Urteil des AG Friedberg vom 14.11.2008

AG Friedberg: verwaltungsbehörde, rechtliches gehör, verwaltungsverfahren, verzinsung, strafverfahren, hessen, vergütung, dokumentation, quelle, hinderungsgrund

1
2
3
4
5
6
7
8
9
Gericht:
AG Friedberg
(Hessen)
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
45a OWi - 806 Js
8580/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 RVG, § 17 RVG, Nr 7002
RVG-VV, § 53 OWiG, §§ 53ff
OWiG
Auslagenpauschale des Verteidigers: Bußgeldverfahren vor
Verwaltungsbehörde und Gericht
Tenor
wird der Erinnerung des Erinnerungsführers gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Friedberg vom 18.08.2008
dahingehend stattgegeben, dass dem Erinnerungsführer eine weitere
Auslagenpauschale VV Nr. 7002 RVG zu erstatten ist. Im Übrigen wird die
Erinnerung zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht kostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe
Der Erinnerungsführer beantragte am 06.06.2008 die Vergütung seiner Tätigkeit
als Rechtsanwalt. Mit der Erinnerung wendet er sich gegen die Höhe der
festgesetzten Kosten und begehrt die Verzinsung des festgesetzten Betrages. Er
begründet dies damit, dass die Verzinsung im Kostenfestsetzungsbeschluss
vergessen worden sei. Des weiteren stehe ihm ein Mehrbetrag von 72,89 Euro zu,
der sich inklusive der anfallenden Mehrwertsteuer wie folgt zusammensetze:
10,– Euro aus der Differenz der beantragten Grund- und Verfahrensgebühr zur
insgesamt festgesetzten Grund- und Verfahrensgebühr für die Tätigkeit vor der
Verwaltungsbehörde,
20,– Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 RVG
31,25 Euro aus der Differenz der beantragten Grund- und Verfahrensgebühr zur
insgesamt festgesetzten Grund- und Verfahrensgebühr für die Tätigkeit im
gerichtlichen Verfahren.
Der Erinnerung hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und der Richterin zur
Entscheidung vorgelegt.
Der zuständige Bezirksrevisor hatte rechtliches Gehör. Er hat beantragt, die
Erinnerung zurückzuweisen.
Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss ist das Rechtsmittel der Erinnerung
statthaft.
Die zulässige Erinnerung ist aber nur hinsichtlich der geltend gemachten weiteren
Auslagenpauschale VV Nr. 7002 RVG begründet. Im Übrigen war die Erinnerung
aus den zutreffenden Gründen des Beschlusses vom 08.10.2008 sowie den
Gründen des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 18.08.2008 zurückzuweisen.
Die Auslagenpauschale nach VV Nr. 7002 RVG kann in jeder Angelegenheit
gefordert werden. Für die vorliegende Bußgeldsache war zu klären, ob es sich bei
dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem anschließenden
gerichtlichen Verfahren um dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 16 RVG oder
10
11
12
13
14
15
gerichtlichen Verfahren um dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 16 RVG oder
um verschiedene Angelegenheiten nach § 17 RVG handelt.
Nach Literaturauffassung (Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16.
Aufl., VV 7001 Rdnr. 29 unter Zitierung der Entscheidung des LG Detmold vom
30.08.1976, nachzulesen in JurBüro 1977, S. 954 f.) handelt es sich bei dem
Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Amtsgericht um eine
einheitliche Angelegenheit.
Diese Auffassung vermag nach Einführung des RVG nicht zu überzeugen. Zwar
mag es sich nach den zu § 13 BRAGO entwickelten Grundsätzen bei dem
Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Amtsgericht um eine
Angelegenheit im Sinne der BRAGO gehandelt haben, doch ist nach neuerer in der
Rechtsprechung vertretener Auffassung nach Einführung des RVG vom Vorliegen
zweier verschiedener Angelegenheiten auszugehen, vgl. Beschluss des
Amtsgerichts Detmold v. 17.11.2006, ZfSch 2007, S. 405; Beschluss des
Amtsgerichts Nauen v. 10.05.2007, ZfSch 2007, S. 407. Dieser Auffassung ist
zuzustimmen. Es sprechen überwiegende Gründe dafür, dass es sich bei dem
Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und vor dem Amtsgericht um
verschiedene Angelegenheiten handelt.
Das RVG selbst enthält bezüglich der aufgeworfenen Frage keine ausdrückliche
Regelung. Wie schon die BRAGO überlässt es auch das RVG der Rechtsprechung
und der Literatur, im Einzelfall Abgrenzungen vorzunehmen (Madert in
Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 15 Rdnr. 9) In § 16
und 17 RVG werden lediglich Fälle aufgezählt, in denen es ohne diese Vorschriften
zweifelhaft wäre, ob sie eine gemeinsame Angelegenheit oder verschiedene
Angelegenheiten darstellen (Madert in Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-
Rabe, RVG, 16. Aufl., § 16 Rdnr. 1; § 17 Rdnr. 1). So stellt beispielsweise § 17 Nr. 10
RVG klar, dass es sich bei einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und dem
nach Einstellung des Strafverfahrens eingeleiteten Bußgeldverfahren um zwei
unterschiedliche Angelegenheiten handelt. Das Fehlen einer ausdrücklichen
Regelung des Bußgeldverfahrens als verschiedene Angelegenheit, rechtfertigt
jedoch nicht zwingend den Schluss, dass der Gesetzgeber das Verfahren als
einheitliche Angelegenheit regeln wollte. In §§ 16 und 17 RVG werden – wie
dargelegt – nur Zweifelsfälle einer gesetzlichen Regelung unterworfen und es ist
nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber das Bußgeldverfahren als zweifelhaften Fall
betrachtet hat.
Gerade das Bußgeldverfahren wurde durch das RVG komplett neu geregelt. Im
Gegensatz zu den Vorschriften der BRAGO ist das Bußgeldverfahren im
Vergütungsverzeichnis des RVG im fünften Teil eigenständig geregelt. Nach der
Regelung der BRAGO richtete sich die Vergütung eines in Bußgeldsachen tätigen
Rechtsanwaltes nach § 105 BRAGO, welcher auf das vorbereitenden Verfahrens im
Strafverfahren nach § 84 BRAGO und das Hauptverfahren nach § 83 BRAGO
verwies. Eine entsprechende Anwendung der für das Strafverfahren geltenden
Vorschriften wurde vom Gesetzgeber bei Einführung des RVG nicht erneut
vorgesehen. Stattdessen erfolge die eigenständige Regelung. Während das
vorbereitende Verfahren und das Hauptverfahren in Strafsachen nach
herrschender Rechtsprechung und überwiegender Literaturansicht bereits nach
BRAGO eine einheitliche Angelegenheit darstellten und das RVG diesbezüglich
auch keine andere Regelung getroffen hat, ist durch die nunmehr eigenständige
Regelung des Bußgeldverfahrens davon auszugehen, dass der Gesetzgeber das
Bußgeldverfahren gebührenrechtlich gerade nicht entsprechend dem
Strafverfahren – und damit auch nicht als einheitliche Angelegenheit – behandeln
wollte.
Des Weiteren unterscheidet das Vergütungsverzeichnis des RVG in VV 5100
eindeutig zwischen dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem
gerichtlichen Verfahren. Auch diese systematische Trennung spricht für die
Annahme zweier verschiedener Angelegenheiten im Sinne des RVG.
Dafür, dass das Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde und das
gerichtliche Verfahren zwei unterschiedliche Angelegenheiten sind spricht vor
allem auch, dass es sich bei dem Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde
im Gegensatz zum Strafverfahren gerade nicht um ein vorbereitendes Verfahren
handelt, welches bei hinreichendem Tatverdacht in einem gerichtlichen Verfahren
endet. Das Verwaltungsverfahren stellt ein außergerichtliches Verfahren dar,
welches darauf gerichtet ist, die Sache durch Erlass eines Bußgeldbescheides oder
16
17
18
19
20
welches darauf gerichtet ist, die Sache durch Erlass eines Bußgeldbescheides oder
eine Verfahrenseinstellung durch die Verwaltungsbehörde abschließen zu klären.
Das gerichtliche Verfahren ist als Rechtsschutzmöglichkeit diesem Verfahren
lediglich nachgeschaltet.
Gründe, weshalb das außergerichtliche Verwaltungsverfahren im Rahmen des
Bußgeldverfahrens verfahrensrechtlich anders zu behandeln sein sollte als das
allg. Verwaltungsverfahren und das einem gerichtlichen Verfahren vorangehende
Verwaltungsverfahren nach § 17 Nr. 1 RVG sind nicht ersichtlich. Nach dieser
Vorschrift sind die dort genannten Verwaltungsverfahren und das gerichtliche
Verfahren jeweils unterschiedliche Angelegenheiten.
Zwar mag es zwischen dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und dem
gerichtlichen Verfahren einen engen Zusammenhang geben, doch rechtfertigt
dieser allein nicht die Annahme einer einheitlichen Angelegenheit. Wie sich gerade
auch aus den sonstigen Regelungen des § 17 RVG ergibt, stellt ein bestehender
innerer Zusammenhang keinen Hinderungsgrund für die Annahme zweier
Angelegenheiten dar. So besteht etwa ein ganz offenkundiger innerer
Zusammenhang zwischen dem Mahnverfahren und dem streitigen Verfahren.
Dennoch stellen diese nach § 17 Nr. 2 RVG zwei Angelegenheiten dar.
Im Übrigen war die Erinnerung des Erinnerungsführers zurückzuweisen.
Die vorgenommene Bemessung der einzelnen Gebühren und die Erhöhung der
Mittelgebühr um 25 % trägt der Bedeutung der Angelegenheit im Sinne von § 14
RVG ausreichend Rechnung.
Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs konnte eine Verzinsung nur auf
Antrag erfolgen. Der Kostenfestsetzungsantrag enthielt hierzu jedoch keinen
ausdrücklichen Antrag. Mit Beschluss vom 08.10.2008 hat die Rechtspflegerin
zutreffend nachträglich eine Verzinsung ab Eingang des
Kostenfestsetzungsantrages ausgesprochen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.