Urteil des AG Duisburg vom 23.04.2009

AG Duisburg: restschuld, verfahrenskosten, stundung, zahlungsunfähigkeit, rechtskraft, abweisung, rechtsschutzinteresse, insolvenz, verschulden, akte

Amtsgericht Duisburg, 65 IK 35/08
Datum:
23.04.2009
Gericht:
Amtsgericht Duisburg
Spruchkörper:
65. Abteilung des Amtsgerichts
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
65 IK 35/08
Tenor:
1. Der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung wird
zurückgewiesen.
2. Der Antrag des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten wird
zurückgewiesen.
3. Der Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens
über sein Vermögen wird mangels Masse abgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens trägt der Schuldner.
5. Gegenstandswert (§ 58 Abs. 2 GKG 2004): 100,00 EUR.
G r ü n d e
1
I.
2
Der 1971 geborene Schuldner ist verheiratet, hat drei minderjährige Kinder und bezieht
als arbeitsloser ehemaliger Staplerfahrer monatliche Sozialleistungen in Höhe von ca.
1.983 EUR.
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Im Dezember 2006 beantragte der Schuldner zum ersten Mal die Eröffnung des
Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie Restschuld-befreiung und
Stundung der Verfahrenskosten (Verfahren AG Duisburg 62 IK 551/06). Er gab
Verbindlichkeiten gegenüber zwei Gläubigern in Höhe von insgesamt ca. 17.703,87
EUR an. Die Ermittlungen ergaben, dass der Schuldner in seinen Antragsunterlagen
vorsätzlich unvollständige Angaben gemacht hatte. Er hatte im Vermögensverzeichnis
sein Moped (Schätzwert 300 EUR) und im Gläubiger- und Forderungsverzeichnis die
Gläubigerin S-Bank, bei der er zur Finanzierung des Mopeds einen Kredit
aufgenommen hatte, nicht aufgeführt. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 07.01.2008
lehnte das Gericht den Stundungsantrag des Schuldners ab, weil offensichtlich ein
Grund zur Versagung der Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO vorliege,
und wies den Eröffnungsantrag mangels kostendeckender Masse ab (Akte 62 IK 551/06,
Bl. 63).
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Am 05.12.2008 hat der Schuldner erneut die Eröffnung des Verbraucher-
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insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie Restschuldbefreiung und Stundung der
Verfahrenskosten beantragt (Verfahren AG Duisburg 65 IK 35/08). In den neuen
Antragsunterlagen führt er fünf Gläubiger mit Forderungen von insgesamt 21.477,31
EUR auf (Bl. 31 der Akte). Die Forderungen der drei erstmals angegebenen Gläubiger
betragen insgesamt 1.405,60 EUR; darunter befindet sich die Gerichtskasse mit einem
Betrag von 837,71 EUR wegen der Kosten des Verfahrens 62 IK 551/06.
Die Einzelheiten zu den Forderungen ergeben sich aus folgender Tabelle:
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Gläubiger
62 IK 551/06
Forderungsverzeichnis
65 IK 35/08
Forderungsverzeichnis
D Bank
14.707,18
16.589,42
G Bank
2.996,69
3.482,29
S Bank
252,18
Gerichtskasse
837,71
Z
315,71
Summe
(EUR)
17.703,87
21.477,31
7
II.
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A. Der Antrag auf Restschuldbefreiung ist unzulässig. Das Recht des Schuldners, einen
solchen Antrag zu stellen, ist durch den gleichen Antrag in dem ersten, im Januar 2008
beendeten Insolvenzeröffnungsverfahren verbraucht. Der Schuldner ist deshalb mit dem
neuen Antrag ausgeschlossen.
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1. Wie das Gericht in einem anderen Verfahren mit Beschluss vom 09.06.2008 – 64 IN
3/07 (AG Duisburg NZI 2008, 753 ff. = ZVI 2008, 306 ff.) entschieden hat, bietet das
Gesetz einem zahlungsunfähigen Schuldner grundsätzlich für jede Zahlungsunfähigkeit
nur einmal die Möglichkeit, Restschuldbefreiung zu beantragen. Hat der Schuldner aus
Anlass eines zulässigen und später rechtskräftig als begründet beurteilten
Eröffnungsantrags (der nach den §§ 16, 26 Abs. 1 InsO auch bei der Abweisung
mangels Masse vorausgesetzt wird) trotz ordnungsgemäßer gerichtlicher Belehrung
keinen Antrag auf Restschuld-befreiung gestellt oder hat er trotz Antragstellung das Ziel
der Restschuld-befreiung verfehlt, so kann er in einem späteren Verfahren
Restschuldbefreiung nur beantragen, wenn die ursprüngliche Zahlungsunfähigkeit
weggefallen und der Schuldner in der Folgezeit erneut zahlungsunfähig geworden ist
oder es zu werden droht. Etwas anderes kann nur gelten, wenn der Schuldner im ersten
Verfahren die Restschuldbefreiung ohne sein Verschulden verfehlt hat und er dies nicht
mit einem Wiedereinsetzungsantrag oder einem Rechtsmittel hat geltend machen
können.
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An diesem Verständnis der Rechtslage ist festzuhalten. Die entgegenstehende Ansicht
des Landgerichts Duisburg (u.a. im Beschluss vom 31.10.2008 – 7 T 197/08, ZVI 2009,
14 = ZInsO 2009, 110; ferner Beschluss vom 16.10.2008 – 7 T 190/08; Beschluss vom
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23.10.2008 – 7 T 167/08) ist nicht überzeugend. Sie beruht auf einer ungenauen und
verkürzten Auswertung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und unterstellt ihm
zu Unrecht eine Gesetzes-auslegung, die zu offenkundig absurden Ergebnissen führt.
Der Bundes-gerichtshof hat in seinen Beschlüssen vom 06.07.2006 – IX ZB 263/05 (NZI
2006, 601 Tz. 8) und vom 11.10.2007 – IX ZB 270/05 (NZI 2008, 45, 46 Tz. 10) weder
ausdrücklich noch unausgesprochen die Ansicht vertreten, dass ein erneuter Antrag auf
Restschuldbefreiung in einem neuen Insolvenzverfahren stets statthaft sei, wenn
mindestens eine neue Verbindlichkeit hinzugetreten sei. Er hat lediglich negativ
festgestellt, dass ein solcher Antrag "jedenfalls dann" unzulässig ist, wenn kein neuer
Gläubiger hinzugekommen ist. Die Unzulässigkeit in anderen Fallvarianten hat er offen
gelassen.
2. Demnach ist der Antrag auf Restschuldbefreiung auch im vorliegenden Fall
unzulässig. Da die Restschuldbefreiung im Sinne des § 301 InsO nur nach Eröffnung
und Durchführung eines Insolvenzverfahrens gesetzlich vorgesehen ist (§ 289 Abs. 1, 3
InsO), war mit dem rechtskräftigen Abweisungsbeschluss vom 07.01.2008 im Verfahren
62 IK 551/06 zugleich kraft Gesetzes, ohne dass dies ausgesprochen werden musste,
mitentschieden, dass dem Schuldner die beantragte Restschuldbefreiung versagt
wurde. Dem neuen Antrag liegt dieselbe Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zugrunde,
die bei Beantragung des ersten Verfahrens bestand und im Abweisungsbeschluss vom
07.01.2008 rechtskräftig festgestellt wurde. Der Schuldner hat sein Ziel der Restschuld-
befreiung im ersten Verfahren auch nicht ohne sein Verschulden verfehlt. Das Scheitern
seines Antrags beruhte vielmehr darauf, dass der Schuldner vorsätzlich einen
Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO verwirklicht hatte und ihm deshalb die
Stundung der Verfahrenskosten und die damit verbundene Fortsetzung des
Insolvenzverfahrens auf Kosten der Staatskasse verweigert wurde.
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B. Der Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten ist ebenfalls unzulässig. Dem
Schuldner fehlt das erforderliche Rechtsschutzinteresse.
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1. Die Kostenstundung dient allein dazu, mittellosen Schuldnern den Zugang zur
Restschuldbefreiung zu ermöglichen (§ 4a Abs. 1 Satz 1 InsO). Sie kommt deshalb nicht
in Betracht, wenn der Schuldner dieses Ziel mit dem beantragten Verfahren
offensichtlich nicht erreichen kann (vgl. BGH NZI 2005, 232 f.; BGH NZI 2006, 712 f.;
BGH NZI 2008, 318). Dies ist hier der Fall, weil, wie unter A. dargestellt, der Antrag auf
Restschuldbefreiung unzulässig ist.
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2. Das erforderliche Rechtsschutzinteresse des Schuldners fehlt zudem auch, wenn
man der Ansicht des Amtsgerichts Duisburg über die Unzulässigkeit des zweiten
Antrags auf Restschuldbefreiung (oben A.) nicht folgt.
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a) Nach anerkannter Rechtsprechung ist die Restschuldbefreiung in dem soeben (zu 1.)
genannten Sinn offensichtlich nicht erreichbar, wenn sie voraussichtlich nur einen
unwesentlichen Teil der gesamten schuldnerischen Verbindlichkeiten erfasst, weil
deren wesentlicher Teil nach § 302 InsO kraft Gesetzes von der Restschuldbefreiung
ausgenommen ist (BGH NZI 2006, 712, 713; LG Duisburg, unveröff. Beschl. v.
29.10.2007 – 7 T 177/07; LG Düsseldorf NZI 2008, 253; AG Marburg ZVI 2002, 275; AG
Siegen NZI 2003, 43; AG München ZVI 2003, 369 f.; AG Düsseldorf NZI 2006, 415; AG
Düsseldorf ZInsO 2008, 334; AG Göttingen ZVI 2008, 339 f.).
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b) Das Gleiche muss gelten, wenn bereits eine insolvenzgerichtliche Ent-scheidung
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vorliegt, die einen wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten des Schuldners konstitutiv
aus dem Geltungsbereich der angestrebten Rest-schuldbefreiung herausnimmt. Das ist
hier der Fall.
Beschlüsse des Insolvenzgerichts, die bürgerlich-rechtliche Beziehungen zwischen
Verfahrensbeteiligten regeln, werden mit der formellen Rechtskraft auch materiell
rechtskräftig (vgl. HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. 2006, § 13 RdNr. 38; MünchKomm-
InsO/Ganter, 2. Aufl. 2007, § 4 RdNr. 80a; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 6 RdNr.
23). Ihr Verfahrensgegenstand kann in einem anderen Verfahren nicht erneut zum
Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung gemacht werden. Dies gilt zweifelsfrei für
die Entscheidung, mit der die Restschuldbefreiung nach § 300 InsO erteilt wird. Durch
sie verlieren die von ihr erfassten Verbindlichkeiten, vorbehaltlich eines Widerrufs in den
engen Grenzen des § 303 InsO, mit Wirkung gegenüber sämtlichen Insolvenz-
gläubigern endgültig ihre rechtliche Durchsetzbarkeit (§ 301 Abs. 1, 3 InsO; vgl. Begr.
RegE InsO, 1994, BT-Drucks. 12/2443, S. 194; Döbereiner, Die Restschuldbefreiung
nach der InsO, 1997, S. 305 ff.). Zwar können einzelne Gläubiger, die der Ansicht sind,
der Schuldner habe sich die Restschuld-befreiung durch eine vorsätzliche sittenwidrige
Handlung erschlichen (§ 826 BGB), auch noch nach Erteilung der Restschuldbefreiung
einen Schadens-ersatzanspruch gegen den Schuldner auf dem allgemeinen
Zivilprozesswege titulieren lassen (vgl. BGH NZI 2009, 66). Die Erteilung der generellen
Restschuldbefreiung kann jedoch im Rahmen eines späteren, etwa nach Ablauf der
Zehnjahresfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO durchgeführten Insolvenz-verfahrens nicht
wieder durch neu aufgetretene Versagungsgründe (§§ 290, 296 bis 298, 300 Abs. 2, §
314 Abs. 3 InsO) mit Wirkung gegenüber sämtlichen Insolvenzgläubigern des ersten
Verfahrens in Frage gestellt werden (MünchKomm-InsO/ Stephan, 2. Aufl. 2008, § 301
RdNr. 18).
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Für eine insolvenzgerichtliche Entscheidung, welche – als actus contrarius zur Erteilung
– die angestrebte Restschuldbefreiung wegen eines gesetzlichen Versagungsgrundes
(§§ 290, 296 bis 298, 300 Abs. 2, § 314 Abs. 3 InsO) zum Scheitern bringt, kann nichts
anderes gelten. Ihr Zweck besteht nicht darin, dem Schuldner auf dem Weg zur
Restschuldbefreiung nur vorübergehend Schwierigkeiten zu bereiten. Sie soll ihn
vielmehr angesichts seiner erwiesenen Unredlichkeit daran hindern, das angestrebte
Ziel überhaupt zu erreichen (§ 1 Satz 2 InsO) und von den Verbindlichkeiten befreit zu
werden, die bei Erfolg seines Antrages von der Restschuldbefreiung erfasst worden
wären. Jede Versagungsentscheidung ist deshalb im Falle ihrer formellen Rechtskraft
materiell ebenso endgültig wie die Erteilung der Restschuldbefreiung. Dies gilt auch für
Entscheidungen, welche außerhalb der für die Versagung der Restschuldbefreiung
vorgesehenen Verfahrensabläufe wegen eines gesetzlichen Versagungsgrundes zum
Abbruch des Verfahrens führen.
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c) Eine solche Versagungsentscheidung ist der Abweisungsbeschluss vom 07.01.2008
im Verfahren 62 IK 551/06. Mit ihm ist dem Schuldner, wie bereits erwähnt, zugleich kraft
Gesetzes (§ 289 Abs. 1, 3 InsO), ohne dass dies ausgesprochen werden musste, die
beantragte Restschuldbefreiung für die bis zum Tag der Entscheidung begründeten
Verbindlichkeiten versagt worden. Er beruht darauf, dass ein Grund zur Versagung der
Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO vorlag. Mit Rechtskraft dieses
Beschlusses steht fest, dass die bis zum 07.01.2008 begründeten Verbindlichkeiten des
Schuldners, die beim Erfolg des gescheiterten Antrags von der Erteilung der
Restschuld-befreiung erfasst worden wären (§ 301, § 38 InsO), endgültig von der
Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind. Diese Versagung hätte auch Bestand, wenn
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dem Schuldner aufgrund des neuen Antrags Restschuld-befreiung erteilt würde.
In den Anlagen zum neuen Eröffnungsantrag (65 IK 35/08) hat der Schuldner
Verbindlichkeiten in Höhe von 21.477,31 EUR aufgeführt. In dem alten Verfahren (62 IK
551/06) beliefen sich die Verbindlichkeiten nach seinen Angaben auf 17.703,87 EUR.
Selbst wenn der Differenzbetrag von 3.773,44 EUR nur Verbindlichkeiten umfasst, die
nach dem 08.01.2008 begründet worden sind (was noch nicht festgestellt ist), könnte der
Schuldner also allenfalls in Höhe von 3.773,44 EUR (= 17,56 % aller Verbindlichkeiten)
Restschuldbefreiung erlangen, während der "Rest" von 17.703,87 EUR (= 82,44 % aller
Verbindlichkeiten) ausgenommen wäre. Bei dieser Relation kann von einer wirklichen
Restschuldbefreiung nicht die Rede sein.
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C. Die Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse beruht auf § 26 Abs. 1 InsO.
Der Schuldner ist zahlungsunfähig (§§ 16, 17 InsO). Er kann seine fälligen
Verbindlichkeiten in Höhe von mehr als 21.400 EUR nicht erfüllen. Das schuldnerische
Vermögen wird jedoch nach Lage der Akten voraussichtlich nicht ausreichen, um nach
der Eröffnung die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) zu decken.
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D. Die Kostentscheidung beruht auf § 4 InsO, § 91 ZPO.
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Rechtsmittelbelehrung.
Zustellung beim Insolvenzgericht mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden
(§§ 4, 6 Abs. 1, § 289 Abs. 2 InsO, §§ 567, 569 ZPO).
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Duisburg, 23.04.2009
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Amtsgericht
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