Urteil des AG Bonn vom 29.04.1997

AG Bonn (treu und glauben, mitmieter, 1995, widerklage, zpo, verwendung, mietsache, folge, verhandlung, entscheidungsformel)

Amtsgericht Bonn, 6 C 545/96
Datum:
29.04.1997
Gericht:
Amtsgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilabteilung
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 C 545/96
Schlagworte:
Grillen auf dem Balkon
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Tenor:
Das im schriftlichen Vorverfahren ergangene Versäumnisurteil des
erkennenden Gerichts vom 26.02.1997 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, darauf hinzuwirken, daß
Mitmieter der Beklagten und/oder Dritte in der Zeit von April bis
September eines jeden Jahres auf dem Hausgrundstück E Allee , C, nur
dann unter Verwendung fossiler Brennstoffe wie Holz, Kohle u.ä. grillen,
daß die Beklagten als Inhaber der im Dachgeschoß des
vorbezeichneten Hauses gelegenen Wohnung nicht durch Rauchgase
belästigt werden, darüber hinaus für den Fall, daß den genannten
Personen als Nutzer der ihnen aus dem vorbezeichneten
Hausgrundstück vermieteten Wohneinheiten die Möglichkeit zum Grillen
ausschließlich
auf der von ihnen mitgemieteten Terrasse und/oder Balkon eröffnet ist,
so daß eine Belästigung der Beklagten durch Rauchgase unvermeidlich
ist, auf Terrasse und/oder Balkon in dem genannten Zeitraum nur einmal
im Monat gegrillt wird nach vorheriger Ankündigung gegenüber den
Beklagten, und zwar 48 Stunden vorher.
Im übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3, die Beklagten
als Gesamtschuldner 2/3 mit Ausnahme der durch ihre Säumnis
entstandenen Kosten, die ihnen voll zur Last fallen.
Die durch die Säumnisentscheidung vom 26.02.1997 entstandenen
Gerichtskosten bleiben außer Ansatz.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
1
Die Klage ist nicht begründet.
2
Die Widerklage hat nur teilweise, und zwar auf den im Termin zur mündlichen
Verhandlung am 29.04.1997 von den Beklagten formulierten Hilfsantrag und hinsichtlich
dessen auch nur eingeschränkt, Erfolg.
3
Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner keinen Anspruch auf
Zahlung von 292,67 DM, §§ 535, 537, 421 BGB in Verbindung mit den Festlegungen
des Mietvertrages vom 08.09.1993.
4
Denn in Höhe dieses Betrages haben die Beklagten den vertraglich geschuldeten
Mietzins wegen der von ihnen geklagten Beeinträchtigungen im Mietgebrauch durch
lärmintensives Feiern, Grillen von Mitmietern des Mehrfamilienhauses zu Recht
gemindert.
5
Soweit die Klägerin die substantiiert dargelegten Behauptungen der Beklagten über die
an einzelnen Tagen in der Zeit vom 19.06. bis zum 20.08.1995 - hier ist in erster Linie
die von den Beklagten gefertigte Dokumentation nach Maßgabe ihres vorprozessualen
Schreibens vom 31.08.1995 sowie die mit Schriftsatz vom 26.03.1997 in den
Rechtsstreit (zum Beleg der erhobenen Beanstandungen durch Grillen) eingeführten
Fotos zu nennen - bestreitet, genügt sie nicht ihrer Darlegungslast. Dabei hat der zur
Entscheidung berufene Richter nicht übersehen, daß sich die Klägerin in diesem Punkt
allein nach zivilprozessualen Grundsätzen auf ein Bestreiten mit Nichtwissen
beschränken könnte. Dies ist indessen vorliegend, und zwar in doppelter Hinsicht, nicht
zulässig. Einmal bereits deshalb nicht, weil im Mietrechtsstreit die materiellrechtlichen
Verpflichtungen der Parteien eines Mietrechts- verhältnisses als eines
Dauerschuldverhältnis die bloßen verfahrensrechtlichen Verpflichtungen
("Mindestanforderungen ") überlagern, mit der Folge, daß in einer Konstellation wie der
vorliegenden sich der Vermieter gegenüber substantiiertem Vorbringen des Mieters über
von diesem behauptete Mängel der Mietsache nicht auf ein bloßes Bestreiten mit
Nichtwissen zurückziehen kann, vielmehr wegen der Rechtsnatur des Mietverhältnisses
als Dauerschuldverhältnis, noch dazu gekennzeichnet durch einen personenrechtlichen
Einschlag, ihm die Pflicht erwächst, nachvollziehbar vorgetragenen Mängelrügen
zunächst nachzugehen, und auf ihre Berechtigung in tatsächlicher Hinsicht hin zu
überprüfen und auf der Grundlage dieses Prüfungsergebnisses alsdann einen eigenen -
womöglich in tatsächlicher Hinsicht gegenteiligen - fundierten Sachvortrag aufzubauen.
Diesen Anforderungen genügt die Klägerin mit ihrem Vorbringen im Schriftsatz vom
11.04.1997, Seite 1 unten, Seite 2, ersichtlich nicht. Zum anderen zwingen die von den
Beklagten in den Rechtsstreit eingeführten, bereits angezogenen Fotos dazu, sich mit
dem, was sie unzweifelhaft dokumentieren, daß nämlich - freilich zu einem nicht näher
bekannten Zeitpunkt (dieser läßt sich den Fotos natürlich nicht entnehmen) - auf dem in
der Entscheidungsformel näher bezeichneten Hausgrundstück unter Verwendung eines
6
der Entscheidungsformel näher bezeichneten Hausgrundstück unter Verwendung eines
großen Grills mit entsprechender Rauchentwicklung gegrillt worden ist! Wenn die
Klägerin ungeachtet dessen ihre Replik auf die Klageerwiderung daraufhin beschränkt,
bereits zu bestreiten, daß überhaupt gegrillt worden ist, rechtfertigt dies den Schluß, daß
sie zuvor gerade nicht recherchiert und den Beanstandungen der Beklagten aus dem
Sommer 1995 (!) nachgegangen ist, vielmehr ihr nunmehriges Bestreiten im Rechtsstreit
als mehr oder weniger "ins Blaue hinein" gewertet werden muß.
Der Klägerin war auch keine Gelegenheit mehr zu geben, das Versäumte vor der dem
Richter abgeforderten Entscheidung durch Ergänzung ihres bisherigen Vorbringens
nachzuholen. Abgesehen davon, daß ihr Terminsvertreter nach dem in diesem Punkte
gegebenen rechtlichen Hinweis des Richters einen entsprechenden Antrag nicht
formuliert hat, zwingt sowohl die Vorkorrespondenz der Parteien, soweit sie vorliegt, als
auch die von der Klägerin durch ihren Terminsvertreter im Termin zur mündlichen
Verhandlung im Zuge des von dem Richter mit den Prozeßbevollmächtigten geführten
Rechtsgesprächs geäußerte Rechtsansicht, die Klägerin könne ohnehin nicht dafür
verantwortlich gemacht werden, daß andere Mieter der Wohnanlage grillten und dies zu
Belästigungen der Beklagten führe - eine Rechtsauffassung, die mit § 536 BGB
schwerlich in Übereinstimmung zu bringen ist -, zu dem Schluß, daß ergänzender
Sachvortrag in dem vom Richter angesprochenen Sinne weder beabsichtigt, noch zu
erwarten ist.
7
Die von den Beklagten erhobenen Mängelrügen für den Zeitraum 19.06. bis 20.08.1995
haben danach, da nicht ausreichend bekämpft, als unstreitig zu gelten, § 138 ZPO. Das
von den Beklagten darauf gestützte Mietminderungsrecht ist von der Höhe her im
Ergebnis, und zwar ohne daß die von den Beklagten zu dessen Ermittlung angestellte
Berechnung nachvollzogen oder gebilligt werden müßte, nicht zu beanstanden. Die erst
mit der Zahlung des vertraglich geschuldeten Mietzinses für den Monat September 1995
vollzogene, rechtzeitig angekündigt gewesene Mietminderung wegen der zu diesem
Zeitpunkt bereits zurückliegenden Mängel ist auch nicht nach dem in § 539 BGB zum
Ausdruck gekommenen Rechtsgedanken als verwirkt anzusehen.
8
Die - im Wege des schriftsätzlich angekündigten Hauptantrages - verfolgte Widerklage
der Beklagten ist unzulässig.
9
Die Beklagten haben gegen die Klägerin keinen Anspruch, "durch geeignete
Maßnahmen sicherzustellen, daß weder auf dem vermieteten Hausgrundstück noch auf
den Terrassen und Balkonen des Gebäudes E Allee in C, unter Verwendung fossiler
Brennstoffe wie Holz- oder Steinkohle u.ä. durch die Mieterschaft oder auch dritte
Personen gegrillt wird. "
10
Denn in dieser Ausgestaltung ist das Widerklagebegehren auf eine der Klägerin
jedenfalls tatsächlich unmögliche Leistung (ob zugleich auch rechtlich unmögliche
Leistung, mag dahinstehen) gerichtet, mit der Folge, daß den Beklagten hierfür das
erforderliche Rechtsschutzinteresse zu versagen ist.
11
Das Widerklagebegehren stellt nämlich - aus der Interessenslage der Beklagten zwar
durchaus verständlich - darauf ab, daß die von ihnen geklagten Belästigungen durch
Grillen auf dem Hausgrundstück künftig unterbleiben und ist daher unzweifelhaft, was
die von der Klägerin geforderten "geeigneten Maßnahmen" anbetrifft, erfolgsorientiert.
Just dies vermag die Klägerin aus ihrer Rechtsposition als Vermieterin nicht zu leisten.
Den Erfolg der von ihr zur Abwehr der geklagten Beeinträchtigungen im Mietgebrauch
12
zu ergreifenden Maßnahmen kann sie gerade nicht "sicherstellen", wie von den
Beklagten indessen begehrt wird.
Dabei wird nicht verkannt, daß die Klägerin als Vermieterin rechtliche
Einwirkungsmöglichkeiten auf ihre Vertragspartner, seien es die Beklagten, seien es
Mitmieter in der Wohnanlage, seien es Dritte (vornehmlich Besucher) durchaus hat; zu
denken wäre über Rundschreiben hinaus, die die Klägerin bereits verfaßt hat, an mehr
oder weniger energische Abmahnungen, Beschreiten des Rechtsweges zur
Durchsetzung von Unterlassungs- und Abwehransprüchen bis hin zur Kündigung des
Mietverhältnisses und einen darauf aufbauenden Räumungsrechtsstreit. Doch damit ist
der Erfolg der Maßnahmen im Sinne des Widerklagebegehrens nicht "garantiert". Es
liegt doch geradezu auf der Hand, daß das Widerklagebegehren (" sicherzustellen" ! )
dann keinen Erfolg haben kann, wenn die Klägerin - das Ergreifen des oben skizzierten,
keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebenden Maßnahmekataloges vorausgesetzt -
in einem gegen die von den Beklagten als Störer ausgemachten Mitmieter geführten
Rechtsstreit (rechtskräftig) unterliegt - und was dann?
13
Erfolg kann das Widerklagebegehren danach nur in der Form der sog.
Einwirkungsklage haben.
14
Das in dieser Ausgestaltung nunmehr - hilfsweise von den Beklagten verfolgte
Widerklagebegehren - hat jedoch - gegenüber dem Klageziel deutlich eingeschränkt -
nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg, §§ 535, 536 BGB
in Verbindung mit den Festlegungen des bereits angezogenen Mietvertrages.
15
Vom rechtlichen Ansatz her zutreffend nehmen die Beklagten die Klägerin aus ihrer
gesetzlich normierten Einstandspflicht für den mangelfreien Gebrauch der Mietsache (§
536 BGB) wegen der von ihnen geklagten Belästigungen durch Grillen in der
Wohnanlage in Anspruch. Daß es - wie von dem zur Entscheidung berufenen Richter im
Zuge des mit den Prozeßbevollmächtigten geführten Rechtsgesprächs im Termin zur
mündlichen Verhandlung bereits zum Ausdruck gebracht -, bezogen auf das Klageziel,
nämlich von den geklagten Belästigungen künftig auf Dauer verschont zu bleiben,
sinnvoller wäre, sich unmittelbar mit den angeblichen Störern, ggfs. über eine
Besitzschutzklage, auseinanderzusetzen, statt den Umweg über den Vermieter und
dessen naturgemäß nur beschränktere Möglichkeiten, zu wählen, ist für den von den
Beklagten aus § 536 BGB gegen die Klägerin hergeleiteten Anspruch ohne Belang.
16
Allerdings ist der Anspruch des Mieters auf vertragsgemäßen (sprich: mangelfreien)
Gebrauch der Mietsache nicht ohne jegliche Einschränkungen gewährt.
Einschränkungen ergeben sich einerseits aus dem - freilich gesetzlich nicht normierten,
wenngleich letztlich als Ausfluß der Besonderheiten des Zusammenlebens in einern
Mehrfamilienhaus entstammenden das gesamte Zivilrecht beherrschenden Grundsatz
von Treu und Glauben gemäß § 242 - Gebot gegenseitiger (!) Rücksichtnahme und zum
anderen aus dem § 537 Abs. 1 Satz 2 BGB zu entnehmenden Grundsatz, daß
geringfügige Beeinträchtigungen im Mietgebrauch (entschädigungslos) hinzunehmen
sind.
17
Daran gemessen, schießt das Widerklagebegehren auch in der Form des Hilfsantrages
deutlich über das Ziel hinaus.
18
Dabei verkennt der zur Entscheidung berufene Richter nicht, daß die mit dem
19
sommerlichen Grillen unter Verwendung von Holzkohle u.ä. einhergehenden
Belästigungen durch Rauchgasentwicklung, Fett- und Bratendünste, insbesondere
dann, wenn sich der Rauch über die geöffneten Fenster in der Wohnung niederschlägt
und in der Folge dessen eine nicht ohne Schwierigkeiten wegzulüftende
Geruchsbeeinträchtigung auftritt, durchaus sehr lästig sein kann. Andererseits ist nicht
zu verkennen, daß das Grillen im Freien inzwischen als sozialüblich anerkannt ist und
auch dem in einer Großstadt, noch dazu in womöglich hochverdichtetem Wohngebiet
wohnenden Menschen nicht gänzlich untersagt werden kann, Artikel 2 GG.
Dies gilt auch dann, wenn die mit dem Grillen im Freien einhergehende Rauch- und
Geruchsentwicklung im Einzelfall unvermeidlich auch zu Belästigungen von
Mitmietern/Anrainern führt. Das bereits angezogene Gebot der Rücksichtnahme im
Mehrfamilienhaus ist keine Einbahnstraße, sondern gilt wechselseitig. So wie von den
Beklagten ins Visier genommenen Mitmieter grundsätzlich gehalten sind, durch ihre
Freizeitaktivitäten Belästigungen der Beklagten als ihre Mitmieter zu vermeiden, sind
diese im Gegenzug gehalten, gelegentliches Grillen, und zwar ungeachtet der damit
verbundenen notwendigerweise einhergehenden Belästigungen durch
Rauchgasentwicklung, hinzunehmen.
20
Die gebotene Abwägung zwischen den im Widerstreit stehenden Rechtsgütern, der dem
Grundgesetz in Artikel 2 zu entnehmenden für die grillenden Mitmieter streitenden
allgemeinen Handlungsfreiheit einerseits und des aus § 536 BGB abzuleitenden Rechts
auf ungestörten Mietgebrauch andererseits, führt zu der der Entscheidungsformel zu
entnehmenden Lastenverteilung, die die widerstreitenden Interessen angemessen
berücksichtigt.
21
Sie vermeidet einmal, den von den Beklagten als Störern empfundenen Mitmietern
jegliches Grillen auf dem ihnen mitvermieteten Freiflächen gänzlich zu untersagen,
gewährleistet andererseits aber, daß - im Ausnahmefall - damit verbundene für die
Beklagten unvermeidbare Belästigungen sich in engen Grenzen halten, wobei
insbesondere durch die vorgesehene Ankündigungspflicht den Beklagten die
Möglichkeit bleibt, die von ihnen innegehaltenen Räumlichkeiten durch Verschließen
von Fenstern u.ä. rechtzeitig gegen eindringende Rauchgase zu sichern, ohne daß das
dem Grillen im Freien auch innewohnende Element einer gewissen Spontaneität mehr
als notwendig eingeschränkt wird.
22
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 344 ZPO, § 8 GKG. Dabei war zu
berücksichtigen, daß die im schriftlichen Vorverfahren ergangene Säumnisentscheidung
in der Tat aufgrund eines dem amtierenden Richter bei der Fristenberechnung
unterlaufenen Versehens nicht in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist.
23
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 713
ZPo.
24
Streitwert:
25
(Klage: 292,67 DM; Widerklage: 900,00 DM)
26