Urteil des VG Stuttgart vom 21.10.2013

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VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 21.10.2013, 10 S
1201/13
Leitsätze
1. Nach der an das gewerberechtliche Begriffsverständnis anknüpfenden Vorschrift des § 3 Abs.
10 KrWG kann eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts trotz ihrer partiellen Rechts-fähigkeit
nicht Sammler von Abfällen sein und deshalb auch nicht als Adressatin einer abfallrechtlichen
Untersagungsverfügung in Anspruch genommen werden.
2. Gegen eine abfallrechtliche Untersagungsverfügung, die an eine Gesellschaft des
bürgerlichen Rechts gerichtet ist, kann sich die Gesellschaft selbst wegen der fehlerhaften
Inanspruchnahme als vermeintliche Sammlerin von Abfällen wehren.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe
vom 21. Mai 2013 - 4 K 3595/12 - geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der
Antragstellerin gegen Nummer 1 der Verfügung des Landratsamts Karlsruhe vom 19.11.2012
wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für
beide Rechtszüge auf jeweils 7.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Antragstellerin, die xxx, wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer Verfügung
des Antragsgegners, mit der ihr mit sofortiger Wirkung untersagt wurde, im Landkreis
Karlsruhe gewerblich Alttextilien zu sammeln.
2
Mit Schreiben vom 17.07.12012 zeigte die „xxx xxx.“ die Durchführung gewerblicher
Sammlungen nach § 18 KrWG i.V.m. § 72 Abs. 2 KrWG an unter Vorlage einer
Gewerbeanmeldung für den Einzelkaufmann V.N. vom 17.04.2012 und einer Anzeige
nach § 53 KrWG. In der Anzeige wird ausgeführt, dass die „xxx“ eine Arbeitsgemeinschaft
von Unternehmen sei, die gemeinsam Sammlungen von Textilien im gesamten
Bundesgebiet durchführten. Nach Anhörung untersagte der Antragsgegner mit Bescheid
vom 19.11.2012, adressiert an die „xxx xxx“ unter Anordnung der sofortigen Vollziehung,
im Landkreis Karlsruhe gewerblich Alttextilien zu sammeln (Nr. 1), forderte die
Antragstellerin unter Fristsetzung zur Entfernung der bereits aufgestellten Container auf
(Nr. 2) und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,--
EUR an (Nr. 4). Die Antragstellerin hat hiergegen Widerspruch eingelegt und beim
Verwaltungsgericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt. Das
Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 21.05.2013 die aufschiebende Wirkung
hinsichtlich Nummer 2 und 4 der Verfügung wiederhergestellt und im Übrigen den Antrag
abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde. Zur Begründung wird im Wesentlichen
vorgetragen, dass die Antragstellerin als Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht
gewerbefähig sei und deshalb auch nicht mit einer abfallrechtlichen
Untersagungsverfügung in Anspruch genommen werden könne.
II.
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Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig (§§ 146, 147 VwGO), sie hat darüber
hinaus in der Sache Erfolg.
4
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist davon auszugehen, dass der
Widerspruch der Antragstellerin und eine eventuell nachfolgende Anfechtungsklage
gegen die Verfügung des Landratsamts Karlsruhe vom 19.11.2012 bei summarischer
Prüfung wahrscheinlich Erfolg haben werden und deshalb dem öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung der Verfügung kein Vorrang vor dem Suspensivinteresse der
Antragstellerin zukommt. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs ist zulässig (dazu unter 1.) und begründet (dazu unter 2.).
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1. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig, insbesondere ist
die Antragstellerin beteiligtenfähig im Sinne von § 61 Nr. 2 VwGO. Der Senat geht zu
Gunsten der Antragstellerin entsprechend ihren eigenen Angaben davon aus, dass durch
den im Mai 2011 geschlossenen Kooperationsvertrag eine Gesellschaft bürgerlichen
Rechts gegründet worden ist. Nach § 61 Nr. 2 VwGO sind Vereinigungen beteiligtenfähig,
soweit ihnen ein Recht zustehen kann. Das Grundrecht der allgemeinen
Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG, das auch Personenvereinigungen zusteht,
ermöglicht es der Antragstellerin als Adressatin der Untersagungsverfügung überprüfen
zu lassen, ob dieser Bescheid rechtmäßig an sie gerichtet werden kann. Hinsichtlich der
Vertretung der Antragstellerin kann dabei dahinstehen, ob die xxx durch die erfolgte
Ausgliederung in die Rechtsstellung des von dem Einzelkaufmann V.N. unter der Firma
„xxx“ betriebenen Handelsgeschäfts auch hinsichtlich der Beteiligung an der
Arbeitsgemeinschaft Textilverbund eingetreten ist. Dahingestellt kann in diesem
Zusammenhang insbesondere bleiben, ob die bei der Ausgliederung eines
einzelkaufmännischen Unternehmens (ein Unterfall der Spaltung, vgl. §§ 1 Abs. 1 Nr. 2,
123 UmwG) eintretende Gesamtrechtsnachfolge auch schlechthin nicht übertragbare
Rechtspositionen, wie etwa die Beteiligung an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts,
erfasst (verneinend OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.08.2008 - 1 U 108/08 - NJW-RR 2008,
1698). Jedenfalls wurde die Vertretung der Antragstellerin durch die xxx von dem
Antragsgegner im Verwaltungsverfahren ausdrücklich akzeptiert, weshalb diese auch für
das nachfolgende Gerichtsverfahren handlungsfähig sein muss.
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2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist auch begründet. Die
vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten des Interesses der Antragstellerin
an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs aus, weil bei
summarischer Prüfung die Untersagungsverfügung rechtswidrig ist. Dabei kommt es nicht
auf die zwischen den Beteiligten kontrovers diskutierte Frage an, ob die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG für eine Untersagung der
Sammlung vorliegen. Die Rechtswidrigkeit der Untersagungsanordnung ergibt sich schon
daraus, dass die Antragstellerin nicht die richtige Adressatin ist.
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In der gewerberechtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Gesellschaft des
bürgerlichen Rechts nicht gewerbefähig ist und deshalb auch nicht Adressatin einer
Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit sein kann (vgl. etwa VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 15.05.2012 - 6 S 998/11 - VBlBW 2012, 472; VG Neustadt, Beschluss vom
02.11.2012 - 4 L 862/12.NW - GewA 2013, 83; OVG Lüneburg, Beschluss vom
31.07.2008 - 7 LA 53/08 - NVwZ-RR 2009, 103; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
26.06.2007 - OVG 1 B 14.05 - juris). Dies wird sowohl damit begründet, dass die
persönliche Zuverlässigkeit einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts nicht geprüft werden
kann als auch damit, dass die Gewerbeordnung den Begriff des Gewerbetreibenden nicht
durch eine entsprechende Aufzählung, wie sie z.B. in § 1 Abs. 1 der Handwerksordnung
enthalten ist, auf Personengesellschaften erstreckt. Bei Personengesellschaften wie der
Gesellschaft bürgerlichen Rechts erfüllen mangels eigener Rechtspersönlichkeit der
Gesellschaft daher nur die einzelnen Gesellschafter, regelmäßig die geschäftsführenden
Gesellschafter, die Eigenschaft der Gewerbetreibenden. An dieser gewerberechtlichen
Betrachtung hat sich durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom
29.01.2001 - II ZR 331/00 - NJW 2001, 1056) nichts geändert, wonach eine nach außen
auftretende Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ohne den Status einer juristischen Person
innezuhaben, Rechts- und Parteifähigkeit besitzt, soweit sie durch Teilnahme am
Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (vgl. hierzu auch Bay.VGH,
Beschluss vom 05.08.2004 - 22 ZB 04.1853 - GewA 2004, 479). Der Bundesgerichtshof
stellt in dieser Entscheidung lediglich die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Bezug auf
ihre Rechtsfähigkeit weitgehend einer offenen Handelsgesellschaft gleich, die, obgleich
nicht juristische Person, nach der ausdrücklichen Anordnung in § 124 Abs. 1 HGB
gleichwohl Rechte erwerben und klagen kann. Soweit die Gesellschaft bürgerlichen
Rechts durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet,
soll sie auch - überwiegend aus Gründen der Praktikabilität - aktiv und passiv partei- und
prozessfähig sein. Die danach mögliche Begründung eigener Rechte und Pflichten im
Rechtsverkehr durch die Gesellschaft bürgerlichen Rechts sagt aber nichts darüber aus,
wem im Gesellschaftsgefüge persönliche Eigenschaften wie Eignung oder
Zuverlässigkeit nach öffentlichem Recht zuzurechnen sind. Bei nicht-rechtsfähigen
Personenmehrheiten kommen dafür nur die verantwortlichen natürlichen Personen, also
die geschäftsführenden Gesellschafter, in Betracht. Lediglich juristische Personen werden
selbst als Gewerbetreibende angesehen. Zwar kann auch hier persönlich unzuverlässig
letztendlich nur die handelnde natürliche Person sein; deren Unzuverlässigkeit wird
jedoch der juristischen Person als eigene zugerechnet. Dies beruht auf der Fiktion, dass
juristische Personen in ihrer Rechtsfähigkeit wie natürliche Personen behandelt werden.
Dies ist bei Personengesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit wie der
Gesellschaft des bürgerlichen Rechts gerade nicht der Fall (vgl. hierzu näher OVG
Lüneburg, Beschluss vom 31.07.2008 - 7 LA 53/08 -a.a.O.).
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Die gleiche Interessenlage besteht bei der Untersagung von gewerblichen Sammlungen
auf der Grundlage von § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG. Nach der ersichtlich an das
gewerberechtliche Begriffsverständnis anknüpfenden Vorschrift des § 3 Abs. 10 KrWG ist
Sammler von Abfällen im Sinne des Gesetzes jede natürliche oder juristische Person, die
gewerbsmäßig oder im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmen ... Abfälle sammelt.
Mangels entsprechender Aufzählung ist der Gesetzgeber demnach nicht davon
ausgegangen, dass eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts Sammler von Abfällen sein
kann (ebenso VG Regensburg, Beschluss vom 04.04.2013 - RN 7 S 13.253). Mit dem in §
18 KrWG nur verwendeten Begriff der „Sammlung“ wird an die in § 3 Abs. 10 KrWG
enthaltene Regelung angeknüpft, weshalb auch die Eingriffsmöglichkeiten nach Absatz 5
und 6 nur natürliche und juristische Personen treffen können.
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Die Untersagungsverfügung war daher jedenfalls nicht an die Antragstellerin zu richten.
Es spricht jedoch vieles dafür, dass die an die xxx gerichtete Verfügung vom 22.03.2013
auch bezüglich eines Handelns im Namen der Gesellschaft bürgerlichen Rechts Geltung
beansprucht. Dies bedarf freilich keiner abschließenden Entscheidung, da der Senat mit
Beschluss vom 10.10.2013 (10 S 1202/13) einstweiligen Rechtsschutz durch Anordnung
der aufschiebenden Wirkung des von der xxx im eigenen Namen eingelegten
Widerspruchs gewährt hat.
10 Nach alldem war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin
hinsichtlich Nummer 1 der angefochtenen Verfügung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO
wiederherzustellen.
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
12 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 und 3, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und
§ 52 Abs. 1 GKG in Anlehnung an Nrn. 1.5 und 54.2.1 des Streitwertkatalogs für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (VBlBW 2004, 467).
13 Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).