Urteil des AG Lemgo vom 22.01.2010

AG Lemgo (unterhalt, kläger, abänderung, befristung, erwerbstätigkeit, zpo, unterstützung, schule, bezug, vertrauensschutz)

Amtsgericht Lemgo, 7 F 124/08
Datum:
22.01.2010
Gericht:
Amtsgericht Lemgo
Spruchkörper:
Familiengericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 F 124/08
Schlagworte:
Betreuungsunterhalt, Erwerbsobliegenheit
Normen:
§§ 1570, 1578 BGB
Leitsätze:
1. Im Rahmen des § 1570 BGB kommt es bei der Frage der
erforderlichen Erwerbstätigkeit des Berechtigten auf das konkrete
Betreuungsangebot für die Kinder vor Ort an.
2. pauschale oder generalisierende Sichtweisen - wie etwa in Form
eines Altersphasenmodells - sind nach der Reform des Unterhaltsrechts
unzulässig.
Rechtskraft:
03.07.2009
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe
geleistet hat.
Tatbestand:
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Die Parteien haben am 01.06.1994 geheiratet. Aus ihrer Ehe sind die Kinder pp.
geboren am 26.08.1996 und pp., geboren am 15.08.1995 hervorgegangen. pp. besucht
das E-Gymnasium in X, während pp. zur B-Realschule geht. Die Beklagte ist berufstätig.
Sie erzielt nach eigenen Angaben ein durchschnittliches Nettoeinkommen von ca. 970 (.
Sie arbeitet 5 Stunden pro Tag und steht ab ca. 13.30 Uhr den Kindern zur Betreuung
wieder zur Verfügung.
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Der Kläger arbeitete zum Zeitpunkt der Scheidung bei der Firma pp.. Die Beklagte war
ebenfalls bereits teilschichtig erwerbstätig. Im Rahmen des Verfahrens Amtsgericht
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Lemgo 8 F 99/02 wurde neben dem Kindesunterhalt auch der nacheheliche Unterhalt
geregelt. Das Gericht hat den nachehelichen Unterhalt auf eine Gesamthöhe von 377 (
festgelegt, davon entfallen 309 ( auf den Elementarunterhalt und 68 ( auf den
Altersvorsorgeunterhalt. Wegen des weiteren Inhalts der Berechnung wird auf das Urteil
im Verfahren Amtsgericht Lemgo 8 F 99/2 vom 26.6.2003 Bezug genommen.
Der Kläger begehrt nunmehr die Abänderung des bestehenden Unterhaltstitels im
Hinblick auf den nachehelichen Unterhalt und verweist hierzu auf die neue
Gesetzeslage nach dem Unterhaltsänderungsgesetz, welches am 01.01.2008 in Kraft
getreten ist. Danach sei zu berücksichtigen, dass bei dem Lebensalter der Kinder die
Beklagte eine vollschichtige Erwerbstätigkeit ausüben müsse. Im Hinblick auf die kurze
Ehedauer könne auch kein Vertrauenstatbestand für weiteren Unterhalt mehr geltend
gemacht werden. Nunmehr müsse die Beklagte selbst für ihren Unterhalt aufkommen.
Ehebedingte Nachteile im Sinne des § 1578 b BGB lägen auch nicht mehr vor. Durch
eigene Erwerbsleistung würde sie nunmehr ihren ehebedingten Unterhaltsbedarf
vollends selbst decken.
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Darüber hinaus sei die Beklagte - insoweit unstreitig - Eigentümerin ihres Elternhauses
(pp.). Auch hier könne sie einen geldwerten Nutzungsvorteil von 400 ( monatlich
mindestens erzielen.
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Vor diesem Hintergrund sei deshalb insgesamt die Zahlung von nachehelichem
Unterhalt nicht mehr gerechtfertigt.
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Der Kläger beantragt,
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die Unterhaltsverpflichtung des Klägers aus dem Teilanerkenntnis- und
Schlussurteil des Amtsgerichts Lemgo vom 26.06.2003 (8 F 99/02) dahingehend
abzuändern, dass er mit Wirkung ab 01.03.2008 nicht mehr zur Zahlung von
Scheidungsunterhalt an die Beklagte verpflichtet ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass sie ihre bisherige Erwerbstätigkeit nicht weiter ausdehnen
müsse. Sie habe aufgrund des angespannten Verhältnisses zu ihrem bisherigen
Arbeitgeber die Stelle gewechselt und verdiene jetzt etwas weniger, nämlich 970 ( im
Monat. Sowohl das Kindeswohl als auch elternbezogene Gründe würden hier dazu
führen, dass der Unterhalt weiter gezahlt werden müsse. So sei bei pp. festzustellen,
dass er häufig unter Migräneattacken leide. Deshalb bedürfe pp. der besonderen
Unterstützung und Betreuung. Diese sei in der Schule nicht gewährleistet. Auch pp.
müsse unterstützt werden. Deswegen komme für die Beklagte eine vollschichtige
Erwerbstätigkeit im Hinblick auf das Kindeswohl nicht in Betracht.
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Da die Kinder weiterhin betreut werden müssten, komme auch eine Befristung des
nachehelichen Unterhalts derzeit nicht in Betracht, sodass auch keine Abänderung aus
diesem Grunde zu erfolgen habe. Im Übrigen hätten sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht so geändert, dass allein Aufgrund der Einkommensverhältnisse eine
Abänderung zu erfolgen habe.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Voraussetzungen für eine Abänderung nach §§ 323 ZPO, 36 Nr. 1 EGZPO liegen
nicht vor.
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Der Kläger kann - trotz des neuen Unterhaltsrechts - keine Abänderung des
bestehenden Unterhaltstitels verlangen, weil noch weiterhin Anspruch auf
Betreuungsunterhalt gemäß § 1570 BGB besteht.
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Soweit die Parteien in rechtlicher Hinsicht darüber streitigen, in welchem Umfange hier
eine Ausweitung der Erwerbstätigkeit zu erfolgen hat, hat das Gericht folgende
Auffassung. Grundsätzlich sehen die Hammer Leitlinien § 17.1.1. ein sogenanntes
modifiziertes Altersphasenmodell vor. Dieses Altersphasenmodell wird allerdings von
der Rechtsprechung erheblich kritisiert (vgl. OLG Düsseldorf, ZFE 2008, 273; OLG
Celle, ZFE 2008, 275). Auch der 2. Familiensenat des Oberlandesgerichts Hamm ist in
seiner Entscheidung vom 06.03.2008 offensichtlich von diesem Altersphasenmodell
abgewichen (NJW 2008, 2249 ff. mit Anmerkung Born). Ob dieses Altersphasenmodell
denn nun noch Grundlage der Rechtsprechung der Familiensenate beim
Oberlandesgericht Hamm ist, kann naturgemäß hier nicht abschließend beurteilt
werden. Es sind sicherlich Zweifel anzumelden. Gleichwohl führt der Abschied von dem
Altersphasenmodell nicht dazu, dass nunmehr der Unterhalt ersatzlos für die Beklagte
wegfällt. Im Hinblick auf die spezifische Situation der beiden Kinder ist das Gericht der
Auffassung, dass hier weiter Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB geschuldet wird.
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Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 16.07.2008 - XII ZR 109/05 NJW 2008, 3125
ff. § 1570 BGB näher präzisiert und erläutert. Er verweist auf den Gleichklang zu § 1615
l BGB. Danach kommen nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB Betreuungsunterhalt aufgrund
kindbezogener Gründe in Betracht und nach § 1570 Abs. 2 BGB Betreuungsunterhalt
bei elternbezogenen Gründen. Das Gericht nimmt hier sowohl kindbezogene als auch
elternbezogene Gründe an.
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Es muss berücksichtigt werden, dass es in Lemgo kein ausreichendes
Betreuungsangebot für ältere Kinder im Rahmen der Schule gibt. Regulär endet der
Unterricht nach wie vor um 13.00 Uhr. Keine der Lemgoer Schulen verfügt derzeit über
eine Mensa. Einige Schulen bieten dann ein aufgewärmtes Mittagessen an, das man
über einen Cateringservice bekommen kann. Dies gilt insbesondere für das E-
Gynmasium, welches pp. besucht. Allenfalls die Erstellung der Hausarbeiten wird
nachmittags von Honorarkräften überwacht. Dies ist aber nicht ansatzweise vergleichbar
mit der Betreuung im Elternhaus. Nun geht es nicht darum, eigene Vorstellungen des
Gerichts über die Versorgung von Kindern zum Maßstab zu machen. Es ist sicherlich
nicht zu übersehen, dass der Gesetzgeber die Erwerbsobliegenheiten deutlich erhöht
hat. Aus Sicht des Gerichts kommt die Beklagte aber derzeit diesen
Erwerbsobliegenheiten in vollem Umfange nach. Sie arbeitet bis ca. 13.00 Uhr und trifft
mit ihren Kindern gegen 13.30 Uhr zu Hause ein. Dann widmet sie sich den Kindern. Es
ist nunmal eine nicht wegzudiskutierende Tatsache, dass Kinder der Unterstützung des
Elternhauses bedürfen, um den Anforderungen, insbesondere durch die
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Neuorganisation im Schulbereich, wie dem sogenannten G8-Modell für Gymnasien,
gerecht zu werden. Darüber hinaus ist zu sehen, dass die Beklagte zwei Kinder zu
betreuen hat. Auch dieses erfordert höhere Anforderungen. Es treten naturgemäß
spezifische Belastungssituationen auf, die sich so nicht stellen würden, wenn die
Beklagte nur ein Einzelkind betreuen müsste. Dann müsste der Sachverhalt
möglicherweise rechtlich anders beurteilt werden.
Das Gericht will abschließend noch einmal betonen, dass es nicht darum geht, ein
Altersphasenmodell - in welcher modifizierten Form auch immer - aufrecht zu erhalten
und allein aufgrund des Alters Rückschlüsse auf den Betreuungsunterhalt nach § 1570
BGB zu ziehen. Die konkrete Situation der beiden Kinder vor Ort in Lemgo ist aber zu
bewerten. Es hilft auch nicht weiter, dass möglicherweise das Betreuungsangebot für
Kinder in Großstädten von NRW wie Dortmund besser ist und dort eine andere
Möglichkeit der Betreuung stattfinden kann. Das neue Unterhaltsrecht will ja nun gerade
eine schematische und undifferenzierte Sicht auf die konkrete Situation verhindern.
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Die Beklage ist auch nicht darauf zu verweisen, dass möglicherweise ihre Eltern für die
Betreuung zur Verfügung stehen. Die Beklagte verweist in diesem Rahmen zu Recht
darauf, dass sich auch der Kläger insoweit einbringen könnte.
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Dem Gericht sind jedenfalls Alternativbetreuungsmöglichkeiten außerhalb der Schule
für ältere Kinder in Lemgo nicht weiter bekannt. Deshalb muss festgehalten werden,
dass Kinder und Jugendliche in dem Alter, wie es pp. und pp. sind, weiterhin der
Unterstützung und Betreuung eines Elternteils in den Nachmittagsstunden konkret
bedürfen. Allein abstrakte Überlegungen, welchen mutmaßlichen Willen der
Gesetzgeber im Rahmen der Unterhaltsrechtsreform hatte, helfen zur Lösung der
praktischen Frage nicht weiter.
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Das Gericht nimmt keine Befristung des Unterhaltsanspruchs auf der Grundlage von §
1578 b BGB vor. Nach den Angaben des Prozessbevollmächtigen des Klägers im
Termin soll hier ja schon eine gefestigte Rechtsprechung des OLG Hamm existieren.
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Ob überhaupt im Rahmen des Betreuungsunterhalts nach § 1570 BGB eine Befristung
in Betracht kommt, bedarf keiner Entscheidung. Jedenfalls kann das Gericht nicht
feststellen, dass sich in absehbarer Zeit die Betreuungssituation für die beiden Kinder
entscheidend verändert. Aus diesem Grunde kommt für das Gericht auch unter
Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu § 1578 b BGB eine Befristung nicht in
Betracht. In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass diese
Rechtsprechung – soweit sie durch das Gericht durch veröffentliche Entscheidungen
verfolgt werden kann- insbesondere zum Aufstockungsunterhalt nach § 1573 Abs. 2
BGB ergangen ist. Sie lässt sich nicht ohne Weiteres auf den hier zu entscheidenden
Fall übertragen. Insoweit kann das Gericht aus der Entscheidung des OLG Hamm
FamRZ 2008, 1000 – der wohl bisher einzigen veröffentlichten Entscheidung zu § 1578
b BGB - auch keine Rückschlüsse auf den hier zu entscheidenden Fall ziehen. Die
Entscheidung des OLG Hamm vom 05.02.2008, 1 WF 22/08, FamRZ 2008, 1000
bezieht sich allein auf den Aufstockungsunterhalt und die Problematik des
Vertrauensschutzes nach § 36 EGZPO. Soweit das Gericht diese Gerichtsentscheidung,
die im Rahmen eines PKH-Beschwerdeverfahrens ergangen ist, bewertet, hat das OLG
Hamm hier unter Berücksichtigung des § 36 Nr. 1 EGZPO einen starken
Vertrauensschutz entwickelt. Danach kam sogar erst ein Wegfall des Unterhalts in 2010
in Betracht. Wenn dies schon für den Aufstockungsunterhalt gilt, kommt bei dem
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Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB dem Vertrauensschutz eine besondere
Bedeutung zu.
Soweit die tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Parteien hier anzusprechen sind,
kann das Gericht derzeit nicht feststellen, dass allein aufgrund der derzeitigen
Einkommen der Parteien eine Reduzierung des Unterhalts in Betracht kommt. Insoweit
nimmt das Gericht auf die Ausführungen der Beklagten hierzu Bezug. Auch die
Übertragung des elterlichen Hauses auf die Beklagte, die lange vor Ehescheidung
erfolgte, führt hier zu keiner anderen Bewertung, denn es liegt schon keine neue
Tatsche im Sinn von § 323 Abs. 2 ZPO vor. Es verbleibt also bei dem bisher titulierten
Unterhalt. Eine Befristung wird nicht vorgenommen. Der Kläger ist als
Unterhaltsverpflichteter insoweit auf die Möglichkeit einer Abänderungsklage nach §
323 ZPO zu verweisen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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