Urteil des AG Essen vom 17.08.2009

AG Essen (essen, bezeichnung, datum, ermächtigung)

Amtsgericht Essen, 164 IN 119/08
Datum:
27.07.2009
Gericht:
Amtsgericht Essen
Spruchkörper:
Abt. 164
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
164 IN 119/08
Tenor:
Der Antrag der Gläubigerin X1 vom 25.05.2009, einen
Sonderinsolvenzverwalter für die von ihr näher beschriebenen
Aufgabenkreise zu bestellen, wird als unzulässig zurückgewiesen.
Die Erklärung im Schriftsatz vom 07.07.2009, die Antragsbegründung
hilfsweise als Anregung zu verstehen, eine Sonderinsolvenzverwaltung
anzuordnen, ist zwar zulässig, jedoch nicht begründet, weil die
tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten im Verfahren keinen
Anlass geben, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen.
In dieser Sache ist ein Berichtigungsbeschluss vom 17.08.2009 erlassen worden.
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Gründe:
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Nach den Vorstellungen der Gläubigerin soll für die folgenden Aufgabenkreise ein
Sonderinsolvenzverwalter bestellt werden:
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1. Vertretung der Schuldnerin gegenüber der ebenfalls von Herrn Dr. C vertretenden JX
GmbH, Klärung des Cash-Pools, Rückforderung überzahlter Provisionen;
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2. Übernahme des Treuhandkontos bei der ### zu Konto-Nr. ... ;
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3. Prüfung evtl. Schadenersatzansprüche der Insolvenzgläubiger gegen Herrn Dr. C
gem. § 290 InsO.
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Zur näheren Begründung wird ausgeführt, es widerspräche den Interessen der J GmbH
wenn der Insolvenzverwalter gleichzeitig die Interessen der JX GmbH vertrete.
Zwischen der Schuldnerin und der JX GmbH bestehe ein Depotvertrag vom 31.10.2005.
Ausweislich dieses Depotvertrages werde ein Depot seitens der JX GmbH an den von
der Schuldnerin gewünschten Standorten mit den von der Schuldnerin gewünschten
Artikeln, Mengen- und Warenausstellungsmerkmalen eingerichtet. Die Depot-Waren
stünden bis zum Verkauf durch die Schuldnerin im Eigentum des Lieferanten. Die
Schuldnerin verkaufe die Depot-Ware im eigenen Namen und für eigene Rechnung.
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Wesentliche Elemente des Depot-Vertrages seien:
a. Unmittelbar vor dem Abschluss eines Kaufvertrages über die Depot-Ware zwischen
der Schuldnerin und einem Kunden, komme ein Kaufvertrag zwischen der Schuldnerin
und dem Lieferanten zustande;
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b. die Versicherung der Depot-Ware sei gem. § 3 Ziff. 2 des Vertrages von der
Schuldnerin zu übernehmen;
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c. das Vertragsverhältnis sei mit einer Frist von 3 Monaten zum Quartalsende kündbar;
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d. die gesamte Abwicklung, Bestellung und Einlagerung der Waren erfolge
ausschließlich durch die Schuldnerin;
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e. die Schuldnerin leiste eine Provision von 7,5 % auf den Umsatz zu Netto –
Einkaufspreisen, .... .
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Angesichts dieser Umstände, dass nämlich die gesamte Abwicklung der
Warenlieferung, die Abrechnung und die Lagerhaltung und die Versicherung durch die
Schuldnerin selbst erfolgten, sei eine Provision von 7,5 % des Netto-Einkaufspreises
völlig unangemessen. Das einzige Risiko der JX GmbH sei das Risiko der
Inventurdifferenzen gem. § 8 Ziff. 3 des Depot-Vertrages. Die Inventurdifferenzen
betrügen im Durchschnitt 0,68 bzw. 0,62 %. Dies zeige, dass eine Provision von 7,5 %
des Einkaufswertes mehr als das 10–fache des Risikos betrage, das durch die Provision
abgesichert werde.
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Ferner habe zwischen beiden Gesellschaften ein Cash-Pool bestanden; die
Regelungen hierüber seien offensichtlich bislang ungeklärt. Nach den vorliegenden
Informationen sei zu befürchten, dass auch weiterhin dieser Vertrag nicht gekündigt
worden sei, sondern fortbestehe.
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Es hätte pflichtgemäßes Handeln des Insolvenzverwalters entsprochen, als erstes den
Depot-Vertrag zu kündigen. Es hätte dann eine dem Inventurrisiko angemessene
Provision vereinbart werden können oder die Schuldnerin hätte das Inventurrisiko voll
übernommen. Die Provision wäre für die JX GmbH sodann entfallen, weil diese keine
weiteren Leistungen erbracht hätte.
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Im Übrigen seien für die Absicht, das Geschäft der Schuldnerin zusammen mit dem
Geschäft der JX GmbH zu veräußern, ein Interessenwiderstreit festzustellen. Nach den
Mitteilungen des Verwalters solle die Marke der Schuldnerin an den Erwerber für ein
Euro übergehen, für die Betriebs- und Geschäftsausstattung der Schuldnerin ein
Kaufpreis von 1,25 Mio. € bezahlt werden und auf die JX GmbH ein Kaufpreis von
mindestens 12,5 Mio. € entfallen. Die Vorräte würden abzüglich eines Rabatts von 25 %
veräußert, bei einem garantierten Einkaufswert von mindestens 50 Mio. €.
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Zu monieren sei auch das ein Treuhandkonto bei der ### existiere, das für die Ablösung
von Verbindlichkeiten aus Lieferung und Leistung aus der Zeit der vorläufigen
Insolvenzverwaltung genutzt werden solle. Angabegemäß solle auf dem Konto sich ein
Guthaben von ca. 11 Mio. € befinden. Aus dem Gutachten des Verwalters lasse sich
entnehmen, dass dieses Konto ausschließlich für die Schuldnerin geführt werde und der
Verwalter dort Einnahmen der Schuldnerin aus ihrer Geschäftstätigkeit im vorläufigen
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Insolvenzverfahren eingezahlt habe. Mit diesem Konto wolle er jedoch Gläubiger aus
der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung bezahlen, normale Insolvenzgläubiger
also, die offensichtlich Leistungen erbracht hätten, die nicht im Wege von Bargeschäften
vergütet worden seien. Diese Forderungen seien ohne Zweifel sämtlich
Insolvenzforderungen und nicht priorisiert. Indem der Insolvenzverwalter beabsichtige,
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf diese Forderungen Zahlungen zu leisten,
bevorzuge er diese Gläubiger vor anderen Insolvenzgläubigern, insbesondere solche,
die ebenfalls in der Phase der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder davor Leistungen
gleichwelcher Art für die Schuldnerin erbracht hätten, die diese entgegen genommen
habe.
Als schwacher vorläufiger Verwalter in der Eröffnungsphase hätte er entweder sich eine
Einzelermächtigung des Insolvenzgerichts beschaffen müssen oder in den letzten
Tagen vor der Eröffnung sich zum starken Verwalter bestellen lassen müssen.
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Durch die Einrichtung des Treuhandkontos habe der Verwalter jedoch gezeigt, dass er
nach eigenem Gutdünken Gläubiger befriedigen wolle. Das würde andere Gläubiger
unangemessen benachteiligen. Deshalb sei es erforderlich, dass ein unabhängiger
Verwalter diesen Sachverhalt prüfe und sodann dafür Sorge trage, dass Gläubiger der
Schuldnerin nicht benachteiligt würden.
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Letztlich habe das Eröffnungsverfahren ungewöhnlich lange gedauert. Bereits nach drei
Monaten hätte der Verwalter feststellen können, dass die Fortführung des Geschäfts der
Schuldnerin ohne Aussicht auf Erfolg sei. Durch das lange Hinauszögern und unter
Berücksichtigung der Geschäftsanfälle sei daher zu befürchten, dass das Vermögen der
Schuldnerin seit September 2008 beständig abnehme und im Ergebnis für die Gläubiger
keine Zugriffsmasse mehr verbleibe. Dies gelte umso mehr, als das der
Insolvenzverwalter offensichtlich auch die Arbeitsverhältnisse aufrechterhalte, sodass
weiterhin erhebliche Kosten aufliefen.
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Zu den Ausführungen haben der Insolvenzverwalter und die Mitglieder des
Gläubigerausschusses, nämlich die Herren G1, Herr S, Herr W, Herr M1, Herr A, Herr G
und Herr M Stellung genommen.
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Mit Ausnahme der Stellungnahme des Mitgliedes M stimmen in der Tendenz die
Erklärungen der Ausschussmitglieder mit denen des Insolvenzverwalters überein. Um
Wiederholungen insoweit zu vermeiden, wird deshalb überwiegend die Stellungnahme
des Verwalters wiedergegeben.
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Die modifizierten Erläuterungen des Mitgliedes M, der im Übrigen in dem Verfahren JX
GmbH die Auffassung vertritt, diese Gesellschaft werde mit Blick auf den Depot-Vertrag
und die spätere Vereinbarung, insbesondere was die Höhe der Provision angehe,
benachteiligt, werden im Anschluss dargelegt.
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Der Verwalter verweist darauf, dass die Gläubigerin den Depot-Vertrag unvollständig
zitiert habe. Es werde nämlich das Risiko der Inventurdifferenzen, der Abschriften auf
unkurante Ware der saisonalen Abschriften sowie der Differenzen aus Mehr- und
Minderlieferungen abgegolten. Außerdem trage die JX GmbH das gesamte Preis- und
Absatzrisiko hinsichtlich der Waren. Diesen Aspekt lasse die Gläubigerin
unberücksichtigt. Ein solches Risiko realisiere sich zum Beispiel dann, wenn eine Ware
nicht verkauft werde. In diesem Fall müsse die JX GmbH gleichwohl den Kaufpreis
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gegenüber ihrem Lieferanten bezahlen, könne aber keinen Gegenwert von der J GmbH
beanspruchen. Der Depot-Vertrag sei konkret auf Vor- und Nachteile überprüft worden.
Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass eine Beendigung des Vertrages aus
faktischen Gründen nicht möglich gewesen sei. Sämtliche der äußerst zahlreichen
Lieferantenbeziehungen hätten zwischen den Lieferanten und der JX GmbH bestanden.
Hätte man direkte Lieferbeziehungen zwischen den Lieferanten und der Schuldnerin
herstellen wollen, hätten sämtliche Verträge zwischen den Lieferanten und der
Schuldnerin neu verhandelt und abgeschlossen werden müssen. Unabhängig von dem
erheblichen bürokratischen Aufwand hätte dies in Anbetracht der wirtschaftlichen
Situation der Schuldnerin in den allermeisten Fällen zu erheblich verschlechterten
Einkaufsbedingungen geführt bzw. wäre eine Belieferung gänzlich eingestellt worden,
weil die Lieferanten erfahrungsgemäß Zwangslagen ihrer Kunden ausnützen.
Hinzugekommen wäre, dass die Schuldnerin die zuvor beschriebenen Risiken, welche
bislang die JX GmbH trage, selbst hätte übernehmen müssen. Ferner habe der in den J-
Kaufhäusern befindliche Warenbestand im Eigentum der JX GmbH gestanden. Eine
buchhalterisch dringend erforderliche Abgrenzung der bestehenden und der dann durch
die J GmbH erneut zu erwerbenden Ware wäre kaum möglich gewesen. Zudem hätte
die Schuldnerin die vorhandenen, in den Warenhäusern ausliegenden Waren der JX
GmbH ohne einen gültigen Depot-Vertrag über Nacht nicht mehr ihren Kunden anbieten
können und ihren Geschäftsbetrieb insoweit einstellen müssen. Im Ergebnis habe daher
eine extreme Abhängigkeit der Schuldnerin von der JX GmbH bestanden, die allein
über die aktuell vorhandene Ware verfügte und eine weitere Lieferung mit neuer Ware
sicherstellen konnte. Die Fortsetzung des Depot-Vertrages sei für die Schuldnerin von
existenzieller Bedeutung gewesen. Auch die Provision von 7,5 % sei in Anbetracht
dieser Umstände intensiv geprüft worden. Zu berücksichtigen seien gewesen, die zuvor
beschriebenen erheblichen Risiken aus dem Depot-Vertrag. Die in dem Depot-Vertrag
vorgesehene Provision entspreche dabei ungefähr der Größenordnung, in der sich
diese Risiken in der Vergangenheit realisiert hätten. Gerade das sei der Grund, warum
beide Gesellschaften – im Wissen um die Zustimmung ihrer Gesellschafter – die
Provision in dieser Höhe in der Vergangenheit vereinbart hätten. Außerdem sei unter
den besonderen Bedingungen eines Insolvenzverfahrens zu befürchten, dass zum
Beispiel im Rahmen von Kaufhausschließungen Sonderabschreibungen hätten
vorgenommen werden oder aufgrund des erhöhten Warendrucks der Mitbewerber
überdurchschnittlich saisonale Abschriften hätten gegeben werden müssen.
Erfahrungsgemäß erhöhten sich in einer solchen Situation auch die Inventurdifferenzen.
Die Vorteile auf Seiten der Schuldnerin und die insoweit bestehenden "Nachteile" der
JX GmbH seien jedoch auf der anderen Seite wieder auch für die JX GmbH dadurch
ausgeglichen, weil auch die JX GmbH ein Interesse daran gehabt habe, ihren
Warenbestand im gewöhnlichen Geschäftsverkehr der Schuldnerin zu Einkaufspreisen
zzgl. Provision zu verkaufen und nicht auf einen Schlag einer Fremdvermarktung
zuzuführen, was in der Regel zu erheblichen Abschlägen geführt hätte.
Mit dem vorgenannten Fragenkomplex sei auch der vorläufige Gläubigerausschuss
mehrfach befasst worden. Unter damaliger Teilnahme des Rechtsvertreters der
Gläubigerin seien die genannten Sachverhalte im Rahmen zweier Sitzungen
transparent gemacht und die Entscheidungsfindung dargelegt worden. Einwendungen
seien von dem vorläufigen Gläubigerausschuss nicht erhoben worden.
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Das von der Gläubigerin monierte Cash-Pool-System werde nicht praktiziert. Nach
Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter seien sämtliche Zahlungsströme des
schuldnerischen Unternehmens ausschließlich über jeweils eingerichtete Anderkonten
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des vorläufigen Verwalters abgewickelt worden. Dabei seien für die Schuldnerin und für
die JX GmbH selbstverständlich wie aus den Gutachten des Verwalters auch erkennbar
für jede Gesellschaft Konten eingerichtet worden. Die Zahlströme zwischen der
Schuldnerin und der JX GmbH erfolgten seitdem entsprechend dem Depot-Vertrag nach
Rechnungsstellung von Konto zu Konto. Ein wie auch immer geartetes Cash-Pooling
finde nicht statt. Auch den Mitgliedern des Gläubigerausschusses sei dieser Umstand
dargestellt worden. Die aufwendige Aufarbeitung etwaiger gegenseitiger Ansprüche der
beiden Gesellschaften aus der Zeit vor Stellung der Insolvenzanträge dauere derzeit
noch an und werde von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer vollumfänglich überprüft.
Eine entsprechende Anmeldung einer Forderung zur Insolvenztabelle, hier oder dort
werde im Anschluss daran erfolgen und sollte im Rahmen dieser Forderungsprüfung
das Erfordernis einer Bestellung eines Sonderverwalters bestehen, würde der
Insolvenzverwalter dies, wie bereits mit dem Gericht besprochen anzeigen.
Hinsichtlich der Befürchtung der Gläubigerin im Rahmen von Verkaufsverhandlungen
der beiden Gesellschaften könnte die Schuldnerin benachteiligt werden, weist der
Verwalter u.a. insbesondere darauf hin, dass die zuständigen Gläubigergremien darüber
zu entscheiden hätten. Der Verwalter könne insoweit nicht alleine beschließen. Von
daher sei ein Interessenkonflikt im Ergebnis nicht ersichtlich. Zu dem von der
Gläubigerin problematisierten Treuhandkonto führt der Insolvenzverwalter aus, dass im
Rahmen der Fortführung des Geschäftsbetriebes der Schuldnerin während der Dauer
der vorläufigen Insolvenz mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters Verbindlichkeiten
begründet worden seien, die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Verfahrens noch nicht
vollständig bestimmend- und abrechenbar gewesen seien. Beispielhaft seien hier die
Abrechnungen der erheblichen Anzahl von Versorgungsunternehmen (Strom, Gas,
Wasser) und Telekommunikationsanbieter zu nennen. Diese erstellten ihre
Abrechnungen und Rechnungen regelmäßig erst nach dem jeweiligen
Leistungszeitraum, vertrauten aber darauf, dass ihre Lieferungen und Leistungen aus
der Zeit vor der Eröffnung des Verfahrens auch dann noch bezahlt würden. Aus diesem
Grunde sei, wie in Insolvenzeröffnungsverfahren üblich, ein Treuhandkonto bei der ###
eingerichtet worden, von dem entsprechende Verbindlichkeiten nach Eröffnung des
Verfahrens beglichen werden konnten.
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Von dem Konto würden lediglich Forderungen berichtigt, die mit Zustimmung und unter
Zusage durch den vorläufigen Verwalter begründet worden seien, weil sie zur
Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes während des Eröffnungsverfahrens
erforderlich und rechtlich zulässig gewesen seien. Eine Ungleichbehandlung oder
Benachteiligung von Gläubigern finde dadurch nicht statt. Die Gläubiger, die eine
Zusage erhalten hätten, würden sämtlich gleich behandelt. Die von der Gläubigerin
aufgezeigten anderen Varianten seien letztlich nicht zweckmäßig oder durchführbar
gewesen. Eine Bestellung des vorläufigen Verwalters zum starken Verwalter sei im
Hinblick darauf, dass die Geschäftsführung der Schuldnerin ausgesprochen
vertrauensvoll mitgearbeitet habe, nicht verhältnismäßig gewesen.
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Der Weg, Einzelermächtigungen bei dem Insolvenzgericht zu beantragen, sei in diesem
Großverfahren von vornherein verbaut gewesen. Angesichts tausender nach
Verfahrenseröffnung noch auszuführender Zahlungen sei diese Möglichkeit in Praxis
nicht durchführbar gewesen.
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Letztlich ergebe sich wirtschaftlich für die Gläubiger hinsichtlich der verschiedenen
Varianten kein Unterschied. In jeder Variante – ob Treuhand, Einzelermächtigung oder
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starke vorläufige Verwaltung – würden die Zahlungen an die Lieferanten und
Dienstleister erfolgen. Die betreffenden Mittel stünden den Insolvenzgläubigern so oder
so im Rahmen einer Quotenauszahlung auf ihrer Insolvenzforderungen zur Verfügung.
Auch dieser Sachverhalt sei Gegenstand der Sitzungen des vorläufigen
Gläubigerausschusses insbesondere am 07.04.2009 gewesen. Das Treuhandkonto
werde im Übrigen nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung
gegenüber dem Insolvenzgericht abgerechnet. Ein Sonderinsolvenzverwalter sei hierzu
ebenfalls nicht erforderlich.
Insgesamt ließen die Ausführungen der Gläubigerin eine sachliche Auseinandersetzung
mit den aufgeworfenen Fragen im Insolvenzverfahren vermissen, obwohl dem
Verfahrensbevollmächtigten der Gläubigerin als Mitglied des vorläufigen
Gläubigerausschusses die erforderlichen Informationen vorliegen würden. Die von ihm
dargelegten Interessenkonflikte bestünden bei sachlicher Betrachtung nicht. Zudem sei
der Gläubigerausschuss der Schuldnerin eng in alle entscheidenden Fragen
eingebunden und wache insoweit zusätzlich über die Interessen der Gesamtgläubiger
der Schuldnerin.
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Das Gläubigerausschussmitglied M nimmt im Schriftsatz vom 21.07.2009 ebenfalls
Stellung und ist im Ergebnis der Auffassung der Gläubigerin, dass ein
Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen sei. Er verweist zunächst darauf, dass im
Hinblick auf die Doppelbestellung für beide Gesellschaften der Interessenkonflikt vom
Gericht und auch vom zukünftigen Verwalter als nicht entscheidend angesehen worden
sei. Hiergegen sei auch zunächst nichts zu beanstanden gewesen.
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Er verweist sodann jedoch auf die Stellungnahme des Verwalters zu den Überlegungen,
aus welchen Gründen die Provision von 7,5 % unbeanstandet geblieben worden sei,
und dass gerade darin deutlich ein erheblicher Interessenkonflikt sichtbar geworden sei.
Der Insolvenzverwalter habe nach seinen eigenen Angaben die Möglichkeit für eine
Nachverhandlung des Depotvertrages zu Gunsten der JX GmbH erkannt. Der Verwalter
habe es unterlassen, diesen Interessenkonflikt dem Gericht anzuzeigen.
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Die vom Verwalter in dieser Stellungnahme angeführten weiteren Argumente zu
Gunsten der JX GmbH werden von Herrn M nicht erwähnt. Vielmehr nimmt Herr M
sodann Bezug auf die Verwertungsvereinbarung im Juni 2009, die zu einer Aufhebung
des Depot-Vertrages geführt hat.
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- Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Herr M in dem Insolvenzverfahren der JX GmbH
den Antrag gestellt hat, einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen, weil er dort die
Auffassung vertritt, die JX GmbH sei Aufgrund dieser Vereinbarung schlechter gestellt
worden.
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Hinsichtlich des Treuhandkontos wird von Herrn M auf die nicht eindeutige
Rechtsprechung hingewiesen. Er schlägt vor, das Gericht solle anordnen, die
verbliebenen Treuhandgelder vorerst nicht an die Gläubiger auszuzahlen, sondern bis
zur endgültigen Klärung der Rechtsfragen auf einem verzinsten Anderkonto zu
belassen. Dies dürfte auch im Sinne des Insolvenzverwalters sein.
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Hinsichtlich evtl. Schadenersatzansprüche wegen der Dauer des vorläufigen
Insolvenzverfahrens ist Herr M der Auffassung, das insoweit die Gläubigerin auf die
Rechte nach § 75 InsO bzw. auf die individuelle Geltendmachung von
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Schadensersatzansprüchen als Einzelschaden zu verweisen sei.
Auf die Stellungnahmen des Verwalters und der Gläubigerausschussmitglieder, mit
Ausnahme der Stellungnahme des Mitglieds M, ist die Gläubigerin mit Schriftsatz vom
23.07.2009 nochmals eingegangen. Sie verbleibt bei ihren Ausführungen, insbesondere
zum Depot-Vertrag und zum Treuhandkonto. Ferner verweist sie auf die nach ihrer
Auffassung nachteiligen Umstände bei dem aktuellen Auszug der Verwaltungszentral
von F nach H.
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Eine rechtzeitige Verständigung mit der Grundstückseigentümerin sei möglich gewesen.
Nunmehr müsste eine Schadensersatzklage erhoben werden im Hinblick auf die durch
den Umzug verursachten Schäden. Außerdem seien im Rahmen der Schließung der
Filialen Vandalismusschäden entstanden, die nun in naher Zukunft geltend gemacht
würden.
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Der von der Gläubigerin gestellte Antrag auf Bestellung eines
Sonderinsolvenzverwalters war als unzulässig zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 05.02.2009 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass dem
einzelnen Insolvenzgläubiger des Gemeinschuldners kein Recht zusteht, einen Antrag
auf Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters durch das Insolvenzgericht zu stellen,
BGH, NZI 2009, 238f. Ein Antragsrecht des einzelnen Insolvenzgläubigers besteht nach
dieser Entscheidung selbst dann nicht, wenn es um die Prüfung und Durchsetzung
eines Anspruchs auf Ersatz eines Gesamtschadens zu Gunsten der Insolvenzmasse
geht. Dem einzelnen Insolvenzgläubiger sei zuzumuten, die Aufhebung des
Insolvenzverfahrens abzuwarten, um danach selbst Ansprüche gegen den früheren
Verwalter geltend zu machen.
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Der Gläubigerin verbleibt unabhängig von der vorliegenden Entscheidung jedoch
weiterhin die Möglichkeit über den Gläubigerausschuss Maßnahmen zu initiieren, von
denen sie meint, dass diese gerechtfertigt seien.
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Andererseits besteht für das Insolvenzgericht die Aufsichtspflicht gem. § 58 InsO,
sodass Informationen von Gläubigern oder Anregungen aus diesem Kreis zu
berücksichtigen sind und – falls notwendig – zu entsprechenden Maßnahmen zu führen
haben. Dabei ist im jeweiligen Einzelfall zu berücksichtigen, ob ein Gläubigerausschuss
bestellt ist oder nicht. Der Umfang der Aufsichtspflicht des Gerichts wird bei dieser
Sachlage kontrovers diskutiert.
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Jedenfalls führt die Bestellung nicht zu der Konsequenz, dass die Aufsichtspflicht des
Insolvenzgerichts dadurch aufgehoben wird. Regelmäßig reduziert sie sich in den
Fällen auf die Frage, ob der Gläubigerausschuss Maßnahmen des Verwalters gebilligt
hat oder nicht. Dies trifft vor allem für solche Handlungen des Verwalters zu, deren
Rechtmäßigkeit allenfalls unter dem Aspekt der Insolvenzzweckwidrigkeit in Frage
steht. Hier muss sich das Insolvenzgericht vielfach auf die im Einzelfall größere
Sachkunde des Gläubigerausschusses verlassen können. Auch in möglichen anderen
Fällen ist es durchaus sachgemäß, wenn das Insolvenzgericht sich in gewissem
Umfang auf die Arbeit des Gläubigerausschusses verlässt, der regelmäßig kompetenter
– da sachnäher – als das Gericht die Arbeit des Verwalters begleitet,
Kübler/Prütting/Borg, Kommentar zur InsO, § 58 Rdnr. 8 (Lüke).
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Es stellt sich demzufolge die Frage, ob die von der Gläubigerin vorgetragenen
Umstände diesen "gewissen Umfang" überschreiten. Nach den Ausführungen des
Insolvenzverwalters und der überwiegenden Zahl der Gläubigerausschussmitglieder
sowie nach den Reaktionen/Abstimmungen in den Gläubigerausschuss-
Versammlungen ist dies nicht der Fall.
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Die Ausführungen des Verwalters zur Übernahme des bei der Insolvenzeröffnung
bestehenden Depot-Vertrages sind nachvollziehbar und im Vergleich zu den
Erläuterungen der Gläubigerin allenfalls zu der Feststellung geeignet, dass es
unterschiedlicher Auffassung gibt zur Verhältnismäßigkeit. Der Gläubigerausschuss
jedenfalls hat insoweit keine Bedenken erhoben. Offenbar waren die Argumente des
Verwalters in den Berichten und in den Versammlungen überzeugend.
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Jedenfalls besteht insoweit keine Veranlassung, über diesen Rahmen hinaus die
Prüfung durch einen Sonderinsolvenzverwalter zu veranlassen. Zu monieren wäre
allenfalls die Vertragsübernahme nur dann, wenn – wie die Gläubigerin meint – der
Geschäftsbetrieb innerhalb kürzester Zeit, maximal nach drei Monaten, hätte eingestellt
werden müssen. Insoweit verkennt die Gläubigerin die Zielsetzung der
Insolvenzordnung, die gerade die Unzuträglichkeiten der alten Konkursordnung, die
nämlich in erster Linie die Zerschlagung der Unternehmen vorsah, beheben sollte.
Hierzu ist auf den Beschlussinhalt über die vorläufige Insolvenzverwalterbestellung
hinzuweisen, in der ausdrücklich dem vorläufigen Verwalter aufgegeben wird, die
Fortführung des Betriebes zu prüfen. Insoweit wäre es nach dem bislang Vorgetragenen
kontraproduktiv gewesen, den Depot-Vertrag aufzuheben, weil er seine aktuelle
Berechtigung hatte.
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Offenbar besteht ein Missverständnis bei der Gläubigerin und bei dem
Gläubigerausschussmitglied M über die Umstände der Aufhebung des Depot-Vertrages.
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Der Depot-Vertrag sieht vor, dass 7,5 % auf den Einkaufspreis (EP) gezahlt wird. Im
Augenblick der Schließung der 19 Filialen im Vorfeld der Gläubigerversammlung und
nach der Beschlussfassung über die Stilllegung in der Gläubigerversammlung musste
im Hinblick auf die damit verbundenen Maßnahmen, nämlich nunmehr
Räumungsverkäufe, Schlussverkäufe, etc., einzuleiten, eine Änderung erfolgen. Es lag
auf der Hand, dass im Rahmen dieser Abwicklung die Einheitspreise regelmäßig nicht
zu halten waren. Die Schuldnerin hätte somit ohne Änderung dieser Vereinbarung 7,5 %
auf einen Einheitspreis zu zahlen gehabt, der im Rahmen des Schlussverkaufes nicht
mehr zu erzielen gewesen wäre. Aus diesem Grunde war der Depot-Vertrag aufzuheben
und nunmehr eine neue Vereinbarung zu treffen, die wiederum die Vor- und Nachteile
der jeweiligen Gesellschaften abzuwägen hatte. Nach den Berichten des Verwalters ist
für die Schuldnerin vorteilhaft, dass sie noch Waren im Rahmen des Schlussverkaufes
anbieten kann, die zur Vermehrung der Masse führen. Auf der anderen Seite vorteilhaft
für JX GmbH ist, dass die Waren noch von der Schuldnerin angenommen werden, denn
anderenfalls hätte JX GmbH sehen müssen, die Waren an Dritte zu veräußern, was
regelmäßig zu erheblichen Abschlägen führt.
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Im Ergebnis ist daher nach den bisherigen Erkenntnissen die "Phase des Depot-
Vertrages" und die nun geltende "Phase der neuen Liefervereinbarung", die nach dem
eigenen Vortrag der Gläubigerin auch in deren Interesse liegen müsste, nicht zu
beanstanden.
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Gleiches gilt für die Nutzung des Treuhandkontos.
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Die Argumentation der Gläubigerin, das Insolvenzgericht sei gehalten, nunmehr zu
entscheiden, ob dieser rechtswidrige Zustand aufrechterhalten bleibe oder nicht, ist
nicht nachvollziehbar. Überlegungen zum Rechtsmissbrauch, unzulässiger
Rechtsausübung und zu den Grenzen von Rechtsvorschriften sind unter
Berücksichtigung des Einzelfalles nicht getrennt für jede Vorschrift vorzunehmen,
sondern sind im Kontext zu lesen und zu bewerten. Oben wurde bereits darauf
hingewiesen, dass im Gegensatz zur ehemaligen Konkursordnung die neue
Insolvenzordnung in erster Linie eine flexible Handhabung vorsieht, und insbesondere
es ermöglicht, Unternehmen fortführen zu können. Hierzu sind die Voraussetzungen zu
schaffen und sinnvoll einzusetzen. Aus diesem Grunde ist nicht zu erkennen, aus
welchen Gründen die Einzelermächtigungen durch das Gericht für Verbindlichkeiten
gegenüber Versorgungsunternehmen die Gläubigergemeinschaft besser gestellt hätten.
Der Zeitaufwand für jeden Bereich wäre bei diesem Großverfahren enorm gewesen und
hätte zu keinem wirtschaftlichen Vorteil geführt. Jedenfalls ist nicht erkennbar, zumal
das Insolvenzgericht die Abwicklung des Treuhandkontos überprüfen wird, warum für
diesen Komplex ein Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen sein soll, zumal der
Gläubigerausschuss gegen diese Vorgehensweise keine Bedenken erhoben hat.
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Auch die Cash-Pool-Vereinbarung zwischen den beiden Gesellschaften gibt keine
Veranlassung zu einer Maßnahme, da nach den Erläuterungen des Verwalters bereits
im Eröffnungsverfahren die Cash-Poll-Abrechnung sofort eingestellt worden ist. Seitdem
existieren zwei getrennte Konten.
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Schadensersatzansprüche, die eine Gläubigerin meint geltend machen zu können, sind
auch nicht geeignet, gleich einen Sonderinsolvenzverwalter zu bestellen. Dies gilt
insbesondere für den von der Gläubigerin geltend gemachten Komplex. Ob ein
Insolvenzverfahren zu einem frühen oder späteren Zeitpunkt eröffnet werden kann, ob
Häuser zu schließen sind, ob Arbeitnehmer früh oder spät in die Arbeitslosigkeit zu
entlassen sind und ob der Warenabsatz forciert unter Berücksichtigung der saisonalen
Unterschiedlichkeiten erfolgen soll, sind Entscheidungen im Einzelfall. Nach den
Intentionen der Insolvenzordnung, nämlich eine Fortführung des Unternehmens zu
gewährleisten, sind auch in der Rückschau und unter Berücksichtigung der derzeitigen
Umstände, die einen erfolgreichen Räumungsverkauf erkennen lassen, die bisherigen
Entscheidungen zutreffend.
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Die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters ist von daher schon ausgeschlossen.
Die Bestellung kann auch nicht dazu dienen, vorgebliche Ansprüche von Gläubigern
quasi zu legitimieren, um damit konkretes Verhalten in den verschiedenen
Verfahrensabschnitten zu rechtfertigen. Es bleibt insoweit dem jeweiligen Gläubiger
überlassen, ob er die von ihm für zutreffend gehaltenen Reaktionen im Rahmen von
Klageansprüchen in späteren Zivilverfahren geltend machen möchte oder nicht.
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Jedenfalls sind zusammengefasst keine Anhaltspunkte ersichtlich, die die Bestellung
eines Sonderinsolvenzverwalters rechtfertigen könnten. Auch die im Rahmen der
Filialräumungen und des Umzuges der Hauptverwaltung nach H aus der Sicht der
Gläubigerin entstandenen Schäden ergeben keinen Anlass, die Angelegenheit anders
zu bewerten. Es handelt es sich – sollte es soweit kommen – um den "üblichen Streit"
zwischen Vermieter und Mieter über die korrekte Vertragsauflösung.
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