Urteil des AG Hagen vom 30.06.2005

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Amtsgericht Hagen, 16 C 10/05
Datum:
30.06.2005
Gericht:
Amtsgericht Hagen
Spruchkörper:
durch den Richter am Amtsgericht E für Recht erkannt
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 C 10/05
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 236,20 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.01.2005 zu
zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu
vollstreckenden Betrages abwen-den, wenn nicht die Klägerin vorher
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Die Klägerin macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom
27.11.2004 geltend. Die Beklagte ist Haftpflichtversicherer des unfallbeteiligten
Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen I.
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Die Einstandspflicht der Beklagten zu 100% ist unstreitig. Die Parteien streiten lediglich
um die Schadenshöhe bzw. um die Berechtigung der klägerseits angesetzten
Positionen.
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Die Klägerin holte ein Schadensgutachten des beim Dipl.-Ing. Büros G GmbH tätigen
Sachverständigen T vom 30.11.2004 ein. Darin wurden voraussichtliche
Nettoreparaturkosten von 1.703,98 Euro ermittelt, die unter einem vom
Sachverständigen nicht ermittelten Wiederbeschaffungswert liegen.
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Der Sachverständige verwendete als Kalkulationsgrundlage die Werte des Autohauses
K (Mercedes-Vertragshändler), I 1.
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In diesem Gutachten wurden Lohnkosten von netto 525,40 Euro und Lackierkosten von
760,80 Euro berücksichtigt. Hierbei legte der Sachverständige T für die Lohnkosten
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760,80 Euro berücksichtigt. Hierbei legte der Sachverständige T für die Lohnkosten
einen Satz von 7,40 Euro pro AW zugrunde, so dass sich daraus ein Stundensatz von
88,80 Euro ergibt. Ferner legte der Sachverständige im Hinblick auf die Lackierkosten
einen Satz von 9,51 Euro pro AW zugrunde, was einem Stundensatz von 114,12 Euro
entspricht.
Die Stundensätze des Autohauses K entsprichen unstreitig dem Durchschnitt einer
Vertragswerkstatt im örtlichen Bereich Hagens.
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Der Kläger rechnete 1.703,98 Euro auf fiktiver Gutachtenbasis bei der Beklagten ab.
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Die Beklagten zu 2) regulierte nur 1.467,78 Euro auf den Schaden.
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Sie legte insoweit ein Prüfbericht "Check-it, powered by Eucon” vom 07.12.2004 vor.
Darin wurden die zunächst die Lohnkosten von 525,40 Euro auf 426,00 Euro und die
Lackierkosten von 760,80 Euro auf 624,00 Euro gekürzt.
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Zur Begründung war hierzu ausgeführt:
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"Lohn
Stundenverrechnungssatz Karosserie 72,00 Euro (verwendet 88,80
Euro) Anbei die verwendeten Stundenverrechnungssätze, den Namen
und die Anschrift des als Referenz zugrundegelegten
Reparaturbetriebes.
Lack
Die Lackierkosten wurden unter Berücksichtigung der Kosten eines
günstigeren Referenzbetriebs, dessen Namen und Anschrift wir gern auf
Anfrage benennen werden, ermittelt. Im Gutachten wurden die
lackierkosten für Lohn und Material (9,51 €/ AW) zusammen berechnet.
Korrigierter Stundenverrechnungssatz (Lacklohn ohne Material) 72,00 €
Lackierlohn (übernommen lt. Gutachten) 80,00 AW=6,66666667 Std.
480,00 €. Arbeitswertberechnung lt. GA / KVA 1 Std. = 12 AW
Lackmaterial aufschlag 30% (verwendet im Referenzbetrieb) 144,00 €
Korrigierte Gesamtlackierkosten 624,00 €
Referenzfirma Fa. X Entfernung: 5,92 Km Karosseri: 72 / Lack: 72"
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Der Kläger ist der Ansicht, die vom Sachverständigen ermittelten Stundensätze seien
bei fiktiver Schadensabrechnung zu ersetzen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 236,20 Euro nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.01.2005 zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Beklagte ist der Ansicht, es seien nur Reparaturkosten entsprechend der
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Kalkulation von "Check-it - Eucon” erstattungsfähig. Hierzu erläuterten die Beklagten mit
Schriftsatz vom 02.02.2005, dass diese Kalkulation auf Basis der niedrigeren
Stundensätze der in der in Wetter ansässigen Firma X basiert, die auch für
Lackierkosten einen Satz von 72,- Euro berechne. Nur diese Kosten würden in dem der
Klägerin zugänglichen Raum konkret anfallen.
Die Klägerin müsse sich bei der begehrten Schadensabwicklung auf fiktiver
Gutachtenbasis auf diese konkret benannte Alternative verweisen lassen. Anders als in
dem vom BGH mit dem sog. "Porscheurteil” entschiedenen Fall würden keine
abstrakten Mittelwerte zugrundegelegt, sondern eine der Klägerin mühelos und ohne
weiteres zugängliche, günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit, auf die sie
sich verweisen lassen müsse. Ferner lasse sich aus der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs zu den sog. "Unfallersatztarifen" (NJW 2005, 51) ableiten, dass die
Dispositionsfreiheit des Geschädigten nicht uneingeschränkt gelte, da der BGH auf
Normaltarife abstelle, die für den Geschädigten zugänglich waren.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf
Zahlung von weiteren 236,20 Euro gemäß § 3 Nr. 1 PflVG.
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Die klägerseits vorprozessual vorgelegte Abrechnung ist in voller Höhe berechtigt.
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Es bestehen keine Bedenken gegen die Reparaturkostenabrechnung der Klägerin auf
fiktiver Gutachtenbasis der vom Sachverständigen T ermittelten Nettoreparaturkosten
von 1.703,98 Euro. Diese Reparaturkosten sind als erforderlicher Geldbetrag im Sinne
des § 249 Abs. 2 BGB anzusehen.
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Zunächst ist die Klägerin berechtigt, bei ihrer Abrechnung Stundensätze von 88,80 Euro
bzw. 114,12 Euro zugrunde zu legen und muss sich nicht auf die beklagtenseits
erstatteten 72,00 Euro verweisen lassen.
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Die Klägerin hat als Unfallgeschädigte grundsätzlich einen Anspruch auf Erstattung der
in einer markengebundenen Werkstatt anfallenden Reparaturkosten, unabhängig davon
ob, wo und auf welche Weise sie ihr Fahrzeug reparieren läßt.
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Die Klägerin kann damit gemäß § 249 Abs. 2 BGB die Erstattung der objektiv
erforderlichen Reparaturkosten fordern. Hierbei ist die Klägerin in der Wahl der Mittel zur
Schadensbehebung frei, sie kann frei darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang
sie ihr Fahrzeug reparieren läßt. Diese Abrechnung auf fiktiver Gutachtenbasis soll
sicherstellen, dass ein Unfallgeschädigter nicht in Vorleistung treten muss, falls er sich
für eine Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entscheidet.
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Als "objektiv erforderlich" sind alle Kostenpunkte anzusehen, die vom Standpunkt eines
wirtschaftlich denkenden Eigentümers in der Lage des Geschädigten für die
Imstandsetzung des beschädigten Fahrzeugs zweckmäßig und angemessen sind.
Damit sind alle Kostenpositionen erstattungsfähig, die bei Beauftragung einer
Fachwerkstatt mit der Beseitigung des Schadens voraussichtlich anfallen würden.
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Die Erstattungsfähigkeit ist nur dann nicht gegeben, wenn die Klägerin bei
Geltendmachung bestimmter Schadenspositionen gegen die
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Schadensminderungsobliegenheit des § 254 Abs. 2 BGB verstoßen würde.
Sie ist unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht verpflichtet, bei der
Ausübung seiner Dispositionsfreiheit den Boden der Wirtschaftlichkeit nicht zu
verlassen. Das bedeutet, dass sie im Rahmen des Zumutbaren den wirtschaftlicheren
Weg der Schadensbehebung wählen soll, sofern sie die Höhe der Kosten beeinflussen
kann. Die Klägerin muss sich insoweit auf eine mühelos ohne weiteres zugängliche
günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen, da nur solche
Kosten als erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 2 BGB anzusehen wären.
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Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ist nicht gegeben, da es der Klägerin
ohne weitergehende verbindliche Zusagen nicht zumutbar wäre, ihr Fahrzeug bei der in
X1 ansässigen Firma X reparieren zu lassen.
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Die Kalkulation Check-it berücksichtigt lediglich den abstrakten Stundensatz der
Alternativfirma, völlig losgelöst vom konkreten Unfallschaden. Es erfolgte keine
Fahrzeugbesichtigung, keine eigene Bewertung und auch keine eigene
Kostenkalkulation der Alternativwerkstatt. Die Klägerin hat keinerlei Gewähr, dass die
Firma X bei konkreter Durchführung der Reparatur lediglich die im Gutachten
angegebene Stundenanzahl aufwendet und auch sonst keine andere Kostenpositionen
einstellt, die im Gutachten nicht enthalten sind. Die Klägerin hat nicht einmal die
Gewähr, dass die Firma X tatsächlich den beklagtenseits angegebenen Stundensatz
ansetzt. Es ist damit gerade nicht gewährleistet, dass die Klägerin das ihr zustehende
Ziel einer vollständigen und umfassenden Reparatur mit den beklagtenseits
angesetzten Mitteln erreichen kann und demgemäß ggf. in Vorleistung treten müßte.
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Eine solche Gewähr hätte die Klägerin lediglich, wenn sie ein konkretes verbindliches
Angebot der Firma X erhalten hätte, das den vom BGH im Urteil vom 30. 11. 1999 - VI
ZR 219/98 postulierten Anforderungen entspricht. Insoweit liegt eine vergleichbare
Interessenlage vor. In beiden Fällen geht es darum, die Grenzen abzustecken, die das
Wirtschaftlichkeitspostulat der Dispositionsfreiheit des Geschädigten setzt. So wie ein
verbindliches Restwertangebot die wirtschaftliche Schwelle setzt, die ein Geschädigter
bei der Veräußerung seines Fahrzeugs nicht überschreiten darf, ohne gegen seine
Schadensminderungsobliegenheiten zu verstoßen; so würde ein verbindliches Angebot
einer Werkstatt zur fachgerechten Beseitigung der im Gutachten ausgewiesenen
Schäden eine zumutbare Alternativmöglichkeit darstellen, auf die sich der Geschädigte
verweisen lassen müßte, um nicht gegen seine Schadensminderungspflicht zu
verstoßen.
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Ein solches Angebot liegt allerdings nicht vor. Der unspezifizierte und unverbindliche
Hinweis auf eine preisgünstige Reparaturmöglichkeit bei der Firma X genügt hierfür
nicht.
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Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 12.10.2004. In dieser Entscheidung ist der Bundesgerichtshof
auf die Besonderheiten in dem Unfallersatztarifmarkt eingegangen und hat
berücksichtigt, dass die Unfallersatztarife erheblich über den für vergleichbare
Leistungen liegenden Normaltarifen liegen, ohne dass hierfür sachliche
Gegenleistungen durch die Vermieter erbracht werden, was wiederum eine nicht
hinnehmbare Abrechnungspraxis zu Lasten der Versicherer zur Folge hat. Diese
Entscheidung ist in den Kontext der weiterhin geltenden Systematik bei fiktiven
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Unfallabrechnungen zu setzen, bei der die Feststellung eines Verstoßes des
Geschädigten gegen seine Schadensminderungsobliegenheiten entscheidend ist. Es
dürfte mittlerweile weitgehend bekannt sein, dass Unfallersatztarife zum Teil bis 300%
über den Normaltarifen liegen. Es kann daher von einem Geschädigten erwartet und
auch gefordert werden, bei Anmietung eines Fahrzeugs für einen erkennbar überhöhten
Tarif Wirtschaftlichkeitsüberlegungen anzustellen, ob diese Ausgaben tatsächlich
notwendig sind.
Eine vergleichbare Situation liegt im streitgegenständlichen Fall nicht vor, da von einem
Geschädigten keine allgemeine Kenntnis der zur Beseitigung der Unfallschäden
erforderlichen Arbeiten und der im Werkstattmarkt herrschenden Verhältnisse erwartet
werden kann. Gerade deswegen ist anerkannt, dass ein Geschädigter den Schaden auf
der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens abrechnen darf,
sofern das Gutachten hinreichend ausführlich ist und das Bemühen erkennen lässt, dem
konkreten Schadensfall vom Standpunkt eines wirtschaftlich denkenden Betrachters
gerecht zu werden. Das Gutachten des Sachverständigen T genügt diesen
Anforderungen, der Prüfbericht von "Check-it" dagegen nicht.
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Weitere erhebliche Einwendungen wurden nicht erhoben.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Vollstreckungsentscheidung
beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Zulassung der Berufung erfolgte zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
angesichts einer Vielzahl anhängiger, vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten.
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