Urteil des AG Lemgo vom 17.01.2007

AG Lemgo: pfändung, härte, einkünfte, entziehen, verkündung, form, sozialstaatsprinzip, verfügung, renteneinkommen, pfändbarkeit

Amtsgericht Lemgo, 14 M 0916/06
Datum:
17.01.2007
Gericht:
Amtsgericht Lemgo
Spruchkörper:
Rechtspfleger
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
14 M 0916/06
Tenor:
Das von dem Schuldner im Rahmen des Versicherungsvertrages mit der
Drittschuldnerin angesparte Vermögen (Rückkaufwert) ist bis zu einem
Maximalbetrag von 194.000,00 € vollständig unpfändbar. Übersteigt der
Rückkaufwert der Rentenversicherung den vorgenannten Betrag, sind
bis zu einem Vermögen von 582.000,00 € weitere 30% unpfändbar.
Im Übrigen ist die von der Drittschuldnerin gewährte monatliche Rente
lediglich nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften
pfändbar.
Die Ermittlung des pfandfreien Betrags obliegt insoweit der
Drittschuldnerin, dabei ist jedoch die Ehefrau des Schuldners als
Unterhaltsberechtigte nicht zu berücksichtigen, da diese über eigenes
Einkommen in ausreichender Höhe verfügt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner.
Dem Schuldner wird für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe unter
Beiordnung von Rechtsanwalt pp. bewilligt.
Dieser Beschluss wird mit seiner Rechtskraft wirksam.
G r ü n d e
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Durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 17.08.2006 wurden die Ansprüche
des Schuldners aus der mit der Drittschuldnerin abgeschlossenen Lebensversicherung
gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen.
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Mit Schriftsatz vom 10.10.2006 legte der Schuldner Erinnerung gemäß § 766 ZPO
gegen den vorgenannten Pfändungs- und Überweisungsbeschluss ein und beantragte
diesen aufzuheben, da einer Pfändung der Renteneinkünfte § 850c ZPO entgegen
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stünde und diese Einkünfte seine einzige Einkommensquelle darstellen würden. Wegen
des weiteren Sachvortrags wird auf den Schriftsatz des Schuldner-Vetreters vom
10.10.2006 Bezug genommen.
Die Gläubigerin wurde zu dem Antrag des Schuldners gehört. Sie beantragte dessen
Zurückweisung.
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Der Antrag des Schuldners war - entgegen der ausdrücklichen Bezeichnung - nicht als
Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO auszulegen, da der gesetzliche
Pfändungsschutz gemäß § 850c ZPO nicht zu einem grundsätzlichen Verbot der
Pfändung von Arbeitseinkommen oder gleichgestellter Einkünfte führt.
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Der Antrag des Schuldners war vielmehr als Antrag auf Vollstreckungsschutz gemäß §
765a ZPO zu betrachten.
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Gemäß § 765a ZPO kann auf Antrag des Schuldners das Vollstreckungsgericht eine
Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder
einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses der
Gläubigerin wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten
Sitten nicht vereinbar ist.
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Vorliegend besteht ein Pfändungsschutz gem. § 850 c ZPO weder direkt, da der
Schuldner kein Arbeitseinkommen bezieht, noch über den Verweis in § 850 Abs. 3 b
ZPO, da diese Vorschrift lediglich Renten aus Versicherungsverträgen eines früheren
Arbeitnehmers schützt. Versicherungsrenten eines früher freiberuflich/selbstständig
Tätigen sind vom Schutz des § 850 Abs. 3 b ZPO nicht erfasst (Stöber,
Forderungspfändung, 14. Auflage, Rn. 892). Das in dem Versicherungsvertrag mit der
Drittschuldnerin angesparte Vorsorgekapital des Schuldners unterliegt damit
grundsätzlich in voller Höhe dem Pfändungszugriff der Gläubgerin.
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Würde die Pfändungsgläubigerin ihren Anspruch durchsetzen, wäre der Schuldner
eines Großteils seiner Altersvorsorge beraubt und auf staatliche Sozialleistungen
angewiesen. Diese Tatsache verstößt wegen der Ungleichgehandlung Selbstständiger
und angestellt Beschäftigter nicht nur gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG)
sondern gleichfalls gegen das grundgesetzlich gesicherte Sozialstaatsprinzip und
würde in der Folge dazu führen, dass die Allgemeinheit für die Schulden eines
Einzelnen in Form von Sozialleistungen aufzukommen hätte. Ein umfassender
Pfändungszugriff durch die Gläubigerin würde damit für den Schuldner eine Härte
bedeuten, die mit den allgemeinen Wertmaßstäben nicht zu vereinbaren wäre.
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Diese Problematik ist durch den Gesetzgeber erkannt worden und hat zum Beschluss
eines "Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge" in der Sitzung des
Bundestags am 14.12.2006 geführt. Das Gesetz ist bisher noch nicht durch Verkündung
in Kraft getreten.
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In Anlehnung an das beschlossene Gesetz war der Pfändungsschutz für die
Altersvorsorge des Schuldners so auszugestalten, dass ein Vorsorgevermögen von
maximal 194.000,00 € vollständig dem Pfändungszugriff durch die Gläubigerin zu
entziehen war. Für den darüber hinausgehenden Betrag waren weitere 30% für
unpfändbar zu erklären. Letztlich war festzustellen, dass sich die Pfändung der
laufenden Rentenbeträge nach den für Arbeitseinkommen geltenden Vorschriften
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richtet. Der Schuldner ist damit hinsichtlich der Pfändbarkeit seiner Altersvorsorge
einem "normalen" Rentenbezieher gleichgestellt.
Dabei konnte jedoch die Ehefrau des Schuldners auf Gläubigerantrag nicht als
Unterhaltsberechtigte berücksichtigt werden, da ihr Renteneinkommen mit 572,00 €
ihren Bedarf nach dem Sozialgesetzbuch übersteigt, der sich wie folgt errechnet:
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Regelsatz für den Haushaltsvorstand:
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1 Person mit 345,00 € 345,00 €
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Haushaltsvorstand über 65. Jahre alt, Erhöhung:
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17 % des Regelsatzes 58,65 €
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Pauschalisierter Mehrbedarf für einmalige Leistungen:
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25% des Regelsatzes 86,25 €
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_____________
19
Fiktive SGB - Leistung: 490,00 €
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Der Schuldner ist demnach für die Berechnung des pfandfreien Einkommens wie ein
Alleinstehender zu behandeln.
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Die Gläubigerin ist duch die angeordneten Beshränkungen nicht unangemessen
benachteiligt, da ihr der Pfändungszugriff auf die monatlichen Rentenbeträge des
Schuldners zur Verfügung steht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 ZPO.
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Gegen diesen Beschluss ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben, die
innerhalb von 2 Wochen nach der Zustellung der Entscheidung schriftlich oder zu
Protokoll der Geschäftsstelle des Amtsgerichts oder Landgerichts einzulegen ist.
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Lemgo, 17.01.2007
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