Urteil des AG Duisburg vom 13.01.2010

AG Duisburg (ordre public, öffentliches register, grundbuchamt, eintragung, besondere zuständigkeit, antrag, grundbuch, zustimmung, eröffnung, prüfung)

Amtsgericht Duisburg, 62 IE 1/10
Datum:
13.01.2010
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
62. Abteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
62 IE 1/10
Normen:
EuInsVO Art. 22, EGInsO Art. 102 § 6, InsO § 346
Leitsätze:
Die Regelungen des Art. 102 § 6 EGInsO und des § 346 InsO über die
abgespaltene verbindliche Prüfungszuständigkeit des Insolvenzgerichts
bei Anträgen auf Eintragung des Insolvenzvermerks über ein
ausländisches Insolvenzverfahren in ein deutsches Grundbuch sind
nicht auf andere Fälle analog anzuwenden, in denen das Grundbuchamt
anlässlich einer einzelnen Entscheidung vor der Frage steht, welche
Rechtswirkungen die Eröffnung eines bestimmten ausländischen
Insolvenzverfahrens hat und in welchem Umfang die Wirkungen im
Inland anzuerkennen sind.
Die Eintragung des Insolvenzvermerks ist nicht Voraussetzung für die
Anerkennugn der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters im
deutschen Grundbuchverfahren.
Tenor:
In der Grundbuchsache betreffend den beim Amtsgericht Duisburg-
Hamborn im Grundbuch von eingetragenen Grundbesitz:
Beteiligte zu 1 - 3
hat das Amtsgericht Duisburg als Insolvenzgericht beschlossen:
Aufgrund der Vorlage des Amtsgerichts Duisburg-Hamborn
(Grundbuchamt) vom 04.01.2010 ergeht kein Eintragungsersuchen des
Amtsgerichts Duisburg (Insolvenzgericht).
G r ü n d e
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I.
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Beim Amtsgericht Duisburg-Hamborn ist im Grundbuch von Hamborn auf Blatt XXX in
Abteilung III unter Nr. 1 eine Grundschuld zugunsten der H B.V. mit Sitz in Maastricht,
Niederlande, eingetragen. Mit Entscheidung vom 12. 5. 2009 hat die Rechtbank
Maastricht diese Gesellschaft für im Zustand des Faillissements erklärt ("verklaart … in
staat van faillissement") und den niederländischen Rechtsanwalt B zum Curator bestellt.
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Am 9. 12. 2009 ist beim Grundbuchamt der Antrag des Notars Dr. F eingegangen, diese
Grundschuld zu löschen. Dem Antrag ist eine notariell beglaubigte Erklärung beigefügt,
mit der Rechtsanwalt B "als Insolvenzverwalter über das Vermögen der H B.V." die
Löschung bewilligt. Das Grundbuchamt hat den Antrag mit der Bitte um Prüfung und ggf.
weitere Veranlassung gemäß Art. 102 § 6 EGInsO dem Amtsgericht Duisburg als
Insolvenzgericht vorgelegt.
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II.
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Die Vorlage ist nicht als Weiterleitung eines Eintragungsantrags nach Art. 102 § 6
Abs. 1, 3 EGInsO, Art. 22 EuInsVO zu behandeln. Das Amtsgericht Duisburg als
Insolvenzgericht ist für die Entscheidung über insolvenzrechtliche Vorfragen im
Zusammenhang mit dem Löschungsantrag des Notars Dr. F vom 7. 12. 2009 nicht
zuständig. Das Insolvenzgericht kann dem Grundbuchamt nur seine nicht bindende
Rechtsauffassung mitteilen.
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1. Ist im Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 (im Folgenden: EuInsVO)
ein anerkennungsfähiges Hauptinsolvenzverfahren, d.h. ein Insolvenzverfahren über
das gesamte Vermögen eines Schuldners im Sinne von Art. 3 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1, Art. 2
lit. a), Art. 27 EuInsVO, eröffnet worden und gehören zur Insolvenzmasse Rechte an
Grundstücken, so ist auf Antrag des Insolvenzverwalters die Verfahrenseröffnung in den
übrigen EU-Mitgliedsstaaten in das Grundbuch einzutragen (Art. 22 EuInsVO). Nach
den deutschen Ausführungsbestimmungen zu dieser Vorschrift (Art. 102 § 6 Abs. 1, § 1
Abs. 3 EGInsO) und dem deutschen autonomen Internationalen Insolvenzrecht
(§§ 343 ff., 346 InsO) ist ein solcher Antrag des ausländischen Insolvenzverwalters an
das Insolvenzgericht zu richten, in dessen Bezirk das inländische Grundvermögen des
Schuldners liegt. Das Grundbuchamt trägt den Insolvenzvermerk nur auf Ersuchen des
Insolvenzgerichts ein. Die gesamte Prüfung der kollisions- und insolvenzrechtlichen
Voraussetzungen des beantragten Insolvenzvermerks, insbesondere der rechtlichen
Einordnung (Qualifikation) und Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Verfahrens
sowie seiner Auswirkungen auf die Verfügungsbefugnis des Schuldners obliegt allein
dem Insolvenzgericht. Seine rechtliche Beurteilung ist für das Grundbuchamt bindend.
Diese Regelungen, die dem Insolvenzgericht abgespaltene Teilfunktionen des
Grundbuchamts zuweisen (vgl. MünchKomm-InsO/Schmahl, 2. Aufl. 2007, §§ 32, 33
RdNr. 46, § 31 RdNr. 55), beruhen auf der Überlegung, dass sich bei den
Insolvenzgerichten im Laufe der Zeit ein gewisser Sachverstand über
grenzüberschreitende Insolvenzverfahren bildet und sie deshalb in besonderer Weise
geeignet sind, die Voraussetzungen für die Eintragung des Insolvenzvermerks zu
überprüfen (vgl. Begr. RegE des Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen
Insolvenzrechts, 2002, zu Art. 102 § 5 EGInsO, BT-Drucks. 15/16, S. 15 f.). Die
Zuständigkeitskonzentration soll die Grundbuchämter entlasten und einander
widersprechende Entscheidungen verschiedener Gerichte über die Anerkennung
desselben ausländischen Verfahrens vermeiden (Begr. RegE zu Art. 102 § 6 EGInsO
und § 346 InsO, BT-Drucks. 15/16, S. 16, 22).
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2. Der vorgelegte Löschungsantrag vom 9. 12. 2009 enthält keinen ausdrücklichen
Antrag des niederländischen Curators, vor der Löschung der Grundschuld noch die
Eröffnung eines niederländischen Insolvenzverfahrens über das Vermögen der
Grundschuldgläubigerin in das Grundbuch einzutragen. Der Antrag kann auch nicht so
ausgelegt werden. Dem ausländischen Insolvenzverwalter ist es nämlich durch Art. 22
Abs. 1 EuInsVO nicht verwehrt, nach pflichtgemäßem Ermessen von einem Antrag auf
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Eintragung des allgemeinen Insolvenzvermerks abzusehen (vgl. BT-Drucks. 15/16
S. 16) und sich stattdessen anlässlich einer Verfügung über ein bestimmtes
eingetragenes Recht auf seine Stellung als Insolvenzverwalter zu berufen. Sollte das
niederländische Recht eine entsprechende Pflicht des Verwalters vorsehen (vgl. Art. 22
Abs. 2 EuInsVO), so hätte dies allenfalls haftungsrechtliche Konsequenzen für den
Verwalter.
3. Die Regelungen des Art. 102 § 6 EGInsO und des § 346 InsO über die verbindliche
Prüfungszuständigkeit des Insolvenzgerichts sind auch nicht über ihren unmittelbaren
Anwendungsbereich hinaus auf andere Fälle analog anzuwenden, in denen das
Grundbuchamt, wie hier, anlässlich einer einzelnen Entscheidung vor der Frage steht,
welche Rechtswirkungen die Eröffnung eines bestimmten ausländischen
Insolvenzverfahrens hat und in welchem Umfang die Wirkungen im Inland
anzuerkennen sind. Es fehlt an der für eine Analogie erforderlichen planwidrigen
Regelungslücke.
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Wie bereits erwähnt, begründen Art. 102 § 6 EGInsO und § 346 InsO eine abgespaltene
sachliche Teilzuständigkeit des Insolvenzgerichts anstelle des Grundbuchamts.
Entsprechendes gilt für die Einschaltung des Insolvenzgerichts bei der Eintragung des
Insolvenzvermerks in das Handelsregister oder ein anderes öffentliches Register. In
beiden Fällen handelt es sich um Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz, dass
die Gerichte bei der Rechtsanwendung auch entscheidungserhebliche rechtliche
Vorfragen in eigener Zuständigkeit zu prüfen und zu beurteilen haben, sofern nicht
gesetzlich etwas anderes vorgeschrieben oder zugelassen ist. Gesetzliche Ausnahmen
sind in aller Regel eng auszulegen. Zwar mag es erwägenswert sein, in
Grundbuchverfahren die besondere Sachkunde der Insolvenzgerichte über
grenzüberschreitende Insolvenzverfahren nicht nur bei der Eintragung von
Insolvenzvermerken, sondern auch im Zusammenhang mit anderen Eintragungen zu
nutzen. Das Fehlen einer solchen Regelung bedeutet jedoch noch keine Lücke im
Gesetz. Die rechtlichen Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens mit
grenzüberschreitendem Geltungsanspruch sind sowohl nach dem europäischen als
auch nach dem deutschem internationalen Insolvenzrecht im Inland ohne irgendwelche
weiteren Förmlichkeiten, insbesondere ohne ein zentralisiertes gerichtliches
Exequaturverfahren, anzuerkennen, sofern sie nicht dem Ordre public widersprechen
(Art. 16, 17, 26 EuInsVO, § 343 InsO). Daraus folgt, dass grundsätzlich jedes Gericht im
Einzelfall in eigener Zuständigkeit die Anerkennungsvoraussetzungen zu prüfen und zu
beurteilen hat. Die Zuständigkeitsbündelung beim Insolvenzgericht nach Art. 102 § 6
EGInsO, § 346 InsO ist auf Vorgänge beschränkt, die, abstrakt gesehen, über einen
einzelnen Anwendungsfall hinausgehen und sich an eine größere Öffentlichkeit
wenden. Dies ist bei der Eintragung des Insolvenzvermerks in das Grundbuch ebenso
der Fall wie bei der Anordnung der öffentlichen Bekanntmachung des
Eröffnungsbeschlusses (Art. 102 § 5 EGInsO, § 345 InsO) und bei der Anordnung einer
entsprechenden Eintragung in das Handelsregister oder ein vergleichbares sonstiges
öffentliches Register. Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, dass das Gesetz nur in
diesen Fällen eine konzentrierte besondere Zuständigkeit des Insolvenzgerichts
vorsieht.
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4. In der Sache selbst ist auf die Vorlage des Grundbuchamts demnach ohne
Bindungswirkung mitzuteilen: Bei der Bearbeitung des Löschungsantrags des Notars
Dr. F vom 7. 12. 2009 ist davon auszugehen, dass Herr B als Curator der H B.V.
grundsätzlich einzeln befugt ist, für die H B.V. die Löschungsbewilligung zu erklären. Es
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bleibt jedoch noch zu prüfen, ob in Deutschland bereits ein auf das inländische
Vermögen der H B.V. beschränktes Insolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO
eröffnet ist und, wenn dies nicht der Fall ist, ob die Löschungsbewilligung im
Außenverhältnis der Zustimmung des beauftragten niederländischen Konkursrichters
bedarf.
a) Die Rechtbank Maastricht hat mit der Entscheidung vom 12. 5. 2009, in der sie die H
B.V für im Zustand des Faillissements (d.h. des Konkurses oder der Insolvenz) erklärt
hat, über das Gesellschaftsvermögen ein Insolvenzverfahren nach niederländischem
Recht eröffnet, das die Liquidation des gesamten schuldnerischen Vermögens und die
anteilige Befriedigung der Gläubiger bezweckt (vgl. MünchKomm-InsO/Huisman, 2. Aufl.
2007, Bd. 3, S. 1501 ff., Länderbericht Niederlande, RdNr. 11). Dieses Verfahren ist ein
Hauptinsolvenzverfahren im Sinne des Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (vgl. Art. 2 lit.
a), Anhang A EuInsVO). Ein offensichtlicher Verstoß gegen den Ordre public (Art. 26
EuInsVO) ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Verfahrenseröffnung und die
daran nach niederländischem Recht geknüpften Wirkungen werden deshalb in
Deutschland auch bezüglich des inländischen Vermögens der Insolvenzschuldnerin in
vollem Umfang anerkannt, sofern in Deutschland noch kein auf das inländische
Vermögen beschränktes Insolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eröffnet ist. (Art.
16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 EuInsVO). Die letztgenannte Bedingung wird der Curator dem
Grundbuchamt noch zu bestätigen haben.
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b) Die Stellung des von der Rechtbank bestellten Curators entspricht im Prinzip
derjenigen des deutschen Insolvenzverwalters (vgl. Art. 2 lit. b), Anhang C EuInsVO; Art.
68 ff. des niederländischen Faillissementswet [Fw]; im Internet abrufbar unter:
http://wetten.overheid.nl/BWBR0001860/geldigheidsdatum_13-01-2010). Mit der
Eröffnung des Faillissementsverfahrens verliert der Schuldner nach niederländischem
Recht die Befugnis, sein Vermögen einschließlich des Neuerwerbs zu verwalten und
darüber zu verfügen (Art. 20, 23 Fw). Diese Befugnisse gehen auf den Curator über (Art.
68 Abs. 1 Fw), so dass er einzeln befugt ist, anstelle des Schuldners
vermögensbezogene Rechtshandlungen vorzunehmen. In bestimmten Fällen benötigt
er allerdings die Zustimmung des bei Verfahrenseröffnung beauftragten Konkursrichters
(rechter-commissaris, vgl. Art. 68 Abs. 2, Art. 64 ff. Fw). Ob nach niederländischem
Recht die Verfügung des Curators über ein Grundpfandrecht einer solchen Zustimmung
bedarf und ob sie im Außenverhältnis nur wirksam ist, wenn die Zustimmung vorliegt,
müsste vom Grundbuchamt noch geklärt werden; dabei wird auch eine Vorlage an den
Richter nach § 5 Abs. 2 RPflG in Betracht kommen. Dem Curator obliegt es, das
Grundbuchamt bei der weiteren Prüfung durch Vorlage einer Übersetzung der
maßgebenden niederländischen Rechtsvorschriften und eventueller Kommentierungen
zu unterstützen.
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Duisburg, 13.01.2010
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Amtsgericht
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