Urteil des AG Charlottenburg vom 14.03.2017

AG Charlottenburg: allgemeine geschäftsbedingungen, wohnung, transparenzgebot, räumung, betriebskosten, vollstreckung, meinung, vermieter, verbraucherschutz, aufzählung

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
204 C 8/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 305 Abs 2 Nr 2 BGB, § 307 Abs
1 S 2 BGB, § 545 BGB, § 568
BGB, § 568aF BGB
Formularmäßiger Wohnraummietvertrag: Inhaltskontrolle für
eine Abbedingung stillschweigender Verlängerung des
Mietverhältnisses bei Ablauf der Mietzeit
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird gestattet, die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 Prozent des vollstreckbaren Betrages
abzuwenden, soweit nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115
Prozent des jeweiligen Vollstreckungsbetrages leistet.
Tatbestand
Die Kläger sind Vermieter, der Beklagte ist Mieter der im Hause ..., 10711 Berlin, 4.OG
rechts belegenen Wohnung. In dem formularmäßigen Mietvertrag vom 31.3.1970 ist
unter § 2 Ziff. 6 bestimmt:
"Bei Ablauf der Mietzeit findet § 568 BGB keine Anwendung. Die Vereinbarung einer
anderen als der im Abs. 1 vorgesehenen Verlängerung bedarf der Schriftform."
Mit Schreiben vom 29.9.2005, das dem Beklagten am 30.9.2005 zuging, kündigten die
Kläger, vertreten durch die ... GmbH, dem Beklagten fristgemäß wegen Eigenbedarfs
"zum nächstmöglichen Zeitpunkt". Weiter heißt es in dem Schreiben:
"Sollte die Räumung und Herausgabe nicht bis zum 30.6.2006 erfolgt sein, sind wir
beauftragt, Sie gerichtlich in Anspruch zu nehmen."
Wegen der Einzelheiten des Kündigungsschreibens wird auf Bl. 11f. d. A. Bezug
genommen.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 13.11.2006, dem Beklagten zugegangen am
17.11.2006, wurde der Beklagte von den Klägern unter Bezugnahme auf die Kündigung
vom 29.9.2005, die zum 30.9.2006 erfolgt sei, erstmals erneut zur Räumung der
Wohnung aufgefordert.
Die Kläger sind der Auffassung, dass der Beklagte sich wegen der in § 2 Ziff. 6 des
Mietvertrages enthaltene Klausel nicht auf eine stillschweigende Verlängerung des
Mietverhältnisses gemäß § 545 BGB berufen könne. Im Übrigen sei die Kündigung nicht
zu einem bestimmten Termin erfolgt.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, die im Hause ..., 10711 Berlin, 4. OG rechts belegene
Wohnung, bestehend aus 3 Zimmern, einer Kammer, Küche, bad, Toilette, Flur und
Kellerraum zu räumen und an die Klägerin herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, das Mietverhältnis sei gemäß § 545 BGB von den Klägern
stillschweigend fortgesetzt worden. Durch die in § 2 Ziff. 6 des Mietvertrages enthaltene
Klausel sei die Vorschrift nicht wirksam abbedungen worden, da für einen
formularmäßigen Ausschluss die textliche Wiedergabe der Norm erforderlich sei.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
Den Klägern steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Räumung der Wohnung nach §
546 Abs. 1 BGB nicht zu, denn das Mietverhältnis ist durch die Kündigung vom 29.9.2005
nicht beendet worden, sondern besteht gemäß § 545 BGB auf unbestimmte Zeit fort.
Die Rechtsfolge des § 545 BGB tritt ein, wenn der Mieter nach Ablauf der Mietzeit den
Gebrauch der Mietsache fortsetzt, sofern nicht der Vermieter binnen zwei Wochen nach
dem Zeitpunkt, in dem er von der Fortsetzung Kenntnis erhält, dem anderen Teil seinen
entgegenstehenden Willen erklärt. Dies ist hier der Fall. Die Kündigung vom erfolgte
fristgemäß zum 30.6.2006. In dem Kündigungsschreiben, das dem Beklagtem am
30.9.2005 zuging, wurde die Kündigung zum "nächstmöglichen" Termin erklärt. Dies ist
gemäß § 573c Abs. 1 BGB der 30.6.2006, denn nach § 573c Abs. 1 S. 2 verlängert sich
die in § 573c Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehene Kündigungsfrist (Kündigung bis zum dritten
Werktag eines Monat zum Ablauf des übernächsten Monats, d. h. hier bis zum
31.12.2005) wegen der bereits 35-jährigen Mietzeit um 6 Monate. Dass auch die
Beklagten von diesem Mietende ausgingen, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie in
dem Kündigungsschreiben für den Fall, dass der Beklagte nicht bis zum 30.6.2006
auszieht, gerichtliche Schritte ankündigten.
Die Anwendbarkeit von § 545 BGB ist auch nicht wirksam durch § 2 Ziff. 6 des
Mietvertrages ausgeschlossen worden. Zwar kann die Vorschrift formularmäßig
abbedungen werden (BGH, Urt. v. 15.5.1991, NJW 1991, 1750), jedoch verstößt die hier
verwendete Klausel gegen das in §§ 305 Abs. 2 Nr. 2 und 307 Abs. 1 S. 2 BGB
enthaltene Transparenzgebot. Danach müssen formularmäßige Klauseln für einen
Durchschnittsbürger klar und verständlich sein. Ob dies bei Klauseln wie der hier
verwendeten der Fall ist, ist in jüngerer Zeit in Rechtsprechung und Literatur streitig
geworden. Das OLG Rostock (Urt. v. 29.5.2006, GE 2007, 219) vertritt die Ansicht, es
genüge für eine wirksame Abbedingung, dass in der Formularklausel wie im vorliegenden
Fall lediglich der Paragraf mit der entsprechenden Nummer bezeichnet werde. Es sei
dem Mieter zuzumuten, sich mit dem Gesetz zu befassen, wenn in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen auf einen bestimmten Paragrafen Bezug genommen werde. Eine
Klausel, die sich auf einen für jedermann einsehbaren Gesetzestext beziehe, könne nicht
gegen das Transparenzgebot verstoßen. Auch habe der Bundesgerichtshof für die
formularmäßige Vereinbarung der umlegbaren Betriebskosten die Bezugnahme auf die
Betriebskostenverordnung für zulässig erachtet (BGH, Urt. v. 7.4.2004, NJW-RR 2004,
875). Nach der bisher herrschenden Meinung (u. a. vertreten durch OLG Schleswig,
Rechtsentscheid vom 27.3.1995, NJW 1995, 2858; OLG Frankfurt, Rechtsentscheid vom
8.11.1999, WuM 2000, 15, LG Berlin, Urt. v. 8.7.1996, WuM 1996, 707;
Kinne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 4. Aufl. 2005, § 545 Rn. 3) reicht es für
eine formularmäßige Abbedingung des § 545 BGB nicht aus, dass schlicht auf den
Paragrafen verwiesen wird. Vielmehr sei erforderlich, dass die Regelung textlich oder
ihrem wesentlichen Inhalt nach in die Formularklausel aufgenommen wird. Ansonsten sei
die Klausel für einen rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittsmieter nicht verständlich,
sondern nur für Juristen.
Das erkennende Gericht folgt der bisher herrschenden Meinung. Das Transparenzgebot
ist eine insbesondere auf den Verbraucherschutz abzielende Vorschrift. Für den Mieter
als Verbraucher sollen Mietverträge verständlich sein. Dies ist bei der bloße Nennung
einer Norm nicht gewährleistet, wenn wie bei der vorliegenden Klausel nicht einmal
ansatzweise erkennbar ist, was Regelungsgegenstand dieser Norm ist, nämlich dass es
um die stillschweigende Verlängerung des Mietverhältnisses nach Ablauf der Mietzeit
geht. Die §§ 305ff. BGB bezwecken den Schutz der Vertragspartei, gegenüber der
Allgemeine Geschäftsbedingungen Verwendung finden, vor einer Überrumpelung durch
den Verwender durch Klauselwerke, deren rechtliche Tragweite er nicht oder nur schwer
überschauen kann. Eine solche Überrumpelung ist aber bei der bloßen Bezugnahme auf
Normen, deren Regelungsgegenstand nicht einmal ansatzweise mitgeteilt wird, zu
befürchten. Insoweit trägt der Hinweis darauf nicht, der Mieter möge ins Gesetz schauen.
Zwar ist maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Frage, ob ein Verstoß gegen das
Transparenzgebot vorliegt, der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, jedoch muss auch
berücksichtigt werden, dass der Vertrag – insbesondere hinsichtlich der Regelungen für
den Fall der Beendigung des Mietverhältnisses – später als Informations- und
Verhaltensgrundlage für die Parteien dient. Es kann aber geschehen, dass wie hier durch
Gesetzesreformen auch Paragrafennummern geändert werden, so dass für den
Nichtjuristen völlig unverständlich wird, was mit der Abbedingung einer bestimmten
Norm gemeint sein soll. Während § 568 BGB a. F. dem heutigen § 545 BGB entspricht,
regelt § 568 BGB n. F. heute die Schriftform einer Kündigung. Dies im Laufe des – hier
zur Zeit der Kündigung bereits 35 Jahre andauernden – Mietverhältnisses
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zur Zeit der Kündigung bereits 35 Jahre andauernden – Mietverhältnisses
nachzuvollziehen, kann in der Tat nur von Juristen verlangt werden. Schließlich greift der
Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Inbezugnahme von
Regelungen der Betriebskostenverordnung nicht. Denn bei diesen Klauseln ist dem
Mieter durch den Vertragstext klar, was in der genannten Rechtsvorschrift steht, nämlich
eine Aufzählung der umlagefähigen Betriebskosten, während er bei der vorliegenden
Klausel über den Regelungsgegenstand der Vorschrift nicht informiert wird. Dem
entsprechend hat auch der Bundesgerichtshof in dem genannten Urteil deutlich
gemacht (aaO, S. 876) deutlich gemacht, dass nicht jeglicher Verweis auf Rechtsnormen
zulässig ist, sondern dass hinsichtlich der "sonstigen Betriebskosten", die nicht im
einzelnen aufgezählt sind, nicht formularmäßig auf die Betriebskostenverordnung
verwiesen werden dürfe.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1 u. 2, 711 ZPO.
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