Urteil des AG Gummersbach vom 06.09.2010

AG Gummersbach (tatsächliche vermutung, kläger, ersatzfahrzeug, reparatur, fahrzeug, höhe, verkehrsunfall, unfall, vermutung, zahlung)

Amtsgericht Gummersbach, 10 C 23/10
Datum:
06.09.2010
Gericht:
Amtsgericht Gummersbach
Spruchkörper:
Abteilung 10
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 23/10
Schlagworte:
Ausschluss einer Nutzungsausfallentschädigung bei unverhältnismäßig
langem Zuwarten mit der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs.
Normen:
§ 249 BGB
Leitsätze:
1. Lässt ein Unfallgeschädigter das beschädigte Fahrzeug nicht
reparieren und beschafft nicht zeitnah nach einem Verkehrsunfall ein
Ersatzfahrzeug, spricht eine tatsächliche Vermutung gegen seinen
Nutzungswillen, so dass er grundsätzlich keinen Anspruch auf Zahlung
einer Nutzungsausfallentschädigung hat.
2. Diese Vermutung wird nicht dadurch entkräftet, dass der
Unfallgeschädigte sich mehr als eineinhalb Jahre nach dem Unfall ein
höherwertiges und teureres Ersatzfahrzeug beschafft, weil dieser
Fahrzeugkauf nicht mehr adäquat kausal auf das Unfallereignis
zurückzuführen ist.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die gegen sie
gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht
die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
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(abgekürzt gemäß § 313 II ZPO)
2
Die Beklagten haften dem Kläger in vollem Umfang für die Folgen eines Verkehrsunfalls
vom 09.07.2008, bei dem der Pkw des Klägers beschädigt wurde. Der Sachschaden
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wurde von der Beklagten zu 2) reguliert. Die Zahlung einer
Nutzungsausfallentschädigung verweigerte die Beklagte zu 2), weil der Kläger eine
Reparatur des Fahrzeugs nicht nachwies. Am 01.03.2010 beschaffte sich der Kläger ein
Ersatzfahrzeug.
Der Kläger verlangt mit der vorliegenden Klage eine fiktive
Nutzungsausfallentschädigung von 760,- € sowie einen Pauschalbetrag für die
Wiederbeschaffung und Neuzulassung eines Ersatzfahrzeugs von 35,- €. Der Kläger
meint, er könne beide Schadenspositionen ohne Reparatur- oder
Wiederbeschaffungsnachweis verlangen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 795,-
€ nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 11.12.2009 sowie vorgerichtliche
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 86,64 € nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2009 zu
zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten meinen, dass ein Nutzungsausfall nicht fiktiv ohne Nachweis einer
Reparatur des Fahrzeugs oder einer Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs abgerechnet
werden könne. Soweit der Kläger am 01.03.2010 ein Fahrzeug auf seinen Namen
zugelassen habe, sei dies nicht mehr auf den Verkehrsunfall vom 09.07.2008
zurückzuführen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die nachfolgenden Entscheidungsgründe sowie die von den Parteien im Laufe des
Rechtsstreits eingereichten Schriftsätze und deren Anlagen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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(kurz gefasst, § 313 III ZPO)
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer
Nutzungsausfallentschädigung aus §§ 7 StVG; 115 VVG.
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Es fehlt hier am erforderlichen Nutzungswillen, weil der Kläger ein Ersatzfahrzeug erst
am 01.03.2010, also mehr als 1 ½ Jahre nach dem Verkehrsunfall beschaffte.
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Der Eigentümer eines privat genutzten Pkw, der durch einen unverschuldeten
Verkehrsunfall infolge der Beschädigung des Fahrzeugs die Möglichkeit zur Nutzung
desselben einbüßt, hat zwar nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich einen
Schadensersatzanspruch gemäß § 249 BGB in Gestalt einer
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Nutzungsausfallentschädigung, wenn er für die Dauer der Reparatur kein
Ersatzfahrzeug anmietet (BGH NJW 1964, 542; NJW 1966, 1269; NJW 1985, 2471). Der
Unfallgeschädigte kann in der Regel auch dann Nutzungsausfall beanspruchen, wenn
er auf die Durchführung einer Reparatur verzichtet, jedoch alsbald ein Ersatzfahrzeug
für den beschädigten PKW anschafft (Palandt-Heinrichs, BGB, 67. Auflage 2008,
Vorbem. v. § 249 Rdnr. 22; OLG Hamm NJW-RR 1995, 1230; AG Gummersbach, Urteil
vom 03.02.97 - 1 C 521/96 -; Urteil vom 01.12.2003 – 1 C 318/03).
Da es sich bei dieser Kommerzialisierung von Gebrauchsvorteilen um einen eng zu
begrenzenden Ausnahmetatbestand handelt, ist Anspruchsvoraussetzung aber stets
eine fühlbare Beeinträchtigung der Gebrauchsmöglichkeit des Pkw. Erforderlich sind
daher immer ein Nutzungswille des Unfallgeschädigten und eine hypothetische
Nutzungsmöglichkeit (Staudinger-Schiemann, BGB, 2005, § 251 Rdnr. 77 m. w. N.).
Diese Voraussetzungen sind zur Schadensbegrenzung erforderlich, um einer
Ausnutzung des Unfalles zur Gewinnerzielung vorzubeugen. Der Geschädigte soll den
Unfall nicht zum Anlass nehmen können, sich für die Vereitelung einer bloß abstrakten
Nutzungsmöglichkeit eine Entschädigung zahlen zu lassen und so am Unfall zu
verdienen (OLG Bremen NJW-RR 2002, 383). Ein Nutzungswille fehlt jedoch
grundsätzlich dann, wenn der Geschädigte das Fahrzeug dauernd oder für mehrere
Monate nicht reparieren lässt oder sich alsbald nach dem Unfall kein Ersatzfahrzeug
kauft (Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2006, § 249 Rdnr. 67; BGH NJW
1976, 1396; OLG Köln MDR 2004, 1114; OLG Bremen NJW-RR 2002, 383). Wartet der
Unfallgeschädigte mit der Reparatur des Unfallwagens mehr als zwei Monate, spricht
bereits eine tatsächliche Vermutung dafür, dass er das Fahrzeug in dieser Zeit nicht
nutzen wollte, so dass ihm für diese Zeit auch kein Anspruch auf Entschädigung für
entgangene Nutzungen zusteht (OLG Köln MDR 2004, 1114). Mit dem Abwarten der
Reparatur über einen derart langen Zeitraum offenbart der Geschädigte in der Regel,
dass er auf die Nutzung des Pkw nicht angewiesen war (OLG Hamm, Urteil vom
23.02.2006 – 28 U 164/05). Dies muss erst recht gelten, wenn der Geschädigte – wie
hier - das Fahrzeug überhaupt nicht reparieren lässt und erst mehr als eineinhalb Jahre
nach dem Unfall ein Ersatzfahrzeug erwirbt. In diesem Fall ist die Beschaffung des
neuen Fahrzeugs nicht mehr adäquat kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen.
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Die gegen den Kläger sprechende Vermutung des fehlenden Nutzungswillens hat
dieser nicht entkräftet. Der allein vorgetragene Umstand, der Kläger habe sich ein
höherwertiges Fahrzeug als das verunfallte beschafft, reicht hierfür nicht aus. Denn es
fehlte jeglicher Vertrag dazu, warum dies erst mehr als 1 ½ Jahre nach dem
Verkehrsunfall geschah.
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Der Kläger hat aus den gleichen Gründen auch keinen Anspruch auf Erstattung von An-
und Abmeldekosten.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91; 708 Nr. 11; 711 ZPO.
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Streitwert: 795,- €
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