Urteil des AG Kleve vom 23.05.2006

AG Kleve: vorverfahren, gebühr, zivilrichter, prozess, erlass, verfahrensart, hinweispflicht, ermessen, anmerkung, sachleistung

Amtsgericht Kleve, 30 C 236/05
Datum:
23.05.2006
Gericht:
Amtsgericht Kleve
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
30 C 236/05
Schlagworte:
Terminsgebühr 1,2-facher Satz
Normen:
ZPO 104 Absatz 3 Satz 1; VV-RVG Nummern 3104, 3105
Sachgebiet:
Bürgerliches Recht
Leitsätze:
Im Verfahren gemäß § 495 a BGB steht dem Prozeßbevollmächtigten
gemäß
Nr. 3104 VV-RVG der 1,2-fache Satz zu, unabhängig davon, ob eine
mündliche Verhandlung stattgefunden hat und/oder der Beklagte
Einwendungen erhoben hat, mit denen sich das Urteil
auseinandergesetzt hat.
Tenor:
Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers vom 20.01.2006
wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Kleve vom 30.12.2005 sind von
der Beklagten an die Klägerin an Kosten 170,00 € zuzüglich 5 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit dem 11.01.2006 zu erstatten.
Die Klägerin hat nach vorangegangenem Mahnverfahren den Antrag gestellt, die
Beklagte zu verurteilen, an sie 234,32 € zuzüglich Zinsen und vorgerichtliche
Mahnkosten zu zahlen.
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Zugleich hat sie beantragt, Versäumnisurteil zu erlassen, falls die Beklagte im
schriftlichen Vorverfahren nicht rechtzeitig die Verteidigungsanzeige abgibt.
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Das Gericht hat die Verfahrensweise gemäß § 495a ZPO gewählt und das schriftliche
Verfahren angeordnet.
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Die Beklagte hat sich zur Klage nicht geäußert.
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Unter dem 30.12.2005 erging ein mit Gründen versehenes Urteil, durch das die Beklagte
antragsgemäß zur Zahlung verurteilt wurde.
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Die Klägerin hat unter dem 09.01.2006 Kostenfestsetzungsantrag gestellt und
hinsichtlich der Terminsgebühr gemäß Nr. 3104 VV-RVG den 1,2-fachen Satz mit 30,00
€ in Ansatz gebracht.
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Nach einem ausführlichen Hinweis des Rechtspflegers, dass nur der 0,5-fache Satz
gemäß Nr. 3105 VV-RVG gerechtfertigt sei und die Klägerin ihren Antrag nicht
entsprechend modifiziert hat, hat der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsbeschluss
vom 20.01.2006 der Klägerin 154,00 € zuzüglich Zinsen zugesprochen, wobei er
lediglich von dem 0,5-fachen Satz gemäß Nr. 3105 VV-RVG in Höhe von 12,50 €
anstelle insoweit beantragter 30,00 € ausgegangen ist.
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Gegen diesen am 01.02.2006 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am
08.02.2006 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz Erinnerung eingelegt. Sie wendet
sich gegen die Reduzierung der Terminsgebühr vom 1,2-fachen Satz auf den 0,5-fachen
Satz. Außerdem erhöht sie (zutreffenderweise) die Pauschale gem. Nr. 7002 VV-RVG
von ursprünglich 1,50 € um 6,00 €.
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Der Rechtspfleger hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
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Die gem. § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 11 Abs. 1 und Abs. 2 RPflG zulässige Erinnerung ist
begründet.
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Der Klägerin steht – wie beantragt – die Terminsgebühr nicht nur in Höhe von 12,50 €,
sondern in Höhe weiterer 17,50 € gem. Nr. 3104 VV-RVG zu.
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Die im angegriffenen Kostenfestsetzungsbeschluss lediglich zugestandene
Terminsgebühr von 0,5 gemäß Nr. 3105 VV-RVG wird der Sach- und Rechtslage nicht
gerecht.
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Nach Nr. 3104 VV-RVG Anm. Abs. 1 Nr. 1 beträgt die Terminsgebühr das 1,2-fache in
Verfahren, für die die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist oder in denen gemäß
§ 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
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So liegt der Fall hier. Das Gericht hat gemäß Verfügung vom 14.11.2005 das schriftliche
Verfahren gemäß § 495a ZPO unbeanstandet angeordnet.
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Die vorerwähnte gesetzliche Vorschrift ist eindeutig und trifft auf
alle
gemäß § 495a ZPO zu.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Gericht keineswegs gehalten ist, bei Verfahren
mit einem Streitwert bis zu 600,00 € § 495 a ZPO anzuwenden. Wenngleich die
Zivilrichter des Amtsgerichts Kleve in der Regel entsprechend verfahren, ist es durchaus
ohne Weiteres zulässig, gemäß § 275 ZPO frühen ersten Termin zu bestimmen oder
gem. § 276 ZPO das schriftliche Vorverfahren zu wählen. Für keine dieser beiden
Verfahrensarten hat sich das Gericht jedoch hier entschieden.
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Eine Terminsgebühr lediglich mit dem 0,5-fachen Satz ist vorliegend nicht gerechtfertigt,
weil die im vorliegenden Fall zur Begründung angeführte Regelung in Nr. 3105 VV-RVG
nicht einschlägig ist.
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Die Anwendung von Nr. 3105 VV-RVG setzt zunächst die "Wahrnehmung eines
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Termins [voraus], in dem eine Partei nicht erschienen oder nicht ordnungsgemäß
vertreten ist und lediglich ein Antrag auf Versäumnisurteil oder zur Prozess- oder
Sachleistung gestellt wird". In diesem Fall reduziert sich nach den Gesetzeswortlaut die
Gebühr auf das 0,5-fache. Die Voraussetzungen dieser Regelung liegen hier jedoch
deshalb nicht vor, weil ein (Verhandlungs-)termin weder angeordnet noch gar
durchgeführt worden ist. Demzufolge ist Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3105 VV-RVG nicht
einschlägig, wonach die 0,5-fache Gebühr auch dann entsteht, wenn das Gericht bei
Säumnis lediglich Entscheidungen zur Prozess- oder Sachleitung von Amts wegen trifft
oder – nach Nr. 2 – eine Entscheidung gem. § 331 Abs. 3 ZPO ergeht.
Etwas anderes folgt aber auch nicht aus dem im Kostenfestsetzungsbeschluss in
Anspruch genommenen Absatz 2 der vorerwähnten Anmerkung, wonach "Absatz 1 der
Anm. zu Nr. 3104 entsprechend gilt". Diese Formulierung ist sprachlich und inhaltlich
unverständlich und rechtfertigt insbesondere nicht die Annahme, dass in den Fällen
gem. Abs. 1 der Anm. zu Nr. 3104 VV-RVG die Terminsgebühr lediglich das 0,5-fache
beträgt.
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In der Kommentierung von Gerold/Schmidt, RVG, 16. Aufl. VV 3105 Rn. 22 heißt es
dazu lediglich: "Welcher Fall mit dieser Bestimmung erfasst sein soll, ist nicht
ersichtlich."
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Dem ist zuzustimmen.
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Sprachlich kann die Regelung in Nr. 3105 Anm. Abs. 2 sogar so verstanden werden,
dass aufgrund des Verweises auf Nr. 3104 VV-RVG die dort angeführte 1,2-fache
Gebühr selbst beim Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen von Nr. 3105 VVRVG
unter anderem dann einschlägig ist, wenn ein Verfahren nach § 495a ZPO ohne
mündliche Verhandlung stattgefunden hat.
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Letztlich kann jedoch dahingestellt bleiben, ob ein solches Verständnis vom
Gesetzgeber beabsichtigt ist, da ein entsprechender Sachverhalt hier nicht vorliegt.
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Allerdings ist es unzulässig, vorerwähnten Absatz 2 dahin zu verstehen, dass die 0,5-
fache Gebühr auch dann entsteht, wenn in einem Verfahren, für das gemäß § 495a ZPO
die mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, ohne mündliche Verhandlung
entschieden wird. Für eine solche Interpretation bietet der zugestandenermaßen
verworrene Wortlaut von Nr. 3105 VV-RVG Anm. Abs. 2 weder eine Grundlage noch
Anlass.
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Insoweit ist insbesondere zu berücksichtigen, dass Nr. 3105 VV-RVG im Hinblick auf
seinen eindeutigen Wortlaut diejenigen Fälle trifft, in denen ein Termin stattfindet, in
dem jedoch nicht streitig verhandelt wird. Dabei ist auch Nr. 3105 Anm. Abs. 3 zu
berücksichtigen, wonach § 333 ZPO – bezüglich der Ermäßigung der Terminsgebühr
auf das 0,5-fache – nicht entsprechend anzuwenden ist.
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In diesem Zusammenhang kann auch nicht darauf abgestellt werden, ob die klägerische
Partei Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils (bei Vorliegend der Voraussetzungen
im schriftlichen Vorverfahren gem. § 276 ZPO) gestellt hat.
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Ein prozessualer Antrag, der im Verfahren weder verfahrensmäßig noch materiell
Berücksichtigung gefunden hat, kann nicht im Kostenfestsetzungsverfahren Bedeutung
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gewinnen.
Abgesehen davon wird ein solcher Antrag eher zufällig bzw. rein vorsorglich gestellt. Im
Übrigen kommt es auf einen solchen Antrag bei der Wahl der Verfahrensart durch das
Gericht nicht an. Hält das Gericht unter bestimmten Umständen ein schriftliches
Vorverfahren für sinnvoll, gebietet es die dem Gericht obliegende Hinweispflicht beim
Fehlen eines solchen Antrages, den Kläger auf das Erfordernis eines entsprechenden
Antrages hinzuweisen, ganz abgesehen davon, dass das Gericht auch im eigenen
Interesse sicherlich einen entsprechenden Hinweis der klägerischen Partei erteilen
wird.
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Das Gericht hat im vorliegenden Fall jedoch kein Versäumnisurteil erlassen, obwohl
auch eine solche Verfahrensweise im Verfahren nach § 495a ZPO –nicht nur im
schriftlichen Vorverfahren nach § 276 ZPO – zulässig wäre, da nach § 495 a ZPO das
Gericht "sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen kann". Wenn jedoch – wie
im vorliegenden Fall – ein formal streitiges, mit Gründen versehenes Urteil ergangen ist,
so besteht kein Anlass, die in Nr. 3105 VV-RVG angeführte Terminsgebühr zu Grunde
zu legen.
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Lassen sich somit die Voraussetzungen eines Ausnahmetatbestandes nicht feststellen,
so bleibt es bei dem Regelfall gemäß Nr. 3104 VV-RVG, wonach der Klägerin eine 1,2-
fache Terminsgebühr zusteht, die sich bei dem hier infrage stehenden Streitwert auf
30,00 € beläuft. Unter Berücksichtigung der Pauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG waren
deshalb der Klägerin die geltend gemachten 170,00 € zuzusprechen, da die weiteren
Positionen des Kostenfestsetzungsantrags "unstreitig" sind.
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