Rechtsanwältin Cornelia Klüting

Anwaltskanzlei Klüting
54296, Trier
19.04.2011

Arbeitnehmerfreizügigkeit für osteuropäische EU-Beitrittsländer ab 01. Mai 2011

Ab dem 1. Mai 2011 gilt für Arbeitnehmer aus den EU-Beitrittsländern Estland, Lettland, Litauen, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn die volle Arbeitnehmer-Freizügigkeit. Nicht davon erfasst sind bislang die Bürger aus Rumänien und Bulgarien. Doch was bedeutet die Arbeitnehmer-Freizügigkeit eigentlich in der Praxis?

Ausgangspunkt der Überlegung ist das Grundrecht auf Personenfreizügigkeit innerhalb des Gemeinsamen Binnenmarktes der Europäischen Union (kurz: EU). Die Personenfreizügigkeit äußert sich in verschiedenen Ausprägungen. Neben der allgemeinen Freizügigkeit für Unionsbürger, existieren spezielle Ausprägungen in Form der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit.

Bislang brauchten die Bürger aus den genannten osteuropäischen Ländern, die im Jahr 2004 der EU beigetreten sind, eine Arbeitserlaubnis, wenn sie in Deutschland einer Beschäftigung nachgehen wollten. Grundlage hierfür war die sog. "2+3+2"-Rgelung, von der außer Großbritannien, Irland und Schweden, die ihre Arbeitsmärkte bereits im Jahr 2004 vollständig öffneten, alle EU-Mitgliedsstaaten Gebrauch machten. Nach Ablauf von zunächst 2 und dann noch einmal 3 Jahren konnten die Mitgliedsländer erklären, dass sie den Zugang zum Arbeitsmarkt für die neuen Beitrittsländer weiter beschränken wollen. Nach Ablauf von insgesamt 7 Jahren ist diese Übergangszeit nunmehr abgelaufen, so dass ab dem 01. Mai 2011 EU-weit (mit Ausnahme von Bulgarien und Rumänien, die erst am 01.01.2007 der EU beigetreten sind) die volle Freizügigkeit in Kraft tritt.

Die bisherigen Erfordernisse wie Arbeitserlaubnisse oder Werkvertragskontingente, über die auch in der Vergangenheit osteuropäische Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt werden konnten, fallen damit ersetzlos fort. Dies führt zu einer spürbaren Erleichterung für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, da die Erlaubnisverfahren in der Regel langwierig und kostspielig waren.

Für die sog. Beschäftigten mit einer qualifizierten Berufsausbildung, insbes. einem Hochschulstudium, aus osteuropäischen Ländern, wird sich in der Summe nach bisherigen Erwartungen nicht viel ändern. Da in Deutschland in den letzten Jahren in vielen Bereichen ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften bestand, wurden Arbeitserlaubnisse in der Regel problemlos erteilt. Anders sieht es bei Arbeitnehmern ohne qualifizierte Berufsausbildung aus. Hier erteilte die Bundesagentur für Arbeit bislang eine Arbeitserlaubnis nur für abschließend aufgezählte Fallgruppen z.B. Saisonarbeiten oder Schaustellergewerbe. Damit verbunden ist die Sorge der Gewerkschaften, dass es in Deutschland zu sog. "Lohndumping" kommt, denn sendet ein osteuropäisches Unternehmen seine Mitarbeiter zur Arbeit nach Deutschland, dann gelten für diese Arbeitnehmer grundsätzlich die im Heimatland vereinbarten Löhne, die im Durchschnitt oft deutlich unter den in Deutschland gezahlten Löhnen liegen.

Um Lohndumping zu verhindern und ein Grundentgeltniveau sicherzustellen, wird vermehrt die Einführung von Mindestlöhnen beschlossen. Grundlage dafür kann eine gesetzliche Regelung oder auch ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag sein. Die in dieser Form vereinbarten Mindestlöhne gelten innerhalb des vereinbarten örtlichen Bereichs für alle Arbeitnehmer egal aus welchem Land sie stammen. Ein flächendeckender Mindestlohn wurde bisher speziell von Seiten der Arbeitgeber abgelehnt, so dass es derzeit nur branchenspezifische Mindeslöhne in folgenden Branchen gibt:

  • Abfallwirtschaft einschließlich Straßenreinigung und Winterdienst
  • Wäschereidienstleistungen im Objektkundengeschäft
  • Bauhauptgewerbe
  • Elektrohandwerk
  • Dachdeckerhandwerk
  • Maler- und Lackiererhandwerk
  • Gebäudereinigung
  • Pflegebranche
  • Bergbauspezialarbeiten auf Steinkohlebergwerken

Insbesondere in der Zeitarbeitsbranche, in der bislang noch kein Mindestlohn galt, wurde befürchtet, dass Zeitarbeitsfirmen aus osteuropäischen Ländern die deutschen Arbeitsmärkte für sich erschließen wollen. Die Bundesregierung einigte sich im Rahmen der Hartz-IV-Reformen Anfang des Jahres auf einen Mindestlohn in dieser Branche, der noch vor dem 01. Mai 2011 in Kraft treten soll. Das entsprechende Gesetz wurde am 24. März im Bundestag verabschiedet.

Gleichzeitig gibt es jedoch Hoffnungen, dass die Öffnung des Arbeitsmarkts auch neue Impulse bringen kann. So rechnet die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände nicht damit, dass die Öffnung des Arbeitsmarkts zu Nachteilen auf dem deutschen Arbeitsmakrt führt. Bundesarbeitsministerin von der Leyen äußerte sich dahingehend, dass es zu begrüßen sei, dass qualifizierten Arbeitskräften aus den osteuropäischen Ländern der Zugang nun ohne ein langwieriges Verwaltungsverfahren ermöglicht werde.

Hinsichtlich der berechtigten Bedenken speziell im Niedriglohnsektor bleibt zu hoffen, dass sich die Gewerkschaften mit ihren Forderungen nach einem einheitlichen Mindestlohn durchsetzen können, der die Gefahr des Lohndumpings auf ein Mindestmaß reduzieren und gleichzeitig sicherstellen würde, dass deutsche Unternehmen im Vergleich zu osteuropäischen Konkurrenten konkurrenzfähig bleiben. Unter diesen Voraussetzungen kann die Öffnung des Arbeitsmarktes für Arbeitnehmer aus osteuropäischen Ländern tatsächlich ein Fortschritt und eine Bereicherung darstellen.