Urteil des AG Berlin-Mitte vom 12.09.2007

AG Berlin-Mitte: wohnung, lärm, hof, widerklage, staub, bauarbeiten, gerüst, treppenhaus, pauschal, quote

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Gericht:
AG Berlin-Mitte
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
20 C 226/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 536 Abs 1 S 2 BGB
Mietminderung: Anforderungen an einen substanziierten
Sachvortrag bei der gerichtlichen Geltendmachung von
baubedingten Mietbeeinträchtigungen
Tenor
1. Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte weitere 679,12 Euro nebst 5
%-Punkten Zinsen p. a. über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 679,12 Euro
seit dem 12.09.2007 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Kraft Mietvertrages vom 24.10.1995, auf dessen Inhalt verwiesen wird, war die Beklagte
und Widerklägerin Mieterin der im ersten Obergeschoss liegenden Zweizimmerwohnung
in dem Quergebäude des Hauses N Straße ..., ... B. Im Oktober und November 2005
betrug der monatliche Gesamtmietzins jeweils 364,46 Euro und ab Dezember 2005
monatlich 406,46 Euro.
Die Klägerin trat als in das Grundbuch eingetragene Eigentümerin im Jahr 2004 in das
Mietverhältnis ein.
Anfang Oktober 2005 wurde mit umfangreichen Baumaßnahmen in dem
Mehrfamilienhaus begonnen. Unter anderem wurde die bestehende zentrale
Heizungsanlage erweitert und eine zentrale Warmwasserbereitung ergänzt. Sämtliche
Fenster wurden erneuert. Die elektrische Steigeleitung des Hauses wurde erneuert, die
Fassaden putz und malermäßig hergerichtet. Bäder in Wohnungen eingebaut
beziehungsweise modernisiert und dabei innen liegende Bäder mit Entlüftungsanlagen
versehen. Die Hausflure wurden überarbeitet.
Mit Schreiben vom 8.11.2005, auf dessen Inhalt verwiesen wird, erklärte die Beklagte
gegenüber der Klägerin unter anderem: "... aufgrund der Beeinträchtigungen durch die
Baumaßnahmen zahle ich die Mieten ab Oktober 2005 bis zum Ende der Bauarbeiten
unter ausdrücklichem Vorbehalt der Rückforderung wegen Mietminderung. Die
Mietminderungsbeträge werde ich später verrechnen ..."
Die anschließenden Mietzinszahlungen erbrachter die Beklagte unter ausdrücklichem
Rückforderungsvorbehalt, der auf den Überweisungsbelegen angegeben war. Auf den
Inhalt ihrer anschließenden Schreiben vom 10. und 23. November 2005, 1. März 2006,
17.5.2006, und 30.8.2006 wird verwiesen.
Mit Schreiben vom 25.11.2005, auf dessen Inhalt verwiesen wird, teilte die Klägerin der
Beklagten unter anderem mit: "... Die Mietminderung in Höhe von 13% der
Nettokaltmiete wird bis zum Abschluss der Bauarbeiten unsererseits ohne Anerkenntnis
einer Rechtspflicht gewahrt, voraussichtlich bis Juni 2006." Rechnerisch machte dies für
Oktober und November 2005 jeweils einen monatlichen Betrag von 26,46 Euro und ab
Dezember 2005 von 31,31 Euro aus und damit einen Gesamtbetrag von 679,12 Euro in
Höhe der Widerklageerweiterung.
Mit der Widerklage macht die Klägerin von Oktober 2005 bis einschließlich Juli 2007 eine
monatliche Mietzinsminderung geltend und zwar von 20% der Bruttowarmmiete für
Oktober 2005, von 25% der Bruttowarmmiete für November 2005, von jeweils 30% der
Bruttowarmmiete von Dezember 2005 bis einschließlich Mai 2006 und ab Juni 2006 von
monatlich 20% der Bruttowarmmiete. Dies ergab zu der klägerischen Minderungsquote
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monatlich 20% der Bruttowarmmiete. Dies ergab zu der klägerischen Minderungsquote
von 13% der Nettokaltmiete einen Differenz von 46,43 Euro für Oktober 2005, von 64,66
Euro für November 2005, von jeweils 90,63 Euro für Dezember 2005 bis einschließlich
Mai 2006 und ab Juni 2006 von monatlich 49,98 Euro, die die Widerklägerin mit der
Widerklage über 1.354,60 Euro geltend macht. Unter Bezugnahme das von ihr geführte
"Bautagebuch", auf dessen Inhalt vollumfänglich verwiesen wird (Blatt 80 bis 85 und Bl.
132 bis 143 der Akte) behauptet die Wiederklägerin, dass es zu den nachfolgenden
Beeinträchtigungen gekommen seit Baugerüst mit Netz in der Zeit vom 10.10.2005 bis
12. Juli 2006 und nur Baugerüst weiter bis 18. Juli 2006, stark vermindertes Tageslicht
und Sichtbehinderung (Netz verdreckt), starke Staubbelästigung, besonders beim
Lüften, da Netz und Gerüst total verdreckt bzw. Lüften eingeschränkt, erhöhte
Einbruchgefahr von außen durch Fenster, Bauarbeiter laufen umher, schauen ins
Fenster, rufen sich zu, Lüften nur unter Aufsicht möglich, ständiger Lärm der Klappern
der Netze und Auf – und Zuschlagen der Luken, vor allem nachts störend;
Baulärm von Oktober 2005 bis Juli 2007, zum Teil erheblich und langanhaltend (siehe
Protokolle) und länger als sechs Monate;
Fenster verklebt milchig-weißer Folie von 12.11.2005 bis 12.5.2006, sehr lange, bis auf
wenige einzelne Tage teilweise alle Fenster verklebt, zusätzlich zu Gerüst und Netz
dadurch erhebliche Tageslicht- und Sichtbehinderung, erhebliche Behinderung des
Lüftens, da Folie am Außenrahmen fest verklebt;
15.11.2005 bis Ende Mai 2006 zum Teil stark feuchte Außenwände "(hier sehr viele, da
Eckwohnung)", nach Auftrag des Außenputzes als flüssiger Spritzputz vor Einbruch des
Frostes, so dass kein natürliches Abtrocknen nach außen möglich (Winter 05/06 langer,
starker Frost, Dezember 05 – Ende Mai 2006) bzw. erneuter Auftrag im April 2006,
erhöhte Heizkosten (Trockenbeizen), Gefahr von Schimmelbildung, besonders im
Zusammenhang mit verklebten Fenstern, Innenseite spürbar feucht beim bloßen
Anfassen, Nässe zog nach Innen, muffiger Geruch, Blasen in Tapeten (Möbelwegrücken
und kleinere Zimmerfläche);
Von 10.10.2005 bis Juli 2006 Staub und Schmutz zum Teil erheblich, verdreckte Fenster,
z.T. Spritzputz, z.T. durch Dreck vom Gerüst, erheblich zu viel Staub in der Wohnung –
erhöhte Reinigungskosten, keine Reinigung durch Bauarbeiter, verdrecktes Treppenhaus
von Oktober 2005 bis Juli 2007, zum Teil erheblich und ständig, keine oder ungenügende
Reinigung, Staub und Schmutzeintrag in Wohnung, erhöhte Reinigungskosten;
Von Oktober 2005 bis Juli 2007 Baumaterial und Schutt lagern auf Höfen, Durchgängen
und zeitweise im Treppenhaus, z.B. 1. Hof November 2005 bis Juli 2006 und länger, 2.
Hof Dezember 2005 bis Juli 2006 und länger, z.T. gefährliche Lagerung, da im Weg
liegend, nicht gesichert und nicht beleuchtet;
Ungenügende Hofbeleuchtung bezüglich der gelagerten Materialien von Oktober 2005
bis Juli 2007, Gefahrenquelle
Vermüllung (1. Hof) und Sperrmüll (1. und 2. Hof) und überfüllte Mülltonnen (November
2005 bis Juli 2006), unwohnlich, Ratten und Ungeziefer werden angelockt, Obdachlose
suchen und wühlen herum bzw. schlafen im Durchgang zum 2. Hof, Gäste werden
abgeschreckt;
Vom 10.10.2005 bis 18.7.2006 Keller nicht richtig nutzbar, z.T. verbaut, Gerüststrebe mit
auf Treppe zum Keller – zu eng, teilweise ganz verbaut, da Kran oder Material davor,
Lichtschalter (im Außenbereich angebracht) nicht erreichbar, da Gerüst davor stand,
April bis Juli 2006 Kellereingangstür ständig offen stehend, Einbruchgefahr, 13.4.2006
Einbruch in den Keller der Widerklägerin;
Von Oktober 2005 bis Mai 2007 offen stehende Hauseingangstür beziehungsweise nicht
verschließbar, starker Mangel, da erst im August 2005 neue Schließ-/
Wechselsprechanlage eingebaut mit Mieterhöhung um 1,64 Euro, Tor, wenn mal zu,
dann mit sehr leichtem Druck zu öffnen, ständig fremde Leute im Hof, erhöhte
Einbruchsgefahr;
Vom 15.1.2006 bis April 2007 Wechselsprechanlage defekt, die erst im August 2005
eingebaut war;
Von November 2006 bis März 2007 abmontierte und verdreckte Briefkästen, Briefkästen
lagen auf dem Boden, teilweise so zugebaut, dass nicht nutzbar vom 18. bis 31.12.2006,
Postzustellung unzureichend und teilweise nicht gewährleistet;
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Vom 22. August bis Juni 2007 Kellerlicht außer Betrieb, Stolpergefahr, Keller nicht
nutzbar;
Von Dezember 2006 bis Juni 2007 Bauarbeiten am Haus gegenüber, erheblicher Lärm
und Staub, ausreichende Lüftung tagsüber nicht möglich;
Von November 2006 bis Juli 2007 erhebliche Geruchsbelästigung durch Farb- und
Lösungsmittelausdünstungen aufgrund von Malerarbeiten im Treppenhaus und der unter
der streitgegenständlichen Wohnung liegenden Wohnung. "Geruch zog bis in die
Wohnung."
Die Widerklägerin meint, dass für diese Beeinträchtigungen eine pauschale
Mietminderung von 20% der Bruttowarmmiete von Juni 2006 bis Juli 2007 angemessen
sei. Die höheren Mietminderung von November 2005 bis einschließlich Mai 2006 seien
wegen des vor den Fenstern der streitgegenständlichen Wohnung stehenden Gerüstes,
der Blindmachung der Fenster, der nassen Außenwände und des durch die Außenwände
in die Wohnung eindringenden Wassers angemessen. Dies habe Mitte November 2005
begonnen und deshalb sei der monatliche Erhöhungsbetrag von pauschal 10% nur in
Höhe von 5% verlangt und endete Anfang Juni 2006. Für diese besondere Behelligung sei
pauschal ein Gesamtminderungsbetrag von 30% zu fordern.
Die Widerklage vom 03.09.07 auf Zahlung von 1354,60 Euro nebst Zinsen ist der
Klägerseite am gleichen Tage ausgehändigt worden und die Widerklägerin beantragt
nunmehr teilweise klageerweiternd,
die Klägerin zu verurteilen, an sie 2033,72 Euro nebst 5% Zinsen p.a. über den
jeweiligen Basiszinssatz aus 1.354,60 Euro seit dem 3.9.2007 und aus 679,12 Euro seit
dem 12.9.2007 zu zahlen.
Die Klägerin und Widerbeklagte hat die Widerklageerweiterung in Höhe von 679,12 Euro
nebst Zinsen anerkannt und beantragt im übrigen,
die Widerklage abzuweisen.
Sie meint, dass die anerkannte Mietminderung die angemessene Quote sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin und Widerbeklagte ist entsprechend ihrem Teilanerkenntnis gem. § 307 ZPO
zu verurteilen.
Im übrigen ist die Widerklage entscheidungsreif und durch Teilurteil gemäß § 301 ZPO zu
entscheiden.
Der Widerklägerin steht der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch gemäß §§
812,814 BGB i.V.m. 536 BGB nicht zu, denn sie genügt ihrer Darlegung – und Beweislast
für die über den anerkannten Minderungsquoten von 7,26% der Bruttowarmmiete für
Oktober und November 2005 sowie 7,70% der Bruttowarmmiete ab Dezember 2005
liegende und geltend gemachte Mietminderungen nicht. Gefordert ist dafür, dass die die
Art, Intensität und Dauer der Beeinträchtigungen im Einzelnen dargestellt wird. Diesen
Anforderungen genügt die Widerklägerin weder mit ihrem schriftsätzlichen Darstellungen
noch mit den in Bezug genommenen Seiten ihres "Bautagebuches". So werden
schriftsätzlich zwar einige Bauauswirkungen (z.B. Baugerüst mit/ohne Netz, Baulärm,
verklebte Fenster, feuchte Wände, Staub und Schmutz sowie Beeinträchtigungen durch
Baumaterialien und Ablagerungen) angegeben, allerdings in so pauschaler und grober
Aufteilung und für einen über ein Jahr liegenden Zeitraum ohne tage-, wochen- oder
mindestens monatsweise Genaubeschreibung nach Art, Intensität und Dauer, dass
damit die geltend gemachten Minderungsquoten von 20%-30% eine entsprechende
Wohnwertbeeinträchtigung auch im Rahmen des § 287 ZPO nicht hinreichend
substantiiert darstellen. Zwar weisen die Seiten des eingereichten "Bautagbuchs" auch
tageweise zugeordnete Maßnahmen für bestimmte Uhrzeiten aus, allerdings werden
auch dort ausschließlich pauschale Beschreibungen wie "erheblicher Lärm (geboren,
klappern, schlagen), Staub + Dreck, teilweise erheblicher Lärm, Abschlagen von
Mauerteilen, verstärktes Eintragen von Schmutz in die Wohnung, Bauarbeiten in der
Nebenwohnung, Dacharbeiten, Aufräumarbeiten, Maurerarbeiten, erhebliche
Verschmutzung" etc. aufgelistet, die für die einzelnen Tage des streitgegenständlichen
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Verschmutzung" etc. aufgelistet, die für die einzelnen Tage des streitgegenständlichen
Zeitraumes so unkonkret bleiben, dass sie die geltend gemachten Minderungsquoten
nicht zu rechtfertigen vermögen.
Entgegen der von der Widerklägerin vertretenen Auffassung ist dieser konkrete
Sachvortrag zu den baubedingten Wohnwertbeeinträchtigungen für den
streitgegenständlichen Zeitraum nicht deshalb entbehrlich, weil sie lediglich eine
pauschale Minderungsquote einwende. Zwar ist ihr zuzugeben, dass von einem Mieter
nicht zu verlangen ist, dass er im einzelnen darlegt, wann, an weichem Tag, zu welcher
Stunde, welches Geräusch oder Schmutz, aus welcher Richtung kam und welches
Ausmaß diese Emissionen täglich eingenommen habe, weil dies darauf hinausliefe, dass
er seine Berufstätigkeit bzw. sonstigen Tagesablauf aufzugeben hätte, um sich im
Wesentlichen mit der statistischen Erfassung von Beeinträchtigungen zu beschäftigen.
Diesem Umstand wird in der Rechtsprechung Rechnung getragen, indem bei
bestimmten Bauvorhaben unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausmaßes eine feste
Minderungsquote für die Dauer des Bauvorhabens zugesprochen wird. Diese Quote wird
auch dann zuerkannt, wenn in einzelnen Zeiten keine besonders starken Lärm- und
Schmutzstörungen stattfinden, weil der Mieter nie sicher sein kann, dass er für einen
bestimmten voraussehbaren Zeitraum von solchen Beeinträchtigungen verschont
bleibt. Mit dieser konstanten Minderungsquote für die gesamte Dauer der
Baumaßnahmen wird zudem dem Umstand Rechnung getragen, dass ein
Baugeschehen und -fortschritt typischerweise Zeiten mit weniger Emissionen ebenso
hat wie "Lärm/Dreckspitzen" hat. Aber auch nach diesen Grundsätzen steht der
Widerklägerin für den gesamten Minderungszeitraum von Oktober 2005 bis Juli 2007
keine über der anerkannten Mietminderung der Bruttowarmmiete hinausgehende
Minderungsquote zu, denn auch wohnungsbezogen intensiverer Beeinträchtigungen,
z.B. lichteinschränkendes Netz am Baugerüst, Fassadenarbeiten in Höhe der Wohnung,
Bauarbeiten in einer Nachbarwohnungen und im anschließenden Hof sowie
Baumaterialablagerungen, die eine höhere Minderungsquote rechtfertigten, werden
durch Zeiten geringerer Bauemissionen ausgeglichen. Für eine konstante
Minderungsquote von mindestens dauernd 8% genügt die Widerklägerin ihrer
Darlegungslast nicht, denn die eingeschränkten Sichtverhältnisse durch das Netz am
Baugerüst sind damit ebenso auf den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum
angemessen i.S.d. § 536 BGB nach § 297 ZPO berücksichtigt wie kurze Zeiten lärm- und
schmutzintensiver Baumaßnahmen. Ohne dass tageweise genaue Beschreibung der
Beeinträchtigungen für ihre Wohnung nach Art, Umfang und Intensität sowie Dauer
dargetan sind, stellte sich die angebotenen Zeugenvernehmung deshalb als
Ausforschung dar, die sich verbietet.
Die Kostenentscheidung ist dem Schlussurteil vorzubehalten.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt § 708 Nr. 1 ZPO nach.
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