Urteil des AG Herne vom 29.05.2008

AG Herne: höhere gewalt, kreuzung, fahrzeug, vorrang, ampel, gegenverkehr, strasse, verschulden, anhörung, sachschaden

Amtsgericht Herne, 18 C 58/08
Datum:
29.05.2008
Gericht:
Amtsgericht Herne
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 C 58/08
Tenor:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin
956,18 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz ab dem 16.12.2007 sowie weitere
vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 114,78 EUR nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 27.02.2008 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin und Beklagte können die Vollstreckung der jeweils
anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
gesamten vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils
andere Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110
% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt von den Beklagten, Fahrerin und Halterin sowie Versicherung des
gegnerischen PKW, Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 15.08.2007
gegen 11.30 Uhr in Herne im Kreuzungsbereich X-Ring/I-Strasse ereignet hat.
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Zu dem Unfall kam es wie folgt:
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Zum Unfallzeitpunkt befuhr die Beklagte zu 1) mit ihrem PKW die I-Strasse in westlicher
Fahrtrichtung. Sie beabsichtigte nach links in den X-Ring in südlicher Richtung
abzubiegen. Im Kreuzungsbereich kam es zum Zusammenstoß mit dem von der
Klägerin gesteuerten klägerischen Fahrzeug. Die Klägerin befuhr ihrerseits den X-Ring
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in südlicher Fahrtrichtung und zwar auf dem linken von zwei vorhandenen Fahrstreifen.
Das klägerische Fahrzeug wurde an der linken Seite und das Beklagtenfahrzeug an der
vorderen linken Fahrzeugecke beschädigt.
Die Klägerin beziffert ihren unstreitigen Sachschaden, bestehend aus den
Reparaturkosten laut Sachverständigengutachten in Höhe von 1.567,62 EUR netto,
Sachverständigenkosten von 319,74 EUR und einer Unkostenpauschale von 25,00
EUR, auf insgesamt 1.912,36 EUR.
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Sie behauptet, die Beklagte zu 1) sei als Nachzüglerin in den Kreuzungsbereich
eingefahren und zwar zu einem Zeitpunkt, wo sie nicht davon überzeugt gewesen sein
konnte, dass sie innerhalb der Grünphase die Kreuzung auch würde verlassen können.
Sie sei – nachdem der Gegenverkehr abgeflossen sei -, weitergefahren, ohne auf den
Vorrang der Klägerin zu achten, die ihrerseits bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich
eingefahren sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.912,36
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz ab 16.12.2007 zu zahlen;
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die Beklagten weiter als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 229,55
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 27.02.2008 zu zahlen, hilfsweise die Klägerin von
Gebührenansprüchen der Rechtsanwälte pp. gemäß Rechnung vom 28.01.2008
in Höhe von 229,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszins seit dem 27.02.2008 freizustellen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Sie behaupten, die Beklagte zu 1) habe zunächst vor der Rotlicht zeigenden
Ampelanlage der Kreuzung I- Straße/X-Ring angehalten. Sie habe sich dort als erstes
und einziges Fahrzeug befunden. Als die Ampel auf Grünlicht umgeschaltet sei, sei die
Beklagte zu 1) langsam bis zur Kreuzungsmitte hin vorgefahren und habe ihr Fahrzeug
dort angehalten, um den Gegenverkehr passieren zu lassen. Danach habe die Beklagte
zu 1) ihren Abbiegevorgang fortgesetzt, nachdem sie sich zuvor darüber vergewissert
habe, dass dies gefahrlos möglich gewesen sei. Zu diesem Zeitpunkt habe sich die
Klägerin mit ihrem PKW noch nicht im Kreuzungsbereich befunden. Sodann sei es im
Zuge dieses Abbiegemanövers zum Unfall gekommen. Die Beklagten sind insoweit der
Ansicht, dass die Klägerin vorliegend zunächst der Beklagten zu 1) die Weiterfahrt hätte
ermöglichen müssen, so dass hier die Klägerin die Alleinschuld am Zustandekommen
des Verkehrsunfalls treffe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des gegenseitigen Parteivorbringens wird auf den
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst allen Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat die Klägerin und die Beklagte zu 1) zum Unfallhergang angehört.
Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf die Sitzungsniederschrift vom
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08.05.2008 (Bl. 40 – 41 d.A.) verwiesen.
Die Akten StA Bochum pp. lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist teilweise begründet.
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Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten als Gesamtschuldner wegen des
Unfallereignisses vom 15.08.2007 in Herne Kreuzung I- Strasse/X-Ring einen Anspruch
auf hälftigen Schadensersatz aus §§ 7, 17 StVG, 3 Nr. 1 PflichtVG.
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Die Voraussetzungen für eine Haftung liegen dem Grunde nach vor.
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Durch den Unfall ist an dem PKW der Klägerin, P pp. ein Sachschaden entstanden. Der
Unfall hat sich beim Betrieb des Kraftfahrzeuges I1 pp. ereignet. Die Beklagte zu 1)
haftet als Fahrzeugführerin und Halterin des PKW, die Beklagten zu 2) als
Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs unmittelbar.
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Der Haftungsausschuss gemäß § 7 Abs. 2 StVG ist nicht gegeben. Nach dieser
Vorschrift ist die Ersatzpflicht nur ausgeschlossen, wenn der Unfall durch höhere Gewalt
verursacht worden ist. Von höherer Gewalt ist auszugehen, bei einem von außen durch
Naturereignis oder bei einem durch Handlung betriebsfremder Personen einwirkenden
Ereignis, das so außergewöhnlich ist, dass man damit nicht zu rechnen braucht.
Umstände, die einen Haftungsausschluss wegen höherer Gewalt begründen könnten,
sind von beiden Parteien nicht vorgetragen und nicht bewiesen worden.
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Die nach § 17 StVG vorzunehmende Abwägung führt hierzu dazu, dass die
Verursachungsanteile beider Parteien gleich zu bewerten sind, so dass die Klägerin die
Hälfte ihres Schadens selbst zu tragen hat.
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Zunächst geht das Gericht davon aus, dass die Beklagte zu 1) die für sie maßgebliche
Ampel bei grün passiert hat, das sich aber nicht feststellen lässt, ob ihre Warteposition
bereits im inneren Kreuzungsbereich lag, wo sie nach dem Umschalten der Ampel den
dann einsetzenden Querverkehr tatsächlich behindert hätte; insbesondere den für sie
von links kommenden Verkehr.
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Die diesbezüglichen Angaben der Parteien im Rahmen ihrer Anhörung widersprechen
sich. Die Klägerin führt aus, die Beklagte zu 1) habe sich mit ihrem PKW zunächst im
Bereich der Lichtzeichenanlage befunden und zwar noch nicht im eigentlichen
Kreuzungsbereich. Dagegen führt die Beklagte zu 1) aus, dass sie bereits bis zur
Kreuzungsmitte vorgefahren sei und dort den Gegenverkehr aus westlicher Richtung
zunächst habe passieren lassen müssen, um sodann die Kreuzung zu räumen. Das
Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte dafür, welcher Einlassung hier im Ergebnis gefolgt
werden kann. Beide Darstellungen sind plausibel . Etwaiger ergänzender Beweis wird
von den Parteien nicht angetreten.
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Die Beklagte zu 1) konnte als sog. "echte Nachzüglerin" mit Vorrang vor dem
Querverkehr die Kreuzung nur dann räumen, wenn sie nach dem Überqueren der
Fluchtlinie im inneren Kreuzungsbereich verkehrsbedingt zum Stehen gekommen ist, so
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dass sie in dieser Warteposition den einsetzenden Querverkehr behindert hätte. Nur
dann hätte sie Vorrang vor der ihrerseits in den Kreuzungsbereich einfahrenden
Klägerin gehabt. Weil jedoch zur Warteposition der Beklagten zu 1) – innerhalb oder
außerhalb des eigentlichen Kreuzungsbereichs – keine hinreichend sicheren
Feststellungen getroffen werden konnten, ist im Ergebnis offengeblieben, welchen der
beiden Unfallbeteiligten der Vorrang letztendlich zustand. Deswegen kann weder zu
Lasten der einen noch der anderen Seite ein Vorrangverstoß angenommen werden,
welcher dem jeweiligen Verursachungsanteil bei der Abwägung gemäß § 17 StVG ein
entscheidendes Übergewicht verschaffen würde.
Insoweit können bei der Abwägung nämlich nur feststehende, d.h. zugestandene,
unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden. Vor dem Hintergrund lässt
sich ein etwaiges Verschulden eines der beiden Unfallbeteiligten nicht feststellen. Da
ungeklärt ist, von welcher Warteposition die Beklagten zu 1) gestartet ist, beide
Unfallbeteiligte bei grün in die Kreuzung eingefahren sind, lässt sich ein
unfallursächliches Verschulden eines der beiden Unfallbeteiligten nicht feststellen.
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Im Ergebnis stehen sich daher bei der gebotenen Abwägung lediglich die einfachen
Betriebsgefahren der Fahrzeuge gegenüber. Das Gericht hält es für gerechtfertigt, wenn
sich die Parteien den Schaden hälftig teilen. Der jeweilige Verursachungs- und
Verschuldensanteil ist gleich hoch zu bewerten.
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Der Höhe nach beläuft sich der von den Beklagten zu ersetzende Betrag auf 956,18
EUR – ½ eines unstreitigen Ausgangsbetrages von 1.912,36 EUR – zuzüglich der
hälftigen vorprozessualen Rechtsanwaltskosten.
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Der Zinsausspruch folgt aus § 286 ff BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
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Der Streitwert für den Rechtsstreit wird auf 1.912,36 EUR festgesetzt.
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