Urteil des AG Borken vom 15.03.2002

AG Borken: haus, wohnung, beweislast, form, bestätigung, option, wiederaufnahme, therapie, erwerbstätigkeit, vollstreckbarkeit

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Vorinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 9 UF 146/01
15.03.2002
Oberlandesgericht Hamm
9. Senat für Familiensachen
Urteil
9 UF 146/01
Amtsgericht Borken, 32 F 139/98
Auf die Berufung des Antragsgegners wird das am 11. April 2001
verkündete Verbundurteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Borken
teilweise abge-ändert.
Die Klage auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Antragstellerin zu 3/4
und der Antragsgegner zu 1/4; die Kosten des Berufungsverfahrens trägt
die Antragstellerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Wiedergabe des
Tatbestandes
abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Der Antragsgegner ist der
Antragstellerin nicht zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt verpflichtet, weil sie diesen
Anspruch verwirkt hat.
Die Antragstellerin hätte einen Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB, weil sie zum
Stichtag, dem 1.9.2001, zwei Kinder im Alter von noch 12 und gerade 7 Jahren betreute
und noch betreut. Der Anspruch ist ihr jedoch gemäß § 1579 Nr. 7 BGB zu versagen, weil
die Inanspruchnahme des Antragsgegners auch unter Wahrung der Belange der
gemeinsamen Kinder angesichts ihrer Beziehung zu dem Zeugen W grob unbillig wäre.
Lebt der geschiedene Ehegatte mit einem neuen Partner in einer festen sozialen Bindung
zusammen, kann die Unterhaltsverpflichtung unzumutbar werden, wenn kein verständlicher
Grund ersichtlich ist, weshalb die Partner nicht zu einer Unterhaltsgemeinschaft mit
ehegleicher ökonomischer Solidarität gelangen (vgl. Lohmann, Neue Rechtsprechung des
BGH um Familienrecht, 8. Aufl. Rz. 96 m.Nw.). Die Verwirkung verlangt eine gewisse
Verfestigung der Beziehung, ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und
die Leistungsfähigkeit des neuen Partners, jedenfalls wenn es um einen Anspruch aus §
1570 BGB geht.
Eine solche Verbindung ist spätestens ab 1.4.1999 anzunehmen, als die Antragstellerin
und der Zeuge das gemeinsam erworbene Haus bezogen. Die Beziehung besteht aber
schon - als solche unstreitig, wenn auch in der Ausgestaltung streitig - seit September
1997. Die Antragstellerin hat im Trennungsunterhaltsverfahren (9 F 307/97) eingeräumt,
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daß sie schon 1997 mit dem Zeugen in einer "Wohngemeinschaft" zusammenziehen
wollte, was daran gescheitert sein soll, daß der Antragsgegner den von den Vermietern
vorbereiteten Mietvertrag, der allein sie und den Zeugen als Mieter aufführte, einbehalten
hat.
Der Tatbestand der festen sozialen Bindung trägt die Versagung des Unterhalts
grundsätzlich nur so lange, wie sie besteht. Für den Fortbestand ist regelmäßig der
Unterhaltsschuldner beweispflichtig (Palandt/Brudermüller, § 1579 Rz. 50). Der
Unterhaltsberechtigte trägt grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für das
Wiederaufleben eines verwirkten Anspruchs (Palandt/Brudermüller, aaO), im vorliegenden
Fall besteht aber die Besonderheit, daß der Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt erst
nach der behaupteten Beendigung der festen sozialen Bindung entstanden ist. Die Frage
der Darlegungs- und Beweislast kann jedoch letztlich dahinstehen, weil schon der Vortrag
der Antragstellerin in der Berufungsbegründung und bei ihrer Anhörung vor dem Senat
über die Entwicklung der Beziehung zu dem Zeugen W die Feststellung gebietet, daß dem
Antragsgegner nicht zugemutet werden kann, diese Beziehung durch Unterhaltszahlungen
an die Antragstellerin zu finanzieren. Es bedarf daher keiner Vernehmung des Zeugen W,
und zwar weder zur Bestätigung der Angaben der Antragstellerin, noch zur Bestätigung der
Behauptung des Antragsgegners, daß die Beziehung der Antragstellerin zu dem Zeugen
unverändert ist bzw. daß die behaupteten Veränderungen nur vorgeschoben sind, um den
Unterhaltsanspruch zu erhalten.
Soweit der Zeuge sich ab 1.8.2001 eine eigene Wohnung genommen hat und sich dort
auch zeitweise aufhält, steht dies nach verbreiteter Auffassung und jüngster
höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH NJW 2002, 217 = FamRZ 2002, 23) der
Annahme einer festen sozialen Bindung und der darauf gestützten Anspruchsverwirkung
nicht notwendig entgegen. Das kann auch auf die vorliegende Fallgestaltung übertragen
werden, bei der nicht die Aufnahme, sondern der Fortbestand der Beziehung streitig ist,
zumal die derzeitige Wohnung des Zeugen nur 2 bis 2 1/2 km vom Haus der Antragstellerin
entfernt liegt. Die Antragstellerin will den Zeugen zwar wegen alkoholbedingter
Ausfallerscheinungen des Hauses verwiesen haben, aber nicht um sich von ihm auf Dauer
zu trennen, sondern um ihn zur Aufgabe des Trinkens zu bewegen. Sie hat sich schon
nach dem Vortrag in der Berufungsbegründung die Option der Wiederaufnahme der
Beziehung in einer den Verwirkungstatbestand erfüllenden Form offen gehalten, falls der
Zeuge seine Alkoholabhängigkeit in den Griff bekommt. Nach ihrer Darstellung in der
mündlichen Verhandlung vor dem Senat macht dieser Prozeß auch gute Fortschritte. Der
Zeuge hat eine Therapie, bei der ihn die Antragstellerin gelegentlich begleitet hat,
erfolgreich abgeschlossen. Er hält sich an den Wochenenden (wieder) regelmäßig,
während der Woche des öfteren bei der Antragstellerin auf, kommt auch nach seiner Arbeit
als Verkäufer im Außendienst häufig sofort zur Antragstellerin, ohne zuvor zu seiner
Wohnung zurückzukehren. Beide machen (wieder) gemeinsame Unternehmungen und
gemeinsame Besuche bei Freunden und Bekannten. Es kann unter diesen Umständen
dahinstehen, ob sie solche Besuche immer gemeinsam machen und in welchem Umfang
die Antragstellerin den Zeugen über das zugestandene Kochen hinaus versorgt. Es wäre
jedenfalls grob unbillig, wenn man dem Antragsgegner zumuten würde, diese Entwicklung
der sich stetig zur früheren Form verfestigenden Beziehung durch seine
Unterhaltszahlungen an die Antragstellerin mitzufinanzieren.
Die vollständige Versagung des Unterhaltsanspruchs beeinträchtigt die Belange der
gemeinsamen Kinder nicht in einem Maße, das eine teilweise Aufrechterhaltung des
Anspruchs erfordert. Die Antragstellerin hat in ihrer neuen Beschäftigung seit 20.8.2001 bis
zum 31.12.2001 ein Durchschnittsnettoeinkommen von monatlich 2.328,00 DM erzielt, das
sich im Jahre 2002 durch die dann zu beanspruchende Weihnachtsgratifikation
voraussichtlich erhöhen wird. Sie hat belegte Aufwendungen für den Nachhilfeunterricht für
Daniel von laufend 185,50 DM bzw. 95( und für die Mittagsbetreuung Florians von 50,- DM
(= 25,56 EUR) sowie berufsbedingte Fahrtkosten von 100,00 DM (= 51,13 EUR) monatlich,
die der Antragsgegner allerdings bestreitet. Sie verfügt damit über ein monatliches
Einkommen, das zur Deckung ihres Unterhaltsbedarfs ausreicht, so daß sie ihre
Erwerbstätigkeit nicht ausdehnen und die Betreuung der Kinder dementsprechend
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einschränken müßte. Der Schuldendienst für das zusammen mit dem Zeugen erworbene
Haus, den sie - ihrer Behauptung nach - seit der Übernahme des Miteigentumsanteils des
Zeugen in Höhe von monatlich 1.845,00 DM alleine trägt, muß insoweit unberücksichtigt
bleiben. Daß der Antragsgegner diesen durch Unterhaltszahlungen mittrüge, wäre grob
unbillig, und zwar auch im Hinblick darauf, daß das Haus ohne eine solche finanzielle
Unterstützung nicht auf Dauer zu halten sein dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 93 a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO; der Ausspruch zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.