Urteil des AG Hamm vom 11.05.2005

AG Hamm: verkehrsunfall, fahrzeug, auflage, ermessensausübung, beurteilungsspielraum, schadenersatz, durchschnitt, ausnahme, reparaturkosten, sachverständigenkosten

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Amtsgericht Hamm, 17 C 75/05
11.05.2005
Amtsgericht Hamm
Zivilabteilung
Urteil
17 C 75/05
Rechtsanwaltsgebühren, einfacher Verkehrsunfall
RVG § 14 Abs. 1; RVG VV 2400
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Bei außergerichtlicher Abwicklung eines einfachen Verkehrsunfalls steht
dem Rechtsanwalt keine höhere Gebühr als 0,9 zu.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Streitwert: 61,71 €.
T a t b e s t a n d
Der Kläger macht mit der vorliegenden Klage restliche Schadensersatzansprüche aus
einem Verkehrsunfall vom 10.11.2004 geltend. Am Unfalltage wurde das Fahrzeug des
Klägers bei einem Parkmanöver durch das Fahrzeug der Versicherungsnehmerin der
Beklagten beschädigt. Der Kläger beauftragte seine Prozessbevollmächtigten, welche mit
Schreiben vom 23.11.2004 Reparaturkosten nach dem Gutachten eines Sachverständigen,
dessen Sachverständigenkosten, eine Wertminderung gemäß dem
Sachverständigengutachten und eine Auslagenpauschale mit einem Gesamtbetrag von
1.720,58 € geltend gemacht haben. Daneben haben sie mit diesem Schreiben eine 1,3
Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale mit einem Betrag von insgesamt 223,76 €
geltend gemacht. Mit Schreiben vom 26.11.2004 hat die Beklagte den Schaden
antragsgemäß abgerechnet mit Ausnahme der Rechtsanwaltsgebühren, welche sie nur in
Höhe einer Geschäftsgebühr von 0,9 nebst Auslagenpauschale gezahlt hat. Mit der
vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung des Differenzbetrages hinsichtlich der
Rechtsanwaltsgebühren.
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Rechtsanwaltsgebühren.
Der Kläger trägt insofern vor, seine Prozessbevollmächtigten hätten den von der Beklagten
gezahlten Betrag auch auf die Differenz bei den Anwaltsgebühren in Höhe von 61,71 €
verrechnet.
Der Kläger ist der Auffassung, als Schaden stünden ihm auch die Anwaltsgebühr nach eine
Geschäftsgebühr von 1,3 gemäß Ziffer 2400 VV RVG zu. Seine Prozessbevollmächtigten
hätten ihn auch auf die Möglichkeit der Geltendmachung von
Nutzungsausfallentschädigung hingewiesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 61,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem jeweiligen Basiszins seit dem 21.12.2004 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, es handele sich nur um einen leicht gelagerten
Schadensfall, bei dem eine Rechtsanwaltsgebühr von 0,9 angemessen sei.
Wegen des Parteivorbringens im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der
gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger kann von der Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 10.11.2004 keinen
weiteren Schadensersatz hinsichtlich nicht regulierter Rechtsanwaltsgebühren verlangen.
Die Beklagte hat durch das Abrechnungsschreiben vom 26.11.2004 eine konkrete
Zahlungsbestimmung getroffen, wonach lediglich ein Betrag von 162,05 € (0,9
Geschäftsgebühr) auf die Anwaltsgebühren gezahlt werde. Die Prozessbevollmächtigten
des Klägers waren daher gehindert, einen auf andere Positionen gezahlten Betrag von
61,71 € auf die ihnen angeblich weiter zustehenden Gebühren zu verrechnen.
Dem Kläger ist hinsichtlich der Anwaltsgebühren kein weiterer Schaden entstanden, weil
den Prozessbevollmächtigten des Klägers ein Gebührenanspruch über die bereits
gezahlten Gebühren hinaus nicht zusteht.
Zwar sind Rechtsanwaltskosten grundsätzlich auch bei einfach gelagerten
Verkehrsunfällen erstattungsfähig, weil sich der Geschädigte auch über mögliche, nicht
allgemein bekannte Schadenspositionen, z. B. Auslagenpauschale und
Nutzungsausfallentschädigung, informieren darf. Für einen Rechtsanwalt kann bei dieser
Tätigkeit eine Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2400 VV RVG mit einem Rahmen von 0,5 – 2,5
entstehen. Dabei kann eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden, wenn die
Tätigkeit umfangreich und schwierig ist. Für durchschnittliche Tätigkeiten ist die Gebühr
danach auf 1,3 begrenzt. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt der Rechtsanwalt gemäß
§ 14 Abs. 1 RVG, im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des
Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der
Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers
nach billigem Ermessen. Bei der Bestimmung des Rahmens steht dem Rechtsanwalt ein
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Beurteilungsspielraum zu, maßgeblich ist derjenige Betrag, den der Rechtsanwalt bei einer
pflichtgemäßen Gesamtabwägung nach seinem Standpunkt als angemessen ansehen
kann. Eine Ermessensausübung ist auch dann noch billig, wenn sie an den oberen Rand
des durch die Umstände bestimmten Rahmens geht (vgl. Gerold/Schmidt,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 16. Auflage, § 14, Rn. 11). Zum Teil wird auch eine
Abweichung von bis zu 20 % gegenüber dem Angemessenen für vertretbar gehalten (vgl.
Hartmann, Kostengesetze, 34. Auflage, § 14 RVG, Rn. 24).
Bei der Beurteilung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG ist zunächst vom Umfang der
anwaltlichen Tätigkeit auszugehen. Es handelte sich um einen Verkehrsunfall mit
eindeutiger Haftungslage und nur wenigen, nicht ausgefallenen Schadenspositionen.
Die Beklagte hat auf das erste Anschreiben reguliert. Dieses Kriterium ist daher als deutlich
unter Durchschnitt zu bewerten.
Gleiches gilt für die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Auch insofern ist zu
berücksichtigen, dass die Haftungslage eindeutig war und keine technischen oder
fachlichen Probleme zu prüfen waren, die für die Beurteilung der Rechtslage von
Bedeutung sein konnten. Es handelte sich um einfachste Schadenspositionen.
Da zur Bedeutung der Angelegenheit, abgesehen von der Höhe des Sachschadens, und
den Vermögens- und Einkommensverhältnissen des Klägers nichts dargetan ist, ist
insofern von durchschnittlichen Verhältnissen auszugehen.
Die Gesamtbewertung der Bemessungskriterien ergibt daher, dass es sich um eine
einfache (unterdurchschnittlich schwierige) und unterdurchschnittlich umfangreiche
Schadensregulierung handelte, sodass die Bestimmung einer Geschäftsgebühr von 1,3
unbillig ist. Auch wenn Abweichungen von bis zu 20 % noch als verbindlich angesehen
werden (vgl. Gerold/Schmidt, § 14 RVG, Rn. 34), ist daher die Festsetzung einer Gebühr
von 1,3 unwirksam.
Bei der Abwicklung eines einfachen Verkehrsunfallmandats ist daher keine höhere Gebühr
als die von der Beklagten bereits gezahlte Geschäftsgebühr von 0,9 angemessen.
Ein weiterer Schadenersatz steht dem Kläger nicht zu.
Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Höhe anwaltlicher Gebührenansprüche
bei der Abwicklung einfacher Verkehrsunfallangelegenheiten und zur Fortbildung des
Rechts hat das Gericht die Berufung zugelassen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.