Urteil des AG Gelsenkirchen-Buer vom 10.02.2000

AG Gelsenkirchen-Buer: schmerzensgeld, vollstreckung, körperverletzung, versorgung, form, sicherheitsleistung, hinterlegung, kauf, angriff, ausführung

Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer, 29 C 87/99
Datum:
10.02.2000
Gericht:
Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
29 C 87/99
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 1.500,00 DM nebst 4
% Zinsen seit dem 07.11.1997 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger
sämtliche materiellen Schaden aus der von ihm gegenüber dem Kläger
verübten Körperverletzung vom 05.10.1997 gegen 16.00 Uhr auf der V...
in G... zu ersetzen, soweit nicht Ansprüche auf
Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 40 % und der
Beklagte 60 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe 4.400,00 DM
abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung des Beklagten durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 800,00 DM
abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Am 05.10.1997 befand sich der am 07.10.1976 geborene Kläger in der Wohnung seines
Freundes ... auf der V... 2 in G... Gegen 16.00 Uhr kam dorthin ein Kollege des
Beklagten, Herr ..., welcher diesen sowie Herrn ... aufforderte, auf die Straße zu dem
2
sich dort befindlichen Beklagten zu kommen. Hintergrund dieser Aufforderung war, daß
es am Vortag zu telefonischen Beleidigungen obszöner Natur durch den Kläger
gegenüber der damaligen Freundin des Beklagten gekommen war. Der Beklagte wollte
den Kläger diesbezüglich zur Rede stellen.
Der Kläger sowie ... begaben sich alsdann auf die Straße und gingen auf den Beklagten
zu, welcher aus einem Auto ausgestiegen war und seinerseits auf den Kläger und Herrn
... zuging. In dieser Situation fühlte sich der Beklagte durch den Kläger und Herrn ...
bedroht und versetzte dem Kläger mit seinem Kopf einen Stoß an den Mund unterhalb
der Nase. Hierdurch erlitt der Kläger eine Schädelprellung sowie einen Bluterguß mit
einer starken innen- und außenseitigen Schwellung an der Oberlippe. Für die Dauer
einer Woche traten starke und immer wiederkehrende Kopfschmerzen auf, die mit
Schmerztabletten behandelt wurden und an den ersten drei Tagen mit
Schwindelgefühlen einhergingen. Schließlich waren die zwei vorderen Schneidezähne
teilweise weggebrochen. Der Kläger erlitt hierdurch ein Frontzahntrauma und hatte
wegen des jeweils offenliegenden Nervs starke Zahnschmerzen. Aus diesem Grunde
begab er sich noch am 05.10.1997 in notzahnärztliche Behandlung, bei der der Nerv
zunächst provisorisch abgedeckt wurde. In der Folgezeit wurde er dann im
Bundeswehrkrankenhaus Hamm in der Weise behandelt, daß auf die Zähne ein Aufsatz
gesetzt wurde, um diese wieder herzustellen. Bis zum 07.10.1997 konnte der Kläger
kaum essen. Die starken Zahnschmerzen, welche mit Schmerztabletten behandelt
wurden, dauerten ca. eine Woche an.
3
Der Beklagte wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 14.10.1997 unter Fristsetzung vom
06.11.1997 zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 5.000,00 DM an den
Kläger aufgefordert. Hierauf reagierte der Beklagte jedoch nicht. Gegen ihn wurde
wegen des Vorfalls vom 05.10.1997 von der Staatsanwaltschaft Essen - Zweigstelle
Gelsenkirchen - unter dem Aktenzeichen 51 Js 286/98 ein Strafverfahren eingeleitet,
welches, nachdem der Beklagte eine Geldbuße in Höhe von 500,00 DM an eine
gemeinnützige Einrichtung gezahlt hatte, durch Beschluß vom 03.03.1998 gemäß den
§§ 45, 47 JGG auf Kosten der Landeskasse eingestellt wurde.
4
Der Kläger behauptet, die Wiederherstellung der Frontzähne würde lediglich ca. zehn
Jahre halten. Danach könne eine Behandlung nur noch durch ein Teilgebiß erfolgen.
5
Er ist der Ansicht, daß für die von ihm erlittenen gegenwärtigen und zukünftigen Körper-
und Gesundheitsschäden ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 DM angemessen
und ausreichend ist.
6
Der Kläger hat ursprünglich beantragt,
7
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld
nebst 4 % Zinsen seit dem 07.11.1997 zu zahlen.
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen
Schaden aus der Körperverletzung vom 05.10.1997 auf der V... in G... zu
bezahlen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergehen.
8
Der Beklagte hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 01.07.1999 ein
Schmerzensgeld in Höhe von 1.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 07.11.1997
anerkannt, worauf unter dem 16.09.1999 ein entsprechendes Teilanerkenntnisurteil
verkündet wurde, welches inzwischen rechtskräftig ist.
9
Der Kläger beantragt nunmehr,
10
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein weiteres angemessenes
Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 07.11.1997 zu zahlen.
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen materiellen
Schaden aus der Körperverletzung vom 05.10.1997 auf der Velsenstraße in
Gelsenkirchen zu bezahlen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder
sonstige Dritte übergeben.
11
Der Beklagte beantragt,
12
den nunmehr noch rechtshängigen Teil der Klage abzuweisen.
13
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines schriftlichen
zahnmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen ...Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens (Bl. 50 d. A. ff) verwiesen.
14
Die Akte der Staatsanwaltschaft Essen 51 Js 286/98 war beigezogen und Gegenstand
der mündlichen Verhandlung.
15
Entscheidungsgründe:
16
Die Klage ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet.
17
I.
18
Der Kläger hat gegen den Beklagten lediglich einen Anspruch auf Zahlung von weiteren
1.500,00 DM aus den §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB bzw. aus den §§ 823 Abs. 2, 847
Abs. 1 BGB i. V. m. den §§ 223 Abs. 1, 229 StGB.
19
1. Die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen der vorbezeichneten
Haftungsnormen sind erfüllt, da der Kläger anlässlich des Vorfalls vom 05.10.1997
durch ein Handeln des Beklagten körperlich verletzt und an der Gesundheit
beschädigt wurde.
2. Eine Rechtfertigung des Handelns des Beklagten durch Notwehr gemäß § 227
BGB kommt nicht in Betracht, da ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff des
Klägers auf den Beklagten am 05.10.1997 nicht vorlag. Soweit sich der Beklagte
darauf beruft, er habe sich durch den Kläger bedroht gefühlt, ist dies nicht
ausreichend, um ein Notwehrrecht im Sinne des § 227 BGB zu begründen, da
20
insoweit nur die objektive Notwehrlage entscheidend ist. Daß auch die durch den
Kläger gegenüber der Freundin des Beklagten am Vortag verübten Beleidigungen
den Beklagten nicht zu körperlichen Attacken berechtigen muß an dieser Stelle
nicht näher erläutert werden.
3. Das Gericht sieht des weiteren auch das erforderliche Verschulden des Beklagten
als gegeben an. Daß dieser mit dem von ihm verübten Kopfstoß Verletzungen im
Gesichtsbereich des Klägers zumindest billigend in Kauf nahm, bedarf keiner
weiteren Ausführung. Ferner hätte der Beklagte unter Zugrundelegung eines
objektiven Sorgfaltsmaßstabes ohne weiteres erkennen können, daß sein
Handeln rechtswidrig war und durch dessen Unterlassen die Verletzung des
Klägers vermeiden können, so daß er in Bezug auf die Rechtswidrigkeit seines
Tuns zumindest fahrlässig handelte.
4. Nach Durchführung der Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung
gelangt, daß ein Betrag von 3.000,00 DM im vorliegenden Fall ein angemessenes
Schmerzensgeld im Sinne des § 847 Abs. 1 BGB darstellt, wobei die bereits durch
das Teil-Anerkenntnisurteil vom 16.09.1999 zugesprochenen 1.500,00 DM zu
berücksichtigen waren. Entscheidende Gesichtspunkte waren hierbei unter dem
Aspekt der Kompensation der Umstand, daß der Kläger durch den
streitgegenständlichen Vorfall im Frontzahnbereich einen Dauerschaden erlitten
hat, welcher ihn das gesamte weitere Leben begleiten wird. Hierbei geht das
Gericht in Einklang mit dem von den Parteien insoweit nicht angegriffenen
Gutachten des Sachverständigen ... davon aus, daß in absehbarer Zeit die derzeit
bei dem Kläger vorgenommene zahnmedizinische Versorgung keinen Bestand
haben wird, so daß das Einsetzen von keramisch verblendeten Vollkronen und ein
Stiftaufbau im Zahn 11 erforderlich sein wird. Auch die - zugegebenermaßen nicht
als besonders hoch einzuschätzende - Gefahr eines kompletten Zahnverlustes
war angemessen in Rechnung zu stellen. Ferner war auch ein gewisser Betrag für
die immerhin eine Woche andauernden bei dem Kläger unmittelbar nach der
Verletzung durch den Beklagten am 05.10.1997 eingetretenen Akutschäden
anzusetzen. Unter Genugtuungsgesichtspunkten war zum einen zu
berücksichtigen, daß der Beklagte gegenüber dem Kläger mit nicht unerheblicher
Brutalität (Kopfstoß) vorgegangen ist, so daß das Gericht insoweit eine gesteigerte
Genugtuungsbedürftigkeit annimmt. Auf der anderen Seite war jedoch auch in
Rechnung zu stellen, daß der Kläger die Situation am 05.10.1997 teilweise selbst
dadurch heraufbeschworen hat, daß er die damalige Freundin des Beklagten am
Tag zuvor mit obszönen Worten beleidigte. Das Vorverhalten des Klägers mag
zwar die Tat des Beklagten weder zu rechtfertigen noch zu entschuldigen.
Gleichwohl erscheint dem Gericht im Lichte der Vorgeschichte das Handeln des
Beklagten, namentlich, daß er sich durch den Kläger bedroht fühlte und sich in
einer gespannten Situation befand, zumindest nachvollziehbar, wobei sich der
Beklagte allerdings wiederum den Vorwurf machen lassen muß, daß er es nicht
auf eine Auseinandersetzung mit dem Kläger hätte ankommen lassen müssen,
sondern vielmehr gut beraten gewesen wäre, wenn er bzw. seine damalige
Freundin den Rechtsweg beschritten hätten. Keine Auswirkung bei der
Schmerzensgeldbemessung hatte schließlich der Umstand, daß der Beklagte
bereits im Rahmen des im Tatbestand genannten Strafverfahrens eine Geldbuße
von 500,00 DM geleistet hat. Wie der Bundesgerichtshof in seiner grundlegenden
Entscheidung VersR 1996, Seite 382, welche das Gericht in ständiger
Rechtsprechung angewendet, ausführt, hat eine strafgerichtliche Verurteilung in
keiner Weise Auswirkungen auf die Höhe des zu zahlenden Schmerzensgeldes,
weil es sich bei dem zivilrechtlichen Kompensations- bzw. Genugtuungsanspruch
des Geschädigten und dem staatlichen Strafanspruch um zwei verschiedene
Dinge handelt, die nicht in unzulässiger Weise vermengt werden dürfen.
II.
21
Der ausgeurteilte Zinsanspruch folgt aus den §§ 288 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. m. § 284
Abs. 1 Satz 1 BGB.
22
III.
23
Dem Feststellungsantrag der Klägerseite, welcher gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig
ist, war in vollem Umfang zu entsprechen, da es zur Überzeugung des Gerichtes
aufgrund des eingeholten Gutachtens des Sachverständigen ... feststeht, daß die
derzeitige pronetische Versorgung des Klägers auf Dauer keinen Bestand haben kann.
Dadurch werden aber zwangsläufig materielle Folgeschäden beim Kläger in Form von
Behandlungskosten (und sei es durch die Form der von ihm zu übernehmenden
Eingenanteile) entstehen, welche von dem Beklagten ebenfalls gemäß § 823 Abs. 1
BGB bzw. gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den §§ 223 Abs. 1, 229 StGB zu ersetzen
sind, wobei eine Bezifferung dem Kläger derzeit freilich noch nicht möglich ist.
24
IV.
25
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, Satz 1, 2. Alt., 708 Nr. 11, 711
Satz 1 ZPO.
26
Unterschrift
27