Urteil des AG Frankfurt am Main vom 17.07.2007

AG Frankfurt: entschädigung, flugzeug, nacht, flughafen, gepäck, start, wartezeit, zusage, anzeige, schneefall

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Gericht:
AG Frankfurt
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
31 C 1093/07 - 10,
31 C 1093/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 2 EGV 261/2004, Art 5 Abs
1 EGV 261/2004, Art 5 Abs 3
EGV 261/2004, Art 9 Abs 1
EGV 261/2004, § 651f Abs 2
BGB
Anspruch auf eine Entschädigungsleistung wegen
Flugannulierung, Schadensersatzanspruch wegen nutzlos
aufgewendeter Urlaubszeit
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher
Höhe leisten.
Tatbestand
Die Klägerin buchte bei der Beklagten zu 2) einen Flug für den 03.03.2006 von F
über T und V nach K. Geplante Abflugszeit in F war 13:30 Uhr, geplante
Ankunftszeit in K 21.55 Uhr. Die Klägerin wollte in S vom 3.-10.3.2006 einen
Skiurlaub verbringen. Für die Gruppe von insgesamt fünf Reisenden war ein
Apartment zum Preis von CAD 7.014,82 gebucht, in diesem Preis war auch der
Skipass enthalten.
Der Flug sollte von F bis T durch die Beklagte zu 1) unter der Codenummer AC
9105/LH 470 durchgeführt werden.
An diesem Tag herrschte am F Flughafen starker Schneefall, es fielen 20 cm
Neuschnee. Die Flugzeuge mussten vor dem Start enteist werden. Es wurden an
diesem Tag insgesamt mehr als 500 Flüge annulliert. Wegen weiterer Einzelheiten
wird auf den Tagesbericht der Verkehrszentrale, Anlage Bl, Bl. 85-90 ff. d. A.,
Bezug genommen.
Bezogen auf den Flug der Klägerin ereignete sich folgendes: Erst um 13:30 Uhr
erfolgte das Boarding. Erst gegen 19:00 Uhr wurde der Flug freigegeben und rollte
Richtung Startbahn. Vor der Startbahn musste die Maschine enteist werden. Um
20:30 Uhr teilte der Pilot mit, dass die Enteisungsflüssigkeit ausgegangen sei und
die Crew die erlaubte Arbeitszeit überschreiten werde, falls nun noch gestartet
werde. Die Passagiere, darunter die Klägerin, mussten das Flugzeug wieder
verlassen. Der Flug wurde sodann annulliert.
Die Klägerin erhielt in der Nacht eine Stand-by Option für einen Flug am
04.03.2006 um 12:25 Uhr. Dieser Flug wurde planmäßig durchgeführt.
Bei Ankunft in V stellte sich heraus, dass das Gepäck der Klägerin nicht
mitbefördert worden war. Die Klägerin versorgte sich vor Ort mit mit den nötigsten
Ersatzutensilien. Die hierfür aufgewendeten CAD 92,28 wurden von der Beklagten
zu 1) ausgeglichen.
Am 06.03.2006 gegen 22:00 Uhr wurde der erste Koffer an die Klägerin
ausgeliefert, am 07.03.2006 das Snowboard und die Stiefel.
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Mit der Klage begehrt die Klägerin
- eine Entschädigung von EUR 600,00 nach Art. 5, 7 EG-VO Nr. 261/04;
- ihr nach ihrem Vortrag wegen der Gepäckverspätung zugesagte CAD 100,00,
entspricht EUR 71,23;
- eine Entschädigung von EUR 729,21 für wegen der aufgrund fehlenden
Gepäcks verlorenen drei Urlaubstage;
- eine Entschädigung von EUR 150,00 für die im Flugzeug verbrachten acht
Stunden sowie die im Flughafen verbrachte Nacht;
- Entschädigung für nicht erbrachte Betreuungsleistungen (Verpflegung EUR
40,00, Telefonate EUR 10,00) unter Berücksichtigung bereits von der Beklagten zu
1. geleisteter EUR 25,00;
- Entschädigung für den für drei Tage nicht nutzbaren Skipass in Höhe von EUR
75,00.
Mit Schreiben vom 04.05.2006 wurden die Ansprüche erstmals gegenüber der
Beklagten zu 2. geltend gemacht.
Die Klägerin behauptet, es seien nach Annullierung des Fluges keinerlei
Unterstützungsleistungen gewährt worden; weder seien Decken ausgegeben, noch
Verpflegung angeboten worden.
Sie habe sich drei Mahlzeiten (Abendessen, Frühstück und Mittagessen) selbst
beschaffen müssen. Die Lounges seien nur teilweise geöffnet worden, im Übrigen
seien diese dann sofort überfüllt gewesen, so dass sie die Nacht sitzend auf dem
Fußboden verbracht habe.
Wegen des verspäteten Gepäcks sei ihr von Mitarbeitern der Beklagten zu 2) eine
Pauschalzahlung von CAD 100,00 zugesagt worden.
Das ursprünglich angerufene Amtsgerichts Künzelsau hat den Rechtsstreit durch
Beschluss vom 24.04.200 an das Amtsgericht Frankfurt am Main verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin EUR
1.650,44 nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit
dem 03.06.2006 und als weitere Nebenforderung EUR 138,91
Rechtsanwaltsgebühren zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 1) beruft sich hinsichtlich der Annullierung des Fluges auf
außergewöhnliche Umstände wegen des Schneefalls und der damit verbundenen
Umstände.
Bereits in den frühem Morgenstunden habe es begonnen zu schneien, die
Deutsche Flugsicherung habe die Anzahl der pro Stunde startenden und
landenden Flugzeuge teilweise sogar bis auf Null reduziert, was unter anderem zu
erheblichen Abflugverspätungen geführt habe. Im Laufe des Vormittags hätten zur
Schneeräumung abwechselnd die Start- und Landebahnen geschlossen werden
müssen, was die Situation verschärft habe.
Die durchschnittliche Enteisungszeit sei wegen des starken Schneefalls von
durchschnittlich 11 Minuten auf durchschnittlich 32 Minuten angestiegen, was trotz
manueller Vorenteisung und einer zweiten Enteisungsfläche zu weiteren
Verzögerungen geführt habe.
Ab 13.30 Uhr habe der Flugverkehr wegen der starken Schneefälle zeitweise
komplett eingestellt werden müssen.
Wegen der auf die Wetterverhältnisse zurückzuführende langen Wartezeit habe die
höchstzulässige Flugdienstzeit des Kabinenpersonals des Flugs LH 470 nicht mehr
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höchstzulässige Flugdienstzeit des Kabinenpersonals des Flugs LH 470 nicht mehr
eingehalten werden können, eine Genehmigung des Fluges sei allein aus diesem
Grund nicht mehr möglich gewesen.
Aufgrund der zahlreichen Annullierungen, Umleitungen und Umlaufveränderungen,
die wegen der erheblichen Schneefälle erforderlich geworden seien, habe keine
Ersatzcrew mehr bereitgestanden.
Es seien sämtliche Lounges geöffnet worden. An den Schaltern der Beklagten zu
1) seien Voucher für Getränke und Essen ausgegeben worden, Decken seien
verteilt worden, der Gate-Service sei bestellt worden. Sämtliche Hotelkontingente
für die Fluggäste seien abgerufen worden, wobei teilweise ein Transport in die
Hotels an den Wetterbedingungen gescheitert sei.
Die Beklagte zu 2) beruft sich gleichfalls auf das am 03.03.2006 herrschende
Schneechaos. Im Übrigen sei sie nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen im
Sinne der EG-VO Nr. 261/2004.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keine Ansprüche auf Zahlung der Entschädigungsleistung nach
EG-VO Nr. 261/2004.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) ist der Anspruch bereits ausgeschlossen, da diese
nicht ausführender Luftfrachtführer ist. Ausführender Luftfrachtführer ist nach Art.
2 lit. b der EG-VO Nr. 261/2004 das Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines
Vertrages mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen natürlichen oder
juristischen Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung
steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt. Durchführendes
Luftfahrtunternehmen war jedoch die Beklagte zu 1), nicht die Beklagte zu 2)
Hinsichtlich der Beklagten zu 1) liegen die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 der
Verordnung vor. Dies Beklagte zu 1) konnte nachweisen, dass die Annullierung des
Fluges LH 470 auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann
nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen
worden wären.
Letztendlich ist die Annullierung auf den extremen Schneefall zurückzuführen. Zu
den Wetterbedingungen im Einzelnen hat die Beklagte zu 1) unter Vorlage von
Presseberichten und des Tagesberichts der Verkehrszentrale substantiiert
vorgetragen, ohne dass die Klägerin diese Fakten im einzelnen bestritten hätte.
Soweit die Klägerin nunmehr argumentiert, dass das Ausgehen der
Enteisungsflüssigkeit ein Organisationsverschulden der Beklagten zu 1) darstelle,
kann dem nicht gefolgt werden. Die Enteisung erfolgte nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Parteien vor der Start- und Landebahn, demnach
mittels Tankwagen. Dass bei der fortlaufenden Enteisung der wartenden Flugzeuge
an einem bestimmten Punkt der Vorrat in diesen Tankwagen sich von Zeit zu Zeit
erschöpft, bedarf keiner näheren Darlegung. Was genau die Beklagte zu 1)
hiergegen hätte unternehmen können, zumal die Enteisung nicht von der
Beklagten zu 1) selbst, sondern von einer vom Flughafenbetreiber vorgegebenen
Firma, nämlich der N
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Ice, durchgeführt wurde, ist nicht ersichtlich. Aus welchen
Gründen gerade der Flug LH 470 hier eine Vorzugsbehandlung hätte erwarten
dürfen bzw. wie die Beklagte zu 1) eine solche hätte durchsetzen können, ist nicht
ersichtlich.
Auch im Nichtvorhandensein einer Ersatzcrew ist kein Organisationsverschulden zu
sehen. Die Beklagte zu 1) hat substantiiert vorgetragen, dass sie Ersatzcrews in
einer bestimmten Anzahl vorhalte, die jedoch wegen der Situation am 03.03.2006
bereits sämtlich im Einsatz gewesen seien. Aufgrund des Tagesberichts der
Verkehrszentrale ist dies unmittelbar nachvollziehbar. Die Stellung einer
Ersatzcrew für jeden einzelnen Flug, selbst beschränkt auf Interkontinentalflüge, ist
denknotwendig ausgeschlossen und obliegt der Beklagten zu 1) nicht.
Auch ein Anspruch auf eine pauschale Zahlung von CAD 100,00 besteht nicht.
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Auch ein Anspruch auf eine pauschale Zahlung von CAD 100,00 besteht nicht.
Hinsichtlich der Beklagten zu 1) ist schon nicht ersichtlich, weshalb sie für eine
Zusage, die von Mitarbeitern der Beklagten zu 2) gemacht wurde, einstehen sollte.
Hinsichtlich der Beklagten zu 2) fehlt es an einem schlüssigen Vortrag, wer genau
wann die entsprechende Zusage machte.
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit wegen
der verspäteten Anlieferung des Gepäcks besteht nicht. Zwischen den Parteien
bestand kein Reisesondern ein Luftbeförderungsvertrag. § 651 f Abs. 2 BGB ist
jedoch mangels planwidriger Regelungslücke auf den Luftbeförderungsvertrag
nicht anwendbar, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Luftbeförderer klar war,
welchem Zweck der Flug dienen sollte. Eine weitere Anspruchsgrundlage ist nicht
ersichtlich.
Auch ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von EUR 150,00 wegen der acht im
Flugzeug verbrachten Wartestunden sowie der im Flughafen verbrachten Nacht
scheidet gleichfalls mangels Anspruchsgrundlage aus. Es soll hier nicht verkannt
werden, dass die Wartezeit für die Klägerin mit Unannehmlichkeiten verbunden
war. Die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB liegen jedoch
ersichtlich nicht vor, da es sich eben gerade nur um Unannehmlichkeiten handelt.
Im Übrigen ist nicht ersichtlich, wieso acht als Wartezeit im Flugzeug verbrachte
Stunden eine größere Unannehmlichkeit bedeuten sollten als acht Flugstunden.
Zur mangelnden Anwendbarkeit des § 651 f Abs. 2 BGB wurde bereits ausgeführt.
Auch über § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 5 Abs. 1 b, 9 Abs. 1 b EG-VO Nr. 261/2005
kann kein Ersatz verlangt werden, da die Klägerin keine tatsächlichen Hotelkosten
hatte.
Auch für die nicht erbrachten Unterstützungsleistungen kann die Klägerin keine
weitergehende Entschädigungsleistung verlangen. Die Beklagte zu 1) hat auf diese
Position EUR 25,00 geleistet und im übrigen substantiiert dazu vorgetragen,
welche Unterstützungsleistungen sie angeboten hat. Nach ihrem eigenen Vortrag
hat die Klägerin Unterstützungsleistungen nur bei der Beklagten zu 2) angefragt,
welche allerdings nicht als die allein verpflichtete ausführende Luftfrachtführerin
anzusehen ist. Zudem hat die Beklagte zu 1) auf diese Position unstreitig bereits
EUR 25,00 geleistet.
Auch ein Anspruch nach Art. 19 MÜ wegen des für drei Tage nicht nutzbaren
Skipasses scheidet aus. Insoweit hat die Klägerin die Frist des Art. 31 Abs. 2 MÜ
zur Anzeige der Schäden versäumt. Die Schadensanzeige hat binnen 21 Tagen,
nachdem das Gepäck zur Verfügung gestellt wurde, schriftlich zu erfolgen. Sie ist
nicht stets automatisch in der Anzeige der Verspätung mitenthalten. Vorliegend
wurde das Gepäck am 07.03.2006 ausgeliefert, die Schadensanzeige datiert
jedoch erst vom 04.05.2006.
Mangels Hauptanspruch hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Verzugszinsen
sowie Ersatz der vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten als Verzugsschaden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.