Urteil des AG Hagen vom 07.10.2010

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Amtsgericht Hagen, 10 C 133/10
Datum:
07.10.2010
Gericht:
Amtsgericht Hagen
Spruchkörper:
Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 133/10
Schlagworte:
Prüfungsfrist für Kfz-Haftpflichtversicherer; Ersatzumfang bei § 249 BGB
Normen:
§§ 249, 286 BGB, 3 PflVG
Leitsätze:
- Ein Verzug des Haftpflichtversicherers in Kfz-Schadensersatzfällen tritt
nicht vor Ablauf von vier Wochen nach Schadensanzeige ein.
- Bei wirtschaftlich vernünftiger Betrachtungsweise ist dem getroffenen
Kfz-Eigentümer (sog. „Geschädigten“) ohne Rücksicht darauf, wie
etwaige „Sonderkonditionen“ kalkulatorisch zustande kommen, nur der
bei qualifizierten Werkstätten ohne Rücksicht auf Markenbindung oder
freie Unternehmen anfallende Reparaturaufwandpreis zu erstatten –
entgegen BGH Urteil vom 13.07.2010, V ZR 259/09.
Tenor:
1.
Die Klage wird abgewiesen.
2.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten
durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 130 % des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht zuvor die Gegenseite Sicherheit in gleicher Höhe
leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 22. Januar 2010 auf
der C-Straße in I.
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Er hatte seine Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen xxx (ein BMW) in Höhe
des Hauses Nr. 5 auf der C-Straße abgestellt.
3
Die Beklagte zu 1. fuhr mit dem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten PKW,
amtl. Kennzeichen HA-Z 154, die C-Straße in Richtung G-Straße in Fahrtrichtung B-
Straße.
4
Dabei geriet die Beklagte zu 1. gegen das geparkte Fahrzeug des Klägers mit seinem
bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug.
5
Der Kläger behauptet, auf der Grundlage des Gutachtens der Firma D vom 02.02.2010
sei an dem klägerischen Fahrzeug eine Reparaturkostenumfang von 2.688,70 € (netto)
entstanden. Der Gutachtenaufwand habe 559,30 € betragen; insoweit hat der Kläger die
Abtretung der Sachverständigengebührenforderung an den Sachverständigen
vorgebracht. Daneben verlangt der Kläger Erstattung von pauschalen Nebenkosten in
Höhe von 30,00 €.
6
Zudem begehrt der Kläger Erstattung außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nach
einem Gegenstandswert von 3.268,00 €.
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Er ließ durch seinen Prozessbevollmächtigten die Beklagte zu 2. mit Schreiben vom
22.02.2010 unter Fristsetzung zum 08. März 2010 zu Zahlung auffordern.
8
Er reichte mit Schriftsatz vom 18.03.2010, eingegangen am 22. März 2010, die Klage
ein.
9
Die Beklagte veranlasste am 19. März 2010 die Zahlung von 2.167,28 € an den Kläger
und an das Sachverständigenbüro F in Höhe von 233,00 €, insoweit abschlagshalber.
Insoweit hat der Kläger die Klage zurückgenommen.
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Er beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 868,00 EUR
nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.03.2010 zu zahlen,
sowie den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits, sowei die Klage
zurückgenommen wurde,aufzuerlegen.
12
Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
14
Sie verweisen darauf, dass ihnen naturgemäß eine gehörige Prüfungsfrist von 4 bis 6
Wochen zustehe, so dass die Zahlung des von der Beklagten zu 2. für zutreffend
erachteten Betrages innerhalb dieser Frist erfolgt sei, so dass sie zuvor jedenfalls nicht
in Verzug geraten sind. Die Klage sei zu früh erhoben worden.
15
Die Beklagte zu 2. verweist auf den von ihr eingeholten Prüfbericht der DEKRA vom
14.03.2010 und das Schreiben der Beklagten zu 2. vom 29.04.2010.
16
Die Beklagte zu 2. behauptet, die Reparaturaufwendungen seien notwendig und
angemessen nur in Höhe des gezahlten Betrages.
17
Das Sachverständigenbüro habe, was unstreitig ist, seinerseits direkt bei der Beklagten
zu 2. mit Schreiben vom 10.03.2010 seine Forderungen geltend gemacht und mit
Schreiben vom 29.03.2010 über den gezahlten Betrag auch sämtlich weiter verfolgt.
18
Mit dem Abrechnungsschreiben an den Kläger vom 29.04.2010 hat die Beklagte zu 2.
den Prüfbericht der DEKRA beigefügt und dabei die Prüfkalkulation sowie die
Referenzliste der Reparaturbetriebe (Firma C, Firma M, Firma Q & E, siehe Bl. 65 d. A.)
dem Kläger mitgeteilt.
19
Die Beklagte behauptet, bei den genannten Unternehmungen handele es um
Markenwerkstätten gleichwertige, qualifizierte Reparatureinrichtungen.
20
Hierzu beruft sich die Beklagte auf das Zeugnis des Dipl.-Ing. C2 bei der Firma M, des
Lackiermeisters Pinto, ebenda, des Prüfberichts und dem Sachverständigengutachten.
21
Das Gericht hat auf ein früher eingeholten, durch einen vom Gericht bestimmten
Sachverständigen in jüngerer Zeit erstattenden Gutachtens hingewiesen, wonach
insbesondere die Firma M alle notwendigen Qualifikationen gleichwertig einer
markengebundenen Fachwerkstatt aufweist und auch qualifizierte subunternehmerische
Leistungen für markengebundene Fachwerkstätten, die eben nicht ihrerseits eine
eigene Karosserie- und Lackierwerkstatt aufweisen, durchführt.
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Mit Verfügung vom 19.08.2010 hat das Gericht dem Kläger eine Frist von drei Wochen
zur Stellungnahme gesetzt, ob nichts desto trotz ein Gutachten einzuholen sei und ein
anderes als das Beklagtenvorbringen geltend gemacht werde. Erst mit dem im
Sitzungstermin am 07. Oktober 2010 überreichten Schriftsatz hat der Kläger
vorgebracht, die Firma M bestätige zwar die Preise, die die beklagten Parteien geltend
machten, bei diesen Preisen handele es sich jedoch nicht um marktübliche Preise,
sondern die Preise beruhten auf vertraglichen Vereinbarungen der Beklagten zu 2. und
stellten insoweit Sonderkonditionen i. S. d. Urteils des BGH vom 22.06.2010 dar.
23
In diesem Schriftsatz hat der Kläger auch erstmals vorgebracht, das
Sachverständigenbüro CarExperts.de habe mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom
20.09.2010 dem Kläger mitgeteilt, dass gegen die Geltendmachung der
Sachverständigenkosten durch den Kläger keine Bedenken bestünden (Anlage zum
Schriftsatz vom 07.10.2010).
24
Zudem hat das Gericht bereits mit Verfügung vom 01.07.2010 dem Kläger aufgegeben,
konkret vorzubringen, bei welcher Werkstatt das Kraftfahrzeug regelmäßig untersucht
und ggf. Inspektions- und Wartungsarbeiten durchgeführt worden sind und aufgegeben,
die entsprechenden Dokumente mit einer Fristsetzung von drei Wochen vorzulegen.
25
Ein konkretes Vorbringen hinsichtlich der bisherigen etwaigen Inspektions- und
Instandsetzungsarbeiten des klägerischen Fahrzeugs ist nicht, geschweige denn
konkret, vorgebracht worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen
ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
27
Entscheidungsgründe:
28
Die Klage ist unbegründet, soweit sie nicht ohnehin zurückgenommen worden ist.
29
Dem Kläger steht gegen die Beklagten nicht der über die gezahlten Beträge hinaus
geltend gemachte weitere Betrag als Schadensersatzforderung zu (§§ 3 PflVG, 823 Abs.
1, Abs. 2 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 249 BGB).
30
Was die Reparaturkostenhöhe anbelangt, ist der Kläger mit der Zahlung von 2.167,21 €
schadlos gestellt worden.
31
Ein darüber hinausgehender Reparaturkostenaufwandsersatz steht dem Kläger nicht zu.
32
Unstreitig ist geworden, dass die Beklagte mit der überreichten Referenzliste und dem
Prüfbericht der DEKRA den notwendigen und angemessenen Reparaturkostenaufwand
bezeichnet hat.
33
Der Kläger hat mit dem – nicht nachgelassenen – Schriftsatz vom 07. Oktober 2010
nach seiner eigenen Erkundigung bei der Firma M bestätigt, dass diese zu diesen
Preisen den Wagen instandsetzt.
34
Ein darüber hinausgehender Betrag steht dem Kläger nicht zu.
35
Weder weist das von dem Kläger vorgelegte Gutachten der Firma F aus, bei welcher
markengebundenen Fachwerkstatt oder sonst wie sie die ortsüblichen und notwendigen
Preise ermittelt hat.
36
Noch hat der Kläger fristgerecht, geschweige denn konkret vorgebracht, dass es ihm
unzumutbar gewesen ist, seinen Wagen in einer freien, qualifizierten Fachwerkstatt, die
eben nicht markengebunden ist, instandsetzen zu lassen.
37
Der Kläger hat auch nicht in Abrede gestellt, dass durch das
Sachverständigengutachten ist einem früheren Verfahren geklärt worden ist, dass die
Firma M in I über alle Merkmale einer qualifizierten Fachinstandsetzung verfügt; das
Gericht hat auch darauf hingewiesen, dass selbst Markenwerkstätten die Firma M mit
der Instandsetzung bei Karosserie- und Lackierarbeiten subunternehmerisch
beauftragen.
38
Es ist für einen getroffenen Kfz-Eigentümer in der M2 des Klägers ohne weiteres
zuzumuten, den Wagen bei der qualifizierten, nicht markengebundenen Fachwerkstatt
wie der Firma M instandsetzen zu lassen; die Erreichbarkeit auch mit standörtlicher
Hinsicht ist dem Kläger ohne weiteres gegeben, wohnt er doch nur wenige Kilometer
von der Instandsetzungsstätte entfernt.
39
Konkret hat der Kläger auch nicht, geschweige denn konkret, vorgebracht, dass es sich
um nicht marktübliche Preise, sondern "Sonderkonditionen" handelt, die die Firma M für
ihre Leistungen berechnet.
40
Für einen wirtschaftlich vernünftig denkenden Menschen ist es ohnehin gleichgültig, wie
eine markengebundene Fachwerkstatt oder ein freier, qualifizierter
Instandsetzungsbetrieb intern seine Kalkulation aufstellt.
41
Dieser Halbsatz des Urteils des BGH vom 13.07.2010 VI ZR 259/09 (NJW 2010, 2541)
ist in keiner Weise mit § 249 BGB in Übereinstimmung zu bringen. Gerade bei
wirtschaftlicher Vernunft ist das qualifizierte fachliche wie preisliche Ergebnis
ausschlaggebend.
42
Die – nicht vertretbare – Auffassung, auf Sonderkonditionen freier Fachwerkstätten sei
keine Rücksicht zu nehmen, ist schlichterdings nicht mit der auch nach dem
Europarecht erforderlichen Gleichstellung von qualifizierten Fachbetrieben und
markengebundenen Fachwerkstätten zur Vermeidung von Kartellmissbräuchen nicht zu
vereinbaren. Es kommt schließlich auch nicht darauf an, wie die Kalkulation etwa der
selben N2 angehörigen markengebundenen Fachwerkstätten im regionalen
Einzugsgebiet eines getroffenen Kfz-Eigentümers vorgenommen wurde, etwa welchen
Unternehmerlohn sie für berechtigt halten und dementsprechend ihre Kalkulationen
aufstellen. Außerdem unterscheiden sich selbst markengebundene Fachwerkstätten
untereinander hinsichtlich der Konditionen, die sie von den Herstellerwerken erhalten,
etwa (Jahresrück-)Rabatten bei größeren oder kleineren N von bezogenen
Instandsetzungsgütern. Auf die Kalkulation des Werkstattunternehmers, solange er
qualifiziert gleichwertige Leistungen erbringt, kommt es mit Rücksicht auf die dringende
Notwendigkeit, gemäß dem Europäischen Recht Kartellmissbräuche durch
Markenbindung in vertikaler wie horizontaler zu verhindern, nicht an. Dies gilt
insbesondere mit Rücksicht darauf, dass aufgrund der allgemein bekannten
Schrumpfung der Zahl der markengebundenen Fachwerkstätten durch Konzentration
auf wenige große Anbieter eine weitere Konkurrenz verhindert wird. Bei gleichwertiger,
qualifiziert fachlicher Werkleistung durch einen nicht markengebundenen
Instandsetzungsbetrieb ist ohne Rücksicht auf dessen interne Kalkulation dem
Wirtschaftlichkeitsgebot, dass auch der getroffene Kfz-Eigentümer als sog. Geschädigter
nachkommen muss, Rechnung zu tragen.
43
Wie bereits eingangs ausgeführt, ist eine konkrete Konditionenbevorzugung durch die
Firma M ohnehin nicht vorgebracht.
44
Es ist offensichtlich, dass ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch bei der ihm
bekannt gemachten Instandsetzungsmöglichkeit qualifizierter Art auf das Angebot des
preisgünstigen, qualifizierten, nicht markengebundenen Fachbetriebes zurückgreifen
wird. Es ist schlechterdings auch nicht einzusehen, wie ein Schadensersatzsenat des
Bundesgerichtshofs sich dazu durchringen kann, aus § 249 BGB abzuleiten, dass es
einem Versicherer verwehrt ist, schadensersatzbegrenzend günstige Konditionen von
qualifizierten, nicht markengebundenen Fachwerkstattbetrieben zu fördern. Dies liegt
offensichtlich im allgemeinen Verbraucherinteresse, da damit diesem etwa hinsichtlich
seines ggf. quotenmäßig gar nicht vollständig zu ersetzenden Schadens eine günstige
Reparaturmöglichkeit am Markt eröffnet wird. T des § 249 BGB ist ja auch nicht, die ggf.
kartellähnliche Preiskonstruktion der Hersteller der N2 und ihrer Markenwerkstätten zu
überprüfen. Das lässt sich auch nicht mit der Hoheit über das Restitutionsgeschehen
des Geschädigten herleiten. Dies bezieht sich nach § 249 BGB auf die Wahl zwischen
verschiedenen Abrechnungsweisen. Sie umfasst jedenfalls nicht die "Hoheit", beliebige
Preise unwirtschaftlich dem Gegner in Rechnung setzen zu können.
45
Hinsichtlich der Forderung auf Erstattung der Schadensermittlungsaufwendungen
(Sachverständigengebühren) hat der Kläger keinen Anspruch; er hat die Forderung an
die Firma D abgetreten, die diese selbst einzugshalber bei der Beklagten zu 2. geltend
gemacht hat.
46
Soweit nunmehr eine Rückabtretung vorgebracht werden soll (mit Schriftsatz vom
07.10.2010) ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorbringen einerseits verspätet ist,
andererseits sogar inhaltlich keine Rückabtretung beinhaltet. Das Schreiben der
Rechtsanwälte X und O, die sich für die Firma D unter dem 20.09.2010 gemeldet haben,
beinhaltet sachlich keine Rückabtretung. Außerdem wird, was dem Schreiben jegliche
Relevanz nimmt, mitgeteilt, dass das Mandatsverhältnis der Rechtsanwälte X und O zu
der Firma D beendet ist, so dass sie ohnehin nicht für die Firma D eine bindende
Erklärung abgeben konnten.
47
Der Kläger macht mit den – weiteren – Sachverständigenaufwendungen
dementsprechend eine Forderung geltend, die ihm schon bei Klageeinreichung nicht
zustand.
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Die Nebenkosten sind mit 25,00 € adäquat bemessen (§ 287 ZPO), da zwar gestiegene
Preise im allgemeinen vorliegen, die Kommunikationsmöglichkeiten jedoch preislich
günstiger geworden sind, so dass die vor allem für Porto und sonstige, mühevoll nur im
Einzelnen zu erstattenden Nebenaufwendungen mit 25,00 € zutreffend geschätzt
werden können.
49
Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, trägt der Kläger die Kosten des
Rechtsstreits, da er voreilig hat Klage erheben lassen.
50
Der Beklagten stand eine verzugshindernde Prüffrist bis Bewirkung der Zahlung zu.
51
Insoweit kommt es auf die Veranlassung der Überweisung an, da die Überweisung kurz
darauf dem Kläger seinem Zahlungskonto gutgeschrieben worden ist (§§ 286, 273, 242
BGB).
52
Der Kläger hatte erst mit Schreiben vom 22.02.2010 unter überzogen verkürzter
Fristsetzung zum 8. März 2010 eine Zahlungsaufforderung gestellt.
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Wie die Beklagten zu Recht ausführen, ist etwa mit OLG S MDR 2001, 935 eine 4 – 6
wöchige Prüfungsfrist für den Haftpflichtversicherer angemessen.
54
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 269 III ZPO.
55
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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