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27.07.2010
Päuschen für die GEMA: Keine “nackte” Statistik zum Nachweis einer Diskriminierung
Die Pressestelle des BAG ist irgendwie auch in den Sommerferien.
Anders ist es nicht zu erklären, dass eine der bedeutendsten AGG-Entscheidungen der letzten Jahre zwar fällt, aber keine Spuren auf der Internetseite des BAG hinterlässt. Da muss man sich schon mit der Tagespresse behelfen. Wobei wir die Meldung aus dem beliebten Juristenklatschmagazin JUVE News haben, wo der (nicht unbekannte) schwäbische Kollege gefeiert wird, weil er vorgeblich einen großen Sieg errungen hat (ob er das genauso sieht?).
Die Rede ist vom GEMA-Prozess. Das LAG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 26. 11. 2008 - 15 Sa 517/08) hatte den “beklagten Verein” (dass es um die GEMA ging, ist Allgemeingut) vor eineinhalb Jahren aufsehenerregend verurteilt. Sehr knapp (und verkürzend) mit folgenden (bahnbrechenden) Ideen:
Erstens, wenn die Statistik sagt, dass seit 1976 keine Frau beim Beklagten mehr eine Führungsposition hatte, aber 2/3 der Belegschaft Frauen sind, eine (interne) weibliche Bewerberin für eine Führungsposition jedoch abgelehnt wird, ist das ein Indiz für eine Diskriminierung.
Zweitens, der Schadensersatz für die Diskriminierung ist zeitlich nicht begrenzt, die Bewerberin erhält bis zur Verrentung die Differenz zum höheren (Beförderungs-) Gehalt.
Die GEMA hatte keine Chance auf einen Gegenbeweis, weil sie kein richtiges Besetzungsverfahren durchgeführt hatte.
Die Frage der Statistik hat die Gemüter damals wirklich erregt. Kann man wegen nackter Zahlen ohne Bezug zum Einzelfall als Diskriminierer abgestempelt werden? Jetzt ist wohl klar: Man kann. Aber nicht gegen die Gesetze der Logik:
Das LAG meinte, dass - ließe man die Zahlen nicht sprechen - man nie eine als “gläserne Decke” bezeichnete versteckte Diskriminierung ermitteln könne. Da kann man nicht widersprechen.
Das BAG hat auch nicht widersprochen. Es hat auf eine naheliegende Tatsache verwiesen: Die Statistik, die als Indiz herangezogen wird, muss in eine “Gesamtschau” eingebettet werden. Das Wort “Gesamtschau” ist ein Schreckgespenst, denn damit kann man bekanntlich alles machen. Hier aber hat es Sinn: Das BAG gab wohl zu bedenken, dass niemand die Frage geklärt habe, ob (und wie häufig) es überhaupt weibliche Bewerber auf Führungspositionen gegeben habe. Das ist aber ein Bedürfnis zwingender Logik: Hätte sich seit 1976 keine Frau mehr (oder nur einmal eine versprengte) überhaupt beworben, wäre die Statistik kein Indikator für eine Diskriminierung. Ohne diese Zusatzinformation ist die Statistik also wertlos. Das LAG muss jetzt noch einmal ran.
Einen denkwürdigen Sieg hat die Arbeitgeberseite deshalb nicht davongetragen. Die geforderte Aufklärung wird sich ja wohl leisten lassen. Die Hybris der erst in dritter Instanz hinzugetretenen Wunderkanzlei wird man ihr lassen müssen, weil man ohnehin nichts dagegen tun kann (schade für den Kollegen, der drei Instanzen gekämpft hat, aber jetzt nicht im Rampenlicht steht) - aber ein Wunder ist es nicht gerade, schlichte Logik in die Beweisführung gebracht zu haben.
Die Sache erinnert im Hinblick auf das AGG an ein Hühnerei, aus dem langsam und mit großer Anstrengung ein Küken schlüpft. Die Idee der Statistik war innovativ, und sie ist wohl auch im Sinne des Gesetzes. Aber den Umgang mit solchen Belegen müssen Gerichte und Prozessparteien erst noch lernen. Hier wurde ein allzu simples Gesetz der Logik im Eifer des Gefechts einfach außer Acht gelassen.
Wir sind gespannt, die die Diskriminierungswelt in 20 Jahren aussieht.