ist Art. 21 EGBGB, die jedoch hier
nicht zur Anwendung kommt, weil supranationale Regelungen vorgehen. Ein solcher
Vorrang besteht in Form des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der
Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen
(MSA). Die Voraussetzungen des Übereinkommens sind für die seit langem in Deutschland
lebende verfahrensbetroffene Minderjährige gegeben. Nach Art. 13 MSA gelten die
Regelungen des Übereinkommens für alle Minderjährigen, die im Inland ständigen
Aufenthalt haben Außer Frage steht ferner, dass eine Sorgerechtsregelung als
Schutzmaßnahme angesehen werden muss. Ob eine Schutzmaßnahme berechtigt ist,
ergibt sich nach Art. 2 MSA aus dem Aufenthaltsrecht. Die Frage, ob über Art. 2 MSA auch
dann angeknüpft werden kann, wenn die internationale Zuständigkeit des deutschen
Gerichts wie hier auf der EU-Verordnung Nr. 1347/2000 beruht, oder ob dann nicht doch
auf Art. 21 EGBGB zurückgegriffen werden muss, kann dahinstehen. In jedem Fall ist der
gewöhnliche Aufenthalt des Kindes Anknüpfungspunkt. Das gilt auch für Art. 2 VISA, der
zwar dem Normtext nach unanwendbar scheint, wenn die internationale Zuständigkeit nicht
aus Art. 1 MSA gewonnen werden konnte. Abzustellen ist jedoch auf den in Art. 2 MSA
enthaltenen Normzweck, der allein darauf abzielt, das anzuwendende materielle Recht an
den gewöhnlichen Aufenthalt anzubinden.
Nach § 1671 Abs. 2 Ziff. 1 BGB war die elterliche Sorge für X der Mutter alleine zu
übertragen, nachdem der Vater dem ausdrücklich zugestimmt hat. Anhaltspunkte dafür,
dass diese gemeinsame elterliche Entscheidung, die auch nach dem Heimatrecht eine
wichtige Leitlinie wäre, Art. 155 Abs. 7 Cc, dem Kindeswohl nicht entsprechen, fehlen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 93a ZPO.