Urteil des AG Düsseldorf vom 05.07.2010

AG Düsseldorf (entlastung, verwaltung, negatives schuldanerkenntnis, kläger, verwalter, geschäftsjahr, anlage, familie, stand, aufgabe)

Amtsgericht Düsseldorf, 292a C 16167/09
Datum:
05.07.2010
Gericht:
Amtsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
292. Abteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
292a C 16167/09
Tenor:
hat das Amtsgericht Düsseldorf
durch die Richterin am Amtsgericht X
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14.6.2010
für R e c h t erkannt:
1.
Der anlässlich der Eigentümerversammlung vom 5.11.2009 unter
Tagesord-nungspunkt 2 d) gefasste Beschluss über die Entlastung des
Verwaltungs-beirates für das Geschäftsjahr 2008 wird für ungültig erklärt.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten auferlegt.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 1.500,00 € vorläufig
vollstreck-bar.
4.
Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
1
Die Parteien sind Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft X Straße xx und xx
in 40xxx X, die von der Beigeladenen verwaltet wird.
2
Die Kläger wenden sich gegen einen unter Tagesordnungspunkt 2 d) anlässlich der
Eigentümerversammlung am 5.11.2009 gefassten Beschluss, mit dem die
Wohnungseigentümer dem Verwaltungsbeirat für das Geschäftsjahr 2008 mehrheitlich
die Entlastung erteilten (Anlage K20; Bl. 164 GA).
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Mitglieder des Verwaltungsbeirates sind die Wohnungseigentümer K, M sowie SM; bei
Letzterem handelt es sich um den Vorsitzenden des Verwaltungsbeirates.
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Die Wohnungseigentümergemeinschaft befindet sich seit mehreren Jahren aufgrund
zahlungssäumiger Miteigentümer –hierunter auch des Beiratsmitgliedes SM- in
finanziellen Schwierigkeiten. Im Jahr 2007 kam es deshalb bereits zu einer
Versorgungssperre des Strom- und Heizungsversorgers, als die
Wohnungseigentümergemeinschaft die fälligen Beiträge nicht mehr entrichten konnte.
Ende 2007 betrugen die Wohngeldaußenstände ausweislich der Tagesordnung zur
Eigentümerversammlung vom 19.12.2007 (Anlage K8; Bl. 75 GA) zusammen über
20.000,00 €. Anlässlich der Eigentümerversammlung vom 19.12.2007 beschlossen die
Wohnungseigentümer unter dem Tagesordnungspunkt 4 mehrheitlich:
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"Die Eigentümer Herr X, Herr SM und Herr E werden ab Januar 2008 regelmäßig
ihr Hausgeld zahlen. Ab Februar 2009 werden Herr E und die Familie M
zusätzlich auf die Rückstände monatlich € 500,00 zahlen. Sollte diese Regelung
nicht eingehalten werden, so werden den Eigentümern Herrn X, Herrn SM und
Herrn E zwei Abmahnungen ausgesprochen. Wenn die heute beschlossenen
Abmahnungen keinerlei Wirkung erzielen, entzieht die
Wohnungseigentümergemeinschaft Herrn X, Herrn SM und Herrn E nunmehr das
Wohnungseigentum der Wohnungen Nr. 1, 3, 4, 5, 14, 15, 17 und 18, X Straße xx-
xx in 40xxx X. Schon jetzt beauftragt und bevollmächtigt die
Wohnungseigentümergemeinschaft Herrn S, unter Hinzuziehung eines
Rechtsanwalts eine Klage auf Entziehung des Wohnungseigentums wegen
gemeinschaftswidrigen Verhaltens, insbesondere erheblicher
Zahlungsrückstände einzuleiten."
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Per 31.12.2008 beliefen sich allein die aus 2008 resultierenden Wohngeldrückstände
der Familie M, das heißt des Verwaltungsbeiratsvorsitzenden SM, seines Vaters X und
seiner Ehefrau A auf insgesamt 18.456,78 € (Anlage K11; Bl. 83 GA).
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Hinsichtlich der Abfallentsorgung und Straßenreinigung schloss die
Wohnungseigentümergemeinschaft mit dem Umweltamt der Stadt X eine
Ratenzahlungsvereinbarung ab. Diese drohte das Umweltamt mit Schreiben vom
19.8.2008 (Anlagen K15 und K16; Bl. 87 ff GA) wegen Nichteinhaltung der
Ratenzahlungen aufzukündigen.
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Vor der Eigentümerversammlung am 5.11.2009 sollte eine Belegprüfung stattfinden. An
den zunächst vorgeschlagenen Terminen konnte das Beiratsmitglied M nicht
teilnehmen. An den seinerseits vorgeschlagenen Terminen war es den übrigen beiden
Beiratsmitgliedern nicht möglich, eine Belegprüfung vorzunehmen. Letztendlich nahmen
die Beiratsmitglieder K und SM die Belegprüfung allein vor. Hiervon erfuhr Herr M erst
später.
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Die Kläger sind der Auffassung, dass die Gemeinschaft den Beschluss über die
Entlastung des Beirates zu Unrecht gefasst habe, da die Mitglieder des Beirates
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schädigend auf die finanzielle Situation der Gemeinschaft eingewirkt hätten. Trotz der
Beschlussfassung anlässlich der Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2007 sei die
Verwaltung weitgehend untätig geblieben und habe es unterlassen, die
Wohngeldrückstände beizutreiben. Der Verwaltungsbeirat habe daher nicht die
Entlastung der Verwaltung für das Jahr 2008 vorschlagen dürfen. Da eine Verjährung
von Wohngeldansprüchen drohe, erscheine ein Schadenersatzanspruch gegen die
Verwaltungsbeirat möglich, so dass diesem keine Entlastung hätte erteilt werden dürfen.
Die Kläger beantragen,
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den Beschluss zu TOP 2 d) der Wohnungseigentümerversammlung der WEG X
Straße xx-xx in 40xxx X betreffend die Entlastung des Verwaltungsbeirates für das
Geschäftsjahr 2008 für ungültig zu erklären.
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Die Beklagten beantragen,
13
die Klage abzuweisen.
14
Die Beklagten berufen sich darauf, dass klägerseits nicht schlüssig begründet worden
sei, weshalb dem Beirat fehlerhafterweise die Entlastung erteilt wurde. Säumnisse der
Verwaltung zögen in keinem Fall automatisch ein Fehlverhalten des
Verwaltungsbeirates nach sich, aufgrund dessen ihm die Entlastung zu versagen wäre.
Es sei nicht Aufgabe des Verwaltungsbeirates, den Verwalter zu zwingen, Gelder
beizutreiben.
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Die zunächst von den Klägern auch gegen den Tagesordnungspunkt 2 c) gerichtete
Beschlussanfechtung wurde abgetrennt und nach Verbindung mit einer anderweitigen
Beschlussanfechtung unter dem Aktenzeichen 292a C 2706/10 weitergeführt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
18
Die Klage ist gemäß § 43 Nr. 4 WEG zulässig und begründet.
19
1.
20
Die Kläger haben Anspruch auf Ungültigerklärung des anlässlich der
Eigentümerversammlung vom 5.11.2009 unter TOP 2 d) gefassten Beschlusses über
die Entlastung des Verwaltungsbeirates für das Geschäftsjahr 2008 nach §§ 23 Abs. 4
Satz 2, 29 Abs. 2, Abs. 3, 21 Abs. 3 WEG, denn dieser Beschluss entspricht nicht den
Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung.
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Ein Eigentümerbeschluss über die Entlastung bedeutet inhaltlich den Verzicht auf bis
dahin entstandene und erkennbare Schadenersatzansprüche. Sie kann als ein
negatives Schuldanerkenntnis gemäß § 297 Abs. 2 BGB ausgelegt werden. Ein
Mehrheitsbeschluss über die Entlastung der Mitglieder des Verwaltungsbeirates
entspricht nicht ordnungsgemäßer Verwaltung und ist deshalb für ungültig zu erklären,
wenn ein Ersatzanspruch gegen die Mitglieder des Verwaltungsbeirates im
Zusammenhang mit der Prüfung von Jahresabrechnung und Wirtschaftsplan möglich
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erscheint oder wenn der Verwaltungsbeirat den Wohnungseigentümern die Annahme
einer noch nicht ordnungsgemäßen und unvollständigen Abrechnung empfohlen hat
(BayObLG, WuM 1991, 443 f; Merle in Bärmann, Kommentar zum
Wohnungseigentumsgesetz, 10. Auflage 2008, § 29, Rn. 113). Der Beschluss über die
Entlastung des Verwaltungsbeirates entspricht nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung,
wenn der Verwaltungsbeirat objektiv keine Pflichtverletzung begangen hat, also seine
Pflichten voll erfüllt hat. Wenn dies nicht der Fall ist, entspricht es nicht
ordnungsgemäßer Verwaltung, die Entlastung zu erteilen und damit auf mögliche
Ersatzansprüche zu verzichten. Die Frage eines schuldhaften Unterlassens des
Verwaltungsbeirates ist erst in einem möglichen Verfahren auf Schadenersatz zu
erörtern, nicht aber bereits bei der Frage der Entlastung. Solange ein Ersatzanspruch
möglich erscheint, widerspricht die Entlastung ordnungsgemäßer Verwaltung
(BayObLG, a.a.O.).
Zu Recht weisen die Kläger darauf hin, dass möglicherweise Wohngeldansprüche der
WEG gegen zahlungssäumige WEG-Mitglieder verjährt sind, da sie nicht rechtzeitig von
der Verwaltung beigetrieben wurden. Der Verwaltungsbeirat ist zwar nicht verpflichtet,
die laufende Verwaltung durch den Verwalter zu überwachen. Da er gemäß § 29 Abs. 2
WEG lediglich unterstützende, das heißt beratende Funktion hat, obliegt ihm nicht die
Kontrolle der Verwaltung (Merle in Bärmann, § 29, Rn. 57). Allerdings hat der
Verwaltungsbeirat nach § 29 Abs. 3 WEG auch die Aufgabe, die Wirtschaftspläne, die
Abrechnungen über den Wirtschaftsplan, Rechnungslegungen und Kostenanschläge zu
prüfen, bevor die Wohnungseigentümer darüber beschließen. Neben der Überprüfung
der sachlichen Richtigkeit der einzelnen Abrechnungsposten ist auch zu prüfen, ob von
allen Wohnungseigentümern die mit dem Wirtschaftsplan beschlossenen
Hausgeldzahlungen geleistet wurden. Geht der Verwaltungsbeirat über gelegentlich der
Unterstützung des Verwalters oder bei der Überprüfung der Jahresabrechnung
festgestellte Mängel der Verwaltung hinweg, ohne die
Wohnungseigentümerversammlung zu informieren –zur Not im Wege der Einberufung
nach § 24 Abs. 3 WEG-, so kann sich daraus eine Schadenersatzpflicht ergeben (Merle
in Bärmann, § 29, Rn. 65 und 57).
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Den Mitgliedern des Verwaltungsbeirates ist vorzuwerfen, dass sie die übrigen
Wohnungseigentümer anlässlich der Eigentümerversammlung nicht darüber informiert
haben, dass sich die Wohnungseigentümergemeinschaft trotz des anlässlich der
Eigentümerversammlung vom 19.12.2007 gefassten Beschlusses, wonach der
Verwalter im Falle weiterer Hausgeldrückstände das Entziehungsverfahren gegen drei
Mitglieder der WEG betreiben sollte, weiterhin in erheblichen finanziellen
Schwierigkeiten befindet. Auch wenn es nicht in der Macht des Verwaltungsbeirates
stand –dessen Vorsitzender dürfte wegen der widersprüchlichen Interessenlage
ohnehin kein Interesse daran gehabt haben-, die Verwaltung anzuweisen, die
Wohngeldrückstände der vergangenen Jahre als auch die in dem Wirtschaftsjahr 2008
angefallenen Hausgeldrückstände gerichtlich beizutreiben, so war es doch die Pflicht
des Verwaltungsbeirates, die WEG-Mitglieder auf die desolate finanzielle Situation der
WEG hinzuweisen bzw. mitzuteilen, dass sich die finanzielle Situation der WEG sogar
noch wegen weiterer Wohngeldrückstände aus dem Jahr 2008 verschärft hat.
Dementsprechend hätte der Verwaltungsbeirat auch nicht die Entlastung der
Verwaltung anlässlich der Eigentümerversammlung vom 5.11.2009 vorschlagen dürfen.
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Da bereits im Jahr 2007 erhebliche Wohngeldrückstände von über 20.000,00 €
bestanden, erscheint es auch nicht ausgeschlossen, dass –wie die Kläger befürchten-
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zwischenzeitlich wegen nicht erfolgter gerichtlicher Geltendmachung
Zahlungsansprüche der WEG gegen verschiedene WEG-Mitglieder verjährt sind. Ein
Schadenersatzanspruch gegen die Beiratsmitglieder erscheint daher grundsätzlich
möglich, so dass die Entlastung des Verwaltungsbeirates für das Jahr 2008
ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht.
Zu einem anderen Ergebnis gelangt das Gericht auch nicht angesichts der Einlassung
des Verwaltungsbeiratsmitgliedes M. Abgesehen davon, dass es ihm frei stand, allein
Einblick in die Verwaltungsunterlagen zu nehmen und somit allein eine Belegprüfung
vorzunehmen, wenn er nicht an dem angedachten gemeinsamen Termin mit den zwei
weiteren Verwaltungsbeiratsmitgliedern teilnehmen konnte, ist es gerade ihm
gegenüber gerechtfertigt, von einer Entlastung abzusehen, da er seiner Prüfpflicht nach
§ 29 Abs. 3 WEG unstreitig nicht nachgekommen ist. Durch die Versagung der
Entlastung entsteht weder dem Verwaltungsbeiratsmitglied M noch den übrigen
Mitgliedern des Verwaltungsbeirates eine unzumutbare Belastung, da damit noch nicht
eine Schadenersatzpflicht festgestellt wird, sondern lediglich ein möglicher
Schadenersatzanspruch gegen den Verwaltungsbeirat bejaht wird. Auch kann ein
Ersatzanspruch nicht von einzelnen Wohnungseigentümern geltend gemacht werden,
sondern setzt wie ein Ersatzanspruch gegen den Verwalter einen ermächtigenden
Eigentümerbeschluss voraus (BGHZ 106, 222).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 ZPO.
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Der Streitwert wurde gemäß § 49 a GKG entsprechend dem klägerischen Interesse an
der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen in Höhe geschätzter, möglicher
verjährter Ansprüche von 10.000,00 €, die der Entlastung des Verwaltungsbeirates
entgegenstehen, festgesetzt.
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