Urteil des AG Charlottenburg vom 12.08.2006

AG Charlottenburg: hinweispflicht, zwangsvollstreckung, versicherung, befreiung, abgabe, verbraucher, bereicherung, gefälligkeit, kausalität, verfahrenskosten

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
208 C 290/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 1 RVG, § 49b Abs 5
BRAO, § 280 BGB, § 387 BGB, §
389 BGB
Rechtsanwaltsgebührenanspruch: Folgen der Verletzung der
Pflicht, auf die Grundlage der Gebührenberechnung hinzuweisen
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 971,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.08.2006 zu zahlen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die
Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
Der Beklagte beauftragte am 23.03.2005 die Kläger mit der Wahrnehmung seiner
rechtlichen Interessen gegenüber der Schuldnerin ... hinsichtlich der Zahlungen aus
einem Vertrag vom 22.03.2004.
Die Kläger unterließen es, den Beklagten bei Mandatserteilung gemäß § 49 b Abs. 5
BRAO darauf hinzuweisen, dass sich die von ihnen ihm gegenüber möglicherweise zu
erhebenden Rechtsanwaltsgebühren nach dem Gegenstandswert der Sache richten.
Die Kläger schrieben namens des Beklagten dessen Schuldnerin außergerichtlich an und
forderten sie zur Zahlung auf. Darüber hinaus fanden außergerichtliche
Einigungsversuche mit den damaligen Prozessbevollmächtigten der Schuldnerin statt,
die aber keinen Erfolg brachten. Am 22.04.2005 reichten die Kläger namens des
Beklagten Klage gegen die vorbezeichnete Schuldnerin bei dem Amtsgericht
Charlottenburg ein, wobei sich die derzeit eingeklagte Forderung auf 5.000,– Euro belief.
Das Amtsgericht Charlottenburg erließ am 11.08.2005 gegen die Schuldnerin
antragsgemäß ein Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren (205 C 90/05), aus
welchem die Kläger namens des Beklagten die Zwangsvollstreckung betrieben. Diese
Bemühungen der Kläger hatten in der Sache keinen Erfolg, weil die Schuldnerin
zwischenzeitlich einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hatte. Die
Kläger machten sodann die Anschrift des Geschäftsführers der Schuldnerin ausfindig
und erteilten erneut einen Vollstreckungsauftrag, um die Abgabe einer eidesstattlichen
Versicherung zu erreichen. Um die Gebühren für den Beklagten gering zu halten, wurde
dieser Vollstreckungsauftrag auf den zwischenzeitlich ergangenen
Kostenfestsetzungsbeschluss beschränkt. Der dann anberaumte Termin zur Abgabe der
eidesstattlichen Versicherung wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
aufgehoben. Mit Beschluss vom 10.10.2005 setzte das AG Charlottenburg die
Rechtsanwaltsgebühren zu Gunsten der Kläger gegen die derzeitige Schuldnerin des
Beklagten auf 651,69 Euro fest.
Mit Kostennote vom 07.03.2006 rechneten die Kläger gegenüber dem Beklagten neben
den festgesetzten Rechtsanwaltsgebühren von 651,69 Euro wie folgt ab:
a. Gebühren für die aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss betriebene
Zwangsvollstreckung nach einem Streitwert von 1014,69 Euro in Höhe von 25,50 Euro
(0,3 Geb.) zzgl. Auslagenpauschale 5,10 Euro und Mehrwertsteuer i.H.v. 4,90 Euro.
b. Gebühren für die Terminierung der eidesstattlichen Versicherung nach einem
Streitwert von 1014,69 Euro in Höhe von 25,50 Euro (0,3 Geb.) zzgl. Auslagenpauschale
5,10 Euro und Mehrwertsteuer i.H.v. 4,90 Euro.
c. Gebühren für die hinsichtlich der Hauptforderung betriebene Zwangsvollstreckung
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c. Gebühren für die hinsichtlich der Hauptforderung betriebene Zwangsvollstreckung
(Streitwert 5000,– Euro) von 90,30 Euro (0,3 Geb.) zzgl. Auslagenpauschale i.H.v. 18,06
Euro und Mehrwertsteuer i.H.v. 17,34 Euro.
d. Verauslagte Kosten und Gebühren in Höhe von 43,00 Euro nebst 6,88 Euro
Mehrwertsteuer
Insgesamt ergab sich eine Summe von 898,27 Euro, welche die Kläger aus ihrer
anwaltlichen Tätigkeit gegenüber dem Beklagten neben weiteren verauslagten
Gerichtsvollzieherkosten von 18,00 Euro geltend machten.
Nachdem sie den Beklagten wiederholt gemahnt hatten, haben die Kläger das
gerichtliche Mahnverfahren gegenüber dem Beklagten betrieben. Am 12.08.2006 ist der
entsprechende Mahnbescheid dem Beklagten zugestellt worden.
Neben der Hauptforderung machen die Kläger Rechtsanwaltsgebühren aus
vorgerichtlicher Tätigkeit i.H.v. 55,25 Euro gegenüber dem Beklagten geltend.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 971,52 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12.08.2006 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat gegenüber der Klageforderung mit einem von ihm gegenüber den
Klägern geltend gemachten Schadensersatzanspruch in Höhe der Klageforderung
aufgerechnet. Er vertritt hierzu die Auffassung, die Kläger hätten dadurch, dass sie es
bei Auftragserteilung erlassen hätten, gemäß § 49 b Abs. 5 BRAO darauf hinzuweisen,
dass die Vergütung ihrer Höhe nach vom Gegenstandswert abhänge, ihre anwaltlichen
Pflichten ihm gegenüber verletzt. Insoweit bestehe ein Schadensersatzanspruch zu
seinen Gunsten, der deckungsgleich sei mit der Klageforderung. Der Beklagte trägt
hierzu – was zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist – vor, dass er keinen Auftrag
an die Kläger erteilt hätte, wenn er gewusst hätte, dass Gebühren in Höhe von mehr als
900,– Euro entstehen würden. Er hätte sich bei Kenntnis von diesem Umstand entweder
an die amtsgerichtliche Rechtsantragsstelle gewandt oder sich selbst vertreten.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache vollumfänglich Erfolg.
Die Kläger haben einen Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von
Rechtsanwaltsgebühren in Höhe der Klageforderung aus dem mit dem Beklagten
geschlossenen Anwaltsvertrag (§§ 675, 611 BGB).
Wie zwischen den Parteien unstreitig geblieben ist, haben die Kläger den Beklagten in
einem die geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren auslösenden Umfang
außergerichtlich und gerichtlich sowie im Vollstreckungsverfahren gegenüber der
damaligen Schuldnerin des Beklagten anwaltlich vertreten.
Die hierfür geltend gemachten Gebühren begegnen auch hinsichtlich ihres Wertansatzes
keinen Bedenken.
Der insoweit in Höhe der Klageforderung gegenüber dem Beklagten entstandene
Anspruch ist nicht durch die seitens des Beklagten erklärte Aufrechnung mit einem
etwaigen in gleicher Höhe bestehenden Schadensersatzanspruch gegenüber den
Klägern erloschen (§§ 387, 389 BGB).
Denn ein solcher Schadensersatzanspruch aus schuldhafter Verletzung des
Anwaltsvertrages ist zu keinem Zeitpunkt zu Gunsten des Beklagten gegenüber den
Klägern zur Entstehung gelangt.
Zwar haben es die Kläger bei Erteilung des anwaltlichen Mandats unstreitig unterlassen,
den Beklagten gemäß § 49 b BRAO darauf hinzuweisen, dass sich die möglicherweise
von ihm zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert richten.
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In Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Tagung der Gebührenreferenten der
Bundesrechtsanwaltskammer vom 19.03.2005 (BRAK-Mitt. 6/2005 S. 271 f.) geht das
Gericht jedoch davon aus, dass die Verletzung dieser Pflicht lediglich berufsrechtliche
Konsequenzen und keinen Schadensersatzanspruch bzw. einen auf Freistellung von der
Gebührenforderung gerichteten Anspruch des Mandanten gegenüber dem Rechtsanwalt
begründen kann.
Nach der auch im Gesetzgebungsverfahren zutage getretenen Intention des
Gesetzgebers sollte die Unterrichtungsverpflichtung des § 49 b Abs. 5 BRAO die
allgemeine anwaltliche Berufspflicht gemäß § 43 BRAO konkretisieren (vgl. ,
MDR 2004, 1092 mwN) mit der Folge, dass eine Verletzung dieser besonders
ausgestalteten Hinweispflicht zwar berufsrechtliche, nicht jedoch
schadensersatzrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann (so auch , BRAK-
Mitt. 3/2004, S. 103, 104; , a.a.O. S. 1094).
Zwar wird insoweit in der Literatur auch die Auffassung vertreten, ein Verstoß des
Anwalts gegen § 49 b Abs. 5 BRAO könne jedenfalls dann eine Schadensersatzpflicht
gegenüber dem Auftraggeber auslösen, wenn der Rechtsanwalt in vorwerfbarer Weise
einen Hinweis nicht, unklar oder verspätet gegeben habe ( , NJW 2004, 2484).
Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen.
§ 49 b Abs. 5 BRAO verpflichtet den Rechtsanwalt bzw. die Rechtsanwältin bei
Mandatserteilung lediglich, auf die Berechnungsart "Gegenstandswert" hinzuweisen (vgl.
hierzu auch , a.a.O. S. 1094). Diese Hinweispflicht beinhaltet zum einen nicht
die Höhe der vermutlich bzw. möglicherweise anfallenden Rechtsanwaltsgebühren (
, a.a.O.), die sich auch oftmals am Beginn des Mandats noch gar nicht absehen
lässt. Zum anderen beinhaltet die Hinweispflicht auch nicht die Pflicht, auf das Entstehen
von Gebühren überhaupt hinzuweisen. Denn ein "verständiger Rechtssuchender und
durchschnittlicher Verbraucher" ( , a.a.O. S. 104) geht üblicherweise nicht davon
aus, dass die anwaltliche Leistung rein aus Gefälligkeit erbracht wird. Daraus folgt, dass
selbst in dem Fall, in dem überhaupt kein Anwaltsvertrag zustande gekommen wäre, der
Mandant den anwaltlichen Vergütungsanspruch wegen § 818 Abs. 2 BGB im Rahmen
eines Anspruchs aus ungerechtfertigter Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) schulden würde.
Danach ist es nicht vorstellbar, dass eine Verletzung des § 49 b Abs. 5 BRAO einen
Schadensersatzanspruch auslöst, welcher auf die Befreiung von der Pflicht zur Zahlung
der Rechtsanwaltsgebühren gerichtet wäre.
Darüber hinaus könnte selbst dann, wenn man von dem Bestehen eines auf Ersatz des
"Nichtbelehrungsschadens" ( , a.a.O. S. 1094) gerichteten
Schadensersatzanspruchs zu Gunsten des Mandanten ausginge, dieser nicht auf die
Befreiung von der Verpflichtung zur Zahlung der Anwaltsgebühren gerichtet sein. Denn
hierfür fehlt es regelmäßig an einer Kausalität zwischen der fehlenden Belehrung über
die Bemessungs der Gebühren und der Auftragserteilung.
Die neben der Hauptforderung geltend gemachten außergerichtlichen
Rechtsanwaltsgebühren sind in Höhe des nicht in den Verfahrenskosten aufgehenden
Anteils von 0,65 Gebührenteilen aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§ 286 BGB)
heraus gerechtfertigt.
Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 288 BGB gerechtfertigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtfertigung in den
§§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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