Urteil des AG Düsseldorf vom 11.05.2010

AG Düsseldorf (kläger, interesse, gleichbehandlung, klasse, grund, verkehrsmittel, angebot, kundenkreis, preis, verletzung)

Amtsgericht Düsseldorf, 58 C 1687/10
Datum:
11.05.2010
Gericht:
Amtsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
58. Abteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
58 C 1687/10
Tenor:
hat das Amtsgericht Düsseldorf
auf die mündliche Verhandlung vom 20.04.2010
durch den Richter am Amtsgericht X
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die
Zwangsvollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheit in Höhe von
110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht diese zuvor
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Streitwert wird auf bis 600,00 EUR festgesetzt.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Der Kläger hat in diesem Jahr das einundfünfzigste Lebensjahr vollendet und ist
Rechtsanwalt in X. Die Beklagte ist ein Unternehmen des öffentlichen
Personennahverkehrs und bietet unter anderem das sog. "Bärenticket" des
übergeordneten Verkehrsverbundes an. Es handelt sich um eine Zeitfahrkarte, die im
Jahresabonnement zum Preis von 62,00 EUR monatlich für Fahrgäste angeboten wird,
die das sechszigste Lebensjahr vollendet haben und zur Nutzung aller Verkehrsmittel
des Verkehrsverbundes berechtigt, in S-Bahnen, Regionalbahnen und
Regionalexpressen, sogar in der ersten Klasse. Der Kläger seinerseits ist Inhaber eines
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Firmentickets, welches mit einem Preis von ca. 100,00 €/Monat etwa 11 % günstiger als
der Normaltarif ist und mit Ausnahme der Nutzbarkeit der ersten Klasse vergleichbare
Leistungen wie das Bärenticket bietet.
Bereits im November 2009 hatte der Kläger gegen die Beklagte Klage erhoben mit dem
Antrag, ihm ein Bärenticket auszustellen. Diese war als unzulässig abgewiesen worden,
da der Kläger keinen fruchtlosen vorgerichtlichen Einigungsversuch nachweisen
konnte. In dem vom Kläger eingeleiteten Einigungsverfahren vor dem Schiedsmann
teilte die Beklagte mit Schreiben vom 21.12.2009 mit, an einer Schlichtung kein
Interesse zu haben.
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Mit der nunmehrigen Klage begehrt der Kläger erneut im Ergebnis den Erhalt eines
Bärentickets.
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Er ist der Auffassung, der Umstand, dass das Bärenticket für Personen ab dem
sechszigsten Lebensjahr verfügbar sei, stelle eine Diskriminierung seiner Person
wegen des Alters im Sinne der Regelungen des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar. Er sieht keinen sachlichen Grund für die aus
seiner Sicht allein am Lebensalter orientierte Ungleichbehandlung. Sechzigjährige
befänden sich noch im arbeitsfähigen Alter und seien typischerweise mindestens so gut
situiert und in einem vergleichbaren Gesundheitszustand wie Fünfzigjährige. Sinn und
Zweck des AGG sei es, die Antidiskriminierung über vernünftige wirtschaftliche
Erwägungen zu stellen.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, das mit der Klageschrift verbundene Angebot des
Klägers auf Abschluss eines Beförderungsvertrages unter den Bedingungen des
sog. "Bärentickets" entsprechend den aktuellen Tarifbedingungen der Beklagten
anzunehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält diese bereits mangels hinreichender Bestimmtheit für unzulässig. Aus dem
AGG folge auch kein Kontrahierungszwang. Ferner sei die gesetzliche Ausschlussfrist
zur Geltendmachung von Ansprüchen nicht eingehalten.
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Jedenfalls sei eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nicht gegeben, weil ein
sachlicher Grund im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 AGG vorliege. Mit dem
Bärenticket wolle die Beklagte einen bestimmten Kundenkreis ansprechen und
längerfristig an sich binden. Eigene Untersuchungen hätten gezeigt, dass in der
Altersgruppe ab sechzig Jahren nur noch 13 % der potentiellen Kunden berufstätig
seien. Mit dem Angebot eines vergünstigten Tarifes und insbesondere der Möglichkeit
der Nutzung der ersten Klasse wolle sie für diesen Kundenkreis den öffentlichen
Personennahverkehr interessanter machen und einen Anreiz dafür bieten, auf private
Kraftfahrzeuge zu verzichten. Mit einer Ansprache dieses Kundenkreises sei es ihr
möglich, in den Nebenzeiten außerhalb des Berufsverkehrs für eine bessere Auslastung
ihrer Verkehrsmittel zu sorgen. Schließlich fehle es gerade in der Person des Klägers,
der ohnehin schon von einer Vergünstigung profitiere, an einem besonderen Interesse
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an der Durchsetzung der Gleichbehandlung.
Hinsichtlich des weiteren Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
14
I.
15
Die Klage ist zulässig.
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Insbesondere konnte der Kläger nunmehr eine Erfolglosigkeitsbescheinigung im Sinne
des § 15 a EGZPO in Verbindung mit §§ 10 ff. GüSchlG NRW vorlegen.
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Auch ist der Klageantrag in der Fassung der Präzisierung im Rahmen der mündlichen
Verhandlung nunmehr korrekt auf Abgabe einer Willenserklärung im Sinne des § 894
ZPO gerichtet. Durch die Bezugnahme auf die Tarifbedingungen (selbstredend ohne
Rücksicht auf die Altersgrenze) wird die begehrte Willenserklärung ausreichend
bestimmbar.
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II.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Denn die Voraussetzungen des allein in Betracht
kommenden § 21 Abs. 1 S. 1 AGG liegen nicht vor.
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Diese Regelung gibt dem Betroffenen einen Anspruch auf Beseitigung der
Beeinträchtigung bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot. Unzulässig ist
gem. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 3 Abs. 1, 2, 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG unter anderem eine
Benachteiligung wegen des Alters beim Zugang zu Massengeschäften vorbehaltlich der
Regelungen des § 20 Abs. 1 AGG.
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Der vorliegende Sachverhalt ist grundsätzlich vom zivilrechtlichen
Benachteiligungsverbot gem. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG erfasst, denn beim Zugang zum
Öffentlichen Personennahverkehr handelt es sich unbestritten um ein sog.
Massengeschäft, welches der Gesetzgeber den Regelung des AGG unterwerfen wollte.
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Eine Ungleichbehandlung liegt hier in der Gewährung vergünstigter Tarifkonditionen.
Maßgebliches Tarifmerkmal ist hier die Altersgrenze von sechzig Jahren, so dass die
unterschiedliche Behandlung tatsächlich auch wegen des Alters erfolgt.
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Der geltend gemachte Anspruch auf Abschluss eines Vertrages im vergünstigten
Bärenticket-Tarif besteht jedoch nicht, denn jedenfalls ist die Ungleichbehandlung
sachlich gerechtfertigt und fehlt es an einem Interesse an der Durchsetzung der
Gleichbehandlung, so dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aufgrund
der Sonderregelungen des § 20 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 3 AGG nicht vorliegt.
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Im Einzelnen:
25
1.
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Es kann dahinstehen, ob die materielle Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG versäumt
wurde, weil der Kläger seinen Beseitigungsanspruch bei der Beklagten nicht innerhalb
einer Frist von zwei Monaten seit der Benachteiligung geltend gemacht hat.
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Es spricht jedoch einiges dafür, dass in Fällen, in denen Zugang zu Leistungen begehrt
wird, die durch diskriminierende Tarifbedingungen dauerhaft verschlossen sind, eine
gleichsam täglich neue Benachteiligung vorliegt, die täglich eine neue Ausschlussfrist in
Gang setzt. Nach richtiger Auffassung kann die Ausschlussfrist auch klageweise
gewahrt werden (vgl. AG Mannheim, NJW 2008, 3442).
28
Im vorliegenden Fall hat der Kläger aber jedenfalls mit seiner ersten Klageerhebung im
November 2009 – wenngleich auf sehr unkonventionellem Wege – das Bärenticket bei
der Beklagten beantragt und nicht erhalten. Mit der Einleitung des vorgerichtlichen
Einigungsversuchs hat er noch im Dezember in ausreichender Form seinen Anspruch
im Sinne des § 21 Abs. 5 AGG bei der Beklagten geltend gemacht und durch die
Absage des Einigungstermins gleich eine erneute Ablehnung seines Begehrs erfahren.
29
2.
30
Es ist ferner sehr zweifelhaft, ob in Fällen wie dem vorliegenden der sich aus § 21 Abs.
1 S. 1 AGG ergebende Beseitigungsanspruch zu einem Anspruch auf Abschluss eines
bestimmten Vertrages (Kontrahierungszwang) führt.
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Dies ist in der bisher veröffentlichten Literatur umstritten (vgl. ausführlich Thüsing in
Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl., § 21 AGG, Rdnr. 17 ff. mit ausführlichen
Nachweisen).
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Nach Einschätzung des Gerichts ist jedenfalls in Fällen, in denen die
Ungleichbehandlung durch Vergünstigungen für eine bestimmte Gruppe nicht nur durch
Teilhabe des Anspruchstellers an diesen Vergünstigungen beseitigt werden kann,
sondern auch durch Rücknahme der Vergünstigung für die Begünstigten, ein solcher
Kontrahierungszwang nicht vom Beseitigungsanspruch erfasst (ähnlich auch: Jauernig,
BGB, 13. Aufl., § 21, Rdnr. 3). Vielmehr wird man mit Rücksicht auf die auf Anbieterseite
betroffenen Grundrechte aus Art. 2, 12 GG von mehreren gleichwertigen Mitteln zur
Gleichbehandlung das mildere wählen müssen.
33
3.
34
Dies alles kann jedoch letztlich dahinstehen, denn jedenfalls liegt in dem Tarifmerkmal
der Vollendung des sechzigsten Lebensjahres keine Verletzung des
Benachteiligungsverbots aus dem AGG vor, da ein sachlicher Grund gem. § 20 Abs. 1
AGG gegeben ist.
35
a)
36
Nach dieser Vorschrift ist allgemein eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nicht
gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung, unter anderem wegen des Alters,
ein sachlicher Grund vorliegt. Dies ist nach dem Gesetz insbesondere der Fall, wenn die
unterschiedliche Behandlung gem. Ziff. 3. dieser Vorschrift besondere Vorteile gewährt
und ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung fehlt.
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Nach den Erwägungen des Gesetzgebers sollte nämlich die Gewährung von Vorteilen
auf Basis der an sich geschützten Merkmale, wie beispielsweise des Alters, regelmäßig
nicht unzulässig sein, da solche Vergünstigungen typischerweise bestimmten Gruppen
zugute kommen, die weniger leistungsfähig sind, oder solche Vergünstigungen die
gezielte Ansprache von Kundenkreisen bezwecken, die der Anbieter anlocken möchte.
Solche Maßnahmen seien nicht diskriminierend, sondern im Gegenteil sozial erwünscht
bzw. Bestandteil einer auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaft. Ein Verbot solcher
Maßnahmen würde auch nicht geeignet sein, den benachteiligten Personenkreisen zu
helfen, weil der Anbieter auf ein Verbot mit einer Abschaffung der Vergünstigung
reagieren würde (vgl. die Nachweise bei Thüsing, a.a.O., § 20 AGG, Rdnr. 40).
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Entgegen der Auffassung des Klägers stellt der Gesetzgeber mithin sehr wohl in
gewissem Umfang wirtschaftliche Erwägungen über den Gesetzeszweck der
Antidiskriminierung aufgrund unter anderem des Alters.
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Ihre Grenze erfährt die Zulassung von Vergünstigungen daher dort, wo sie letztlich nur
einer Tarnung einer diskriminierenden Verhaltensweise bei Massengeschäften dient.
Ferner wird man im Rahmen der Überprüfung des sachlichen Grundes auch den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten haben (vgl. Thüsing, a.a.O., § 20 AGG,
Rdnr. 10).
40
b)
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Gemessen an diesen Kriterien liegt hier ein sachlicher Grund für die
Ungleichbehandlung vor.
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Die Beklagte verfolgt nach ihrem Vortrag durch den vergünstigten Tarif das Ziel, eine
bestimmte Kundengruppe zu erschließen und an sich zu binden und ferner für eine
gleichmäßige Auslastung der Verkehrsmittel auch außerhalb des Berufsverkehrs zu
sorgen.
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Diese Erwägungen entsprechen denjenigen des Gesetzgebers für eine Zulassung einer
Ungleichbehandlung in den geregelten Fällen.
44
Die Überlegungen, die die Beklagte dem vergünstigten Bärenticket zugrunde legt, sind
plausibel und nachvollziehbar und halten sich im Rahmen dessen, was das Gesetz dem
billigen Ermessen der Marktteilnehmer zugesteht.
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Es ist dabei nicht zu verlangen, dass die Grundlagen der Entscheidung der Beklagten
auf ihre statistische und betriebswirtschaftliche Richtigkeit hin untersucht werden.
Vielmehr genügt es, dass es sich um nachvollziehbare und vernünftige Erwägungen
handelt. Insbesondere ist ausreichend, dass sie sich nicht als willkürlich darstellen oder
sogar den Verdacht aufkommen lassen, sie dienten einer bewussten Benachteiligung.
Auch wäre es hinzunehmen, wenn bestimmte Angebote mit dem Ziel der
Kundengewinnung und –bindung sich im Lauf der Zeit als nicht zweckdienlich
erweisen. Dies würde ohne dazu führen, dass unwirtschaftliche Angebote wieder vom
Markt genommen werden. Es ist jedenfalls nicht Aufgabe des Gerichts über die
Regelungen des AGG sämtliche betriebswirtschaftlichen Entscheidungen zu
hinterfragen. Vielmehr muss lediglich überprüft werden, ob sich bestimmte Maßnahmen
noch im Rahmen des durch das AGG abgesteckten Ermessen- und
Beurteilungspielraums halten.
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Dies ist hier der Fall.
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Es kann daher auch offen bleiben, ob die von der Beklagten behaupteten Ergebnisse
von Marktforschungen im Einzelnen zutreffend sind.
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Denn fraglos kann davon ausgegangen werden, dass mit zunehmendem Alter der Anteil
der Berufstätigen abnimmt. Ferner ist es sicher richtig und wird ebenfalls nicht vom
Kläger in Abrede gestellt, dass mit zunehmendem Alter die körperliche
Leistungsfähigkeit abnimmt. Es ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte auf die
daraus resultierenden Bedürfnisse mit ihrem konkreten Angebot eingeht.
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Das Angebot wird dabei den vom Gesetz gebilligten Zielen gerecht.
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So stellt naturgemäß ein vergünstigter Preis stets einen Anreiz dar. Die
nachvollziehbare Erwägung der Beklagten, den angesprochenen Kundenkreis vom
eigenen PKW auf den ÖPNV zu locken macht nahezu zwangsläufig ein besonders
günstiges Angebot erforderlich. Insbesondere diejenigen, die noch vornehmlich den
eigenen PKW nutzen werden für (anfänglich) nur sporadische Fahrten mit dem ÖPNV
nur einen geringen Betrag ausgeben wollen.
51
Durch den vergünstigten Preis wird die Beklagte ferner auch einer jedenfalls ab Eintritt
des Rentenalters, also wenige Jahre nach dem für das Bärenticket maßgeblichen Alter,
typischerweise verringerten finanziellen Leistungsfähigkeit gerecht.
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Mit einem Rabatt von ca. 40% auf den Normalpreis ist die Vergünstigung auch noch
nicht unverhältnismäßig.
53
Ebenfalls schlüssig ist die Erwägung, die Möglichkeit der Nutzung der 1. Klasse
anzubieten. Denn häufig stellt die – allzu oft berechtigte – Sorge keinen Sitzplatz in
überfüllten und/oder zu unruhigen 2. Klasse zu bekommen ein Hemmnis für die Nutzung
dieses Verkehrsmittels dar.
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Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte als Eintrittsalter wie der Kläger
meint willkürlich das sechzigste Lebensjahr gewählt hat. Auch dies ist durch das
legitime Ziel der Kundengewinnung gerechtfertigt. So ist es durchaus gerechtfertigt,
wenn die von vielen so empfundene besondere Bedeutung eines "runden" Geburtstags
zur Steigerung der Aufmerksamkeit und Attraktivität eines Angebots ausgenutzt wird,
zumal der sechszigste Geburtstag landläufig als Eintritt in das Seniorenalter angesehen
wird, jedenfalls aber als neuer Lebensabschnitt.
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Ferner ist es ohne weiteres vertretbar aus Gründen der Kundengewinnung und Bindung
ein Seniorenangebot zu einem möglichst frühen Zeitpunkt bereitzustellen, damit noch
die gesundheitliche Rüstigkeit sowie die Unternehmenslust und Flexibilität ausgenutzt
werden, um den Kunden von den Vorzügen der angebotenen Leistung zu überzeugen.
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Daneben ist auch der Wunsch der Beklagten schützenswert, durch besondere Angebote
an bestimmte Kundenkreise für eine bessere Auslastung ihrer Verkehrsmittel zu sorgen
(so auch AG Mannheim a.a.O.). So wird man nicht von der Hand weisen können, dass
bei zunehmendem Anteil an nicht-berufstätigen auch der Anteil derjenigen wächst, die
Bus und Bahnen außerhalb der Hauptverkehrszeiten des Berufsverkehrs nutzen wollen.
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Es besteht auch kein besonderes Interesse an der Gleichbehandlung.
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Dabei kann dahin stehen, ob das Interesse an einer Gleichbehandlung aus der Sicht
des konkreten benachteiligten Individuums – hier des Klägers – zu beurteilen ist oder
allgemein aus der Sicht einer ganzen benachteiligten Gruppe.
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Individuelle Gesichtspunkte in der Person des Klägers, die ein Interesse an der
Gleichbehandlung begründen könnten, liegen nicht vor. Der Kläger ist wirtschaftlich
ohne weiteres ausreichend leistungsfähig, um den für ihn geltenden und ohnehin bereits
vergünstigten Tarif ohne gravierende finanzielle Folgen in Anspruch nehmen zu
können. Körperliche Beeinträchtigungen des Klägers, die ihn auf öffentliche
Verkehrsmittel angewiesen erscheinen lassen könnten, sind dem Gericht nicht bekannt
und werden von der Klägerseite auch nicht behauptet. Ebenso besteht kein
schützenwertes Bedürfnis, den Kläger zu vergünstigten Tarifen die Nutzung der ersten
Klasse zu ermöglichen.
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Aber auch aus der allgemeinen Perspektive der vermeintlich benachteiligten Gruppe, zu
der der Kläger gehört, ist ein Interesse an der Durchsetzung der Gleichbehandlung nicht
feststellbar.
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Die Vergleichsgruppe des Klägers ist diejenige in der Altersgruppe zwischen Abschluss
der Ausbildung und dem sechzigsten Lebensjahr. Sie stellt damit fraglos den größten
Kundenkreis dar, für den naturgemäß der Normaltarif gedacht ist.
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Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diesem Kundenkreis ein
betriebswirtschaftlich überhöhter Normaltarif angeboten wird, um Vergünstigungen,
beispielsweise für das Bärenticket, gegenfinanzieren zu können.
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Der Normaltarif liegt auch noch in einem vertretbaren Rahmen. Neben dem Normaltarif
gibt es auch für die Vergleichsgruppe des Klägers Vergünstigungen beispielsweise in
Form eines Firmentickets oder für Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen.
Würde mit dem Kläger konsequent der Mehrzahl der Kunden das Bärenticket
angeboten, wäre dies zum einen evident unrentabel, zum anderen aber auch
insbesondere hinsichtlich des Zugangs zur 1. Klasse die Kapazitäten der Beklagten
deutlich überschreiten würde.
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Der Kläger moniert selbst, dass die Beklagte sich z.B. einem besonders günstigen
Sozialtarif verschließt. Dann kann aber auch aus seiner Sicht kein Interesse daran
bestehen, den finanziellen Spielraum für einen solchen günstigen Sozialtarif dadurch
einzuschränken, dass Vergünstigungen, die keine Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit
des Kunden nehmen, für einen noch größeren Personenkreis gewährt werden.
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Daher besteht jedenfalls kein Interesse an einer Gleichbehandlung im Sinne einer
Teilhabe an den Vergünstigungen durch weiteren Herabsetzung der vom Kläger
ohnehin schon als willkürlich zu niedrig kritisierten Altersgrenze.
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Dass schließlich der Bärentickettarif vornehmlich der Ausgrenzung der übrigen
Kundenkreise dient, kann nicht angenommen werden und wird so auch vom Kläger
nicht behauptet.
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Nach allem liegt ein sachlicher Grund für Ungleichbehandlung vor, sodass keine
Verletzung des Gleichbehandlungsgebots vorliegt und mithin dem Kläger keine
Ansprüche aus § 21 AGG zustehen.
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Die Klage war daher abzuweisen.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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Der Streitwert war gem. §§ 3, 9 ZPO auf den Wert der Preisdifferenz eines
Jahresabonnements festzusetzen.
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Das Gericht lässt die Berufung zu. Die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 Nr. 1 liegen
vor, denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung und erfordert die Fortbildung des
Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung einer Entscheidung
des Berufungsgerichts. Die grundsätzliche Bedeutung ergibt sich hier aus der Vielzahl
gleichartiger Fallgestaltungen bzw. betroffener Personen. Auch wirft der vorliegende
Fall verschiedene umstrittene und in der Rechtsprechung weitgehend ungeklärte
Rechtsfragen auf, wie z. B. die Frage des Kontrahierungszwangs oder die Frage, ob
hinsichtlich des Interesses an der Gleichbehandlung auf das individuelle Interesse des
Anspruchsstellers abzustellen ist. Daneben ist es den Regelungen des § 20 Abs. 1 AGG
immanent, dass versucht wurde, einer Vielzahl von Fallgestaltungen durch unbestimmte
Rechtsbegriffe gerecht zu werden, deren konkrete Ausgestaltung und Grenzziehung
letztlich der Rechtsprechung überlassen bleiben muss (vgl. Thüsing, a.a.O., § 20, Rn 9).
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