Urteil des AG Köln vom 29.06.2010

AG Köln (treu und glauben, höhe, flug, interesse, leistung, fluggast, grund, klausel, absicht, preis)

Amtsgericht Köln, 124 C 108/10
Datum:
29.06.2010
Gericht:
Amtsgericht Köln
Spruchkörper:
Abteilung 124
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
124 C 108/10
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 630,54 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.01.2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
München nach Paris. Der erste Flug sollte am 10.11.2009 um 19:05 Uhr von Paris nach
München und am 08.12.2009 um 06:25 Uhr zurück erfolgen. Beim zweiten Flug sollte
der Hinflug am 10.11.2009 um 08:45 Uhr von München nach Paris erfolgen und der
Rückflug am 08.12.2009 um 19:05 Uhr. Tatsächlich flog die Klägerin nur am 08.12.2009
von München nach Paris und am selben Tag zurück.
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Bei den von der Klägerin gebuchten Flügen handelt es sich um spezielle Tarife,
weshalb diese besonders günstig waren. Auf den zwischen den Parteien zustande
gekommenen Vertrag finden die Allgemeinen Beförderungsbedingungen der Beklagten
Anwendung. Diese enthalten in Ziffer 3.3.1. die folgende Bestimmung: "(…) Der
Flugschein verliert seine Gültigkeit und wird nicht zur Beförderung angenommen, wenn
Sie nicht alle Flugcoupons vollständig und in der im Flugschein vorgesehenen
Reihenfolge ausnutzen. Die Inanspruchnahme der gesamten Beförderungsleistung ist
wesentlicher Bestandteil des mit uns geschlossenen Beförderungsvertrages. Die
Kündigung einzelner Teilstrecken (Coupons) ist vertraglich ausgeschlossen. (…)."
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Die Klägerin erkundigte sich am Abflugtag am Schalter der Beklagten am Flughafen in
München, ob der Rückflug am selben Tag gesichert sei. Der Inhalt dieses Gesprächs ist
zwischen den Parteien streitig.
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Die Beklagte verweigerte der Klägerin den Rückflug von Paris nach München mit der
Begründung, dass sie den Hinflug am 10.11.2009 nicht wahrgenommen habe. Sie
kaufte daraufhin für 630,54 € ein reguläres Ticket, um nach München zu gelangen.
Diesen Betrag verlangt sie nun von der Beklagten.
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Vorgerichtlich wurde die Beklagte mit Schreiben vom 15.12.2009 unter Setzung einer
Frist bis zum 31.12.2009 zur Zahlung aufgefordert.
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Die Klägerin behauptet, dass sie die Absicht gehabt habe, alle vier Teilflüge in
Anspruch zu nehmen. Den Flug am 10.11.2009 habe sie auf Grund einer Erkrankung
nicht wahrnehmen könne. Sie behauptet zudem, dass ein Mitarbeiter der Beklagten ihr
am Flughafen gesagt habe, dass es mit dem Rückflug am selben Tag kein Problem
gebe und dass sie problemlos ein Ticket erhalte. Sie ist der Ansicht, dass die
streitgegenständliche Regelung in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen eine
unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 BGB darstelle. Die Klägerin
behauptet außerdem, dass ihr die Allgemeinen Beförderungsbedingungen bei der
Buchung nicht bekannt gewesen seien, da sie die Flüge in einem Reisebüro gebucht
habe
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 630,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2010 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behauptet, dass die Klägerin von vorneherein die Absicht gehabt habe, die nicht
genutzten Flüge verfallen zu lassen und nur einmal die Strecke Paris-München zu
fliegen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Regelung in Ziffer 3.3. der Allgemeinen
Beförderungsbedingungen nicht kontrollfähig anhand der §§ 307 ff. BGB sei, da es sich
um Preisgestaltungen handele, die sich auf Grund der marktwirtschaftlichen Ordnung
gebildet hätten. Selbst wenn man eine Kontrollfähigkeit annehmen würde, käme man
nicht zu dem Ergebnis, dass die Bestimmungen die Fluggäste unangemessen
benachteiligen. Dies ergebe sich daraus, dass die Anwendung dieser Bestimmungen
durch höherrangige Interessen des Verwenders gerechtfertigt sei. Dem Fluggast sei
zudem bewusst, dass das Ticket auf Grund des niedrigen Preises bestimmten
Einschränkungen unterliege. Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Regelung auch
deshalb keine unangemessene Benachteiligung darstelle, da sie eine
Ausnahmeregelung für solche Fälle enthalte, in denen der Fluggast auf Grund höherer
Gewalt daran gehindert sei, alle Coupons in Anspruch zu nehmen.
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Die Beklagte rechnet hilfsweise mit einem Anspruch in Höhe von 123,05 € auf. Dieser
Betrag stellt die Differenz zwischen dem von der Klägerin bezahlten Betrag für den
gebuchten Flug und dem Preis dar, der angefallen wäre, wenn die Klägerin den in
Anspruch genommenen Flug zum Normaltarif gebucht hätte. Die Möglichkeit der
Neukalkulation ergebe sich aus Ziffer 10.3.1.2. der Allgemeinen
Beförderungsbedingungen. Für den Fall, dass die Klägerin bereits für den nicht
genutzten Flug einen Antrag auf Erstattung gestellt haben sollte, rechnet die Beklagte
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hilfsweise mit einem Anspruch in Höhe von 206,00 € auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze
der Parteien sowie auf die eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz
in Höhe von 630,54 € aus §§ 631, 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB. Die Beklagte hat
schuldhaft eine Pflicht aus dem mit der Klägerin zustande gekommenen
Beförderungsvertrag verletzt, wodurch der Klägerin ein Schaden entstanden ist.
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Die Beklagte war nicht dazu berechtigt, die Klägerin auf der Strecke von Paris nach
München am 08.12.2009 nicht mitzunehmen. Dies stellt eine Pflichtverletzung des
Beförderungsvertrages dar. Die Bestimmung in Ziffer 3.3.1. der Allgemeinen
Beförderungsbedingungen - auf die die Beklagte ihr Verhalten stützt - ist unwirksam, da
sie den Fluggast entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB).
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Die Regelung in Ziffer 3.3.1. der Allgemeinen Beförderungsbedingungen unterliegt der
Inhaltskontrolle anhand der §§ 307 ff. BGB. Es handelt sich nicht um eine sog.
Leistungsbeschreibung, das heißt eine Abrede über den unmittelbaren Gegenstand der
vereinbarten Hauptleistung. Es handelt sich vielmehr um eine Klausel, die das
Hauptleistungsversprechen abweichend vom Gesetz oder der nach Treu und Glauben
geschuldeten Leistung verändert, ausgestaltet oder modifiziert (BGH Urteil vom
29.04.2010, Az.: Xa ZR 5/09). Sie schränkt die Möglichkeit des Fluggastes ein, nur
einen Teil der Leistung in Anspruch zu nehmen.
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Nach dem BGB ist der Gläubiger grundsätzlich dazu berechtigt, nur einen Teil der
vertraglich vereinbarten Leistung in Anspruch zu nehmen, sofern nicht der Grundsatz
von Treu und Glauben entgegensteht (BGH Urteil vom 11.11.1977, Az.: V ZR 235/74;
Staudinger/Bittner, BGB, Bearb. 2009, § 266, Rn. 36). Das Recht des Gläubigers zur
Inanspruchnahme einer Teilleistung folgt aus dem allgemeinen, dem Leistungszweck
entsprechenden Gerechtigkeitsgebot, eine Leistung nach Möglichkeit, Zumutbarkeit und
Angemessenheit so zu erbringen, dass mit ihr der beabsichtigte Leistungserfolg,
nämlich die jeweils mit ihr verbundene Befriedigung der Interessen des Gläubigers,
eintritt (BGH Urteil vom 29.04.2010, Az.: Xa ZR 5/09).
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Die von der Beklagten angebotenen Flugbeförderungsleistungen sind rechtlich und
wirtschaftlich teilbar. Eine Leistung ist teilbar, wenn sie ohne Wertminderung und ohne
Beeinträchtigung des Leistungszwecks in Teilleistungen zerlegt werden kann
(Palandt/Grüneberg, BGB, 2010, § 266, Rn. 3). Die Durchführung der weiteren im
Flugschein versprochenen Flüge wird nicht dadurch unmöglich, dass ein Teil der Flüge
nicht angetreten ist. Vorliegend steht also auch eine Unmöglichkeit i.S.d. § 275 Abs. 1
BGB einer Teilbarkeit der Flugbeförderungsleistung nicht entgegen.
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Der Anspruch des Fluggasts auf Teilleistungen ist auch nicht nach Treu und Glauben
ausgeschlossen (§ 242 BGB).
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Dies mag zwar der Fall sein, wenn der Fluggast schon bei Vertragsschluss nicht die
Absicht hat, die Gesamtleistung der Beklagten in Anspruch zu nehmen, sondern diese
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nur deshalb bucht, weil er auf diese Weise an einen Preisvorteil gelangen kann. Die
beanstandete Klausel ist jedoch nicht auf den Ausschluss des Anspruchs auf
Teilleistungen in solchen Fällen beschränkt, sondern erfasst etwa auch Fälle, in denen
sich der Fluggast wegen einer veränderten Terminplanung bereits am Abflughafen für
den Hauptflug oder in dessen Nähe befindet oder in denen er den Zubringerflug
verpasst, den Hauptflug aber noch auf anderem Wege erreichen kann. In diesen Fällen
steht der Grundsatz von Treu und Glauben dem Anspruch des Fluggasts auf die
Beförderung mit dem Hauptflug nicht entgegen. Die Inhaltskontrolle der
streitgegenständlichen Bestimmung kann jedoch nur insgesamt, das heißt anhand aller
denkbaren Fälle erfolgen. Es kann deshalb offen bleiben, ob die Klägerin vorliegend
tatsächlich die Absicht hatte, die Preisgestaltung der Beklagten zu umgehen.
Die Unwirksamkeit der Klausel folgt vorliegend aus § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Die Regelung in Ziffer 3.3.1. der Allgemeinen Beförderungsbedingungen ist mit dem
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren und die Interessen der
Beklagten vermögen das Abweichen von der gesetzlichen Regelung über den von der
Klausel beschrittenen Weg nicht zu rechtfertigen (BGH Urteil vom 29.04.2010, Az.: Xa
ZR 5/09). Die Bestimmung dient dem legitimen und von der Klauselkontrolle
grundsätzlich zu respektierenden Bestreben der Beklagten, jeweils entsprechend der
unterschiedlichen Nachfragesituation ihre Preise privatautonom zu gestalten, sich damit
den jeweiligen Markterfordernissen anzupassen und so jeweils den für sie besten auf
dem Markt erzielbaren Preis fordern zu können. Diesen Interessen steht jedoch das
Interesse der Klägerin entgegen, auf Änderungen in der Reiseplanung oder
unvorhergesehene Umstände, wie z.B. Krankheiten, flexibel reagieren zu können. Sie
möchte im Rahmen der gebuchten Beförderungsleistung die Freiheit haben, weiterhin
die gebuchten Flugstrecken in Anspruch nehmen zu können, die für sie noch von
Interesse sind. Für sie soll der gezahlte Flugpreis weiterhin zumindest den Gegenwert
verkörpern, an dem sie aufgrund der eingetretenen Änderungen noch ein Interesse hat,
so dass sie nicht gezwungen ist, diesen Teil neu - und gegebenenfalls zu einem
höheren Preis - buchen zu müssen. Das grundsätzlich legitime Interesse der Beklagten,
zu verhindern, dass ihre Tarifstruktur umgangen wird, rechtfertigt nicht den vollständigen
Ausschluss der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, Teilleistungen in Anspruch zu
nehmen. Die Beklagte hätte ihr Interesse auch durch eine mildere Regelung wahren
können (BGH Urteil vom 29.04.2010, Az.: Xa ZR 5/09). Die Klageforderung ist auch
nicht durch die von Seiten der Beklagten erklärte Hilfsaufrechnung erloschen (§ 389
BGB). Es fehlt bereits an einer Forderung, mit der die Beklagte aufrechnen könnte. Sie
hat gegen die Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf
Zahlung von 123,05 €. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus Ziffer
10.3.12. der Allgemeinen Beförderungsbedingungen. Diese Regelung setzt nämlich
voraus, dass die Klägerin für die nicht genutzten Coupons eine Erstattung beantragt hat.
Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Klägerin begehrt ausschließlich Ersatz des
ihr entstandenen Schadens. Die Beklagte kann sich in diesem Fall nicht darauf berufen,
dass die Klägerin bei selbständiger Buchung der genutzten Teilflüge einen höheren
Preis gezahlt hätte. Die Anwendung der Ziffer 10.3.12. der Allgemeinen
Beförderungsbedingungen auf den vorliegenden Fall, würde dem oben gefundenen
Ergebnis zuwiderlaufen. Die Möglichkeit des Fluggastet, bloß eine Teilleistung in
Anspruch zu nehmen, darf nicht durch eine Regelung, die ihm höhere Kosten auferlegt,
umgangen werden.
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Aus denselben Gründen hat die Beklagte auch keinen Anspruch in Höhe von 206,00 €
gegen die Klägerin.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1; die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Streitwert: Bis 900,00 € (§ 45 Abs. 3 GKG)
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