Urteil des AG Hamm vom 17.06.2005

AG Hamm: fao, öffentliches recht, abgabenrecht, erfahrung, wirtschaftsverwaltungsrecht, gestatten, spezialist, baurecht, umweltrecht, form

Anwaltsgerichtshof NRW, 1 ZU 18/05
Datum:
17.06.2005
Gericht:
Anwaltsgerichtshof NRW
Spruchkörper:
1. Senat des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 ZU 18/05
Tenor:
1.)
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 27.12.04 wird aufgehoben.
2.)
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die Befugnis zu
erteilen, die Bezeichnung Fachanwalt für Verwaltungsrecht zu führen.
3.)
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
4.)
Der Geschäftswert wird auf 12.500,-- Euro festgesetzt.
5.)
Die sofortige Beschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e:
1
I.
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Der Antragsteller ist zunächst am 09.09.1998 als Rechtsanwalt bei dem Amtsgericht
Hamm und dem Landgericht Dortmund, am 01.04.1999 sodann bei dem Amtsgericht
und dem Landgericht Düsseldorf und am 09.09.2003 zusätzlich bei dem
Oberlandesgericht Düsseldorf zugelassen worden.
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Unter dem 04.07.2003 hat der Antragsteller beantragt, ihm die Führung der
Bezeichnung "Fachanwalt für Verwaltungsrecht" zu gestatten. Zum Nachweis der
besonderen theoretischen Kenntnisse hat er ein Zertifikat der
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DeutscheAnwaltsAkademie (DAA) vom 27.05.2003 über die erfolgreiche Teilnahme an
einem Fachlehrgang für Verwaltungsrecht von Januar bis April 2003 sowie 3
bestandene Klausuren vorgelegt. Zudem hat der Antragsteller auf zahlreiche eigene
Veröffentlichungen, seine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für
öffentliches Recht an der Universität C von 1994 bis 1998 und zahlreiche von ihm
abgehaltene Seminare zum Vergaberecht verwiesen.
Zum Nachweis der besonderen praktischen Erfahrungen hat der Antragsteller eine Liste
über 254 bearbeitete Fälle aus der Zeit bis zu 3 Jahren vor Antragstellung vorgelegt.
Nachdem der Vorprüfungsausschuss Bedenken dahingehend geäußert hatte, dass es
sich bei einer Reihe von Fällen um nicht als Einzelfälle zu wertende Serienverfahren
handeln könne und zudem die sog. "60-aus-3-Regel" des § 5 S. 1 a FAO mit einer
grundsätzlichen Untergrenze von 15 Fällen je Bereich des besonderen
Verwaltungsrechts nicht eingehalten sei, kam es am 19.10.2004 zur Durchführung eines
Fachgespräches mit dem Antragsteller. Bei diesem wurden Fälle aus dem
Kommunalabgaben- und dem Wirtschaftsverwaltungsrecht erörtert. Der
Vorprüfungsausschuss wertete das Gespräch als nicht erfolgreich und bescheinigte
dem Antragsteller im wesentlichen "teilweise erhebliche Schwierigkeiten beim
Auffinden der einschlägigen Normen", fehlende Grundkenntnisse insbesondere im
Kommunalabgabenrecht und eine mangelnde Fähigkeit, "selbst ein einfaches
Erstberatungsgespräch im Rahmen der anwaltlichen Praxis zu führen". Die
Antragsgegnerin hat den Antrag auf Gestattung des Führens der Bezeichnung
"Fachanwalt für Verwaltungsrecht" sodann durch Beschluss vom 27.12.2004 abgelehnt.
Sie hat ihre ablehnende Entscheidung darauf gestützt, dass der Nachweis der
besonderen praktischen Erfahrung im Hinblick auf das Fallquorum des § 5 S. 1 a FAO
zweifelhaft und das mit dem Antragsteller geführte Fachgespräch negativ verlaufen sei,
wobei sich gezeigt habe, dass der Antragsteller über keine vertieften Kenntnisse und
Erfahrungen im Wirtschaftsverwaltungsrecht und nicht einmal über Grundkenntnisse im
Kommunalabgabenrecht verfüge.
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Gegen den ihm am 28.12.2004 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit
seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 26.01.2005, bei Gericht eingegangen
am selben Tag. Er macht im wesentlichen geltend, dass er neben den theoretischen
Kenntnissen sehr wohl auch die für die praktische Erfahrung erforderliche Anzahl von
Fällen nach den Vorgaben des § 5 S. 1 a FAO nachgewiesen habe, wobei entgegen der
Ansicht der Antragsgegnerin keineswegs zumindest je 15 Fälle aus 3 verschiedenen
Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts stammen müssten. Angesichts des
erbrachten Nachweises sei die Durchführung des Fachgespräches unzulässig
gewesen, so dass dessen Ergebnis hier nicht verwertet werden dürfe.
6
II.
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Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.
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1.
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Das Begehren des Antragstellers ist nach dem Verständnis des Senats letztlich auf die
Verpflichtung der Antragsgegnerin gerichtet, ihm die Führung der Bezeichnung
Fachanwalt für Verwaltungsrecht zu gestatten. Das ergibt sich aus den Ausführungen
des Antragstellers zur Begründung seines Antrags. So sieht der Antragsteller die
angestrebte Gestattung erkennbar als zwingende Konsequenz aus der seiner Ansicht
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nach gegebenen Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der FAO, so dass für eine
andere Entscheidung kein Raum mehr ist.
2.
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Dem Antragsteller steht nach § 43 c BRAO ein Anspruch auf Führung der Bezeichnung
Fachanwalt für Verwaltungsrecht zu.
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Daran, dass die zu verlangenden besonderen theoretischen Kenntnisse des
Antragstellers im Sinne der §§ 4, 6 FA0 durch die eingereichten Unterlagen
nachgewiesen worden sind, hat auch die Antragsgegnerin nicht gezweifelt.
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Der Antragsteller hat des weiteren seine besonderen praktischen Erfahrungen im Sinne
der §§ 5 S. 1 a, 6 FAO nachgewiesen.
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a)
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Die Fallliste des Antragstellers führt – wie die Antragsgegnerin in dem angefochtenen
Beschluss ausgeführt hat – insgesamt 254 Fälle auf, von denen 176 gerichtliche
Verfahren betreffen. Das von § 5 S. 1 a FAO vorgegebene Soll von 80 bearbeiteten
Fällen einschließlich mindestens 30 gerichtlichen Verfahren ist damit erfüllt. Davon geht
ersichtlich auch die Antragsgegnerin aus, die in ihrer ablehnenden Entscheidung selbst
auf die erhebliche Überschreitung der geforderten Fallzahl von 80 hingewiesen hat.
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Soweit in dem angefochtenen Beschluss in diesem Zusammenhang noch – wenn auch
für ihre Entscheidungsfindung nicht maßgeblich - die Frage der "Serienfälle"
angesprochen worden ist, ergeben sich nach Ansicht des Senats unter diesem
Gesichtspunkt vorliegend keine Bedenken. So sind Serienfälle grundsätzlich als
Einzelfälle zu zählen (vgl. Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 5 FAO Rdnr. 7). Ob eine
solche Bewertung auch in besonders krassen Fällen – wie etwa bei völlig identischer
Sachlage ohne jedes Erfordernis einer gesonderten Prüfung - geboten ist, kann hier
dahinstehen. Denn nach den eingereichten Arbeitsproben hat der Antragsteller
tatsächlich keineswegs in jeder Beziehung völlig identische Serienfälle bearbeitet.
Angesichts der Vielzahl der aufgelisteten Fälle würden sich i.ü. etwaige vereinzelte
Streichungen auf das Gesamtergebnis ohnehin nicht auswirken.
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b)
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Gemäß § 5 S. 1 a FAO müssen sich mindestens 60 der bearbeiteten Fälle auf 3
verschiedene Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts beziehen, von denen einer
der Bereiche wiederum zu den in § 8 Abs. 2 FAO aufgeführten Bereichen gehören
muss. Diese Voraussetzungen sind durch den Antragsteller ebenfalls erfüllt.
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Der Antragsteller hat in der Fallliste 174 Fälle aus dem Bereich des
Arzneimittelzulassungsrechts als eines dem besonderen Verwaltungsrecht
zuzuordnenden Bereiches, 51 Fälle aus dem Abgabenrecht als eines weiteren
Bereiches des besonderen Verwaltungsrechts, 5 Fälle aus dem
Wirtschaftsverwaltungsrecht, je 2 Fälle aus dem öffentlichen Baurecht und Umweltrecht
und je 1 Fall aus dem Kommunalrecht, Vergaberecht und Staatshaftungsrecht als
weitere dem besonderen Verwaltungsrecht zuzuordnende Bereiche benannt. Zwar
handelt es sich bei den 51 dem Abgabenrecht zugeordneten Fällen überwiegend
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ebenfalls um den Problemkreis der Arzneimittelzulassung. Inhaltlich beziehen sich
diese Fälle jedoch nicht auf Zulassungsverfahren, sondern auf Kostenansprüche bzw.
Kostenbescheide. Ihre Bewertung als Fälle des Abgabenrechtes ist daher nicht zu
beanstanden. Abgesehen davon würden selbst bei Herausnahme der "Arzneimittelfälle"
aus dem Bereich des Abgabenrechtes für diesen Bereich noch die Fälle Nr. 37 bis 46
der Liste bestehen bleiben. Damit hat der Antragsteller gleichzeitig die weitere
Voraussetzung erfüllt, wonach einer der Bereiche des besonderen Verwaltungsrechts
zu dem in § 8 Abs. 2 FAO aufgeführten Katalog - hier das Abgabenrecht nach § 8 Abs. 2
b) FA0 - gehören muss.
Soweit die Antragsgegnerin in ihrem ablehnenden Beschluss ausgeführt hat, dass der
Antragsteller nach seiner Fallliste lediglich ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet
des Arzneimittelzulassungsrechts sei und daher im Hinblick auf das Fallquorum des § 5
S. 1 a FA0 und die sog. "60-aus-3-Regelung" erhebliche Zweifel an seiner besonderen
praktischen Erfahrung im Sinne dieser Vorschrift bestünden, ist dem nicht zu folgen.
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Die Vorschrift des § 5 S. 1 a FA0 beinhaltet nach Ansicht des Senates nicht, dass die
besonderen praktischen Erfahrungen sich etwa gleichmäßig auf drei Bereiche des
besonderen Verwaltungsrechts verteilen müssten. Nach der Fassung der Regelung
kann nicht einmal der Nachweis einer Kernkompetenz für 3 Bereiche des besonderen
Verwaltungsrechts verlangt werden. Vielmehr sind die Voraussetzungen des § 5 S. 1 a
FA0 nach dem Wortlaut der Vorschrift bereits dann erfüllt, wenn ein Antragsteller
beispielsweise 58 Fälle aus einem Bereich und jeweils nur 1 Fall aus zwei weiteren
Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts nachweist (vgl. dazu Feuerich/Weyland,
a.a.0., § 5 FA0 Rdnr. 7; Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl., § 5 FA0 Rdnr.
45). Zwar hält der Senat die Regelung des § 5 S. 1 a FA0 insoweit für verfehlt. Denn ein
Fachanwalt für Verwaltungsrecht in seiner allgemeinen Form - wie er in der FA0
vorgesehen ist - sollte entsprechend über besondere Kenntnisse und Erfahrungen im
Spektrum des besonderen Verwaltungsrechts verfügen und nicht nur Spezialist in einem
einzigen Bereich des besonderen Verwaltungsrechts sein. Das aber kann nach der
derzeitigen Fassung der FA0 gerade nicht verlangt werden. Angesichts der eindeutigen
Formulierung des § 5 S. 1 a FA0 kann dieses Ziel auch durch eine zu strengeren
Anforderungen führende Auslegung der Vorschrift nicht erreicht werden. Das verbietet
sich schon im Hinblick auf Art. 12 GG.
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Demgemäss hat der Antragsteller vorliegend - wie sich aus den oben genannten
Fallzahlen für die aufgeführten verschiedenen Bereiche des besonderen
Verwaltungsrechts ergibt - die notwendigen Nachweise im Sinne des § 5 S. 1 a FA0
erbracht.
23
c)
24
Da der Antragsteller die Voraussetzungen für die Führung der Bezeichnung Fachanwalt
für Verwaltungsrecht erfüllt hat, war ihm seitens der Antragsgegnerin zwingend die
Erlaubnis hierzu zu erteilen (vgl. Feuerich/Weyland, a.a.0., § 43 c Rdnr. 35).
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Demgegenüber kann die Antragsgegnerin sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das
mit dem Antragsteller geführte Fachgespräch einen negativen Verlauf genommen habe.
Zwar sieht § 7 FA0 in seiner Neufassung als Regelfall die Führung eines
Fachgespräches vor. Das Fachgespräch im Sinne des § 7 FA0 dient jedoch auch nach
der Neufassung nach wie vor nur dazu, etwa vorhandene Defizite beim Nachweis der
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praktischen Erfahrungen und/oder theoretischen Kenntnisse auszugleichen. Damit ist
nur dann Raum für ein Fachgespräch, wenn in diesen Bereichen tatsächlich
Nachweislücken bestehen, so dass sich an der bisherigen Rechtslage durch die
Neufassung letztlich nichts geändert hat (vgl. BGH, Entscheidung vom 07.03.2005 in
AnwZ (B) 11/04). Derartige Nachweislücken sind nach obigen Ausführungen hier
gerade nicht vorhanden. Ein Fachgespräch aber, das mangels fehlender Defizite im
Nachweisbereich schon nicht hätte geführt werden dürfen, kann nicht zur Grundlage der
Entscheidungsfindung gemacht und sein Ergebnis darf daher bei der Beschlussfassung
nicht verwertet werden (vgl. Kirchberg, Die Neuerungen der Fachanwaltsordnung im
Kontext der Rechtsprechung, NJW 2003, 1833, 1834).
Der Antrag des Antragstellers ist nach alledem begründet, so dass die Antragsgegnerin
zu verpflichten war, dem Antragsteller die Führung der Bezeichnung Fachanwalt für das
Verwaltungsrecht zu gestatten.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 BRA0. Eine Erstattung außergerichtlicher
Kosten findet nach § 13 a FGG nicht statt.
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Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 202 BRA0, 30 Abs. 2 Kost0 und entspricht ständiger
Rspr. des Senats in Fachanwaltssachen.
30
IV.
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Der Senat hat die sofortige Beschwerde nach § 223 Abs. 3 BRA0 zugelassen, da er
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung berührt sieht.
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