Urteil des AG Lemgo vom 28.02.2006

AG Lemgo: persönliche anhörung, elterliche sorge, getrennt leben, versorgung, erwerbstätigkeit, auskunft, versicherungsdauer, ausschluss, form, restaurant

Amtsgericht Lemgo, 8 F 211/05
Datum:
11.01.2006
Gericht:
Amtsgericht Lemgo
Spruchkörper:
Richter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 F 211/05
Rechtskraft:
28.02.2006
Tenor:
I.
Die am 23. November 2001 vor dem Standesbeamten des Standesamts
C unter Heiratseintragnummer 500/2001 geschlossene Ehe der Parteien
wird geschieden.
II.
Vom Konto Nr. 111 der Frau bei der Deutschen Rentenversicherung
Bund werden auf das Konto des Herrn bei der Deutschen
Rentenversicherung Westfalen Rentenanwartschaften von monatlich
69,89 €, bezogen auf den 30.06.05, übertragen. Dabei entfallen 4,93 €
auf den Ausgleich der betrieblichen Altersversorgung der Frau bei dem
BVV Versorgungskasse des Bankgewerbes in Berlin.
Der übertragene Betrag ist in Entgeltpunkte umzurechnen.
III.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand und Entscheidungsgründe
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I. (Scheidung)
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Die am 3.02.1964 geborene Antragstellerin und der am 2.09.1963 geborene
Antragsgegner haben am 23.11.2001 geheiratet. Sie sind beide deutsche
Staatsangehörige. Aus der Ehe sind die am 08.01.1996 geborene Tochter V, der am
27.10.1998 geborene Sohn L und die am 09.09.2001 geborene Tochter F
hervorgegangen. Die Kinder leben im Haushalt der Mutter. Die elterliche Sorge wird
gemeinsam ausgeübt.
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Die letzte gemeinsame Wohnung der Eheleute befand sich in C. Seit dem
01.04.2004 leben die Parteien voneinander getrennt. Zu diesem Zeitpunkt ist der
Antragsgegner aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Seitdem haben die
Parteien nicht mehr zusammen gelebt.
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Die Antragstellerin beantragt,
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die am 23.11.2001 geschlossene Ehe zu scheiden.
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Der Antragsgegner stimmt der Scheidung zu.
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Der Scheidungsantrag ist begründet. Die Ehe der Parteien ist gemäß § 1565 Abs. 1
BGB zu scheiden, weil sie zerrüttet ist. Die persönliche Anhörung der Eheleute hat
bestätigt, dass sie seit mehr als einem Jahr unter Aufhebung der häuslichen
Gemeinschaft voneinander getrennt leben. Sie lehnen beide eine Wiederaufnahme
der ehelichen Lebensgemeinschaft ab. Es muss deshalb davon ausgegangen
werden, dass die Ehe gescheitert ist.
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II. (Versorgungsausgleich)
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Während der Ehezeit (01.11.2001 bis 30.06.2005) hat der Ehemann keine in den
gesetzlichen Versorgungsausgleich einzubeziehenden Versorgungsanwartschaften
erworben. Er war selbstständig tätig und hat ein Restaurant betrieben. Das
Unternehmen wurde zwischenzeitlich insolvent. Nach seinen eigenen Angaben
besteht seine Altersversorgung zur Zeit aus einer Kapitallebensversicherung mit
einem erst geringfügig angesparten Kapital.
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Die Ehefrau war und ist als Bankkauffrau tätig. Ihre Anwartschaften in der
gesetzlichen Rentenversicherung belaufen sich nach Auskunft des
Versicherungsträgers auf monatlich 129,91.
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Darüber hinaus hat sie unverfallbare Ansprüche aus einer betrieblichen
Altersversorgung über die Versorgungskasse des Bankgewerbes (BVV). Dort
besteht eine Betriebszugehörigkeit seit dem 01.08.1983. Nach den derzeitigen
Bemessungsgrundlagen hat die Antragstellerin Anspruch auf eine künftige
Versorgung in Höhe einer jährlichen Stammrente von 6.737,28 € und einer
Überschussrente in Höhe von 1099,56 €.
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Das ergibt sich aus der Auskunft der BVV vom 08.09.2005.
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Die Stammrente ist noch in dem Verhältnis der in die Ehezeit fallenden
Versicherungsdauer zu der Zeit vom Beginn der Versicherungsdauer bis zum
Erreichen der Altersgrenze (1. März 2029) zu kürzen.
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Im Hinblick auf die Gesamtzeit von 548 Monaten zu der Ehezeit von 44 Monaten
ergibt sich ein Ehezeitanteil von 8,0292 %. Dann beläuft sich der ehezeitliche Betrag
auf 540,95 €.
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Die Überschussrente ist noch im Verhältnis der in die Versicherungszeiten fallenden
Ehezeit zur gesamten Versicherungsdauer bis zum Ende der Ehezeit herabzusetzen.
Insoweit ergibt sich ein Verhältnis von 263 Monaten zu 44 Monaten, also von 16,73
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%. Daraus errechnet sich ein Betrag von 183,96 €.
Diese Rentenbeträge sind als im Anwartschaftsstadium und Leistungsstadium
statisch anzusehen.
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Das Gericht schließt sich insoweit der Bewertung des BVV an. Die Anwartschaften
steigen nicht mehr in gleicher oder nahezu gleicher Weise wie die Werte in der
Beamtenversorgung beziehungsweise in der gesetzlichen Rentenversicherung. Die
Überschusszuteilung wurde erheblich herabgesetzt, seit 2004 sind
Anpassungszuschläge sowohl für Anwärter als auch für Rentner vollständig
ausgesetzt. Es ist davon auszugehen, dass auch in den nächsten Jahren keine
Zahlung von Anpassungszuschlägen erfolgt.
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Somit müssen die Anwartschaften bei dem BVV nunmehr als statisch angesehen
werden. Es hat eine Umrechnung in dynamische Anwartschaften zu erfolgen.
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Es gilt für die Stammrente: Zunächst ist nach der BarwVO der Barwert zu berechnen.
Es sind die Werte der Tabelle 1 der BarwVO zu verwenden, weil die Versorgung für
den Fall des Alters und der Invalidität zugesagt ist.
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Alter bei Ehezeitende: 41
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Barwertfaktor: 3
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Barwert: 3 x 540,95 € = 1.622,85 EUR
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Aus Barwert oder Deckungskapital wird eine dynamische Rente in der Weise
berechnet, dass der Wert fiktiv in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt
wird. Somit ist der Betrag mit dem für das Ehezeitende geltenden
Umrechnungsfaktor der Rechengrößenbekanntmachung in Entgeltpunkte (EP) und
diese mit Hilfe des aktuellen Rentenwerts (ARW) nach § 1587a Abs. 3, 4 BGB in
eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung umzurechnen.
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Umrechnungsfaktor Beiträge in EP: 0,0001734318
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Entgeltpunkte: 0,2815
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aktueller Rentenwert: 26,13 EUR
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EUR dynamisch: 0,2815 * 26,13 = 7,36 EUR
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Für die Überschussrente entsprechend: 183,96 EUR x 3 =
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Barwert: 551,88 EUR
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Umrechnungsfaktor Beiträge in EP: 0,0001734318
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Entgeltpunkte: 0,0957
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aktueller Rentenwert: 26,13 EUR
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EUR dynamisch: 0,0957 * 26,13 = 2,50 EUR
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Somit betragen die Anwartschaften der Ehefrau insgesamt 139,77 €. Nach § 1587a
Abs. 1 BGB ist der Ehegatte mit den höheren Anrechten ausgleichspflichtig.
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Ausgleichspflicht von Frau : 139,77 : 2 = 69,89 EUR.
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Nach § 1587b Abs. 1 BGB hat der Versorgungsausgleich vorrangig durch
Rentensplitting zu erfolgen in Höhe von:
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129,91 : 2 = 64,96 EUR
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Der Ausgleich des verbleibenden Betrages von 4,93 € erfolgt im Wege des
sogenannten erweiterten Splittings nach § 3 b Abs. 1 Nr.1 VAHRG, ebenfalls unter
Heranziehung der Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung.
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Die Ehefrau beantragt,
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den Versorgungsausgleich auszuschließen.
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Sie meint, die Durchführung sei grob unbillig. Es müsse berücksichtigt werden, dass
die Berechtigung des Antragstellers darauf beruhe, dass sie während der Ehezeit
sowohl die Kinderbetreuung übernommen habe, als auch einer Erwerbstätigkeit
nachgegangen sei. Sie habe auch in erheblichem Maße dazu beigetragen, dass der
Antragsteller voreheliche Schulden habe abbauen können. Schließlich müsse
berücksichtigt werden, dass er aus der Ehe ausgebrochen sei und aus einem
vermutlich bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung bestehenden Verhältnis zwei
weitere Kinder habe.
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Der Antragsgegner beantragt die Zurückweisung. Er meint, dass Gründe für einen
Ausschluss des Versorgungsausgleichs nicht gegeben seien.
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Auch das Gericht ist der Ansicht, dass die gesetzlichen Gründe für einen
Ausschluss des Versorgungsausgleichs gem. § 1587c BGB nicht vorliegen.
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Die Anwendung der Härteklausel setzt voraus, dass aufgrund besonderer
Verhältnisse die starre Durchführung des Versorgungsausgleichs dessen
Grundgedanken in unerträglicher Weise widerspricht und daher zu grob unbilligen
Ergebnissen führen würde.
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Die rechtfertigende Grundlage des Versorgungsausgleichs besteht darin, dass jede
Ehe auf Lebenszeit angelegt ist und eine Versorgungsgemeinschaft darstellt, die
auch der beiderseitigen Alterssicherung dienen soll (BGH FamRZ 2005, Seite
2053).
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Die fehlende Versorgung des Antragstellers beruht in erster Linie darauf, dass er
während der Ehezeit selbständig tätig war. Der Aufbau von
Versorgungsanwartschaften oblag, von der Einzahlung in Kapital bildende
Lebensversicherungen abgesehen, allein der Ehefrau. Es entsprach der
Lebensführung der Eheleute, dass der Antragsteller durch seine Form der
Erwerbstätigkeit Nachteile beim Aufbau seiner eigenen Altersversorgung
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hinnehmen musste. Bei Fortführung der Ehe hätte er aber im Alter an der
Versorgung der Ehefrau teilgenommen und wäre dadurch gesichert gewesen. Dem
Ausgleich der Nachteile bei vorzeitiger Beendigung der Ehe dient gerade der
gesetzliche Versorgungsausgleich. Dadurch soll eine gleichmäßige Teilhabe beider
Ehegatten an den in der Ehezeit insgesamt erworbenen Vorsorgungsanrechten
gewährleistet sein (BGH FamRZ 2005, 1238f.) Nur ausnahmsweise ist von der
Durchführung abzusehen. Die Form der Erwerbstätigkeit des Berechtigten
begründet keine Ausnahme, zumal die Situation der Antragsgegnerin bekannt war,
denn bereits zum Zeitpunkt der Eheschließung betrieb der Antragsteller das
Restaurant in I.
Auch die weiteren vorgetragenen Umstände vermögen eine grobe Unbilligkeit für
die Ehefrau nicht zu begründen.
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Wenn sie, wie von dem Antragsteller allerdings bestritten, dazu beigetragen hat,
dass er Schulden abbauen konnte, so entsprach auch das der ehelichen
Lebensgemeinschaft und den Beiträgen zur gemeinsamen Lebensführung.
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Ebenso lässt sich nicht feststellen, dass der Antragsteller in besonders
unerträglicher Weise gegen die ehelichen Treuepflichten verstoßen hat. Die
Antragsgegnerin räumt selbst ein, dass sie auch anderweitige Beziehungen
aufgenommen hat.
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Bei der Abwägung aller Umstände muss auch berücksichtigt werden, dass der
Antragsteller bisher nur wenig Rentenanwartschaften erwerben konnte und für den
Fall des Alters oder der Erwerbsunfähigkeit nur sehr geringfügig gesichert ist. Über
Vermögenswerte verfügt er nicht. Nach der Auskunft der deutschen
Rentenversicherung beträgt seine derzeitige Rentenanwartschaft 261 €. Dem
gegenüber besteht für die Antragsgegnerin bereits jetzt eine Anwartschaft von
772,17 €. Dazu kommt die betriebliche Altersversorgung in nicht unerheblicher
Höhe. Damit steht die Antragsgegnerin trotz der Tatsache, dass sie zur Zeit noch
wegen der Betreuung der drei gemeinsamen Kinder an einer vollschichtigen
Erwerbstätigkeit gehindert ist, letztlich doch deutlich gesicherter da als der
Antragsteller.
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Somit ist im Ergebnis ein Fall der groben Unbilligkeit, der wie ausgeführt einen
Ausnahmetatbestand darstellt, objektiv nicht gegeben.
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Der Versorgungsausgleich ist durchzuführen.
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III. (Kosten)
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 a Abs. 1 ZPO.
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