Urteil des AG Freiburg vom 14.01.2005

AG Freiburg: nulla poena sine lege, nullum crimen sine lege, keine strafe ohne gesetz, absolute verjährungsfrist, de lege ferenda, personenbeförderung, fahrzeug, relative verjährungsfrist

AG Freiburg Beschluß vom 14.1.2005, 29 OWi 550 Js 6928/04 - AK 225/04
Vorlage zur Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zur Auslegung der Betriebserlaubnisrichtlinie: Überschreitung der für
Lastkraftwagen geltenden Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen mit einem nach der EG-Typgenehmigung als Personenkraftwagen
zugelassenen Fahrzeug Daimler-Chrysler Typ Sprinter
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Dem Europäischen Gerichtshof werden im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 Abs. 1 lit. b) 2. Alt. EG-Vertrag (EGV) folgende Fragen zur
Entscheidung vorgelegt:
1. Ist die Betriebserlaubnisrichtlinie 70/156/EWG in der Fassung der Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18.6.1992,
umgesetzt in deutsches Recht in der EG-TypV (Verordnung über die EG-Typgenehmigung für Fahrzeuge und
Fahrzeugteile vom 9.12.1994, zuletzt geändert am 7.2.2004) dahingehend auszulegen, dass der Führer eines
Kraftfahrzeuges, dessen Fahrzeug als Personenkraftwagen infolge einer Betriebserlaubnis aufgrund EG-
Typgenehmigung zugelassen worden ist, auch berechtigt ist, das Fahrzeug als genehmigten Fahrzeugtyp im
Straßenverkehr in Betrieb zu nehmen, und ist der Führer dieses Kraftfahrzeuges insbesondere auch nur den für
Personenkraftwagen geltenden Geschwindigkeitsgeboten unterworfen?
2. Dürfen die für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden die vom Kraftfahrt-
Bundesamt ausgestellten Betriebserlaubnisse nach EG-Typgenehmigung und die von deutschen Zulassungsstellen
erteilten, auf diesen EG-Typgenehmigungen beruhenden Zulassungen als nicht maßgeblich bei der Einordnung des
Fahrzeugtyps erklären, wenn es um die Feststellung der vom Führer eines solchen Fahrzeugtyps einzuhaltenden
Geschwindigkeitsgebote geht?
Der Europäische Gerichtshof wird zur Entscheidung der vorgelegten Fragen in dem derzeit beim Amtsgericht Freiburg anhängigen
Bußgeldverfahren 29 OWi 550 Js 6928/04 - AK 225/04 nach Art. 234 EG-Vertrag angerufen.
Gründe
1
2
I. Verfahrensgeschichte
3
Am 18.11.2003 erließ das Regierungspräsidium Karlsruhe - Bretten - gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid. Nach §§ 18 Absatz (Abs.)
5, 49 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO), §§ 24, 25 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) in Verbindung mit 11.1.9 BKat sowie § 4 Abs. 1
Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) wurden eine Geldbuße von 275,00 EUR nebst einem zweimonatigen Fahrverbot und vier Punkten im
Verkehrszentralregister verhängt.
4
Dem Betroffenen wird zur Last gelegt, am 21.10.2003 als Führer eines Kraftfahrzeugs des Typs Sprinter mit einem zulässigen Gesamtgewicht
von 4,6 t der Firma Daimler-Chrysler AG die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf einer Bundesautobahn außerhalb geschlossener Ortschaften
um 54 km/h überschritten zu haben. Dabei habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Lastkraftwagen 80 km/h, die festgestellte
Geschwindigkeit des vom Betroffenen geführten Kraftfahrzeuges abzüglich der erforderlichen Toleranz 134 km/h betragen.
5
Mit Hinweis auf den Fahrzeugbrief und der darin ausgestellten Zulassung des geführten Kraftfahrzeuges als Personenkraftwagen, sowie die
Bestätigung des Herstellers und die Bestätigung des Kraftfahrt-Bundesamtes legte der Betroffene am 27.11.2003 Einspruch ein.
6
Die Staatsanwaltschaft Freiburg hat mit Verfügung vom 10.3.2004 die vorliegende Akte dem Amtsgericht Freiburg zur Entscheidung über den
Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe - Bretten - vom 18.11.2003 im Bußgeldverfahren vorgelegt. Am 29.04.2004 erließ das
Amtsgericht Freiburg zu obigem Aktenzeichen ein freisprechendes Urteil gegen den Betroffenen, nachdem das erkennende Amtsgericht bereits
am 02.03.2004 einen vergleichbaren Sachverhalt durch Freispruch entschieden hatte (AG Freiburg NZV 2004, S. 265 ff).
7
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Freiburg hat der zur Entscheidung berufene 2. Senat für Bußgeldsachen des
Oberlandesgerichts Karlsruhe am 26.8.2004 (2 Ss 126/04) die freisprechende Entscheidung des Amtsgerichts Freiburg aufgehoben und zur
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen.
8
II. Rechtliche Problemstellung
9
Im Zentrum des vom Amtsgericht zu entscheidenden Verfahrens steht die Frage, ob ein Fahrzeug des Typs Sprinter der Firma Daimler-Chrysler
AG mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t, für das eine EG-Typgenehmigung M 1 vorliegt, und das von den deutschen
Zulassungsbehörden als Personenkraftwagen in den amtlichen Zulassungspapieren eingetragen wird, auf einer Bundesautobahn auch wie ein
in der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht beschränkter Personenkraftwagen geführt werden darf.
10 Durch die 20. Verordnung zur Änderung straßenrechtlicher Vorschriften vom 9.12.1994 wurde die Betriebserlaubnisrichtlinie mit ihrem Institut der
EG-Typgenehmigung als EG-TypV in deutsches Recht umgesetzt. Bis 1992 sahen die Rechtsvorschriften lediglich eine freiwillige Umsetzung der
Gemeinschaftsregeln vor, bis 1996 bestand ein Wahlrecht (optionelle Harmonisierung), vgl. Jagow, DAR 1992, S. 453 (456). Die EG-
Typgenehmigung für Personenkraftwagen wurde ab dem 1.1.1996 für vollständige und ab dem 1.1.1998 für nach der Mehrstufen-
Typgenehmigung vervollständigte Fahrzeuge verbindlich. Seitdem sind die Mitgliedsstaaten zur Anwendung und Einhaltung des EG-
Typgenehmigungsverfahrens nach Art. 2 der Richtlinie 92/53/EWG verpflichtet (totale Harmonisierung), vgl. Jagow, DAR 1992, S. 453 (456);
Dolde/Bitterich, Rechtsgutachten zur Frage, ob die Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen gem. § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO für das
Fahrzeug MB „Sprinter“ mit zulässigem Gesamtgewicht von 4,6 t gilt, S. 29.
11 Das Institut der EG-Typgenehmigung wurde in § 18 Abs. 1 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) als gleichberechtigt neben der
nationalen Betriebserlaubnis eingeführt, und wird vom Kraftfahrt-Bundesamt und den deutschen Zulassungsstellen im Rahmen des nationalen
Zulassungsverfahrens auch angewendet und beachtet. Damit wurde das Institut der europäischen Betriebserlaubnis innergesetzlich harmonisiert
und inkorporiert.
12 Die so genannten Sprinter-Kraftfahrzeuge gehören zu der modernen Generation technisch hochwertiger, optional als Personen- oder
Lastkraftwagen einsetzbarer Kraftfahrzeuge, die zur Personenbeförderung „ausgelegt“ sind, was insoweit für ihre Qualifizierung als
Personenkraftwagen im Sinne der EG-Typgenehmigung der Klasse M 1 genügt. Tatsächlich werden sie aber regelmäßig zum Gütertransport
eingesetzt und sind nicht konkret zur Personenbeförderung bestimmt. Eine ausdrückliche Regelung für optional als Personenkraftwagen oder
Lastkraftwagen verwendbare Kraftfahrzeuge besteht nach den Vorschriften für die Zuteilung amtlicher Kennzeichen nach § 23 Abs. 6 lit. a StVZO
nur für Kraftfahrzeuge bis zu einem zulässigen Gesamtgewicht von 2,8 t. Die amtlichen Kennzeichen unterscheiden sich optisch nicht danach, ob
eine Zulassung als Personenkraftwagen oder Lastkraftwagen vorliegt.
13 Einige für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständige Behörden erkennen die EG-Typgenehmigungen seit 2003 nicht mehr an,
sondern fordern, dass auch die nationalen Voraussetzungen für eine Inbetriebnahme dieser Kraftfahrzeuge erfüllt sein müssen, anderenfalls
entsprechende Geschwindigkeitsübertretungen geahndet werden. Diese Verfolgungspraxis hat sich regional unterschiedlich entwickelt. In
Baden-Württemberg unterwerfen das Regierungspräsidium Karlsruhe - Bretten - und die Staatsanwaltschaft Freiburg als zuständige
Verfolgungsbehörden die Lenker der betroffenen Kraftfahrzeuge jener für Personenkraftwagen ausdrücklich nicht geltenden, in § 18 Abs. 5 Satz
2 Nr. 1 StVO normierten Geschwindigkeitsbegrenzung auf 80 km/h, obwohl die Sprinter-Kraftfahrzeuge nach Erteilung einer EG-
Typgenehmigung der Klasse M 1 als Personenkraftwagen im Straßenverkehr zugelassen sind. Den in § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO nicht
definierten Begriff „Personenkraftwagen“ legen die Verfolgungsbehörden nicht länger entsprechend der Eintragung in den Zulassungspapieren
aus, sondern greifen auf nationale Vorschriften der Fahrzeugtypbestimmung, insbesondere auf § 23 Abs. 6 lit. a StVZO und § 4 Abs. 4 Nr. 1
Personenbeförderungsgesetz (PBefG) mit dem dort normierten zusätzlichen Erfordernis der konkreten Bestimmung zur Personenbeförderung
zurück.
14 An dieser konkreten Bestimmung zur Personenbeförderung lassen die Verfolgungsbehörden bei der Auslegung von § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1
StVO die Einordnung der in Frage stehenden Sprinter-Kraftfahrzeuge als Personenkraftwagen - entgegen ihrer amtlichen Zulassung als
Personenkraftwagen - scheitern. Der fehlenden Bestimmung zur Personenbeförderung, die der Erteilung einer nationalen Betriebserlaubnis
entgegensteht, war von den Herstellern und Haltern der optional einsetzbaren Sprinter-Kraftfahrzeuge dadurch Rechnung getragen worden,
dass sie nicht die nationale Betriebserlaubnis, sondern die dieser gleichgestellte EG-Typgenehmigung eingeholt und der späteren Zulassung
zugrunde gelegt haben, wenn eine Nutzung als Personenkraftwagen beabsichtigt war.
15 Die zunächst in Bayern eingeführte neue Verfolgungspraxis wurde von Seiten eines deutschen Obergerichtes erstmals im Juli 2003 bestätigt. Mit
dem Argument, dass die Sprinter-Kraftfahrzeuge über ein zulässiges Gesamtgewicht von über 2,8 t verfügen und somit nach § 23 a Abs. 6 lit. a
StVZO im nationalem Recht nicht als Personenkraftwagen gelten könnten, hat sich das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Beschluss
vom 23.07.2003 - 1 ObOWi 219/03 (= NZV 2004, S. 263 ff; NJW 2004, S. 306 ff; DAR 2003, S. 469 ff; VD 2003, S. 267 ff) auf den Standpunkt
gestellt, dass Sprinter-Kraftfahrzeuge mit einem zulässigem Gesamtgewicht von 4,6 t im Straßenverkehr als Lastkraftwagen anzusehen seien mit
der Konsequenz, dass sie der in § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO normierten zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h unterworfen seien.
Dieser Rechtsprechung hat sich im August 2004 der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe im Ergebnis angeschlossen.
16 Die beiden Obergerichte haben die Frage offengelassen, wie die Diskrepanz zwischen dem von den Zulassungsbehörden angewendeten EU-
Recht (Eintragung als Personenkraftwagen aufgrund Betriebserlaubnis nach EG-Typgenehmigung) und dem von den Verfolgungsbehörden
angewendeten - entgegenstehenden - nationalen Recht zu bewerten ist (kritisch insoweit Blümel, DAR 2004, S. 39; ähnlich Kramer,
Anmerkungen zum Sprinterbeschluss, VD 10/03, S. 268).
17 In Deutschland wird wegen dieser Divergenz eine Regelung durch den europäischen Gesetzgeber gefordert, zuletzt auf dem 42. Deutschen
Verkehrsgerichtstag 2004 in Goslar ( Scheibach in: 42. Deutscher Verkehrsgerichtstag, 2004, S. 47 (52), andere forderten eine spezielle
bundesgesetzliche Regelung ein (vgl. Blümel, DAR 2004, S. 39 (40), der jedenfalls derzeit noch keine Sperrwirkung für die Schaffung einer -
dem europarechtlich geprägten - Zulassungsrecht direkt widersprechenden nationalen Verhaltenssanktionsnorm annimmt).
18 Diese nationale Verfolgungspraxis bedeutet praktisch, dass Rechtsvorschriften der EU, die nach Umsetzung in nationales Recht unmittelbare
Geltung beanspruchen, in dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zwar von den Zulassungsbehörden angewendet, jedoch von den
für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden als nicht maßgeblich erachtet werden. Dieses Auseinanderfallen von
Zulassungs- und Verhaltensrecht ist ein rechtlicher Zustand, dessen Anerkennung im Ergebnis dazu führt, dass die europäische
Betriebserlaubnisrichtlinie keine (Norm-) Geltung beanspruchen kann.
19
III. Zulässigkeit der Vorlage
20
1. Vorlagerecht nach Art. 234 Abs. 1 lit. b) 2. Alt. i.V.m. Art. 249 Abs. 3 EGV
21 Nach Art. 234 Abs. 1 lit. b) 2. Alt. i.V.m. Art. 249 Abs. 3 EGV können sich die nationalen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof wenden, das
Verfahren aussetzen und die Frage zur Vorabentscheidung vorlegen, wie ein von den Gemeinschaftsorganen erlassener Rechtsakt, vorliegend
die europäische Betriebserlaubnisrichtlinie, auszulegen ist. Ziel ist es, eine einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts und die
Einheitlichkeit der gemeinschaftlichen Rechtsordnung zu gewährleisten, EuGH Rs. 166/73, Rheinmühlen/Einfuhr- und Vorratsstelle Getreide ,
Slg. 1974, 33 Rn 2; Rs. 107/76, Hoffmann La Roche/Centrafarm , Slg. 1977, 957 Rn 5; Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 1. Aufl.,
2000, Art. 234 EGV Rz 2.
22
2. Verfahrensgegenstand: Auslegung des Instituts der europäischen Betriebserlaubnis in der Betriebserlaubnisrichtlinie 70/156/EWG in
der Fassung der Richtlinie 92/53/EWG des Rates vom 18.6.1992
23 Der Europäische Gerichtshof ist im Rahmen des Vorlageverfahrens zwar nicht befugt, nationales innerstaatliches Recht auszulegen, noch seine
Vereinbarkeit mit Gemeinschaftsrecht zu beurteilen, wie ihm dies im Rahmen des Art. 226 EGV möglich wäre ( Schwarze in: Schwarze (Hrsg.),
EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 13; EuGH Rs. 6/64, Costa/E.N.E.L. , Slg. 1964, 1251, 1268; Rs. c-292/92, Hünermund u.a ., Slg. 1993, I-6787 Rn
8. Es gibt jedoch kein deutsches nationales Recht, das ausdrücklich im Widerspruch zur europäischen Betriebserlaubnisrichtlinie steht. Es geht
daher auch nicht um die Vereinbarkeit eines deutschen Gesetzes mit der Betriebserlaubnisrichtlinie, sondern genuin um die Auslegung jener
europäischen Betriebserlaubnisrichtlinie als einer gemeinschaftsrechtlichen Richtlinie, womit ein Anwendungsfall von Art. 234 Abs. 1 lit. b) EGV
eröffnet ist ( Wegener in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar des Vertrages über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der
Europäischen Gemeinschaft - EUV/EGV -, 2. Aufl., Art. 234 Rz 5; Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 8, unter
Hinweis auf EuGH Rs. 111/75 Mazzalai/Ferrovia del Renon, Slg. 1976, 657 Rn 7/11; Lenz/Borchard, EG-Vertrag. Kommentar zu dem Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaften, 2. Aufl., 1999, Art. 234 Rz 8).
24 Soweit Gemeinschaftsvorschriften durch nationales Recht für anwendbar erklärt worden sind, obliegt dem Europäischen Gerichtshof ebenfalls
die Prüfung jener Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes, auf die im nationalen Recht (hier: in der EG-TypV) verwiesen wird ( Schwarze in :
Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 15).
25
3. Kein Ausschluss des Vorlagerechtes wegen nationaler Alleinkompetenz des nationalen Staates für Bußgeld- und
Strafrechtsvorschriften
26 Es kann auch kein Ausschluss des Vorlagerechts mit der Begründung angenommen werden, dass die Bundesrepublik die alleinige Kompetenz
für Buß- und Strafrechtsvorschriften beibehalten hat und noch innehält.
27 Entsprechend dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung sowie dem Subsidiaritätsprinzip ist der Bereich der buß- und strafrechtlichen
Sanktionen allerdings weiterhin dem nationalen Gesetzgeber als einem der „Herren der Verträge“ überlassen: mangels nationaler
Souveränitätsverzichte bei Abschluss der Verträge fehlt eine supranationale Kriminalstrafgewalt. Jedoch hat der Europäische Gerichtshof bereits
in der Rechtssache Costa/E.N.E.L. (EuGH Rs. 6/64, Costa/E.N.E.L., Slg. 1964, 1251, 1268) festgestellt, dass es ein Grundsatz des
Gemeinschaftsvertrages ist, dass kein Mitgliedsstaat die Eigenart des Gemeinschaftsrechts antasten darf, im gesamten Bereich der Gemeinschaft
einheitlich und vollständig zu gelten. Insoweit folgt aus dem Grundsatz der Gemeinschaftstreue die grundsätzliche Verpflichtung des nationalen
Gesetzgebers und der für die Durchsetzung staatlicher Sanktionen zuständigen Behörden, kein Sanktionenrecht zu setzen, das
Gemeinschaftsrecht widerspricht.
28 Zwar ist damit nicht der Umkehrschluss verbunden, dass gemeinschaftsrechtliche Vorschriften direkten Einfluss auf nationales Recht nehmen
könnten (so das Amtsgericht Linz 2040 Js 10336/04 am 3.8.2004 unter Bezugnahme auf die freisprechende Entscheidung des Amtsgerichts
Freiburg). Jedoch stellt die Verhängung von Fahrverboten und Geldbußen für erwartbar erlaubtes Handeln, das sich objektiv und subjektiv in
Übereinstimmung mit europäischem inkorporiertem Recht befindet, eine Sanktion dar, die dem Gemeinschaftsrecht direkt widerspricht, und
deren Nichtverhängung bereits vom Grundsatz der Gemeinschaftstreue geboten ist und keinen Umkehrschluss erfordert.
29
4. Kein Ausschluss des Vorlagerechts aus sonstigen Gründen
30 Ein etwaiger sonstiger Ausschluss des Vorlagerechts liegt nicht vor, da die aufgeworfenen Fragen weder bereits vom Europäischen Gerichtshof
entschieden sind, noch die Betriebserlaubnisrichtlinie in ihrer Tragweitenbestimmung so klar auszulegen ist, dass nur eine einzige
Auslegungsmöglichkeit besteht. Dies wird durch verschiedene, sich widersprechende Gerichtsentscheidungen deutlich. Während manche
Gerichte angekündigt haben, die Betroffenen von den ihnen vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitungen freizusprechen, respektive
freisprechen, stellen andere Gerichte die Verfahren mit Zustimmung der dortigen Staatsanwaltschaften ein, andere Gerichte verhängen keine
Fahrverbote, manche verhängen minimale Geldbußen unterhalb der eintragungspflichtigen Grenze (40 Euro), und andere Gerichte verurteilen,
wie von der Verwaltungsbehörde beantragt.
31 Ein Ausschluss des Vorlagerechts ist auch nicht im Hinblick auf die vom 2. Senat des Oberlandesgerichts Karlsruhe (2 Ss 126/04 unter
Bezugnahme auf 2 Ss 80/04 in: VD 2004, 274 ff; VRS 107, 390 ff; DAR 2004, 715 ff) vorgenommenen Bestimmungen zur Auslegung und
Tragweite der Betriebserlaubnisrichtlinie anzunehmen. Denn es handelt sich bei diesen gerichtlichen Ausführungen nicht um solche Gründe, die
jene Aufhebungsentscheidung vom 26.8.2004 tragen und das Amtsgericht daher auch nicht binden.
32
5. Vorlageberechtigtes Gericht/Verfahrenssprache
33 Das Amtsgericht Freiburg ist ein ordentliches deutsches Gericht und somit ein zur Vorlage berechtigtes Gericht eines Mitgliedsstaates ( Wegener
in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 234 Rz 11; Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 25). Die
Verfahrenssprache ist deutsch als die Sprache des vorlegenden Gerichtes ( Wegener in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar EUV/EGV, Art. 234
Rz 29; Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 55).
34
6. Substantiierte Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
35 Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 21.1.2003 (EUGHE 2003, 905 - 936) besteht für das vorlegende Gericht die
Verpflichtung, die Erheblichkeit der Vorlagefrage nach Art. 234 Abs. 2 EGV für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreites substantiiert
darzulegen, im einzelnen Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234 EGV Rz 35 ff. Insoweit wird im folgenden unter IV. die
Entscheidungserheblichkeit der Tragweitenbestimmung der Betriebserlaubnisrichtlinie für den zu entscheidenden Fall spezifiziert.
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IV. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen: Tragweitenbestimmung der Betriebserlaubnisrichtlinie
37 Die Beantwortung der vorgelegten Frage soll im Rahmen der Auslegung die Tragweite der Betriebserlaubnisrichtlinie mit ihrem Institut der EG-
Typgenehmigung festlegen. Die Festlegung der Tragweite einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift gehört zum Auslegungsinhalt einer
Normerläuterung durch den Europäischen Gerichtshof im Rahmen des Art. 234 EGV, Schwarze in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 234
EGV Rz 17. Dabei vertritt das Amtsgericht Freiburg die Rechtsauffassung, dass es das Gebot der Gemeinschaftstreue erfordert, europäisch
geprägtes Zulassungsrecht und nationales Verhaltensrecht in ihren Tragweitenbestimmungen kongruent auszulegen.
38 Das Amtsgericht hatte bereits im 1. Quartal des Jahres 2004 im Vorfeld seiner Erstentscheidung erwogen, die vorgelegten Fragen an den
Europäischen Gerichtshof zu richten, jedoch davon abgesehen, da nach Auffassung des Amtsgerichts ein Freispruch in der Sache nicht nur auf
seine europarechtlich gebotene Auslegung zu stützen war (IV. 1. der Entscheidung des Amtsgerichts), sondern ungeachtet dessen sowohl in
objektiver Hinsicht, als auch in subjektiver Hinsicht zu erfolgen hatte.
39 Nach Ansicht des Amtsgerichts verbot sich eine objektive Verurteilung in den vorliegenden Fällen bereits im Hinblick auf den verletzten
strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, IV. 2. der Entscheidung des Amtsgerichts. Darüber hinaus hätte nach Ansicht des Amtsgerichts bereits
folgender Gedanke den Freispruch - hilfsweise - auch in subjektiver Hinsicht tragen müssen: Die betroffenen Kraftfahrzeugführer hatten von dem
angeblichen Normgebot, dass sie nur wie Führer eines Lastkraftwagens am Straßenverkehr hätten teilnehmen dürfen, keine Kenntnis. Die
Bewertung ihrer als Personenkraftwagen zugelassenen Kraftfahrzeuge als Lastkraftwagen ist eine zu komplizierte normative Betrachtung, die
sich weder den deutschen Zulassungsstellen, noch den die Kontrolle durchführenden Polizeidienststellen erschloss, so dass das
Nachvollziehen, geschweige denn das vom Bayerischen Obersten Landesgericht geforderte kognitive Vorwegnehmen dieser Gedankengänge
von einem durchschnittlichen Kraftfahrer nicht erwartet werden konnte, IV. 3 . der Entscheidung des Amtsgerichts.
40 Nachdem das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe im August
2004 aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung ans Amtsgericht zurückverwiesen worden ist, ist jedoch davon auszugehen,
dass der Senat bei einer erneuten Befassung im Instanzenzug im Falle eines wiederholten Freispruchs durch das Amtsgericht sowohl die
genügende Bestimmtheit der Verbotsnorm bejahen, als auch einem normativen Irrtum über das Tatbestandsmerkmal
Lastkraftwagen/Personenkraftwagen die tatbestandsausschließende Anerkennung versagen wird.
41 Somit kommt es entscheidend darauf an, ob die Betriebserlaubnis, die aufgrund der EWG-Erlaubnisrichtlinie 70/156 vom Kraftfahrt-Bundesamt
erteilt und von den deutschen Zulassungsstellen der nationalen Zulassung zugrunde gelegt wird, einer Betriebserlaubnis, die nach nationalem
deutschem Recht erteilt wird, in den Rechtswirkungen gleichzusetzen ist und die mit der Erlaubnis typischerweise verbundenen und im
Rechtsverkehr erwartbaren Rechtswirkungen entfaltet.
42 Bei der Tragweitenbestimmung der Betriebserlaubnisrichtlinie sind verschiedene Aspekte zu berücksichtigen, wobei sich die erörterten
Fragestellungen an der Argumentationslinie der Verfolgungsbehörden orientieren. Zunächst erhebt sich die Frage, ob eine nationale
straßenverkehrsrechtliche Verhaltensnorm, die auf einen Fahrzeugtyp abhebt, unabhängig vom zulassungs- und betriebserlaubnisrechtlichen
Status dieses Fahrzeugtyps ausgelegt werden kann (dazu unter IV.1.). Da die von den Verfolgungsbehörden vorgenommene Auslegung, die der
Betriebserlaubnisrichtlinie ihre faktische Geltung entzieht, durch Hinzufügen eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals in § 18 Abs. 5 Satz 2
Nr. 1 StVO (durch Rückgriff aus § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG und § 23 Abs. 6 lit. a StVZO) erfolgt, dieser Auslegung jedoch keine Gesetzeskraft
zukommt, ist der Europäische Gerichtshof zur Auslegung befugt, wobei der strafrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz in Frage steht (dazu unter IV.
2.). Problematisch ist weiterhin, ob der Vorrang der Betriebserlaubnisrichtlinie auf das nationale Zulassungsrecht durchgreift, oder ob trotz
Vorlage einer EG-Typgenehmigung ein Prüfungsrückgriff auf die nationalen Vorschriften zur Fahrzeugtypbestimmung erlaubt ist (dazu unter IV.
3.), und wie der Umfang der Feststellungswirkung einer Betriebserlaubnis zu bestimmen ist (dazu unter IV. 4.). Letztlich geht es um die Frage, ob
es gemeinschaftsrechtlich möglich ist, zwar den Anspruch auf Zulassung eines Kraftfahrzeuges in einem Mitgliedsstaat nach Erteilung einer EG-
Typgenehmigung anzuerkennen, zugleich aber dieser europäisch verwurzelten Zulassung das Entfalten von jenen erwartbaren
Rechtswirkungen zu versagen (dazu unter IV. 5.), die überdies im Rahmen der steuerrechtlichen Veranlagung regelmäßig von den Haltern der
Sprinter-Kraftfahrzeuge vorab bereits entgolten worden sind (dazu unter IV.6.)
43
1. Auslegung von Verhaltensrecht losgelöst vom zulassungsrechtlichen Status?
44 Zunächst erscheint es problematisch, ein verhaltensrechtliches Geschwindigkeitsnormgebot, das für einen bestimmten Fahrzeugtyp national gilt,
unabhängig von dem - in der amtlichen Zulassung festgeschriebenen - Fahrzeugtyp auszulegen, wie dies von den Verfolgungsbehörden
befürwortet wird.
45 Der in § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO enthaltene Begriff „Personenkraftwagen“ ist in der StVO nicht definiert. Der Wortlaut der Vorschrift
„Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t, ausgenommen Personenkraftwagen“ impliziert zunächst, dass es auch
Personenkraftwagen mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t gibt. Vor 2003 knüpften die Verfolgungsbehörden im übrigen bei der
Begriffsbestimmung an die Verkehrsauffassung an und bestimmten die Fahrzeugtypen „Personenkraftwagen“ und „Lastkraftwagen“ grundsätzlich
entsprechend der Eintragung in den Fahrzeugpapieren, also entlang des zulassungsrechtlichen Status.
46 Zwar gab es in der Vergangenheit Entscheidungen von Obergerichten, in denen ausgeführt wurde, dass für die Abgrenzung der Begriffe
Personenkraftwagen/Lastkraftwagen im Sinne der StVO der zulassungsrechtliche Status unbeachtlich sei. Jedoch handelte es sich bei diesen
älteren Entscheidungen ausnahmslos um Fälle, in denen die als Lastkraftwagen sanktionierten Kraftfahrzeuge auch als Lastkraftwagen
zugelassen waren und somit ein Gleichlauf von Zulassungstatbestand und Normsanktion bestand (BayObLG NZV 1997, 449; OLG Düsseldorf
NZV 1991, 483; OLG Hamm VRS 47, 469 und NZV 1997, 323, 324) oder um Fallgestaltungen (BayObLG VRS 101, 457; OLG Schleswig NZV
1991, 163; KG Berlin NZV 1992, 162), in denen für eine Verurteilung kein Abweichen vom zulassungsrechtlichen Status erforderlich war (ebenso
Dolde/Bitterich, Rechtsgutachten, S. 19 (23).
47 Von den Verfolgungsbehörden wird zur Begründung der neuen Verfolgungspraxis insbesondere die Entscheidung des Bayerischen Obersten
Landesgerichtes vom 14.4.1997 (2 ObOWi 116/97, BayObLGSt 1997, 69 - 71) als maßgeblich erachtet. Aber auch diese Entscheidung behandelt
den Fall, dass das als Lastkraftwagen kontrollierte und sanktionierte Fahrzeug als Lastkraftwagen zugelassen war. Ausdrücklich führte das
Bayerische Oberste Landesgericht zudem bei der Prüfung der Annahme fahrlässigen Verhaltens in dieser Entscheidung aus: „In diesem
Zusammenhang kann auch der Tatsache zu Recht Bedeutung beigemessen werden, dass das Fahrzeug in den Kraftfahrzeug-Papieren als
Lastkraftwagen bezeichnet worden ist“.
48 Dass die Gerichte eine abweichende Beurteilung vom zulassungsrechtlichen Status in diesen Fällen prüften, geschah allein, um eine mögliche
Nichtverwirklichung des Verbotstatbestandes durch die Betroffenen zu erörtern, also um zu Gunsten der Betroffenen zu judizieren, nicht jedoch,
um die Verwirklichung eines Verbotstatbestandes erst zu ermöglichen. Würde nun im vorliegend zu entscheidenden Fall der Begriff
Personenkraftwagen/Lastkraftwagen anders als in den amtlichen Fahrzeugpapieren und anders als in der Zulassung aufgrund EG-
Typgenehmigung ausgelegt, würde erst durch die gerichtliche Prüfung jenseits des Zulassungsstatus der Verbotstatbestand begründet.
49 Diese Prüfung jenseits des Zulassungsstatus stellt nach Ansicht des Amtsgerichts einen verbotenen negativen Analogieschluss dar. Da dieser
jedenfalls bis 2003 in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht gezogen wurde, gibt es auch keinen aus Richterrecht erwachsenen
gewohnheitsrechtlichen Rechtssatz, dass die amtliche Zulassung bei der Feststellung eines Fahrzeugtyps im Rahmen der Auslegung von
Geschwindigkeitsnormen als nicht maßgeblich zu erachten sei.
50 Derzeit beschäftigt eine Parallelproblematik die bundesdeutschen Finanzgerichte. Anlässlich der steuerrechtlichen Einordnung der so
genannten Trikes (dreirädrige Kraftfahrzeuge) galt es die Frage zu entscheiden, ob diese im Rahmen der Steuererhebung zu Recht als Kraftrad
eingeordnet werden, nachdem sie ursprünglich im Kraftfahrzeugbrief als „Personenkraftwagen, offen“ eingetragen wurden. Am 11.6.2003 hat das
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (Az: 1 K 649/01) die These aufgestellt, dass die ursprüngliche verkehrsrechtliche Einordnung des
streitbefangenen Fahrzeuges als Personenkraftwagen im Fahrzeugbrief unerheblich sei, da die verkehrsrechtliche Einordnung
kraftfahrzeugsteuerrechtlich nicht bindend sei. Auch die europarechtliche Einstufung des Fahrzeuges aufgrund der Richtlinie 92/61/EWG des
Rates vom 30.6.1992 sei nicht streiterheblich. Eine verkehrsrechtliche Definition des Begriffes „Kraftrad“ gebe es nicht, eine Bindung des
Finanzgerichtes an Entscheidungen der Zulassungsstelle bestehe ebenso wenig. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22.6.2004 (VII R 53/03),
hat das Trike schließlich als Personenkraftwagen eingeordnet und sich jedweder Bemerkung über die Auswirkungen des zulassungsrechtlichen
Status enthalten, aber im Ergebnis - im Sinne der Rechtsauffassung des Amtsgerichts Freiburg - entschieden entsprechend dem
zulassungsrechtlichen status quo ante, DAR 2004, S. 725, 726.
51 Darüber hinaus hebt sich die vorgelegte Fragestellung durch die direkte Spiegelbildlichkeit von Normgebot und Normsanktion entscheidend von
der Trike - Problematik ab, bei der es durch das eigenständige Institut der Besteuerung zu einem rechtlichen Zwischenakt kommt, für den
nationale eigene Kompetenzen bestehen.
52
2. Hinzufügen des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals „konkrete Bestimmung zur Personenbeförderung“ aus § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG
in § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO
53 Die Verfolgungsbehörden versagen den betroffenen Sprinter-Kraftfahrzeugen den Status als Personenkraftwagen, in dem sie auf § 4 Abs. 4 Nr. 1
PBefG zurückgreifen - ergänzt um Schutzzwecküberlegungen aus der nationalen StVO und § 23 Abs. 6 lit. a StVZO. Damit befinden sie sich in
Übereinstimmung mit jener oben dargestellten Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts aus dem Jahr 1997 sowie weiteren
Altentscheidungen vor Inkrafttreten der Betriebserlaubnisrichtlinie. Die Divergenz zwischen europäisch geprägtem Zulassungsrecht und allein
nationalem straßenverkehrsrechtlichem Verhaltensrecht spielte jedoch in den entschiedenen Altfällen keine Rolle.
54 Das Amtsgericht ist der Ansicht, dass das der neuen Verfolgungspraxis zugrunde liegende Hinzufügen des Tatbestandsmerkmals, dass es sich
um einen Personenkraftwagen nur handelt, wenn die konkrete Bestimmung des geführten Kraftfahrzeuges zur Personenbeförderung“ zu bejahen
ist, in die Geschwindigkeitsnorm des § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO einen Verstoß gegen das allgemeine, im nationalen Recht in Art. 103 Abs. 2
GG verankerte Gesetzlichkeitsprinzip „nullum crimen sine lege“ und „nulla poena sine lege“ darstellt, das im Ordnungswidrigkeitenrecht
entsprechend über § 3 OWiG Anwendung findet.
55 Dieses allgemein gültige rechtsstaatliche Prinzip besagt, dass jedermann vorhersehen können muss, welches Verhalten mit Sanktionen bedroht
ist, und es postuliert insbesondere, dass der Gesetzgeber, und nicht die rechtsprechende Gewalt über die Sanktionswürdigkeit eines Verhaltens
entscheidet (BVerfGE 37, 201; 20, 331; 25, 269; 47, 109, 120; 55, 152; 71, 108, 114; 73, 206, 234; 75, 342; 77, 382; ebenso Tröndle-Fischer,
StGB, 51. Aufl., 2003, § 1 Rz 1) .
56 Konkret ist der gesetzliche Tatbestand nur dann hinreichend bestimmt, wenn die Voraussetzungen der Ahndung so konkret beschrieben sind,
dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sein Verhalten auf die Rechtslage einzurichten und Tragweite und Anwendungsbereich des
Ahndungstatbestandes erkennbar sind, BVerfGE 14, 174, 245; 25, 269; 32, 346; 47, 120, 55, 152; 71, 114; 73, 234, 87, 224 . Zwar ist es dem
Gesetzgeber gerade im Ordnungswidrigkeitenrecht nicht verwehrt, sich bei der Beschreibung und Ausgestaltung von Tatbeständen neben
deskriptiver Begriffe auch normativer Begriffe zu bedienen, Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 13. Aufl., 2002, § 3 Rz. 5. Dennoch geht es auch
im Ordnungswidrigkeitenrecht um eine Orientierungsgewissheit für den Bürger ( Rogall in: Karlsruher Kommentar zum
Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Aufl., 2000, § 3 Rz 28; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983, Rz 133; Bienko, NJW-aktuell 2004, XVI, XVIII). Auch
die Rechtsprechung zur StVO umschreibt den Bestimmtheitsgrundsatz in gleicher Weise als „Gebot der Unmissverständlichkeit,
Allgemeinverständlichkeit und Leichtfasslichkeit der Verhaltensvorschriften, BayObLG, DAR, 2000, 483 im Anschluss an OLG Hamm, DAR 1976,
217, 217; ebenso Dolde/Bitterich, Rechtsgutachten, S.15. Der Normadressat muss auch hier vorhersehen können, welches Verhalten verboten
und mit der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist, OLG Koblenz, NZV 1994, 83.
57 Der Rückgriff auf § 4 Abs. 4 Nr. 1 PBefG mit dem zusätzlichen Erfordernis, dass in jedem Fall auf die konkrete Bestimmung des Fahrzeuges zur
Personenbeförderung abgestellt werden soll, ist für den Rechtsbetroffenen und Rechtsanwender auch im Hinblick auf das sonstige, in weiten
Bereichen bereits europarechtlich harmonisierte straßenverkehrsrechtliche Gefüge nicht stimmig.
58 So zeigt ein Blick in § 6 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV, Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-
Verordnung - FeV) vom 18.8.1998 (BGBl. I S. 2214), zuletzt geändert am 22.1.2004 (BGBl. I S. 117), dass es bei der Einteilung der
Fahrerlaubnisklassen nicht auf die konkrete Bestimmung des zu führenden Kraftfahrzeugs zur Personenbeförderung ankommt, auch nicht in dem
entscheidenden Bereich zwischen 3, 5 t zulässigem Gesamtgewicht und 7, 5 t zulässigem Gesamtgewicht. So wie die frühere so genannte
„Lastkraftwagen-Klasse“ 2 erst ab 7, 5 t zulässigem Gesamtgewicht begann, ist nach der europarechtlich harmonisierten neuen FeV nur das
zulässige Gesamtgewicht entscheidend, Hentschel , Straßenverkehrsrecht, 3 a, § 6 FeV, Rz 16. Mit der alten Fahrerlaubnis der so genannten
„Personenkraftwagen-Klasse“ 3 (harmonisiert unter anderem zu Klasse C 1) oder einer neu erworbenen Fahrerlaubnis der Klasse C 1 kann das
betroffene Sprinter-Kraftfahrzeug des Fahrzeugtyps M 1 (Personenkraftwagen) gefahren werden, ohne dass es auf die konkrete Bestimmung des
geführten Fahrzeuges zur Personenbeförderung ankommt. Dabei entspricht die harmonisierte Fahrzeugtypklasse M 1 (Personenkraftwagen) der
harmonisierten Fahrerlaubnisklasse C 1.
59 Die Forderung nach einer umfassenden Novellierung mit einer bürgerfreundlichen und verständlichen Rechtssprache de lege ferenda
(ausdrücklich Blümel, DAR 2004, S. 39, 40) wird nicht genügen und die derzeit bestehende Divergenz zwischen Zulassungs- und
Verhaltensrecht bis zu einer gesetzlichen Neuregelung nicht auflösen. Solange jedenfalls § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO durch den Gesetzgeber
nicht geändert worden ist, ist eine klarstellende Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof über jene europarechtlich relevante Inkongruenz
erforderlich.
60 Bislang hat der deutsche Gesetzgeber (27. Verordnung zur Änderung der StVZO vom 2.11.2004, BGBl. I S. 2712) lediglich jenen § 23 Abs. 6 lit. a
StVZO mit Wirkung zum 1.5.2005 aufgehoben, dem der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe eine maßgebliche
Bedeutung mit allgemeinem Definitionscharakter beigemessen hatte.
61
3. Vorrang der Betriebserlaubnisrichtlinie bei der Fahrzeugtypbestimmung gegenüber den nationalen Vorschriften
62 Die Verfolgungsbehörden versagen der Betriebserlaubnisrichtlinie eine (vorrangige) Normgeltung und schließen sich dem 2. Senat für
Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe darin an, dass sich der Vorrang der EWG-Richtlinie 70/156 nicht auf das gesamte nationale
Zulassungsrecht beziehe, so dass ein Rückgriff auf nationale Vorschriften zur Bestimmung des Fahrzeugtyps zulässig sei. Im Einzelnen nimmt
der Senat in seinem Beschluss vom 26. August 2004 (2 Ss 126/04) auf seinen Grundsatzbeschluss vom 25. August 2004 (2 Ss 80/04) Bezug,
und dort auf 2. a. und b. seiner Entscheidungsgründe (in: VD 2004, 274 ff; VRS 107, 390 ff; DAR 2004, 715 ff). Zu einem möglichen Vorrang von
europäischem Recht wird darauf verwiesen, dass die Betriebserlaubnisrichtlinie nur die Betriebserlaubnis und nicht die gesamte Zulassung
betrifft, und das eigentliche Zulassungsverfahren noch nicht harmonisiert ist.
63 Jedoch dürfen nach § 18 Abs. 1 StVZO Kraftfahrzeuge auf „öffentlichen Straßen nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie durch Erteilung einer
Betriebserlaubnis oder einer EG-Typgenehmigung und durch Zuteilung eines amtlichen Kennzeichens... von der Verwaltungsbehörde
(Zulassungsbehörde) zum Verkehr zugelassen sind“. Durch die als Alternative ausgestaltete Formulierung wurde das Bestehen einer EG-
Typgenehmigung als gleichwertige Möglichkeit neben die nationale Betriebserlaubnis gesetzt, die EG-Typgenehmigung also innergesetzlich
harmonisiert und inkorporiert. Also ist von der normimmanenten Systematik des § 18 Abs. 1 StVZO bei Vorlage einer EG-Typgenehmigung die
Möglichkeit der Erteilung einer nationalen Betriebserlaubnis nicht zu prüfen, sondern erstere ein lex specialis, das einen Prüfungsrückgriff auf die
nationalen Vorschriften zur Bestimmung des Fahrzeugtyps in dieser Gesetzesalternative verdrängt.
64 Darüber hinaus entfaltet der von den Verfolgungsbehörden angenommene beschränkte Vorrang der Betriebserlaubnisrichtlinie in der
vorliegenden Fallgestaltung keine Bedeutung, da die deutschen Zulassungsbehörden die Zulassungen entsprechend der europäischen
Betriebserlaubnisrichtlinie in der Gesetzesalternativität zur nationalen Betriebserlaubnis erteilen und im Bereich des Zulassungsrechts keine
Inkongruenz zwischen nationalem und europäischen Recht bestand und besteht.
65
4. Umfang der Feststellungswirkung einer Betriebserlaubnis
66 Die Verfolgungsbehörden beschränken die Feststellungswirkung der Betriebserlaubnis ebenso wie die Feststellungswirkung der sonstigen
Kraftfahrzeugpapiere - also des Kraftfahrzeugbriefs und des Kraftfahrzeugscheins - darauf, dass ein Kraftfahrzeug allgemein betriebssicher ist
und am Straßenverkehr teilnehmen darf (OLG Karlsruhe 2 Ss 80/04, a.a.O.).
67 Das Betriebserlaubnisverfahren eines Kraftfahrzeuges ist jedoch der Natur der Sache nach auch mit der Betriebssicherheit eines Fahrzeugtyps
verbunden und lässt sich gedanklich nicht trennen, da es für jeden Fahrzeugtyp gesonderte detaillierte Vorschriften zu erfüllen gibt, deren
Erfüllung und Einhaltung ohne Bedeutung wäre, käme es nicht darauf an, als welcher Typ das Kraftfahrzeug am Straßenverkehr teilnehmen wird.
68 Schließlich sind die Beantragung einer Betriebserlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr und das spätere Führen dieses
Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr nur zwei Seiten derselben Medaille. Daher gebietet sowohl die Einheitlichkeit des zu regelnden
Lebenssachverhalts, als auch die Einheitlichkeit der Rechtsordnung, dass mit einer Zulassung aufgrund einer europäischen Betriebserlaubnis
auch die Feststellung verbunden sein muss, dass der betriebsgenehmigte Fahrzeugtyp auch als solcher am Straßenverkehr teilnehmen darf.
Somit kann eine formaljuristische gedankliche Trennung zwischen Zulassung und „maßgeblicher Zulassung im Verhaltensrecht“, anders
gewendet: zwischen europäisch geprägter Fahrzeugtypbestimmung im zulassungsrechtlichen Sinn und rein nationaler Fahrzeugtypbestimmung
im verhaltensrechtlichen Sinn nicht vorgenommen werden.
69
5. Anerkennung des Anspruchs auf Zulassung im Mitgliedsstaat bei gleichzeitiger Versagung der damit verbundenen
70 Dass nach Erteilung einer EG-Typgenehmigung durch einen Mitgliedsstaat ein Anspruch auf Zulassung dieses Kraftfahrzeugs in jedem
Mitgliedstaat besteht, entspricht dem Wortlaut von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StVZO („ist zu erteilen“) und wird von den Verfolgungsbehörden auch
unter Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 der Betriebserlaubnisrichtlinie nicht in Frage gestellt (OLG Karlsruhe 2 Ss 80/04, a.a.O.).
71 Da die deutschen Behörden diese EG-Typgenehmigung jedoch nur bescheinigten und in den amtlichen Papieren ausfertigten, nicht aber
überprüften, käme diesen amtlichen Bescheinigungen kein Regelungscharakter zu (OLG Karlsruhe 2 Ss 80/04, a.a.O.). Zudem könnten der im
Kraftfahrzeugbrief und Kraftfahrzeugschein beschriebene und der tatsächliche Zustand eines Fahrzeuges variieren, da ersterer nach der
Ausstellung der Papiere eigenmächtig verändert werden könne, so dass eine Vertrauenswirkung dieser amtlichen Eintragungen im
Rechtsverkehr jedenfalls an dieser Veränderbarkeit im Tatsächlichen scheitere (OLG Karlsruhe 2 Ss 80/04, a.a.O.).
72 Dieses Argument ist jedoch obsolet, da nach Art. 5 der Betriebserlaubnisrichtlinie, geändert durch Richtlinie 98/14, sichergestellt ist, dass
wesentliche Änderungen dem Kraftfahrt-Bundesamt mitgeteilt werden müssen und ein Antrag auf Änderung der Typgenehmigung gestellt
werden muss. Zudem wird nach § 3 EG-TypV die EG-Typgenehmigung nur erteilt, wenn der Antragsteller über ein wirksames System zur
Überwachung der Übereinstimmung der Produktion verfügt, um zu gewährleisten, dass alle verwendeten Teile jeweils mit dem genehmigten Typ
übereinstimmen. Diese Prüfungsverlagerung auf den Hersteller und Antragsteller führt zu Prüfungskontrollpflichten des Kraftfahrt-Bundesamtes,
die eine Reduktion jedenfalls seiner Tätigkeit auf eine reine Bescheinigungsfunktion als nicht angemessen erscheinen lassen. Dass darüber
hinaus nachträgliche Änderungen nicht durch eine früher erteilte Bescheinigung gedeckt sein können, ist eine Selbstverständlichkeit und besagt
für die Tragweite des bescheinigten Zustands nichts.
73 Wenn die Tragweitenbestimmung der Betriebserlaubnisrichtlinie der Verfolgungsbehörden zuträfe, gäbe es zusammenfassend ein kompliziertes
Betriebserlaubnis- und Zulassungsverfahren, ohne dass dieses nach seiner Beendigung die mit der Verfahrensdurchführung bezweckten (und
erwartbaren) Rechtswirkungen entfalten dürfte. Damit wäre die Durchführung jenes europäischen harmonisierten Betriebserlaubnisverfahrens
jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland sinnlos.
74
6. Gleichlauf von Steuer- und Zulassungsrecht
75 Ergänzend gilt es noch folgendes zu erwähnen: Die Sprinter-Kraftfahrzeuge wurden und werden in der Bundesrepublik nach Wahl des Käufers
entweder als Lastkraftwagen oder als Personenkraftwagen von deutschen Zulassungsbehörden zugelassen. Für als Personenkraftwagen
zugelassene Fahrzeuge müssen regelmäßig deutlich höhere Steuern entrichtet werden als für Fahrzeuge, die als Lastkraftwagen zugelassen
werden. Die Besteuerungshöhe im Rahmen der Personenkraftwagenbesteuerung hängt im einzelnen von der Größe des Hubraums, der
Antriebsart und dem Schadstoffausstoß ab, die Lastkraftwagenbesteuerung richtet sich allein nach zulässigem Gesamtgewicht und
Schadstoffklasse. Konkret stehen bei dem Sprinter-Kraftfahrzeug mit 4,6 t zulässigem Gesamtgewicht, Schadstoffklasse 72, Antriebsart Diesel
und Hubraum 2685 cbm als Rechengrößen eine Personenkraftwagensteuer in Höhe von 372,60 Euro einer möglichen Lastkraftwagensteuer in
Höhe von 158,40 Euro gegenüber. Bislang folgte das Steuerrecht, soweit ersichtlich, in diesen Fällen dem Zulassungsrecht, so dass - anders als
bei der Trike - Problematik - eine Kongruenz von Zulassungs- und Steuerrecht vorliegt.
76 Für die kostenerhebliche Entscheidung, ob eine Personenkraftwagen- oder Lastkraftwagen-Zulassung beantragt wurde, war und ist für die
Betroffenen in erster Linie ausschlaggebend, dass mit der Zulassung aufgrund der EG-Typgenehmigung die Erlaubnis verbunden ist, das
Fahrzeug als zugelassenen Typ (konkret: als Personenkraftwagen) auch im Straßenverkehr zu führen. Nach der Tragweitenbestimmung der
Betriebserlaubnisrichtlinie durch die Verfolgungsbehörden würden die mit dieser Zulassung erwartbar verbundenen und finanziell entgoltenen
Rechtsfolgen den Betroffenen am Ende jedoch nicht zugute kommen können.
77
V. Sach- und Rechtslage aufgrund der Feststellungen vom Stand der neuen Hauptverhandlung vom 1.12.2004 und eingeholter Auskünfte
im schriftlichen Verfahren vom Stand 14.1.2005
78 Der Verteidiger des Betroffenen hat mit Schreiben vom 19.10.2004 beantragt, die Sache dem Europäischen Gerichtshof gem. Art. 234 Abs. 1 lit.
b) 2. Alt. EGV zur Vorabentscheidung vorzulegen. Die Staatsanwaltschaft hat zu dieser Frage keine Erklärung abgegeben. Das OLG Thüringen
hat am 12.10.2004 einen vergleichbaren Fall verurteilt, indes von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen (NJW 2004, 3579 ff).
79 Aufgrund der Hauptverhandlung vom 1.12.2004 und anschließenden schriftlichen Erkundigungen konnten zum Stand vom 14.1.2005 die
erforderlichen und der Fragestellung zugrunde gelegten Feststellungen getroffen werden. ()
80 Das Kraftfahrt-Bundesamt hat mit Schreiben vom 22.12.2004, seine Auffassung bekräftigt, dass für die betroffenen Sprinter-Kraftfahrzeuge nach
der Richtlinie 70/156/EWG ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Fahrzeugtypgenehmigung M 1 als Personenkraftwagen besteht. Jedoch seien
für die Entscheidung, ob ein M 1 (betriebs-) genehmigtes Fahrzeug im nationalen Zulassungsverfahren als Personenkraftwagen eingetragen
werde, die für die Fahrzeugzulassung zuständigen obersten Landesbehörden aufgerufen. Das Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-
Württemberg als zuständige oberste Landesbehörde hat am 27.12.2004 mitgeteilt, dass aus den Entscheidungen des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 25./26.8.2004 keine Konsequenzen gezogen worden seien. Es sei kein Erlass an die Zulassungsstellen ergangen oder
beabsichtigt, dass die betroffenen Sprinter-Kraftfahrzeuge in Zukunft nicht mehr als Personenkraftwagen eingetragen werden sollten. Somit
schreiben die für das Zulassungsrecht zuständigen obersten Landesbehörden in Baden-Württemberg die Geltung der EG-TypV im nationalen
Zulassungsverfahren im Rahmen der in § 18 Abs. 1 StVZO bestehenden Gesetzesalternativität fort.
81 Die Daimler-Chrysler AG hat in der Zwischenzeit Konsequenzen aus dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts gezogen. Die
Neukunden eines Sprinter-Kraftfahrzeuges mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t werden vor dem Kauf über die Entscheidungen der
Obergerichte in Bayern und Baden-Württemberg informiert. Damit wird die allgemeine Empfehlung verbunden, dass diese Fahrzeuge trotz einer
möglichen Zulassung als Personenkraftwagen nur gemäß den StVO-Normen für Lastkraftwagen betrieben werden mögen.
82
VI. Vorlage der Rechtsfragen an den Europäischen Gerichtshof
83 Im vorliegenden Fall steht nicht zu befürchten, dass Verfolgungsverjährung eintritt. Die relative Verjährungsfrist beträgt für
Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten nach § 24 StVG vorliegend in Abweichung der Grundregel des § 31 Abs. 2 OWiG gemäß § 26 Abs. 3 StVG
sechs Monate ab Erlass des Bußgeldbescheides, die unter anderem durch die Aktenvorlage der Staatsanwaltschaft ans Gericht und die
Anberaumung einer mündliche Hauptverhandlung unterbrochen wird und von neuem beginnt. Die absolute Verjährungsfrist beträgt 2 Jahre ab
Tatbeendigung und richtet sich nach § 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG. Da im vorgelegten Verfahren jedoch in unverjährter Zeit ein erstinstanzliches
Urteil erging, läuft nach § 32 Abs. 2 OWiG die Verjährungsfrist nicht vor dem Zeitpunkt ab, in dem das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sein
wird. Dies gilt auch für die absolute Verjährungsfrist nach § 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG, wie ein Hinweis in § 33 Abs. 3 Satz 4 OWiG auf § 32 OWiG
klarstellt.
84 Zwei weitere Verfahren des erkennenden Amtsgerichts 29 OWi 55 Js 35869/03 - AK 6/04 und 29 OWi 550 Js 2838/04 - AK 95/04 mit
vergleichbarem Sachverhalt, deren freisprechende Entscheidungen vom 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe am
25.8.2004 (2 Ss 80/04) und 26.8.2004 (2 Ss 120/04) ebenfalls aufgehoben worden sind, werden im Hinblick auf diese Vorlage im Anschluss
ausgesetzt.
85 Die Beantwortung der gestellten Fragen wird Klarheit für eine Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren schaffen. Eine Bestätigung der neuen
Verfolgungspraxis führte nach Auffassung des Amtsgerichts Freiburg dazu, dass die von (fehlenden) direkten nationalen Sanktionen
widergespiegelte Geltungswirkung von Gemeinschaftsrecht erheblich leiden und zur Erosion des allgemeinen Geltungsanspruchs von EU-
Normen führen würde.