Urteil des AG Gummersbach vom 06.09.2010

AG Gummersbach (kläger, ausfahrt, höhe, schädigung, sorgfalt, fahrzeug, verletzung, mitverschulden, zpo, vorsicht)

Amtsgericht Gummersbach, 10 C 31/10
Datum:
06.09.2010
Gericht:
Amtsgericht Gummersbach
Spruchkörper:
Abteilung 10
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 C 31/10
Schlagworte:
Ausschluss der Verkehrssicherungspflicht eines Werkstattunternehmers
bei erheblichem Mitverschulden des Werkstattbesuchers
Normen:
§§ 254; 823 BGB
Leitsätze:
Verlässt ein Kunde einer Kfz.-Werkstatt mit seinem PKW das
Betriebsgelände nicht über die dafür vorgesehene Ein- und Ausfahrt,
sondern durchfährt einen überdachten TÜV-Überprüfungsbereich und
gerät hierbei mit dem Fahrzeug teilweise in eine Untersuchungsgrube,
so ist der Werkunternehmer für den am PKW entstandenen
Sachschaden nicht in jedem Fall verantwortlich. Vielmehr kann den
Kunden je nach den Umständen des Falles ein so erhebliches
Mitverschulden am Zustandekommen seines Schadens treffen, dass
eine etwaige Haftung des Werkunternehmers wegen Verletzung einer
Verkehrssicherungspflicht vollständig zurücktritt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei darf die gegen sie
gerichtete Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 %
des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht
die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils beizutreibenden Betrags leistet.
T a t b e s t a n d
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(abgekürzt gemäß § 313 II ZPO)
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Der Kläger befand sich am 06.03.2009 mit seinem Pkw der Marke Audi A3 als Kunde
auf dem Parkplatz des Betriebsgeländes der Beklagten in Gummersbach-
Niederseßmar. Gegen 17.50 Uhr wollte er das Betriebsgelände verlassen. Da ein
anderer Pkw die Ausfahrt des Parkplatzes versperrte, entschloss sich der Kläger eine
andere Ausfahrt zu suchen. Hierbei geriet er mit dem Fahrzeug in den überdachten
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Durchfahrt- und Überprüfungsbereich, in dem TÜV-Abnahmen durchgeführt werden.
Dieser Bereich war gegenüber dem Parkplatzgelände nicht gesondert durch
Absperrungen abgesichert. In diesem Bereich befindet sich mittig eine
Untersuchungsgrube, die zum Unfallzeitpunkt abgedeckt, jedoch ein niedrigeres
Oberflächenniveau als die umgebenden Durchfahrtspuren aufwies. Wegen der
Einzelheiten der Örtlichkeiten wird auf die eingereichten Fotografien verwiesen. Der
Pkw des Klägers geriet in diesen abgesenkten Bereich und wurde hierdurch vorne und
unten beschädigt. Dem Kläger entstand ein Gesamtschaden in Höhe von 1.393,24 €.
Der Kläger nimmt die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch. Die Beklagte habe die ihr
obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie den Unfallbereich nicht
abgesichert habe.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.393,24 € nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
22.04.2010 zu zahlen sowie den Kläger von vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten in Höhe von 191,34 € durch Zahlung an die
Prozessbevollmächtigten des Klägers freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte meint, der Kläger habe den Unfall selbst verschuldet. Der überdachte
Prüfstand mit Grube sei aufgrund seiner baulichen Beschaffenheit ausreichend
erkennbar gewesen, insbesondere da der Boden des Prüfstandes sich durch seine rote
Bodenverfliesung deutlich von den anderen Betriebsflächen abhebe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf die nachfolgenden Entscheidungsgründe sowie die von den Parteien im Laufe des
Rechtsstreits eingereichten Schriftsätze und deren Anlagen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung waren.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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(kurz gefasst, § 313 III ZPO)
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von
1.393,24 € aus § 823 I BGB, weil der Beklagten keine Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen ist.
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Es gilt der Grundsatz, dass derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art -
schafft, verpflichtet ist, die erforderlichen und zumutbaren Vorkehrungen zu schaffen, um
eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (BGH NJW-RR 2003, 1459; BGH
NJW 2006, 610; ständige Rechtsprechung). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht
jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Der Dritte muss nur vor
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denjenigen Gefahren geschützt werden, die er selbst bei Anwendung der von ihm in der
konkreten Situation zu erwartenden Sorgfalt nicht, oder nicht rechtzeitig erkennen und
vermeiden kann (OLG Hamm NZV 2007, 576). Insofern bestand zumindest die Pflicht
der Beklagten, für einen ausreichend gesicherten und beleuchteten Zufahrts- und
Abfahrtsweg zu den Betriebsräumen zu sorgen. Dieser Pflicht ist sie mit Einrichtung
einer ordnungsgemäß gesicherten Verkehrsein- und -ausfahrt aus dem Betriebsgelände
nachgekommen.
Es bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die Beklagte darüber hinaus verpflichtet war,
den Prüfstand zusätzlich gegen unberechtigtes Befahren durch Absperrbänder, -gitter
oder –baken abzusichern. Es war der Beklagten nämlich nicht zuzumuten, jeden
möglichen Zugangsweg zu sichern bzw. das gesamte Betriebsgelände auszuleuchten,
da die eingerichtete Verkehrszuwegung als solche sowohl allgemein erkennbar als
auch allgemein zu erreichen und zu befahren war. Insofern musste der Kläger nicht
mittels zusätzlicher Hinweise bzw. Schutzvorkehrungen auf die örtliche Situation
hingewiesen oder vor Gefahren bewahrt werden. Der Kläger als Besucher konnte nur
erwarten, durch vorbeugende Maßnahmen vor solchen außergewöhnlichen Gefahren
geschützt zu sein, die bei Beachtung der zumutbaren Vorsicht und Sorgfalt für ihn nicht
mehr ohne weiteres erkennbar waren (OLG Hamm, NJW-RR 1989, 736).
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Jedenfalls aber trifft den Kläger im vorliegenden Fall am Zustandekommen seines
Schadens ein so erhebliches Mitverschulden gemäß § 254 I BGB, dass es bereits
deswegen zu einem völligen Haftungsausschluss auf Beklagtenseite führt. Derjenige,
der die Sorgfalt außer Acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich scheint, um sich
selbst vor Schaden zu bewahren, muss den Verlust oder die Kürzung seines
Schadensersatzanspruches hinnehmen (Palandt–Heinrichs, BGB; § 254, Rdnr. 1). Dies
beruht auf dem in § 242 BGB verankerten Grundsatzes des Verbots widersprüchlichen
Verhaltens, der es nicht zulässt, dass der Geschädigte den beklagten Schädiger zur
Rechenschaft zieht, ohne zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage
bewusst geschaffen oder mitgeschaffen hat, in der sich der vom Schädiger zu
vertretende Beitrag zur Schadensentstehung auswirken konnte (BGH NJW 1961, 655
zum "Handeln auf eigene Gefahr"; Palandt–Heinrichs, a. a. O. § 254, Rdnr. 1). Ein
bewusstes und zurechenbares Handeln des Geschädigten erfordert hierbei, dass er die
ihm in eigenen Angelegenheiten obliegende Sorgfalt vorsätzlich oder fahrlässig verletzt
hat. Voraussetzung dafür ist eine Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Schädigung.
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Die Schädigung in Form eines Unfalles infolge des Befahrens des Prüfstandes mit der
Untersuchungsgrube war für den Kläger sowohl vorhersehbar als auch vermeidbar. Auf
den eingereichten Fotografien der Örtlichkeiten ist erkennbar, dass sich der Bereich des
Prüfstandes deutlich von dem für den Kundenverkehr vorgesehenen und zu
befahrenden Teil des Betriebsgeländes abgrenzt. Dies ergibt sich zum einen daraus,
dass der Prüfstand überdacht und damit als Teil des für Kunden nicht zugänglichen
Werkstattbereichs deutlich erkennbar ist. Zum anderen weist der Bereich des Prüfstands
eine farblich andere Bodengestaltung auf und ist die in dem Prüfstand befindliche
Fahrzeuggrube von außen ausreichend erkennbar. Der Kläger, der angesichts dieser
Umstände gleichwohl diesen Bereich des Betriebsgeländes befuhr, tat dies auf eigenes
Risiko. Insofern musste der Kläger Kenntnis sowohl von der Gefahrenquelle, als auch
von einer damit in Zusammenhang stehenden Unfallgefahr haben, so dass der
eingetretene Unfall für ihn durchaus vorhersehbar war.
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Die eingetretene Schädigung war für den Kläger zudem vermeidbar, da keine
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zwingende Notwendigkeit bestand, nicht die gesicherte Ausfahrt, sondern den Weg über
die Untersuchungsgrube zu wählen. Der Umstand, dass die Ausfahrt durch ein anderes
Fahrzeug zeitweise blockiert war, entlastet den Kläger nicht. Er hätte entweder bis zum
Freiwerden der Ausfahrt eine Zeitlang warten oder aber in den Geschäftsräumen der
Beklagten um Freimachung der Ausfahrt bitten können. Hinzu kommt, dass der Kläger
bei seiner Fahrt durch den Prüfstand und über die Grube äußerste Vorsicht hätte walten
lassen müssen, das heißt er hätte sich allenfalls vorsichtig vorwärtsbewegen bzw.
vortasten dürfen.
Zusammengenommen begründen diese Umstände die Annahme eines
schwerwiegenden Verschuldens seitens des Klägers, welches eine Haftung der
Beklagten ausschließt.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91; 708 Nr. 11; 711 ZPO.
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Streitwert: 1.393,- €
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