Urteil des VG Wiesbaden vom 15.07.2010

VG Wiesbaden: beteiligungsrecht, feststellungsklage, beirat, zusammenarbeit, hauptsache, behörde, sicherstellung, quelle, lotterie, bevölkerung

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Gericht:
VG Wiesbaden 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 719/10.WI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 61 Nr 2 VwGO, § 9 GlüStVtrG
NW
Beteiligungsrecht des Fachbeirats bei der Erteilung von
Erlaubnissen durch die Glücksspielaufsicht
Leitsatz
Der Fachbeirat Glücksspielsucht kann seine Rechte auf Beteiligung im
Behördenverfahren gerichtlich geltend machen, allerdings ist seine wehrfähige
Innenrechtsposition auf den innerorganisatorischen Funktionsablauf beschränkt. Ist das
behördliche Verfahren bereits abgeschlossen, kann kein Eilrechtsschutz mehr gewährt
werden.
Tenor
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf Euro 2.500,00 festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller, Fachbeirat nach § 10 Abs. 1 Satz 2 des
Glücksspielstaatsvertrags, begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die
vorläufige Feststellung, dass sein Beteiligungsrecht verletzt wurde, weil der
Antragsgegner im November 2009 dem Beigeladenen zu 1) die Zustimmung zur
Entgegennahme von Lotterie-Spielaufträgen online per E-Postbrief erteilt hat,
ohne den Antragsteller vorher zu hören.
Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zulässig.
Der Antragsteller ist beteiligungsfähig im Sinne von § 61 Nr. 2 VwGO und
antragsbefugt. Er hat als unabhängiges Organ eine wehrfähige
Innenrechtsposition, um seine Beteiligung im sog. Fachbeiratsverfahren
durchsetzen zu können. Der Antragsteller ist insoweit zu behandeln wie z. B. ein
bei der Naturschutzbehörde gebildeter Naturschutzbeirat (§ 52 HENatG), der
unabhängig von der Behördenhierarchie für die Berücksichtigung gesetzlich
definierter besonderer Belange einzutreten und diese in Vorbereitung der
Behördenentscheidung einzubringen hat (vgl. dazu Hess.VGH, NVwZ 1992, Seite
904; NVwZ-RR 2001, Seite 374). Dies ergibt sich aus den gesetzlichen
Formulierungen im Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV), im Hessischen
Glücksspielgesetz (GlüG) und der Verwaltungsvereinbarung der Länder über die
Zusammenarbeit bei der Glücksspiellaufsicht und die Einrichtung eines
Fachbeirats.
Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GlüStV setzt die Erlaubnis zur Einführung neuer
Glücksspielangebote voraus, "dass der Fachbeirat (§ 10 Abs. 1 Satz 2) zuvor die
Auswirkungen des neuen Angebots auf die Bevölkerung untersucht und bewertet
hat"; nach § 10 Abs. 1 Satz 2 GlüStV werden die Länder bei der Wahrnehmung
ihrer Aufgabe, ein ausreichendes Glücksspielangebot sicherzustellen, vom
Fachbeirat beraten. Der Fachbeirat ist unabhängig und setzt sich aus Experten in
der Bekämpfung der Glücksspielsucht zusammen. Nach dem Hessischen
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der Bekämpfung der Glücksspielsucht zusammen. Nach dem Hessischen
Glücksspielgesetz darf eine Erlaubnis nur erteilt werden, wenn "bei der Einführung
neuer Glücksspielangebote oder Vertriebswege oder erheblicher Erweiterung der
bestehenden Vertriebswege zuvor der Fachbeirat nach § 9 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 des
Glücksspielstaatsvertrags beteiligt wurde" (§ 9 Abs. 1 Nr. 4). Nach § 1 der
Verwaltungsvereinbarung der Länder über die Zusammenarbeit bei der
Glücksspielaufsicht und die Einrichtung eines Fachbeirates berät der Beirat die
Länder bei der Sicherstellung eines ausreichenden Glücksspielangebots und
untersucht und bewertet im Rahmen von Erlaubnisverfahren u. a. die Einführung
neuer oder die erhebliche Erweiterung bestehender Vertriebswege.
Aus der Gesamtschau der Vorschriften erschließt sich, dass im Falle neuer oder
erweiterter Vertriebswege der Fachbeirat die Aufgabe hat, diese zu untersuchen
und zu bewerten, und von der Glücksspielaufsicht vor Erteilung der Erlaubnis zu
beteiligen ist. Diese besondere Position des Fachbeirates, die der Gesetzgeber
aufgrund der Sportwetten-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil
vom 28.03.2006, Az.: 1 BvR 1054/01 - insbes. Rdnr. 154 -; vgl. auch Beschluss vom
20.03.2009, Az.: 1 BvR 2410/08 - Rdnr. 37 -) geschaffen hat (vgl.
Dietlein/Hecker/Ruttig, § 10 GlüStV, Rdnrn. 10 ff.), würde leer laufen, wenn dem
Gremium die Klage- und Antragsbefugnis zur Durchsetzung der Beteiligungsrechte
entzogen würde.
Allerdings ist die sog. wehrfähige Innenrechtsposition auf den
innenorganisatorischen Funktionsablauf beschränkt und endet grds. mit der nach
außen wirksamen Entscheidung der Behörde (Hess. VGH, NVwZ-RR 2001, Seite
374).
Bei Verletzung der Organkompetenz ist jedoch die Möglichkeit gegeben (sofern
z.B. Wiederholungsgefahr besteht oder die Sache über den Einzelfall hinaus
Bedeutung hat), die Rechtswidrigkeit der unterbliebenen Beteiligung im Wege der
Feststellungsklage feststellen zu lassen (so Hess. VGH, NVwZ-RR 2001, Seite 374;
vgl. auch ders., NVwZ 1992, Seite 904). Im Eilverfahren nach § 123 VwGO sind
auch vorläufige Feststellungen möglich.
Dabei kann der Antragsteller nicht auf ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis wegen
der Heilungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 1 HVwVfG verwiesen werden, weil der
Antragsteller weder Beteiligter des Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 45 Abs.
1 Nr. 3 HVwVfG ist noch Behörde im Sinne von Nr. 5. Außerdem kann diese Norm
auch deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil der Sinn der Beteiligung des
Antragstellers nur dadurch erfüllt werden kann, dass der Beirat vor der
Entscheidung der Glücksspielaufsicht gehört wird (vgl. dazu BVerwGE 66, 291,
295). Letztere soll gerade den besonderen Sachverstand des Beirats nutzen und
in ihre Entscheidung einbeziehen.
Im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags ist es ausreichend, dass der Antragsteller
behauptet, bei dem E-Brief handele es sich um einen neuen Vertriebsweg unter
Nutzung des Internets. Ob dem tatsächlich so ist, ist eine Frage der
Begründetheit.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet, weil es an einem Anordnungsgrund fehlt. In
der Hauptsache hat der Antragsteller eine Feststellungsklage erhoben; im
Eilverfahren begehrt er eine vorläufige Feststellung der Verletzung seiner
Beteiligungsrechte. Diese vorläufige Feststellung würde aber im Ergebnis eine
Vorwegnahme der Hauptsache bedeuten, denn mehr als die Feststellung, dass er
vor der Erteilung der Zustimmung zur Nutzung des E-Postverkehrs zu beteiligen
gewesen wäre, kann der Antragsteller auch im Klageverfahren nicht erreichen (vgl.
dazu Hess.VGH, NVwZ-RR 1999, Seite 379). Eine vorläufige Feststellung wäre kein
Minus gegenüber einer endgültigen Entscheidung.
Weiterhin könnte eine Eilentscheidung zum jetzigen Zeitpunkt die Rechtsposition
des Antragstellers nicht (mehr) verbessern, denn das behördliche Verfahren ist
abgeschlossen, die Zustimmung hat der Antragsgegner bereits erteilt.
Schwere und unzumutbare Nachteile entstehen dem Antragsteller nicht, wenn er
auf das Hauptsacheverfahren verwiesen wird.
Es ist in einem vom Antragsteller angestrengten verwaltungsgerichtlichen
Verfahren nicht zu entscheiden, ob die vom Antragsgegner erteilte Zustimmung
materiell rechtswidrig ist und die Legitimation des beschränkenden
Regulierungskonzepts des Glücksspielstaatsvertrages in Frage stellt. Einen solchen
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Regulierungskonzepts des Glücksspielstaatsvertrages in Frage stellt. Einen solchen
Ausspruch kann der Antragsteller nicht erreichen. Er ist darauf beschränkt, seine
Beteiligungsrechte - das Anhörungs- und Beratungsrecht - durchzusetzen; darüber
wird im Hauptsacheverfahren noch zu entscheiden sein. Soweit der Antragsteller
befürchtet, dauerhaft in seiner Funktionsfähigkeit eingeschränkt zu werden, geht
es ihm um eine grundsätzliche Klärung seiner Stellung im glücksspielrechtlichen
Verfahren. Es ist nicht Aufgabe des vorliegenden Eilverfahrens, eine solche
umfassende Klärung der Kompetenz herbeizuführen.
Aus den genannten Gründen kann auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben,
unabhängig davon, ob die vom Antragsgegner erteilte Zustimmung als Erlaubnis
nach § 9 Abs. 5 GlüStV i.V.m. § 9 Abs. 4 GlüG anzusehen ist oder nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Streitwert wurde nach
§§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG i.V.m. Ziff. II Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmt und auf die Hälfte des sog.
Auffangstreitwertes festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.