Urteil des AG Charlottenburg vom 17.01.2006

AG Charlottenburg: einstweilige verfügung, schutz der persönlichkeit, beitrag, persönlichkeitsrecht, versicherung, internetadresse, pseudonym, reisebüro, vollmacht, eltern

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Gericht:
AG Charlottenburg
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
218 C 1001/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG,
§ 823 Abs 1 BGB, § 1004 Abs 1
S 1 BGB
Postmortales Persönlichkeitsrecht: Nennung des Namens eines
Verstorbenen im Internet
Tenor
1. Die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Charlottenburg vom 17. Januar 2006 –
218 C 1001/06 – wird aufgehoben und der Antrag der Verfügungskläger vom 16. Januar
2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungskläger haben die Kosten des Verfügungsverfahrens zu tragen.
Tatbestand
Die Verfügungskläger sind die leiblichen Eltern und laut Erbschein des Amtsgerichts
Neukölln Erben des im Oktober 1998 im Alter von 26 Jahren verstorbenen .... Der
Verfügungsbeklagte ist ein zur Nummer ... Nz. im Register beim Amtsgericht
Charlottenburg eingetragener Verein und Inhaber der Internetadresse "...de". Der
Verfügungsbeklagte betreibt unter der Internetadresse "de..." eine Enzyklopädie, die frei
zugänglich und deren Beiträge frei abrufbar sind.
Die Verfügungskläger rügen im Termin der mündlichen Verhandlung die wirksame
Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten. Nachdem
Rechtsanwalt ... erklärte, er könne jetzt eine schriftliche Vollmacht nicht vorlegen und
zudem darauf verwies, dass der 1. Vorsitzende des Verfügungsbeklagten ja neben ihm
stehen würde, erklärte der 1. Vorsitzende, Herr ..., er mache sich die Ausführungen von
Rechtsanwalt ... zu eigen.
Zu Beginn des Termins zur Verkündung einer Entscheidung am 02.02.2006 erklärte der
Prozessbevollmächtigte der Verfügungskläger, er habe vor einigen Stunden per E-Mail
erfahren, dass der Vorstand der Verfügungsbeklagten den Rechtsanwälten ... und
Kollegen keine Vollmacht erteilt habe; er monierte ferner, dass der 1. Vorsitzende allein
im Termin der mündlichen Verhandlung aufgetreten sei, was dazu geführt habe, dass
der Verein wegen des Fehlens eines zweiten Vorstandes nicht ordnungsgemäß vertreten
gewesen sei. Aufgrund dessen hat das Gericht mit Beschluss vom 02.02.2006 (Bl. 232 d.
A.) dem Verfügungsbeklagten zu der erfolgten Rüge der Vollmacht und der Vertretung
des Verfügungsbeklagten eine Frist sowie den Verfügungsklägern eine Erwiderungsfrist
eingeräumt.
Der Verfügungsbeklagte legte mit Schriftsatz vom 03.02.2006 die schriftliche Vollmacht
für die Rechtsanwälte ... und Kollegen vor, aus der sich auch ergibt, dass die Vollmacht
für sämtliche Handlungen und Erklärungen der Prozessbevollmächtigten im vorliegenden
Verfügungsverfahren gelten soll (Bl. 236 d. A.). Ferner wird eine notariell beglaubigte
Erklärung des 2. Vorsitzenden ... vom 02.02.2006 vorgelegt, in der dieser erklärt, er
genehmige die von Herrn ... in diesem Verfahren abgegebene Erklärung, wonach sich
Herr ... die Ausführungen von Rechtsanwalt ... zu eigen mache (Bl. 238 d. A.).
Die Verfügungskläger behaupten unter Bezugnahme auf die eidesstattliche
Versicherung der Verfügungsklägerin zu 2. (Anl. AS 11, Bl. 174 d. A.), dass sie die Mutter
und der Verfügungskläger zu 1. der leibliche Vater des ... ist und ihr Sohn keine
Geschwister hat sowie weder verheiratet war noch eigene oder adoptierte Kinder hatte.
Die Verfügungskläger behaupten ferner, dass sie am 05.01.2006 von ihrem
Prozessbevollmächtigten erfahren hätten, dass der Verfügungsbeklagte – neben der
englischsprachigen Domain – auch unter der deutschsprachigen Domain "de..." unter
"..." sowie "..." Beiträge zu ihrem verstorbenen Sohn vorhalten würde, die den
ungekürzten Nachnamen ihres verstorbenen Sohnes nennen würden (die
Verfügungskläger nehmen dazu Bezug auf die eingereichte Anl. AS 5, Bl. 14-18 d. A.);
dabei werde der Inhalt der Internetseite "...de" als sogen. Redirect ohne weitere
erkennbare Zwischenschritte direkt auf die Internetadresse "de..." weitergeleitet, was
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erkennbare Zwischenschritte direkt auf die Internetadresse "de..." weitergeleitet, was
durch eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Verfügungskläger
(Anl. AS 4 a, Bl. 12 d. A.) glaubhaft gemacht wird.
Die Verfügungskläger behaupten des weiteren unter Bezugnahme auf die eingereichten
vorgerichtlichen Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.11.2005 und vom
27.12.2005, dass dem Verfügungsbeklagten jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der
bürgerliche Namen ihres verstorbenen Sohnes bekannt gewesen sei, so dass eine
Nennung des Nachnamens in dem Verfügungsantrag nicht erforderlich gewesen sei; die
fehlende Benennung des Nachnamens ihres Sohnes würde nicht dazu führen, dass es
sich um einen unbestimmten Unterlassungsantrag handeln würde und dass eine
etwaige gerichtliche Entscheidung nicht vollstreckbar sei. Ihr verstorbener Sohn sei in
Fachkreisen zu keinem Zeitpunkt unter seinem bürgerlichen Namen ..., sondern stets
unter seinem Pseudonym "..." aufgetreten. Unter Bezugnahme auf die eidesstattliche
Versicherung des Herrn ... (Anl. AS 22, Bl. 205 d. A.) behaupten die Verfügungskläger,
dass ihr Sohn im Rahmen seiner Forschungstätigkeit sowie als Hacker ausschließlich
unter seinem Pseudonym "..." aufgetreten sei, um verhindern zu wollen, dass insbes.
sein Vater, der den gleichen Nachnamen trägt, mit den unbestreitbar rechtlich
grenzwertigen Aktivitäten in Verbindung gebracht werden könne; deshalb sei der Sohn
auch nicht offizielles Mitglied des Chaos Computer Club e. V. geworden, weil er dies nur
unter seinem bürgerlichen Nachnamen hätte machen können. Diese Besorgnis des
Sohnes der Verfügungskläger habe sich im Rahmen der Internet-Diskussion aufgrund
der Nennung des Nachnamens "..." in der streitgegenständlichen URL realisiert, indem in
einigen Diskussionsbeiträgen der Name des Verfügungsklägers zu 1. genannt worden
sei und eine Postkarte an das von dem Verfügungskläger zu 1. früher betriebene
Reisebüro und ein Anruf bei der jetzigen Inhaberin eingegangen sei (die
Verfügungskläger berufen sich auf die im Termin vorgelegte Postkarte und die
eidesstattliche Versicherung der Frau ..., Bl. 219 d. A. sowie auf ein Anlagen-Konvolut mit
Internet-Ausdrucken, Bl. 213 d. A.).
Der Verfügungskläger zu 1. behauptet unter Bezugnahme auf die Anl. AS 23 (Bl. 206 d.
A.) und auf seine eidesstattliche Versicherung vom 31.01.2006 (Bl. 220 d. A.), dass er
nach seiner eigenen Kenntnis allein in der Bundesrepublik Deutschland den Nachnamen
"..." trage; dieser Nachname sei damit derartig einzigartig, dass es bei Nennung des
bürgerlichen Nachnamens seines Sohnes auf einer Internet-Plattform leicht dazu
komme, dass er als Vater des ... identifiziert und mit dessen Vergangenheit als Hacker
in Verbindung gebracht werde, wodurch seine Menschwürde selbst verletzt werde. Der
Verfügungskläger zu 1. stützt insbesondere mit dieser Begründung den
Unterlassungsantrag auf sein eigenes Persönlichkeitsrecht.
Die Verfügungskläger sind der Auffassung, dass bei Abwägung des Grundrechtes auf
freie Entfaltung der Persönlichkeit mit dem Grundrecht auf Meinungs-, Presse-, Kunst-
und Wissenschaftsfreiheit (Informationsfreiheit) dem Namensschutz das überwiegende
Schutzinteresse einzuräumen sei.
Auf den Antrag der Verfügungskläger vom 16.01.2006 hat das Amtsgericht
Charlottenburg mit Beschluss vom 17.01.2006 eine einstweilige Verfügung, die dem
Verfügungsbeklagten am 18.01.2006 zugestellt wurde, mit folgendem Inhalt erlassen:
"Dem Antragsgegner wird es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der
Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise
Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, die Internetadresse ...
auf die Internetadresse ... weiterzuleiten, solange unter der Internetadresse ... ein
Beitrag vorgehalten wird, der den bürgerlichen Nachnamen des Sohnes der Antragsteller
nennt."
Der Verfügungsbeklagte hat dagegen am 19.01.2006 Widerspruch eingelegt und
gleichzeitig beantragt, die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss über die einstweilige
Verfügung vorläufig auszusetzen. Mit Beschluss vom 20.01.2006 (Bl. 34 ff. d. A.) ist die
Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss gegen Sicherheitsleistung einstweilen
eingestellt worden.
Die Verfügungskläger beantragen,
die einstweilige Verfügung vom 17.01.2006 aufrecht zu erhalten.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung des Amtsgerichts Charlottenburg vom 17. Januar 2006,
Az: 218 C 1001/06, aufzuheben und den auf ihren Erlass gerichteten Antrag abzuweisen.
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Der Verfügungsbeklagte rügt, dass es dem Unterlassungsantrag und dem Tenor des
Beschlusses an der notwendigen Bestimmtheit mangele, weil aus der einstweiligen
Verfügung der bürgerliche Nachname des Sohnes der Verfügungskläger nicht
hervorgeht. Er rügt ferner, dass die Verfügung unverhältnismäßig sei und gegen das in
Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Rechtsstaatsgebot verstoße; die Durchsetzung der
Unterlassungsverfügung würde nämlich zur Folge haben, dass der Verfügungsbeklagte
bei einer etwaigen Verletzung der Rechte der Verfügungskläger die Weiterleitung auf ca.
346.280 Beiträge nicht vornehmen könne.
Der Verfügungsbeklagte bestreitet, dass der betreffende Beitrag auf der Seite ...
abrufbar sei; dies sei nur unter der URL ..." möglich. Jedoch müsse der Nutzer dafür
verschiedene Schritte auf dem Computer gehen, um über den Namen "..." auf eine
Zwischenseite der Enzyklopädie auf neun Artikel über "..." zu kommen und dann den
betreffenden Artikel anklicken; eine automatische Weiterleitung finde nicht statt (der
Verfügungsbeklagte bezieht sich auf die Anlagen AG 3, AG 4, und AG 5, Bl. 114-116 d.
A.). Der Verfügungsbeklagte meint zudem, dass die Verfügungskläger ihre
Aktivlegitimation nicht glaubhaft gemacht hätten, wobei sie bei Existenz eines Ehegatten
bzw. von Kindern ihres Sohnes als Eltern nur eine nachrangige
Wahrnehmungsberechtigung hinsichtlich des postmortalen Namensrechtsschutzes
hätten.
Der Verfügungsbeklagte bestreitet ferner, dass der verstorbene Sohn der
Verfügungskläger in Fachkreisen ausschließlich unter seinem Pseudonym "..."
aufgetreten sei; dem stehe schon entgegen, dass der Verstorbene unter seinem
bürgerlichen Namen studiert und eine im Internet frei verfügbare und seinen
bürgerlichen Namen ausweisende Diplomarbeit verfasst habe. Er bestreitet zudem, dass
der Verfügungskläger zu 1. die einzige in der Bundesrepublik Deutschland lebende
Person sei, die den Namen "..." trägt; dafür würden der eingereichte Internet-Such-
Ausdruck und die eidesstattliche Versicherung nicht ausreichen. Er bestreitet auch, dass
die Postkarte aufgrund von Mitteilungen auf der Internet-Plattform an die Anschrift des
Reisebüros gegangen ist.
Der Verfügungsbeklagte rügt desweiteren seine fehlende Passivlegitimation, da es sich
bei dem betreffenden Beitrag um eine "fremde Information" i. S. der §§ 7-9 MDStV
handeln würde. Denn er habe die Übermittlung der Information nicht veranlasst, den
Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgesucht sowie die übermittelten
Informationen nicht ausgewählt und auch nicht verändert. Er habe sich die unter de...
zum Abruf bereit gehaltenen Inhalte nicht "zu eigen gemacht". Er würde auch nicht als
Störer oder Mitstörer haften; von ihm könne nicht verlangt werden, in jedem Falle eine
detaillierte rechtliche Prüfung der Inhalte der Beiträge vorzunehmen; er könne etwaige
Verletzungshandlungen Dritter auch nicht verhindern.
Der Verfügungsbeklagte ist ferner der Auffassung, er habe durch das Vorhalten des
betreffenden Beitrages das postmortale Persönlichkeitsrecht des Sohnes der
Verfügungskläger nicht verletzt; ein solches postmortales Persönlichkeitsrecht stehe
einer Veröffentlichung auch nicht entgegen. Dies ergebe sich daraus, dass das
allgemeine Persönlichkeitsrecht – insonderheit das Namensrecht – mit dem Tode enden
würde und das postmortale Persönlichkeitsrecht eines Verstorbenen nicht so weit reiche,
die Nennung des Namens eines Verstorbenen unterbinden zu können. Zudem enthalte
der betreffende Beitrag weder unwahre Behauptungen über den Verstorbenen noch
schwerwiegende Entstellungen und Herabwürdigungen des Lebensbildes des
verstorbenen Sohnes der Verfügungskläger.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen
verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die einstweilige Verfügung vom 17.01.2006 war aufzuheben und der Antrag vom
16.01.2006 war zurückzuweisen, weil der zulässige Antrag nicht begründet ist.
I. 1. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Charlottenburg beruht auf §§ 937, 943, 32 ZPO
i.V.m. § 2 der 1. Konzentrations-VO. Zwar bestimmt sich bei im Internet begangenen
Rechtsverstößen der Gerichtsstand nicht nach den Grundsätzen des sogen. "fliegenden
Gerichtsstandes", so dass ein örtlicher Gerichtsstand des Begehungsortes nur dort
gegeben ist, wo sich der behauptete Verstoß in dem konkreten Verhältnis der Parteien
ausgewirkt hat (vgl. OLG Celle, OLG-Report Celle 2003, 47). Eine derartige konkrete
Auswirkung ergibt jedenfalls den Gerichtsstand der Verfügungskläger, da diese in Berlin
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Auswirkung ergibt jedenfalls den Gerichtsstand der Verfügungskläger, da diese in Berlin
die Internetseite bestimmungsgemäß abrufen können, wobei für Rechtssachen in
Namensangelegenheiten im Amtsgerichtsbereich in Berlin das Amtsgericht
Charlottenburg nach der 1. Konzentrations-VO zuständig ist.
2. Der Verfügungsbeklagte hat jedenfalls durch Einreichung der Vollmachtsurkunde
nachgewiesen, dass die Rechtsanwälte ... und Kollegen von Anfang an als
Prozessbevollmächtigte beauftragt waren und dass die Auftragserteilung durch zwei
Organe des Vereins wirksam erfolgt ist. Selbst in dem Fall, in dem Rechtsanwalt ...
zunächst als vollmachtloser Vertreter aufgetreten sein sollte, war er nach § 89 Abs. 1
ZPO stillschweigend einstweilen zugelassen gewesen (vgl. nur: Vollkommer in: Zöller,
ZPO, 25. Aufl., § 89 Rz 3 sowie RGZ 67, 151; Hartmann in: Baumbach u. a., ZPO, 60.
Aufl., § 89 Rz 3 m.w.N.). Darüber hinaus haben der 1. und der 2. Vorsitzende des Vereins
sich die Ausführungen des Rechtsanwalts ... zu eigen gemacht.
3. Die Rüge der unzureichenden Bestimmtheit des Verfügungsantrages durch den
Verfügungsbeklagten kann nicht durchdringen, weil zur Bestimmtheit des Antrages die
Begründung aus der Antragsschrift heranzuziehen ist (vgl. Hartmann in: Baumbach u.
a., ZPO 60. Aufl., § 253 Rz 31 m.w.N.; BGH MDR 2001, 471).
II. 1. Die Verfügungskläger haben als Eltern des ..., genannt "...", gegen den
Verfügungsbeklagten keinen Anspruch auf Unterlassung der Nennung des bürgerlichen
Namens ihres Sohnes im Internet auf den Seiten "de..." aus Art. 1 und Art. 2 GG i.V.m.
§§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn durch die Nennung des bürgerlichen Namens
ihres Sohnes auf der streitgegenständlichen URL hat der Verfügungsbeklagte das
postmortale Persönlichkeitsrecht des Sohnes der Verfügungskläger nicht verletzt.
1.1. Das durch die Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine
Persönlichkeitsrecht sichert grundsätzlich dem Einzelnen einen autonomen Bereich
privater Lebensgestaltung, in dem der Einzelne seine Individualität entwickeln und
wahren kann. Durch diese Verfassungsgrundsätze ist das Recht jedes Einzelnen
geschützt, in seinem individuellen Bereich "für sich zu sein" und "sich selber zu gehören"
und damit ganz allein darüber zu bestimmen, ob und inwieweit andere Personen
Informationen über das Leben des Einzelnen im ganzen und/ oder aber bestimmte
Vorgänge und Ereignisse aus dem Leben des Einzelnen erfahren dürfen.
Dabei hat das Bundesverfassungsgericht in seinem richtungsweisenden Urteil vom
05.06.1973 (1 BvR 536/72 – NJW 1973, 1226, insbes. 1227, 1228, 1230 – Fall Lebach)
postuliert, dass nur in den Fällen der aktuellen Berichterstattung über schwere
Straftaten dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit nach Art. 5 Abs. 1 GG der
Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsschutz (auch hinsichtlich der Namensnennung
des betreffenden Straftäters) gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gehöre, dies
jedoch dann nicht gelte, wenn über die aktuelle Berichterstattung hinaus und zeitlich
unbeschränkt über den Straftäter unter Namensnennung informiert werde; in einem
solchen Falle würde wegen der neuen und zusätzlichen negativen Beeinträchtigung der
betreffenden Person das Recht auf Schutz der Persönlichkeit überwiegen.
Dieser weitgehende Schutz des Namensrechts gilt jedoch in der Regel nur für
lebende Individuen (vgl. BVerfG – Beschluss vom 24.02.1971, 1 BvR 435/68 – BVerfGE
30, 173, insbes. 194 m.w.N.; BGH-Urteil vom 06.12.2005, VI ZR 265/04, veröffentlicht
unter: IWW-Quellenmaterial, siehe Bl. 221 ff. d. A.). Ausgehend davon, dass das
Persönlichkeitsrecht eines Menschen grundsätzlich mit seinem Tod endet, sind an den
postmortalen Schutz der Persönlichkeit höhere Anforderungen als an den
Persönlichkeitsrechtsschutz Lebender zu stellen. Daher ist der postmortale Schutz der
Persönlichkeit vor allem darauf ausgerichtet, den Verstorbenen vor unwahren
Behauptungen, vor Herabsetzungen und Erniedrigungen sowie vor groben Entstellungen
seines Lebensbildes und seiner Lebensleistung zu schützen (vgl. BVerfG, ebenda, 194;
Rixecker in: MüKo BGB, 4. Aufl., Bd. 1, Allgem. Teil, § 12 Anh. Rz 22 bis 27; Palandt-
Sprau, BGB, 64. Aufl., § 823 Rz 90 m.w.N.). Unter diesen postmortalen
Persönlichkeitsschutz ist jedoch nicht der Fall zu subsumieren, dass – wie hier – in einem
Beitrag auf der Internet-Plattform des Verfügungsbeklagten der bürgerliche Name des
Sohnes der Verfügungskläger genannt wird. Denn damit wird das Leben des
Verstorbenen weder falsch dargestellt noch sein Lebenswerk herabgesetzt noch der
Verstorbene erniedrigt.
1.2. Die Verfügungskläger können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihr
verstorbener Sohn in Fachkreisen nur unter dem Pseudonym "..." aufgetreten sei und
seinen bürgerlichen Namen ausdrücklich nicht verwendet habe, um seine Eltern und
insbesondere seinen Vater zu schützen. Zwar haben die Verfügungskläger glaubhaft
gemacht, dass ihr Sohn deshalb nicht formelles Mitglied des Chaos Computer Club e. V.
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gemacht, dass ihr Sohn deshalb nicht formelles Mitglied des Chaos Computer Club e. V.
geworden ist, weil er dies nur unter seinem bürgerlichen Nachnamen hätte werden
können, jedoch ergibt sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Herrn ... nicht,
dass der Sohn der Verfügungskläger in allen Fällen "in Fachkreisen" ausschließlich unter
seinem Pseudonym aufgetreten ist; denn der Sohn der Verfügungskläger hat unter
seinem bürgerlichen Nachnamen jahrelang ein Studium absolviert und eine öffentlich
zugängliche Diplomarbeit gefertigt, so dass das ausschließliche Auftreten unter einem
Pseudonym in seinem Studium und seinen Forschungen nicht erwiesen ist. Den
Verfügungsklägern als Wahrnehmungsberechtigten steht aus dem postmortalen
Persönlichkeitsrechtsschutz ihres Sohnes aus Art. 1 und 2 GG kein
Unterlassungsanspruch zu, weil ein solcher Anspruch als abgeleiteter Anspruch nur dann
vorliegen würde, falls der hier streitgegenständliche Beitrag auf der Internet-Plattform
die Würde des Sohnes verletzt und dessen Lebenswerk herabwürdigt.
1.3. Die Verfügungskläger können den Unterlassungsantrag auch nicht darauf
stützen, dass durch die Nennung des bürgerlichen Namens ihres Sohnes sie in ihrer
eigenen Person derartig stark beeinträchtig sein sollen, dass damit ihre
Persönlichkeitsrechte schwerwiegend verletzt seien. Denn allein aus der Nennung des
bürgerlichen Nachnamens ihres Sohnes ist die Würde der Verfügungskläger nicht
verletzt; dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn mit der Verletzung des
Persönlichkeitsrechts des verstorbenen Sohnes das Persönlichkeitsrecht der
Verfügungskläger als Angehörige unmittelbar verletzt worden wäre (vgl. BGH – VI ZR
265/04, a.a.O., Seite 7, Bl. 227 m.w.N.).
So ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass durch die Nennung des Nachnamens
die Verfügungsklägerin zu 2. unmittelbar in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen sein
soll, weil sie einen anderen Familiennamen als ihr verstorbener Sohn trägt.
Gleichfalls kann sich der Verfügungskläger zu 1. auf die Verletzung seines
Persönlichkeitsrechts wegen der Nennung des Namens "..." nicht mit Erfolg berufen.
Denn durch die Nennung dieses Namens in dem am 05.01.2006 vorgefunden Beitrag
sind die persönlichen Verhältnisse des Verfügungsklägers zu 1. gerade nicht in den
Beitrag über seinen Sohn einbezogen worden, weil in diesem Beitrag weder der volle
Name (Vor- und Nachname) noch eine Anschrift oder eine Telefonnummer des
Verfügungsklägers zu 1. genannt worden sind; es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass
er ein Reisebüro betreibt bzw. betrieben hat, so dass aus diesem Beitrag eine
Identifizierung des Verfügungsklägers zu 1. nicht möglich ist. Darüber hinaus ist der
Verfügungskläger zu 1. nicht in einem Telefonbuch mit seinem Namen eingetragen, so
dass weder seine Telefonnummer noch seine Anschrift bei Eingabe dieses Nachnamens
– wie der Verfügungskläger zu 1. durch Vorlage der Anl. AS 23, Bl. 206 d. A. selbst
darlegt – in eine Internet-Suchmaschine (hier: Google) ermittelt werden konnten; es ist
lediglich ein Reisebüro ...i in den "Gelben Seiten" des Berliner Telefonbuches
eingetragen, das jedoch aufgrund der Nennung des Nachnamens "..." in dem
streitgegenständlichen Beitrag als Reisebüro des Verfügungsklägers zu 1. nicht ermittelt
werden kann. Selbst in dem Fall, in dem der Verfügungskläger zu 1. die einzige in der
Bundesrepublik Deutschland lebende Person mit dem Namen "..." sein sollte, wäre allein
aus dem streitgegenständlichen Beitrag eine Identifizierung des Verfügungsklägers zu 1.
als Vater des "..." mit den üblichen Mitteln der Adress- und Telefonnummersuche nicht
möglich.
Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus der Einbeziehung der in dem Urteil des
Europäischen Gerichtshofes vom 06.11.2003 enthaltenen Grundsätze, das der
Verfügungsklägervertreter am 07.02.2006 (Bl. 246 ff. d. A.) eingereicht hat. Denn der
streitgegenständliche Beitrag, in dem der Klarname des Sohnes der Verfügungskläger
benannt ist, enthält keinerlei Hinweise auf seinen Vater, so dass daraus – anders als im
Urteil des Europäischen Gerichtshofes – keine Rückschlüsse auf den Verfügungskläger
zu 1. gezogen werden konnten.
Darüber hinaus ist die Internet-Diskussion über den Sohn der Verfügungsbeklagten
nicht durch den von den Verfügungsklägern gerügten Beitrag im Internet initiiert worden,
sondern durch die beantragten beiden einstweiligen Verfügungen vom 14.12.2005 und
vom 17.01.2006. Dies ergibt sich offensichtlich aus den Diskussionsbeiträgen, die durch
die Verfügungskläger als Anlagen-Konvolut (Bl. 213 d. A.) als Internet-Auszüge
eingereicht worden sind. Zwar ist in diesem Zusammenhang mehrmals der volle Vor-
und Nachname des Verfügungsklägers zu 1. genannt und auf das – jetzt wohl nicht mehr
von ihm betriebene – Reisebüro ... hingewiesen worden, jedoch können diese
Informationen nicht aus der Nennung des Namens "..." in dem streitgegenständlichen
Beitrag herrühren.
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1.4. Es ist ferner nicht zu erkennen, dass sich aus den mit Schriftsatz vom
31.01.2006 eingereichten außergerichtlichen Schreiben der Prozessbevollmächtigten
des Verfügungsbeklagten ergeben soll, dass der Verfügungsbeklagte bewusst gegen
ethische und moralische Grundsätze des Prozessrechts verstößt.
2. Da den Verfügungsklägern kein Unterlassungsanspruch zusteht, kann insbes.
dahin stehen, ob der Verfügungsbeklagte als Zustandsstörer bzw. Mitstörer zu
qualifizieren ist und ob der Verfügungsbeklagte die Nennung des bürgerlichen Namens
des Sohnes der Verfügungskläger zu vertreten hat. Es kann auch dahin stehen, ob der
Sohn der Verfügungskläger eine absolute oder relative Person der Zeitgeschichte
geworden ist oder ob durch die einstweilige Verfügung das Rechtsstaatsgebot (Art. 20
Abs. 1 GG) verletzt worden ist.
Letztlich kommt es auch nicht auf das Vorliegen eines Verfügungsgrundes an.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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