Urteil des AG Aachen vom 28.02.2006

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Amtsgericht Aachen, 82 C 395/05
Datum:
28.02.2006
Gericht:
Amtsgericht Aachen
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
82 C 395/05
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von der Zahlungsverpflichtung
gegenüber der Mietwagenrechnung der Firma B GmbH, T000-Str. ,
####1 B2, Rechnungs-Nummer ####2, vom 28.12.2004 in Höhe von
698,33 € freizustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 9 % und die Beklag-
te 91 % zu tragen. Die Kosten der Nebenintervenientin haben zu 91 %
die Beklagten zu tragen. Im übrigen trägt die Nebenintervenientin ihre
Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden
Betrages abwenden, wenn nicht dieser zuvor in derselben Höhe
Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Die Parteien (Kläger = Geschädigter, Beklagte = Haftpflichtversicherer des Schädigers)
streiten um die weitere Verpflichtung, dem Kläger Schadenersatz wegen
Mietwagenkosten (sog. Unfallwagenersatztarif) im Anschluss an einen Verkehrsunfall
zu leisten. Die volle Eintrittspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.
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Der Kläger beantragt,
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wie tenoriert.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist im wesentlichen begründet.
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Der Kläger hat einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Mietwagenunternehmer in
der beantragten Höhe, abzüglich ersparter Eigenaufwendungen.
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Mit dem BGH geht das Gericht davon aus, dass sich die Erstattungsfähigkeit von
Mietwagenkosten an deren Erforderlichkeit im Sinne des § 249 BGB zu orientieren hat.
Grundsätzlich verstößt danach der Geschädigte nicht deswegen gegen seine Pflicht zur
Schadensminderung, wenn er ein Kraftfahrzeug nach einem sogenannten
Unfallersatztarif mietet, der gegenüber einem sogenannten Normaltarif teuerer ist (vgl.
dazu BGH NJW 2005, 51 ff). Diese seit vielen Jahren vertretene Meinung hat der BGH
mit dieser und nachfolgenden Entscheidungen teilweise in Frage gestellt, indem er eine
unbeschränkte Erstattungsfähigkeit als zweifelhaft ansieht, wenn der Geschädigte den
höheren Tarif ohne weiteres erkennen konnte oder wenn sich ein Tarif entwickelt hat,
worauf es hier ankommt, der nicht mehr maßgeblich von Angebot und Nachfrage
bestimmt wird. Die hierzu gemachten Ausführungen des BGH können nicht überzeugen.
Sie laufen darauf hinaus, auf dem Rücken eines Unfallgeschädigten einen Streit
zwischen Versicherungswirtschaft und Mietwagenanbieter auszutragen, in dem die
betriebswirtschaftliche Kalkulation der Letzteren gutachtlich und zu beweisen durch den
Geschädigten, überprüft werden soll. Dies widerspricht indes entschieden dem
Schadenersatzrecht. Das überfordert den Geschädigten in nicht vertretbarer Weise.
Denn ihm würde abverlangt, nicht nur nach anderen, preiswerteren Tarifen zu fragen. Er
müsste auch hinterfragen, ob jedweder gegebenenfalls andere angebotene Preis einer
gerichtlichen Überprüfung auf betriebswirtschaftliche Plausibilität stand hält. Dies mit
einer Darlegungs- und /oder Beweislastverteilung dem Geschädigten aufzuerlegen,
geht an der Lebenswirklichkeit vorbei. Das gilt schon deswegen, weil praktisch niemand
zu derartigen Fragestellungen in der Lage ist und weil auf der Anbieterseite
(Mietwagenunternehmer) niemand bei derartigen Massengeschäften Auskunft geben
könnte. Diejenigen, welche die Mietwagen tatsächlich vermieten, sind in der Regel nicht
mit den entsprechenden kalkulatorischen Grundlagen vertraut. Mit anderen Worten der
Geschädigte wird in der Welt der Mietwagenunternehmen herumirren und letztlich keine
Anhaltspunkte dafür haben können, ob er befugter Weise ein Fahrzeug zu welchem
Preis auch immer anmieten darf/durfte.
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Diese Absurdität gibt deutliche Hinweise auf die Fehlerhaftigkeit des Ansatzes des BGH
in den neueren Entscheidungen. Nicht erst im Jahre 2004 konnte festgestellt werden,
dass sich ein "besonderer Tarif" entwickelt hat. Unfallwagenersatztarife bestehen
bereits seit Jahrzehnten und sind jedenfalls im Verhältnis von Geschädigtem zu
Schädiger regelmäßig, wenn keine Besonderheiten vorlagen, anerkannt worden. Ferner
ist darauf hinzuweisen, dass eine Vielzahl von Anbietern nur über einen einzigen Tarif
verfügt, der angeboten wird. Dabei übersieht das Gericht nicht, dass in bestimmten
Fällen durchaus bei Selbstzahlern Tarife abgesenkt werden können, etwa dann, wenn
mit einer Kreditkarte oder bar bezahlt wird. (Es erscheint allerdings höchst zweifelhaft,
ob ein Geschädigter überhaupt vorschusspflichtig gemacht werden kann, indem er
gezwungen wird, eigenes Kapital zur Entlastung des Schädigers in Anspruch zu
nehmen. Streitigkeiten über etwaige Zinsgewinne oder –verluste sind vorprogrammiert.)
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All dies sind keine neuen Entwicklungen. Im Hinblick hierauf kann es das Gericht nicht
nachvollziehen, aus welchem Grund nunmehr in eine Diskussion und gegebenenfalls
Beweiserhebung darüber eingetreten werden soll, welcher Unfallwagenersatztarif oder
Zwischentarif oder Normaltarif erstattungsfähig sein soll. Wenn darüber hinaus die was
die Methodik der Rechtsfindung – Segel
ANWEISUNGEN
stimmenden Ausführungen der Vorsitzenden des zuständigen Senates beim BGH in
DAZ 12/2005 zugrundegelegt werden, so scheint beabsichtigt zu sein, im Laufe der
weiteren Rechtsprechung Zuschläge zu einem "Normaltarif" zu erheben. Eine derartige
Handhabung setzt aber logisch voraus, dass es einen objektiven Tarif gibt, der dann
allgemein je nach den örtlichen Gegebenheiten festzusetzen wäre. Die Besonderheiten
von Mietwagenunternehmern hätten hierbei außer Betracht zu bleiben. Dies
widerspräche indes der wirtschaftlichen Kalkulationsfreiheit eines Unternehmers in
einer freien sozialen Marktwirtschaft.
Die neuere Rechtsprechung des BGH stellt mit besonderer Betonung auf dem Begriff
der Erforderlichkeit des § 249 BGB ab, um nachfolgend gewisse Einschränkungen
vorzunehmen. Erforderlich kann objektiv definiert werden. Erforderlich ist grundsätzlich
am Schadensort nur der preiswerteste Tarif des preiswertesten Anbieters. Darauf kann
jedoch nicht abgestellt werden. Denn auch nach der Rechtsprechung des BGH ist der
Sachverhalt im Rahmen der Schadenregulierung mit den Pflichten des Geschädigten
verknüpft, den Schaden möglichst gering zu halten. Dies ist Ausfluss der
Schadensminderungspflicht des § 254 BGB. Selbst wenn die Erforderlichkeit als
objektiv gegeben angesehen werden würde, so hängt die Erstattungspflicht für den
Schädiger davon ab, ob der Geschädigte in der Lage war zu erkennen, der von ihm
gewählte Tarif des von ihm gewählten Anbieters sei gegebenenfalls überhöht. Dieses
ist letztlich unter dem Blickwinkel der Schadensminderungspflicht zu beurteilen.
Regelmäßig weiß ein Geschädigter überhaupt nicht, dass verschiedene Tarife zur
Verfügung stehen. Eine häufige Fallgestaltung ist diese: Ein Unfallgeschädigter begibt
sich zu einer Reparaturwerkstatt und fragt nach, ob und wo er für die Dauer der
Reparatur einen Mietwagen erhalten kann. Entweder stellt ihm der Unternehmer ein
derartiges Fahrzeug zur Verfügung oder verweist ihn auf einen gewerblichen
Mietwagenunternehmer. Bedient sich ein Unfallgeschädigter anschließend einer
"normalen" Autovermietung oder der Dienste der Werkstatt, so können ihm
Einwendungen überhaupt nur ebenso wie etwa bei der Auswahl eines
Kraftfahrzeugsachverständigen entgegengehalten werden, wenn ihn ein
Auswahlverschulden trifft. Davon kann ohne das Hinzutreten weiterer Umstände in der
Regel indes nicht ausgegangen werden. Es sind auch hier nicht die geringsten
Anhaltspunkte dafür erkennbar, der Kläger habe wissen können, dass die Firma B
möglicherweise im Verhältnis zu anderen Unternehmern zu hohe Tarife zugrunde legt.
Es kann einem Geschädigten auch nicht abverlangt werden, nach der Nennung von
Preisen danach zu fragen, ob nicht ein anderer Tarif in Betracht kommt. Entsprechend
der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 07.05.1996 – VI ZR 138/95) ist ein
Geschädigter nicht gehalten, zugunsten des Schädigers zu sparen. Diese
Rechtsprechung entspricht regelmäßig wirtschaftlicher Vernunft im Rahmen von
Massengeschäften. Die entsprechenden Regeln haben fort zu gelten. Soweit aus den
oben genannten Entscheidungen des BGH anderes folgen soll, so trifft dies auch nicht
das dem BGB entsprechenden ordnungsgemäßen Verhalten eines "Normalbürgers".
Grund zur Nachfrage besteht allenfalls für den durchschnittlich gebildeten
Mitteleuropäer, der in der Regulierung von Kraftfahrzeugunfällen geschult ist.
Auswüchsen und Missbräuchen sind die Instanzgerichte auch ohne
"Segelanweisungen" des BGH stets erfolgreich entgegengetreten.
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Keinen Erfolg hat die Klage allerdings hinsichtlich von nicht abgesetzten
Eigenersparnissen. Es entspricht der Rechtsprechung, auch bei Kraftfahrzeugen
moderner Art einen Abzug vorzunehmen, den das Gericht je nach Fallgestaltung
unterschiedlich bemisst. Hier erscheint es gerechtfertigt, einen Abzug von 5 %
vorzunehmen, § 287 ZPO. Danach ergibt sich eine Reduzierung von 58,71 € und
daraus der tenorierte Betrag.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 Satz 1, 713 ZPO.
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Haas
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