Urteil des AG Hamm vom 26.04.2010

AG Hamm (ordre public, adoption, wohl des kindes, kind, antragsteller, deutschland, gerichtliches verfahren, prüfung, anerkennung, eignungsprüfung)

Amtsgericht Hamm, XVI 15/09
Datum:
26.04.2010
Gericht:
Amtsgericht Hamm
Spruchkörper:
Vormundschaftsgericht
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
XVI 15/09
Tenor:
Die Anerkennung der Adoption des Kindes P, ausgesprochen durch
Entscheidung des Magistrate Court des Bundesstaates Enugu im
Gerichtsbezirk Enugu zu Enugu/Nigeria vom 23.09.09, wird abgelehnt
G r ü n d e
1
I.
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Das Kind, dessen ursprünglicher Name B2 war, ist nach Angaben der Antragsteller ein
nichtehelich geborenes Kind der Frau B2, die im Jahre 2008 verstorben ist. Der Vater ist
unbekannt.
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Das Kind lebt im Haushalt einer Cousine des antragstellenden Ehemannes namens B
in Nigeria.
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Nach dem Tode der Mutter verblieb das Kind zunächst im Kreise weiterer Verwandter,
bevor es Aufnahme im Hause der mit der Herkunftsfamilie befreundeten Frau B fand.
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Durch diese Frau B erfuhren die Antragsteller vom Schicksal des Kindes und
entschlossen sich zur Adoption.
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Der antragstellende Ehemann, der bereits seit 1995 in Deutschland lebt und mittlerweile
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, ist seit dem 20.12.2001 mit seiner ebenfalls
antragstellenden Ehefrau verheiratet; sie haben keine gemeinsamen Kinder.
7
II.
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Die Antragsteller sind sich mit der Herkunftsfamilie zunächst über die Adoption des
Kindes einig geworden und haben darüber zunächst eine gemeinsame notarielle
Erklärung abgegeben. Durch das beschließende Gericht auf die Notwendigkeit einer
gerichtlichen nigerianischen Adoptionsentscheidung hingewiesen, haben sie sodann
ein solches gerichtliches Verfahren betrieben. Das im Beschlusstenor genannte Gericht
hat die Adoption sodann wie erwähnt ausgesprochen.
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Die Gerichtsentscheidung enthält praktisch keine Begründung. Es nennt lediglich die
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angewandten Adoptionsvorschriften des Bundesstaates Enugu.
Eine deutsche Adoptionsvermittlungsstelle war an dem nigerianischen
Adoptionsverfahren nicht beteiligt.
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III.
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Die Antragsteller beantragen die Anerkennung dieser Auslandsadoptionen nach § 2 des
Adoptionswirkungsgesetzes.
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Die Bundeszentralstelle für Auslandsadoptionen hat Stellung genommen und Bedenken
geäußert.
14
IV.
15
Die Adoptionsentscheidung des Gerichtes in Nigeria ist nicht anerkennungsfähig.
16
1.
17
Die Bundesrepublik Nigeria ist dem Haager Übereinkommen vom 29. Mai 1993 über
den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen
Adoption (HAÜ) nicht beigetreten. Die Vorschriften dieses Übereinkommens können
daher nicht angewandt werden.
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Die Anerkennungsfähigkeit der nigerianischen Entscheidung richtet sich daher nach
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§ 16a FGG.
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Die neuen Vorschriften des FamFG, welches seit dem 1.9.09 in Kraft ist, sind noch nicht
anwendbar, da nach Art. 111 des FGG-Reformgesetzes für Verfahren, die bereits vor
dem 1.9.09 anhängig waren, die ursprünglichen Verfahrensvorschriften weiterhin gelten.
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Nach § 16a FGG ist eine ausländische Entscheidung anzuerkennen, wenn nicht einer
der in dieser Vorschrift genannten Ausschlussgründe vorliegt. Insbesondere ist nach §
16 a Abs. 4 FGG die Anerkennung dann ausgeschlossen, wenn die Anerkennung
dieser Entscheidung zu einem Ergebnis führen würde, das mit wesentlichen
Grundsätzen des deutschen Rechts ("ordre public") offensichtlich unvereinbar ist.
22
2.
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Zu den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Adoptionsrechtes gehört die Prüfung,
ob die Adoption dem Wohl des Kindes entspricht. Hierzu gehört nicht nur die Prüfung
der aktuellen Lebensumstände des zu adoptierenden Kindes, sondern auch die Prüfung
der Eignung der Adoptionsbewerber als Adoptiveltern, also eine Überprüfung der
Bewerber hinsichtlich ihrer rechtlichen Befähigung und ihrer Eignung zur Übernahme
der mit einer internationalen Adoption verbundenen Verantwortung sowie als weitere
Kriterien die persönlichen und familiären Umstände der Bewerber, ihren
Gesundheitsstatus, ihr soziales Umfeld und ihre C-X-Weg für die Bewerbung. Die
Prüfung muss die Lebensumstände der Bewerber daher nahezu vollständig umfassen.
Eine brauchbare Eignungsprüfung in diesem Sinne kann daher sinnvoller Weise nicht
im Lande des Adoptionsausspruchs erfolgen, sondern nur in dem Land, in dem die
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Bewerber leben, und zwar durch die dort zuständigen Fachdienststellen. Diese
Eignungsüberprüfung ist sozusagen das Herzstück des Adoptionsverfahrens, durch
welches sichergestellt wird, dass die Adoption nur für solche Eltern in Betracht kommt,
die nach aller Voraussicht in der M sind, einem Kind eine tragfähige
Zukunftsperspektive zu bieten.
Das gesamte weitere Lebensschicksal des Kindes hängt von dieser Frage ab. Es kann
diesem Punkt daher nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet werden.
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Daher werden beabsichtigte Auslandsadoptionen von in Deutschland lebenden
adoptionswilligen Personen auch durchweg unter Einschaltung von
Adoptionsvermittlungsstellen durchgeführt, wobei für die Erstellung eines
Eignungsberichts durch die örtlichen Jugendämter – worauf ein Anspruch nach § 7 Abs.
3 AdVermiG besteht - und deren Übermittlung an die ausländischen Adoptionsgerichte
T2 getragen wird.
26
a.
27
Eine solche Eignungsprüfung hat vor der Adoptionsentscheidung des nigerianischen
Gerichts jedoch nicht stattgefunden. Aus der Adoptionsentscheidung selbst ergibt sich
das nicht; auch die Antragsteller haben in ihrer persönlichen Anhörung angegeben,
dass ein solcher Eignungsbericht durch die deutschen Jugendbehörden nicht erstellt
worden ist. Die Teilnahme der Antragsteller an einem Seminarblock für
Adoptionsbewerber über ein Wochenende und ein Volkshochschullehrgang
"Tagesmütter und –väter qualifizieren sich" reichen ersatzweise natürlich nicht aus.
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Im vorliegenden Fall wäre eine solche Eignungsprüfung auch deshalb besonders
erforderlich gewesen, weil der Altersunterschied zwischen Antragstellern und dem Kind
47 bzw. 54 Jahre beträgt. Ferner wäre außerordentlich erörterungsbedürftig gewesen
der Umstand, dass die antragstellende Ehefrau das Kind bisher überhaupt nicht
persönlich kennen gelernt geschweige denn mit ihm einen längeren Zeitraum
gemeinsam verbracht hat; bei der mündlichen Verhandlung vor dem nigerianischen
Gericht war sie auch nicht persönlich anwesend.
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Die nach Angaben der Antragsteller stattgefundene Stellungnahme einer örtlichen
Jugendbehörde kann sich auch nur auf die örtlichen Verhältnisse der Herkunftsfamilie
des Kindes erstrecken, sagt jedoch nichts über die Eignung der Bewerber aus.
30
b.
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Zudem ist auch nicht ersichtlich, inwieweit sich das Gericht mit der Frage des
Auslandsadoptionsbedürfnis beschäftigt hat, ob das Gericht also anderweitige
Unterbringungsmöglichkeiten des Kindes in seiner angestammten Umgebung geprüft
hat. Dem Wohl eines Kindes ist grundsätzlich am besten gedient, wenn es in seinem
geografischen und kulturellen Herkunftsumfeld aufwachsen kann.
32
c.
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Hat eine derartige fachlich fundierte Prüfung nicht stattgefunden, so begründet dies
Zweifel an der Vereinbarkeit der ausländischen Adoptionsentscheidung mit dem
deutschen ordre public, die im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens der Aufklärung
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bedürfen. Die im Herkunftsland vollzogene Adoption kann in einem solchen Fall in der
Regel nur anerkannt werden, wenn sie nach eingehender Prüfung im Ergebnis nicht
gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Adoptionsrechts verstößt (vgl. dazu die
Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines "Gesetzes zur Regelung von
Rechtsfragen auf dem Gebiet der Internationalen Adoption und zur Weiterentwicklung
des Adoptionsvermittlungsrechts", BT-Drucksache14/6011 –Seite 28/29-
4.
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§ 16a Abs. 4 FGG ist so auszulegen, dass eine Auslandsadoption mit der Zielrichtung
zu beurteilen ist, ob die Anerkennung der Adoption "im Ergebnis" – also in ihrer
praktischen Erscheinungsform in Deutschland – gegen den deutschen "ordre public"
verstößt oder nicht (vgl. BGHZ 118, 312, 331 zu § 328 ZPO; BGH FamRZ 2004, S.
1952, 1955 zu Art. 6 EGBGB).
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Das Erscheinungsbild der Auslandsadoption sieht im vorliegenden Fall daher so aus,
dass das Kind nach Deutschland verbracht und hier bei den Antragstellern leben würde,
ohne dass eine Eignungsprüfung der Antragsteller stattgefunden hätte: eine Situation,
die in Deutschland nie entstehen könnte, da eine Adoption ohne diese mit
fundamentaler Bedeutung ausgestattete Eignungsprüfung undenkbar ist, damit also
eine Situation, die mit grundlegenden Vorstellungen des deutschen Rechts nicht in
Einklang zu bringen ist.
37
5.
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Die Anerkennung der nigerianischen Entscheidung würde daher zu einem Ergebnis
führen, das mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechtes offensichtlich
unvereinbar ist.
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Die Adoption kann daher nicht anerkannt werden.
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Die Antragsteller werden darauf hingewiesen,
Deutschland durchzuführenden Erst-Adoption besteht. Dazu müsste das Kind zwecks
Adoptionspflege für einige Monate nach Deutschland geholt werden. § 6 AdÜbAG i.V.m.
§ 32 des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für das
Kind (vgl. dazu auch Ziffer 32.0.7 der "Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum
Aufenthaltsgesetz" vom 26.10.09). Die Antragsteller können - wenn die
Voraussetzungen dieser Vorschriften erfüllt sind - das Kind dann hier in Deutschland in
Pflege nehmen und das Adoptionsverfahren hier in Deutschland unter Einschaltung des
örtlichen Jugendamts und des Landesjugendamtes betreiben.
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