Urteil des AG Charlottenburg vom 28.12.2006

AG Charlottenburg: einstellung des verfahrens, gebühr, örtliche zuständigkeit, schweigerecht, akteneinsicht, polizei, kausalität, bestätigung, schweigen, versicherungsvertrag

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
215 C 8/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 2 Abs 2 S 1 Anl 1 Nr 5115 RVG
Verteidigerkosten: Gebühr für die Mitwirkung an der Einstellung
des Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahrens
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger gegenüber Rechtsanwalt ...,
Berlin, von der Erstattung der noch offenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe
von 124,66 Euro zuzüglich 19,95 Euro Mehrwertsteuer aus der Rechnung
vom 28. Dezember 2006, Geschäftszeichen 209/06GS, freizustellen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Im Rahmen der Zulässigkeit ist lediglich auszuführen, dass die örtliche Zuständigkeit
des Amtsgerichts Charlottenburg gemäß § 48 Abs. 1 VVG durch die Niederlassung des
Agenten, über den der Kläger den Versicherungsvertrag mit der Beklagten
abgeschlossen hat, in der ... und damit im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts
Charlottenburg begründet ist.
2. Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung von den im Tenor zu Ziffer 1.
genannten Rechtsanwaltsgebühren durch die Beklagte gegenüber seinem jetzigen
Prozessbevollmächtigten aus § 1 Abs. 1 VVG i.V.m. § 21 Abs. 1, Abs. 4, § 2 lit. j der dem
Versicherungsvertrag zwischen den Parteien zugrunde gelegten Allgemeinen
Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2002) gegen die Beklagte.
Der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers hat diesem gegenüber im Rahmen von
dessen Vertretung in der vom Zentraldienst der Polizei des Landes Brandenburg unter
dem Aktenzeichen 230/06/0101518/4 gegen den Kläger geführten
Ordnungswidrigkeitenangelegenheit nach deren Abschluss nämlich mit Schreiben vom
28. Dezember 2006 zu Recht auch die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Ziffer 5115
Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG in Rechnung gestellt, so dass der Kläger der Beklagten
gegenüber im Rahmen des vereinbarten Versicherungsschutzes insofern Freistellung
verlangen kann.
Diesbezüglich ist zunächst anzuführen, dass die aus der Rechnung vom 28. Dezember
2006 ausstehende Vergütung der Höhe nach nicht vollkommen deckungsgleich mit der
Gebühr nach Ziffer 5115 Abs. 1 Ziffer 1, 5103 VV RVG ist. Zwischen den Parteien
bestand aber sowohl vorprozessual als auch im Rahmen der prozessualen
Argumentation Einigkeit darüber, dass die Beklagte lediglich die Begleichung der Gebühr
nach Ziffer 5115 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG verweigert, so dass die Freistellung von der
ausstehenden Vergütungsforderung aufgrund der Berechtigung der Gebühr nach Ziffer
5115 VV RVG begründet ist.
Die Gebühr nach Ziffer 5115 VV RVG ist für die Tätigkeit des jetzigen
Prozessbevollmächtigten des Klägers im Rahmen des gegen diesen geführten
Ordnungswidrigkeitenverfahrens des Zentraldienstes der Polizei des Landes
Brandenburg entstanden, weil davon auszugehen ist, dass die endgültige Einstellung des
Ordnungswidrigkeitenverfahrens durch die Mitwirkung des Rechtsanwalts ... erfolgt ist.
Grundlage dafür ist sein Schreiben an den Zentraldienst der Polizei des Landes
Brandenburg vom 18. September 2006, mit dem dieser die Vertretung des hiesigen
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Brandenburg vom 18. September 2006, mit dem dieser die Vertretung des hiesigen
Klägers anzeigt, um Akteneinsicht bittet und darüber hinaus folgendes ausführt:
"Vorerst macht der Mandant von seinem Schweigerecht Gebrauch. Eine Einlassung zur
Sache bleibt nach Akteneinsicht vorbehalten.".
Diese Ausführungen sind jedoch in Abweichung von der durch die Beklagte vertretenen
Ansicht als Mitwirkung bei der endgültigen Einstellung des Verfahrens zu sehen. Soweit
sich die Beklagte in ihrer Argumentation darauf bezieht, dass sogenanntes gezieltes
Schweigen nicht als Mitwirkung angesehen werden könne, kann diese Ansicht hier nicht
zugrunde gelegt werden. Zwar ist die diesbezüglich auch in der Rechtsprechung
vertretene Meinung (so AG Achern, JurBüro 2001, 304 (305) zu dem vom Wortlaut her
entsprechend formulierten § 84 Abs. 2 BRAGO) durchaus plausibel, da der Anwalt im
Falle von gezieltem Schweigen eben keine nach außen tretende Tätigkeit entfaltet,
sondern sich rein passiv verhalten hat. So liegt der Fall hier jedoch nicht, weil in dem
über die bloße Bestellungsanzeige und Akteneinsichtsbitte hinausgehenden Schreiben
vom 18. September 2006 eben durchaus eine aktive Tätigkeit des klägerischen
Rechtsanwalts liegt. Für die gebührenrechtliche Bewertung dieser Tätigkeit ist danach
aber Ziffer 5115 Abs. 2 VV RVG zu beachten, wonach die Gebühr nach Abs. 1 (nur) dann
nicht entsteht, wenn eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht
ersichtlich ist. Daraus ergibt sich zum einen, dass die Kausalität der anwaltlichen
Tätigkeit gerade nicht geprüft werden muss und eben auch nicht Voraussetzung des
anwaltlichen Gebührenanspruchs ist, sondern nur die objektive Eignung des vom Anwalt
geleisteten Beitrags entscheidend ist, und zum anderen, dass diese Eignung
grundsätzlich vermutet wird, also nur offensichtlich nicht förderliche sachfremde oder
neutrale (Bestellungsanzeige, Akteneinsichtsbitte) anwaltliche Äußerungen von der
Vergütung ausgeschlossen werden sollten (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1999, 131
(132)).
Vor diesem Hintergrund ist das Schreiben des jetzigen klägerischen
Prozessbevollmächtigten aber als gebührenauslösend im Sinne von Ziffer 5115 VV RVG
anzusehen. Die – nach anwaltlicher Beratung gegenüber dem Mandanten – an die
Bußgeldstelle erfolgte Mitteilung, dass der Mandant vorläufig von seinem Schweigerecht
Gebrauch machen werde, ist objektiv als geeignet anzusehen, um die endgültige
Verfahrenseinstellung zu fördern. Die Bußgeldstelle muss sich danach nämlich anhand
des Akteninhalts mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern ein Beweis des
Ordnungswidrigkeitenvorwurfs ohne eine Bestätigung durch den Betroffenen zu führen
sein wird. Sieht die Bußgeldstelle insofern keine ausreichenden Möglichkeiten, so wird die
Gebrauchmachung vom Schweigerecht sogar ein entscheidender Beitrag zur Einstellung
des Verfahrens sein. Eine davon abweichende Beurteilung ist vorliegend auch nicht
dadurch gerechtfertigt, dass der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers für diesen
zunächst lediglich vorläufig vom Schweigerecht Gebrauch gemacht und sich eine
Einlassung zur Sache nach Akteneinsicht vorbehalten hat. Auch diese Äußerung konnte
die Bußgeldstelle bereits in ihre Bewertung der Beweismöglichkeiten integrieren. Anhand
der Äußerung war nämlich zu vermuten, dass sich der Betroffene nach der Akteneinsicht
auch weiterhin und damit endgültig auf sein Schweigerecht berufen würde, wenn sich
nach der durch den Anwalt genommenen Akteneinsicht externe Beweismöglichkeiten
nicht abzeichnen würden, die Bußgeldstelle also allein auf die Bestätigung durch den
Betroffenen angewiesen wäre. Der Bußgeldstelle war daher schon nach dieser Äußerung
eine umfassende Würdigung der Beweislage möglich, die letztlich die Entscheidung über
die endgültige Verfahrenseinstellung beeinflusste. Unter Berücksichtigung dieser
Umstände kann daher auch der konkreten Äußerung des Rechtsanwalts im vorliegenden
Fall die objektive Eignung der Förderung einer endgültigen Verfahrenseinstellung
keineswegs abgesprochen werden. Die Kausalität der mitwirkenden Tätigkeit ist dagegen
– wie oben bereits ausgeführt – nicht erforderlich, die tatsächliche Förderung des
Verfahrens wird gemäß Ziffer 5115 VV RVG vermutet. Diese Umstände verkennt jedoch
offenbar das AG Dinslaken in seiner auch von der Beklagten zitierten Entscheidung
(JurBüro 1996, 308 in Bezug auf § 84 Abs. 2 BRAGO). Darin ist ausgeführt, dass die
Gebühr nach § 84 Abs. 2 BRAGO für die anwaltliche Mitteilung, dass eine Einlassung des
Mandanten nicht erfolgen würde, nicht berechtigt wäre, "weil das Verfahren ohnehin
eingestellt worden wäre.". Unabhängig davon, dass nicht ersichtlich ist, worauf das
dortige Gericht diese Erkenntnis stützt, wird die Gebührenablehnung ganz offenbar mit
der fehlenden Kausalität der Mitwirkungshandlung begründet, obwohl die Vorschrift zuvor
zutreffend wiedergegeben wurde. Die Frage der objektiven Eignung und die Vermutung
der Verfahrensförderlichkeit wird jedoch damit verkannt.
Abschließend sei für das vorliegende Verfahren noch angeführt, dass der Zentraldienst
der Polizei bei seiner Einstellungsmitteilung vom 26. September 2006 als Bezug das
streitgegenständliche Schreiben vom 18. September 2006 angegeben hat und dass die
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streitgegenständliche Schreiben vom 18. September 2006 angegeben hat und dass die
Einstellung zeitlich gesehen auch unmittelbar auf dieses Schreiben erfolgt ist. Auch
dieser Verlauf legt die Vermutung nahe, dass der Inhalt des Schreibens von nicht
unerheblicher Bedeutung für die Einstellungsentscheidung war; die Feststellung, dass
eine verfahrensfördernde Tätigkeit nicht ersichtlich wäre (Ziffer 5151 Abs. 2 VV RVG),
wird damit jedenfalls ausgeschlossen.
Damit hat der jetzige klägerische Prozessbevollmächtigte dem Kläger gegenüber für
sein Tätigwerden im Rahmen des gegen diesen gerichteten Bußgeldverfahrens zu Recht
die zusätzliche Verfahrensgebühr nach Ziffer 5115 Abs. 1 Ziffer 1 VV RVG in Rechnung
gestellt. Der Kläger hat daher der Beklagten gegenüber, die ihre Weigerung, den offenen
Restbetrag aus dem an sie gerichteten Schreiben vom 06. Oktober 2006 (insofern
inhaltsgleich mit der Rechnung an den Kläger vom 28. Dezember 2006) zu zahlen, allein
auf die ihrer Ansicht nach fehlende Berechtigung der Gebühr nach Ziffer 5115 VV RVG
begründet hat, im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden
Versicherungsverhältnisses einen Anspruch auf Freistellung von der restlichen
Gebührenforderung aus der Rechnung vom 28. Dezember 2006.
Der Klage war daher in vollem Umfang stattzugeben.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
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