Urteil des AG Hamm vom 13.11.1996

AG Hamm (einstweilige verfügung, verbotene eigenmacht, verfügung, ausdrücklich, antrag, selbsthilfe, garage, unterlassen, vorläufig, störung)

Amtsgericht Hamm, 17 C 435/96
Datum:
13.11.1996
Gericht:
Amtsgericht Hamm
Spruchkörper:
Zivilrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 C 435/96
Schlagworte:
verbotene Eigenmacht, Selbsthilferecht
Normen:
BGB §856; BGB §862; Nachbarrechtsgesetz NW §22
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Der Anspruch aus § 22 Nachbarrechtsgesetz NW kann nicht im Wege
der Selbsthilfe durchgesetzt werden.
Tenor:
Die einstweilige Verfügung vom 04.09.1996 wird aufrechterhalten.
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits tragen die Verfügungsbeklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert (§ 25 Abs. 2 GKG): 2.000,00 DM.
T a tbestand
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Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Verfügungsbeklagten haben an die
Giebelwand des Hauses der Verfügungskläger eine Garage mit einem Schrägdach
angebaut, so daß die Dachschräge des Garagendaches entsprechend der
Dachschräge des Giebels des Hauses der Verfügungskläger verläuft. Die
Verfügungsbeklagten beabsichtigen, die Fuge zwischen Giebelwand des Hauses der
Verfügungskläger und ihrer Garage im Dachbereich entsprechend dem Angebot eines
Dachdeckermeisterbetriebes abzudichten. Die Abdichtung soll in der Weise erfolgen,
daß auf den Dachpfannen der Garage aufliegende Walzbleistreifen mit einer
Aluminiumschiene an die Giebelwand angepreßt werden. Die Aluminiumschiene soll
mit Dübeln in der Giebelwand des Hauses der Verfügungskläger befestigt werden und
zusätzlich mit Silikon abgedichtet werden. Mit dem Anbohren ihrer Giebelwand sind die
Verfügungskläger nicht einverstanden. Auf ihren Antrag hat das Amtsgericht Hamm
eine einstweilige Verfügung erlassen, nach welcher die Verfügungsbeklagten es zu
unterlassen haben, die Giebelwand des Hauses der Verfügungskläger zum
Verschließen der Dehnungsfugen mechanisch in Anspruch zu nehmen. Die
Verfügungsbeklagten haben hiergegen Widerspruch erhoben.
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Die Verfügungskläger sind der Auffassung, daß Verschließen der Fuge könne auch im
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Dachbereich durch Gummiwülste erfolgen, ohne daß ihre Giebelwand in Anspruch
genommen würde.
Die Verfügungskläger beantragen,
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die einstweilige Verfügung aufrechtzuerhalten.
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Die Verfügungsbeklagten beantragen,
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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren
Erlaß zurückzuweisen.
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Die Verfügungsbeklagten sind der Auffassung, ihnen stehe gem. § 22 Abs. 2
Nachbarrechtsgesetz NW ein Anspruch zu, die Giebelwand der Verfügungskläger in
Anspruch zu nehmen. Sämtliche Voraussetzungen dieser Vorschrift seien erfüllt.
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Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung ist begründet, die bereits erlassene
einstweilige Verfügung war daher aufrechtzuerhalten.
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Den Verfügungsklägern steht gem. §§ 858, 862 Abs. l Satz 2 BGB ein Anspruch dahin
zu, daß die Verfügungsbeklagten es unterlassen, ihre Giebelwand zum Beispiel durch
Anbohren zum Befestigen der Aluminiumschiene in Anspruch zu nehmen, bevor nicht
ein solcher Anspruch der Verfügungsbeklagten festgestellt ist. Durch die beabsichtigten
und von den Verfügungsbeklagten angekündigten Maßnahmen würde der Besitz der
Verfügungskläger durch verbotene Eigenmacht gestört. Die Verfügungskläger können
unmittelbar vor der bevorstehenden verbotenen Eigenmacht deren Unterlassung
beanspruchen.
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Verbotene Eigenmacht scheidet dann aus, wenn die Störung des Besitzes mit
Zustimmung des Besitzers erfolgt oder das Gesetz die Störung gestattet (§ 858 Abs. l
BGB). Hingegen ist die Berufung auf ein Recht zur Vornahme der störenden Handlung
ausgeschlossen (§ 863 BGB).
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Hier haben die Verfügungskläger ausdrücklich der Vornahme der beeinträchtigenden
Handlung widersprochen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob den
Verfügungsbeklagten ein Anspruch auf Vornahme der Abdichtung der Fuge in der Form,
daß eine Befestigung am Haus der Verfügungskläger erfolgt, gem. § 22
Nachbarrechtsgesetz NW zusteht. Ob dies der Fall ist, kann dahingestellt bleiben.
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Eine gesetzliche Gestattung im Sinne des § 858 BGB liegt nur vor, wenn das Gesetz
eigenmächtiges Handeln gestattet, zum Beispiel die Vornahme der Handlung
unmittelbar durch Selbsthilfe (§§ 229, 859 BGB) ausdrücklich zuläßt, nicht hingegen,
wenn nur ein Anspruch auf Vornahme der Handlung besteht (vergl. Palandt-Bassenge,
55. Aufl., § 858, Rndnr. 7; OLG Karlsruhe, NJW - RR 93, 91).
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§ 22 Nachbarrechtsgesetz NW gestattet nicht ausdrücklich die Inanspruchnahme des
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Nachbargebäudes im Wege der Selbsthilfe. Es handelt sich vielmehr nur um einen
einklagbaren Duldungsanspruch (vergl. Schäfer, Nachbarrechtsgesetz für das Land
NRW, 10. Aufl., § 22, Rndnr. 3b). Ebenso wie das Hammerschlags- und Leiterrecht
(vergl. OLG Karlsruhe, NJW - RR 93, 91) räumt § 22 Nachbarrechtsgesetz NW
Berechtigten nur ein Recht auf Duldung ein, dessen Vorraussetzungen (Art der
Ausführung, Ankündigung, Sicherheitsleistung) erst in einem gerichtlichen Verfahren
festgestellt werden müssen. Bis dahin bleibt es bei dem possessorischen
Besitzschutzanspruch, dem Ansprüche auf Vornahme der störenden Handlung erst
recht in diesem Eilverfahren nicht entgegengehalten werden können.
Der besonderen Darlegung eines Verfügungsgrundes bedarf es nicht, wenn ansonsten
durch verbotene Eigenmacht der bisherige Zustand verändert würde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Als einstweilige Verfügung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
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