Urteil des AG Aachen vom 20.08.2009

AG Aachen (ermittlungsverfahren, ergebnis, essen, geld, rechtskraft, vorbereitung, analogie, auslegung, begründung, streitgegenstand)

Amtsgericht Aachen, 50 Owi 154/09
Datum:
20.08.2009
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
50. Strafabteilung
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
50 Owi 154/09
Tenor:
Auf die Erinnerung des Rechtsanwalts Dr. N vom 23.07.2009 gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 15.07.2009
werden die nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Aachen
vom 10.03.2009 dem Betroffenen aus der Landeskasse zu erstattenden
notwendigen Auslagen gemäß dem Antrag vom 08.04.2009 auf 725,90 €
festgesetzt.
Gründe
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Die nach §§ 464 b StPO, 11 Abs. 2 RPflG, 567 Abs. 2 ZPO zulässige und auch
fristgerecht eingelegte Erinnerung ist begründet. Die zusätzlich zu den bereits durch den
Kostenfestsetzungsbeschluss zugesprochenen notwendigen Auslagen beantragte
Auslagenpauschale von 20,- € zzgl. Umsatzsteuer ist ebenfalls zu erstatten. Bei dem
Bußgeldverfahren handelt es sich nämlich im Verhältnis zum nachfolgenden
Ordnungswidrigkeitenverfahren vor dem Amtsgericht um eine eigene Angelegenheit im
Sinne von Nr. 7002 VV RVG.
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Eine explizite Regelung dieser Frage findet sich im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz
nicht. Dort sind nur punktuelle Einzelfälle einer "selben" bzw. einer "verschiedenen"
Angelegenheit in §§ 16ff RVG aufgeführt. "Angelegenheit" im Sinne von Nr. 7002 VV
RVG ist ein einheitlicher Lebensvorgang, der die gesamte Tätigkeit des Anwalts von der
Erteilung des jeweiligen Auftrages bis zur Erledigung desselben oder bis zu seinem
Ausscheiden abdeckt (Landgericht Köln, Urt. v. 01.10.2008, 20 S 15/08 m.w.N.). Die
Frage, ob das behördliche und das gerichtliche Verfahren in Bußgeldsachen als
dieselbe Angelegenheit anzusehen sind oder nicht, ist streitig.
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1) Als Argument für eine Betrachtung als dieselbe Angelegenheit wird angeführt, dass
keine Vergleichbarkeit des behördlichen Bußgeldverfahrens mit dem
Verwaltungsverfahren bei Verwaltungsakten gegeben sei, für welches die Trennung in §
17 Nr. 1 RVG ausdrücklich festgestellt sei (Landgericht Köln, Urt. v. 01.10.2008, 20 S
15/08, ebenso Landgericht Hamburg, Urt. v. 09.08.2006, 319 S 3/06, dem folgend
Amtsgericht Koblenz, Beschl. v. 23.11.2006, 34 Owi 558/06; im Ergebnis ebenso
Amtsgericht München, Urt. v. 23.05.2008, 262 C 36106/07 mit dem Argument, dass
behördliches Bußgeld- und das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren
vergleichbar seien und bei letzterem auch nur eine Auslagenpauschale anfalle).
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2) Die Gegenauffassung stützt sich zum einen auf die gegenüber den Regelungen in
der BRAGO im RVG nunmehr gesonderten Regelungen über das Bußgeldverfahren.
Zum anderen wird auf die - nach dieser Ansicht gegebene - Ähnlichkeit zwischen
Verwaltungs- und behördlichem Bußgeldverfahren und die grundsätzlichen
Unterschiede zwischen behördlichem Bußgeldverfahren und staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren abgestellt (Amtsgericht Friedberg/Essen, Beschl. v. 14.11.2008,
45a Owi 806 Js 8580/08; im Ergebnis ebenso Amtsgericht Nauen, Beschl. v.
10.05.2007, 34 Owi 481 Js20950/05-430/05).
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3) Letzteres überzeugt. Das behördliche Bußgeldverfahren stellt ein gesondert
geregeltes Verfahren dar, welches - anders als das staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsverfahren - mit einer einseitig getroffenen, der Rechtskraft fähigen
Entscheidung endet. Insoweit ist das nachfolgende gerichtliche Verfahren als
Rechtsmittelverfahren im weiteren Sinne anzusehen. Ein gerichtliches
Rechtsmittelverfahren ermöglicht aber nach § 15 Abs. 2 S. 2 RVG in jeder Instanz eine
Gebührenforderung. Für diese Ansicht spricht auch § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RVG, wonach
"die Vorbereitung der Klage, des Antrags oder der Rechtsverteidigung" keine besondere
Angelegenheit darstellt, "soweit kein besonderes gerichtliches oder behördliches
Verfahren stattfindet". Hiervon ist aber bei einem behördlichen Bußgeldverfahren
auszugehen. Dass es bei der Differenzierung nicht darauf ankommen kann, ob der
Streitgegenstand im engeren Sinne identisch ist, zeigt § 17 Nr. 2 RVG, welcher
Mahnverfahren und das sich anschließende streitige Verfahren als verschiedene
Angelegenheiten bezeichnet.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts Köln im o.a. Urteil geht es auch nicht um
eine (zulässige oder unzulässige) analoge Anwendung von § 17 Nr. 1 RVG zur
Begründung des pauschalisierten Erstattungsanspruchs, sondern um die Auslegung
des Begriffs "Angelegenheit" im Rahmen der Nr. 7002 VV RVG, sodass die
Voraussetzungen der Analogie nicht vorliegen müssen.
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Esselborn
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