Urteil des AG Bocholt vom 12.08.2002

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Amtsgericht Bocholt, 13 C 339/01
Datum:
12.08.2002
Gericht:
Amtsgericht Bocholt
Spruchkörper:
Abteilung 13
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 C 339/01
Tenor:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 210,49 Euro (411,68 DM)
nebst 5
% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.03.2001 zu
zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/3 und der
Beklagte
1/3.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Ersatz von 100 % der materiellen Schäden,
die sie aufgrund eines Verkehsunfalls, der sich am 22.03.2001 auf der xy in xy
ereignete, erlitt.
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Die Klägerin ist Halterin eines Fahrzeuges, einem Pkw VW Passat Variant mit dem
amtlichen Kennzeichen BOR-X 7777, mit dem der Sohn der Klägerin, der Zeuge xy zum
Unfallzeitpunkt die Schwanenstraße stadtauswärts in Richtung Eisenhütte befuhr. Der
Beklagte fuhr mit seinem Fahrrad am rechten Fahrbahnrand der Schwanenstraße in
gleicher Fahrtrichtung. Der Zeuge xy beabsichtigte, an den beklagten Radfahrer links
vorbeizufahren. Während des Überholvorganges kam es zur Kollision, bei der es
unstreitig zu einer Beschädigung des rechten Außenspiegels am klägerischen
Fahrzeug kam.
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Den Unfallschaden beziffert die Klägerin wie folgt:
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Reparaturkosten auf Gutachtenbasis: 888,56 DM
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Sachverständigenkosten: 103,24 DM
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Nutzungsausfall für zwei Tage: 140,00 DM
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Auslagenpauschale: 50,00 DM
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1. 1.181,80 DM (604,24 Euro)
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Die Klägerin vertritt die Auffassung, der Beklagte sei für den Unfall allein verantwortlich.
Dazu behauptet sie, der Zeuge xy habe den Beklagten in ausreichend weitem
Seitenabstand zu überholen versucht. Das Fahrzeug sei dabei weit über die
Fahrbahnmitte hinaus auf die Gegenfahrbahn gefahren. In Höhe der Straße "xx" habe
eine Bekannte des Beklagten gestanden, mit der dieser sich über die Straße hinweg
unterhalten habe. Ohne auf den weiteren, insbesondere den überholenden Verkehr zu
achten, sei der Beklagte plötzlich mit seinem Fahrrad nach links über die Straße
gezogen. Hierbei sei er mit dem Fahrrad gegen das Fahrzeug der Klägerin gefahren.
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Die geltend gemachten Schäden seien allein auf den Unfall mit dem Beklagten
zurückzuführen. Vorschäden seien am klägerischen Fahrzeug nicht vorhanden
gewesen.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 604,24 Euro (1181,80 DM) nebst 5 % Zinsen
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.03.2001 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin stehe der geltend gemachte
Schadensersatzanspruch nicht zu. Er behauptet, der Fahrer des klägerischen
Fahrzeugs sei dermaßen nahe an ihm, dem Beklagten, vorbeigefahren, dass dieser mit
seinem Ellenbogen gegen den rechten Außenspiegel des klägerischen Fahrzeugs
gestoßen sei. Keinesfalls habe er plötzlich einen Schwenker nach links gemacht oder
plötzlich die Straße wegen einer Bekannten, die sich auf der anderen Straßenseite
aufgehalten soll, überqueren wollen.
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Im übrigen weise das Fahrzeug neben dem beschädigten Seitenspiegel erhebliche
Beschädigungen auf, die nicht mit dem Schadenshergang in Einklang zu bringen seien.
Soweit eine allgemeine Unkostenpauschale in Höhe von 50,00 DM beansprucht werde,
sei diese überhöht. Nutzungsausfall könne nicht geltend gemacht werden, da insoweit
eine Reparatur nicht nachgewiesen sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen xy und
yx. Von der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens hat das Gericht
gemäß § 379 ZPO abgesehen, da die Klägerin den Vorschuss für den
Sachverständigen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingezahlt hat.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll der
öffentlichen Sitzung vom 11.03.2002 (Blatt 41 ff. der Akte).
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die zulässige Klage hat in dem tenorierten Umfange Erfolg, im übrigen ist sie
unbegründet und war daher abzuweisen. Der Beklagte ist gemäß § 823 Abs. 1 BGB
verpflichtet, an die Klägerin 210,49 Euro zu zahlen.
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I.
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Die Klägerin hat gegen den Beklagten dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz von
100 % der infolge der Kollision entstandenen materiellen Schäden aus unerlaubter
Handlung wegen Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
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1. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer einer Sache Ersatz des ihm
entstandenen Schadens verlangen, der durch das schuldhafte Verhalten eines anderen
verursacht wurde.
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Unstreitig hat der Beklagte das klägerische Fahrzeug beschädigt, als er mit seinem
Fahrrad gegen die rechte Seite des klägerischen Pkws prallte. Er hat in fahrlässiger
Weise den Unfall verursacht, indem er plötzlich einen Linksschwenker machte bzw.
nach links abbog. Dieses steht zur Überzeugung des Gerichts nach durchgeführter
Beweisaufnahme, insbesondere aufgrund der Aussagen der Zeugen xy und yx, fest. Der
Zeuge xy hat ausgesagt, dass er und seine Frau, die Zeugin xy, in dem klägerischen
Fahrzeug die Schwanenstraße befahren haben. Der Beklagte sei am rechten
Fahrbahnrand auf seinem Fahrrad vor ihnen hergefahren. Allerdings sei der Kopf des
Beklagten einer Gruppe junger Leute zugewandt gewesen, mit denen er sich zu
unterhalten schien. Für den Überholvorgang habe er, der Zeuge xy, fast die komplette
linke Fahrbahn benutzt. Der Seitenabstand zum Beklagten habe etwa 1,50 bis 2,00
Meter betragen. Es habe auch kein Anlass bestanden, den Beklagten in geringem
Abstand zu überholen, da kein Gegenverkehr geherrscht habe. Plötzlich habe der
Beklagte, ohne dieses zuvor durch Handzeichen anzuzeigen, einen Linksschwenker
gemacht und sei in einem recht steilen Winkel nach links gegen das klägerische
Fahrzeug gefahren.
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Diese Aussage wird bestätigt durch die Zeugin yx, die gegenüber dem Gericht bekundet
hat, dass ihr Ehemann, der Zeuge xy, dabei gewesen sei, den am rechten
Fahrbahnrand fahrenden Beklagten mit genügendem Sicherheitsabstand zu überholen,
als dieser plötzlich nach links gefahren sei. Der Beklagte habe sich weder umgesehen,
noch habe er langsam seine Fahrspur in Richtung Fahrbahnmitte verlagert. Vielmehr sei
der Beklagte unvermittelt in einem stärkeren Winkel nach links abgebogen.
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Das Gericht hat keinen Anlass, an der Glaubhaftigkeit dieser Aussagen zu zweifeln.
Dabei ist es sich durchaus des eigenen Interesses der Zeugen am Prozessausgang
bewusst. Dieses allein rechtfertigt es aber nicht, die Aussagen der Zeugen von vorn
herein für unglaubhaft zu halten und sie damit für die Entscheidungsfindung
unberücksichtigt zu lassen. Die Zeugen haben sehr detailreich und widerspruchsfrei
den Unfallhergang geschildert. Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen spricht
insbesondere, dass sie nicht den für sie grundsätzlich ungünstigen Umstand unerwähnt
ließen, der Beklagte habe sich über die Straße hinweg mit einer Bekannten unterhalten.
Ein Kraftfahrer, der objektive Anhaltspunkte für ein bevorstehendes verkehrswidriges
Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer hat, hat nämlich erhöhte Sorgfaltspflichten.
Da es nach der allgemeinen Lebenserfahrung durchaus nicht ungewöhnlich ist, dass
ein Radfahrer, dessen Aufmerksamkeit erkennbar anderweitig in Anspruch genommen
wird, leicht aus der Fahrspur geraten kann, begründet dieser Umstand grundsätzlich
erhöhte Sorgfaltspflichten des Kraftfahrers und kann hier grundsätzlich zu einer
Mithaftung der Klägerin führen.
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Demgegenüber hat das Gericht Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Beklagten.
Dieser hat zunächst bestritten, dass sich zum Unfallzeitpunkt die ihm bekannte Frau xy
auf der anderen Straßenseite aufgehalten hat. Erst bei seiner persönlichen Anhörung
räumte er ein, dass auch Frau xy sich in der Nähe des Unfallortes aufgehalten habe. Sie
habe auf der linken Straßenseite gestanden.
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Beide Parteien haben ausgesagt, dass während des Überholvorganges kein Auto von
vorne gekommen sei. Es ist somit wenig plausibel, weshalb der Zeuge xy keinen
ausreichenden Seitenabstand eingehalten habe soll. Die Verkehrslage verlangte dieses
nicht. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Zeuge xy den
Beklagten übersehen hat. Vielmehr spricht das Aussageverhalten des Zeugen xy dafür,
dass er den Beklagten vor dem Überholvorgang beobachtet hat.
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2. Ein Verschulden der Klägerin an dem Unfall ist nicht feststellbar mit der Folge, dass
eine Minderung der Ersatzpflicht des Beklagten gemäß § 254 BGB nicht in Betracht
kommt.
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Im Verhältnis zu Kindern besteht zwar eine erhöhte Sorgfaltspflicht des
Kraftfahrzeugsführers und ist der sogenannte Vertrauensgrundsatz nicht oder nur
eingeschränkt anwendbar. Das Ausmaß dieser erhöhten Sorgfaltspflicht ist jedoch nicht
gegenüber allen Kindern gleich groß. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang
insbesondere deren jeweilige Altersstufe, da nach allgemeiner Erfahrung bei älteren
Kindern mit Unbesonnenheiten in geringerem Umfang als bei jüngeren Kindern,
insbesondere bei Kleinkindern, zu rechnen ist. Eine Differenzierung der Sorgfaltspflicht
nach dem jeweiligen Alter des Kindes ist auch unter Berücksichtigung des § 3 Abs. 2a
StVO zulässig und geboten (Jagusch, Straßenverkehrsrecht, § 3 STVO Rn. 29 a).
Gegen ein - wie hier - 13 Jahre altes Kind muss sich ein Kraftfahrer auf die Möglichkeit
eines verkehrswidrigen Verhaltens nur dann einstellen, wenn besondere Umstände auf
eine solche Möglichkeit hindeuten (BayObLG, NJW 1982, 346). Besondere Umstände,
die auf ein unbesonnenes, unsicheres oder sonst verkehrswidriges Verhalten des
Beklagten hingedeutet hätten, sind hier nicht feststellbar. Vielmehr ist von einer
durchaus unauffälligen und verkehrsgerechten Fahrweise des 13jährigen auszugehen,
bis dieser plötzlich nach links abbog. Unter diesen Umständen war es dem Zeugen xy
nicht verwehrt, unter Einhaltung eines ausreichenden Seitenabstandes zum Überholen
des Beklagten anzusetzen, ohne vorher weitere Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen.
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Es gab keinen Anlass zu der Befürchtung, dass der Beklagte bei dessen Altersstufe ein
Abbiegen unter Außerachtlassung jeglicher Vorsicht ohne rechtzeitige Zeichengebung
und ohne Beobachtung des nachfolgenden Verkehrs durchführen werde.
II.
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Der Anspruch auf Ersatz der materiellen Schäden besteht in Höhe von insgesamt
210,48 Euro (411,68 DM). Dieser Betrag entspricht 100 % der ersatzfähigen
Schadenspositionen:
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1. Unstreitig sind die Sachverständigenkosten in Höhe von 52,79 Euro (103,24 DM).
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2. Hinsichtlich der streitigen Positionen gilt folgendes:
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a) Die Anhebung der bislang anerkannten Auslagenpauschale von 20,45 Euro (40,00
DM) auf 25,56 Euro (50,00 DM) erscheint angesichts des Kaufkraftschwundes und der
allgemein gestiegenen Kosten angemessen.
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b) Bezüglich der streitigen Position Reparaturkosten ist die Klägerin beweisfällig
geblieben. Das Gericht hat von der gemäß Beweisbeschluss vom 21.03.2002 zu dieser
Frage angeordneten Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen, da die
Klägerin trotz Erinnerung vom 25.04.2002 den Vorschuss nicht eingezahlt hat.
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Allerdings ist die Position "Außenspiegel" vom Beklagten nicht bestritten worden (so im
Schriftsatz vom 15.01.2002, Blatt 24 der Akte), so dass aufgrund des Privatgutachtens
folgende Positionen erstattungsfähig sind:
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Arbeitslohn:
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Pos..Nr. 64 45 20 50: 34,50 DM
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Ersatzteile,
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Leit-Nr.: 1738: 157,25 DM
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Leit-Nr.: 1744: 66,69 DM
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1. 258,44 DM (132,14 Euro)
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c) Das Gericht geht vorliegend von einer Reparaturdauer bezüglich des Außenspiegels
von 30 Minuten aus, weshalb eine Nutzungsausfallentschädigung nicht zuerkannt
worden ist. Hierbei hat das Gericht das von der Klägerin selbst vorgelegte
Privatgutachten zu Grunde gelegt.
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III.
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Die von der Klägerin geltend gemachte Zinsforderung ist gemäß §§ 284, 286, 288 Abs.
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1 BGB begründet. Der Beklagte hat den von der Klägerin vorgetragenen Zeitpunkt des
Verzugseintritts nicht bestritten.
IV.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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V.
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Der Streitwert für das Verfahren wird auf 604,24 Euro (1.181,80 DM) festgesetzt.
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