Urteil des VG Stuttgart vom 27.02.2014

VG Stuttgart: vorläufige einstellung, aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, rechtliches gehör, materielles recht, zwangsvollstreckung, rechtswidrigkeit, kreis, donau, verwaltungsakt

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 27.2.2014, 8 S 2146/13
Leitsätze
1. Jedenfalls soweit in Bezug genommene Erkenntnisquellen den Beteiligten nicht aus
vorangegangenen Verfahren bekannt sind, bedarf es auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO
grundsätzlich eines entsprechenden Hinweises des Gerichts, wenn es sie entscheidungstragend
verwerten will.
2. Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung der Beschwerde (§ 146 Abs. 4 Satz 3
und 6 VwGO), dass das Verwaltungsgericht den Anspruch eines Beteiligten auf Gewährung
rechtlichen Gehörs verletzt hat, so hat das Beschwerdegericht umfassend zu prüfen, ob
vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist, ohne dass es darauf
ankommt, ob der Gehörsverstoß sich auch nach der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts
auf eine entscheidungserhebliche Tatsache bezieht (Fortführung der Senatsrechtsprechung aus
dem Beschluss vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 - VBlBW 2013, 384).
3. Ist eine Ermessensentscheidung unter Verstoß gegen § 39 Abs. 1 LVwVfG nicht begründet,
leidet sie auch inhaltlich an einem Mangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt (im Anschluss an:
OVG Niedersachsen, Urteil vom 10.02.2011 - 12 LB 318/08 - NZV 2012, 100 (101)).
4. Begehrt ein Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung die vorläufige Einstellung der
Vollstreckung, entspricht der Streitwert für dieses Begehren einem Bruchteil des Streitwerts für
den Angriff auf die zu vollstreckende Grundverfügung.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts
Sigmaringen vom 25. September 2013 - 7 K 1981/13 - teilweise geändert. Die aufschiebende
Wirkung seines Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohungen aus dem Bescheid des
Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 22. Mai 2013 wird angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wird unter Änderung der
Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen auf 12.500,-- EUR und für das
Beschwerdeverfahren auf 25.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde ist nur teilweise zulässig und insoweit auch nur teilweise begründet.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Verwaltungsgericht es abgelehnt, die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die ihm gegenüber
verfügten Zwangsgeldandrohungen zur Durchsetzung der gegen ihn ergangenen -
zwischenzeitlich bestandskräftigen - Abbruchsanordnung vom 08.10.1997 anzuordnen.
Weiter hat es abgelehnt, im Wege der einstweiligen Anordnung „die (vorläufige)
Einstellung der Vollstreckung anzuordnen“.
3 Die Beschwerde ist unzulässig, soweit mit ihr erstmals begehrt wird, „die Vollstreckung
aus der Abbruchsverfügung vom 08.10.1997 in [der Gestalt] des Widerspruchsbescheids
des Regierungspräsidiums Tübingen vom 25.03.2004 für unzulässig zu erklären“,
„hilfsweise … festzustellen, dass die Vollstreckung aus der Abbruchsverfügung vom
08.10.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen
vom 25.03.2004 unzulässig ist (I.). Zulässig ist die Beschwerde hingegen, soweit sie sich
gegen die Ablehnung des Eilrechtsschutzgesuchs durch das Verwaltungsgericht richtet.
Die im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach §
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, geben zu einer Änderung des Beschlusses des
Verwaltungsgerichts hinsichtlich der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen
die Zwangsgeldandrohungen Anlass (II.1. und 2.). Im Übrigen hat die Beschwerde jedoch
keinen Erfolg (II.3.).
I.
4 Der Antragsteller hat mit seinen als Nr. 3 und Nr. 4 bezeichneten, oben im Wortlaut
wiedergegebenen Beschwerdeanträgen den Streitgegenstand im Beschwerdeverfahren in
unzulässiger Weise geändert. Insoweit ist die Beschwerde unzulässig.
5 1. Im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 4 VwGO ist aufgrund der Einschränkungen
des gerichtlichen Prüfungsmaßstabs durch § 146 Abs. 4 Satz 3 und Satz 6 VwGO eine
Antragserweiterung oder -änderung im Regelfall unzulässig. Mit der der Entlastung der
Oberverwaltungsgerichte dienenden Qualifizierung der Beschwerdebegründung einerseits
(§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO) und der Beschränkung des Prüfungsumfangs andererseits (§
146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist eine
Antragsänderung oder -erweiterung in der Beschwerdeinstanz regelmäßig nämlich nicht
vereinbar. Zulässig ist eine Antragsänderung nur, soweit sie sachdienlich ist und der
Beschwerdeführer mit ihr einer Änderung der Sachlage Rechnung trägt, die vor Ablauf der
Beschwerdebegründungsfrist eingetreten ist und daher noch in das Beschwerdeverfahren
eingeführt werden kann (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.10.2010 - 1 S
2029/10 - VBlBW 2011, 95 m.w.N., vgl. auch Senatsbeschluss vom 20.01.2011 - 8 S
2679/10).
6 2. Der Antragsteller hat seine Anträge im Beschwerdeverfahren mit den Anträgen Nr. 3
und Nr. 4 erweitert, ohne dass dies auf eine Änderung der Sachlage vor Ablauf der
Beschwerdebegründungsfrist zurückzuführen wäre. Deshalb ist die Antragserweiterung
unzulässig.
7 Abweichend vom Verfahren vor dem Verwaltungsgericht begehrt er im
Beschwerdeverfahren nun erstmals eine endgültige Entscheidung über die Unzulässigkeit
der Vollstreckung aus der Verfügung des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 08.10.1997.
Dass er hier eine endgültige Entscheidung begehrt, zeigt sich an seinem als Nr. 5
bezeichneten Antrag, mit dem er eindeutig eine einstweilige Regelung „bis zur
rechtskräftigen Entscheidung in dieser Sache“ anstrebt, wie er dies auch schon im
erstinstanzlichen Verfahren getan hat. Die Beschwerdeanträge Nr. 3 und Nr. 4 finden auch
keine Entsprechung im erstinstanzlichen Verfahren und sind deshalb Erweiterungen der
bislang gestellten Anträge. Das Verwaltungsgericht hat die in der Klagebegründung des
Antragstellers vom 01.07.2013 enthaltenen Anträge Nr. 1 und Nr. 2, die den
Beschwerdeanträgen Nr. 3 und Nr. 4 entsprechen, zutreffend ausgehend von der
Betreffzeile des Schriftsatzes der „Vollstreckungsgegenklage / Feststellungsklage“ und
damit allein einem Hauptsacheverfahren (anhängig beim Verwaltungsgericht unter 7 K
1980/13) zugeordnet und sie dahin ausgelegt, dass sie im Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes nicht gestellt sein sollen. Im Übrigen hat der Antragsteller dieser
Auslegung seiner Anträge durch den Senat, auf die er durch den Berichterstatter mit
Schreiben vom 10.02.2014 hingewiesen worden ist, nicht widersprochen.
8 Die Antragerweiterung ist überdies auch deswegen nicht sachdienlich im Sinne des § 91
Abs. 1 VwGO, weil im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO die begehrte endgültige
Regelung nicht erstritten werden kann.
II.
9 Die Beschwerde ist erfolgreich, soweit sie sich gegen die Ablehnung der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die verfügten
Zwangsgeldandrohungen richtet. Zu Recht rügt der Antragsteller eine Verletzung seines
durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Rechts auf rechtliches Gehör (1.) Die daher
gebotene umfassende Prüfung seines Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO führt zur
Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs durch den Senat (2.). Sein
Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf die vorläufige Einstellung der
Zwangsvollstreckung, bleibt jedoch ohne Erfolg (3.).
10 1. a) Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Zwangsgeldandrohung nicht
gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Aus der Stellungnahme des Antragsgegners vom
31.07.2013 ergebe sich, dass dieser auch hinsichtlich weiterer ungenehmigter Bauten im
Bereich der „Erbacher Seenplatte“ tätig sei. Das Gericht kenne die Baulichkeiten, die
Gegenstand der Verfügung vom 08.10.1997 seien, sowie das übrige Anwesen des
Antragstellers und die Umgebung aus dem in der mündlichen Verhandlung vom
20.06.2007 eingenommenen Augenschein. Darüber hinaus kenne die Kammer die
„Erbacher Seenplatte“ aus verschiedenen anderen Verfahren. Daher sei es der Kammer
auch bekannt, dass es in diesem Bereich keine anderen ungenehmigten Bauwerke gebe,
die von Umfang und Intensität her dem Anwesen des Antragstellers auch nur ansatzweise
gleichkämen. Es könne offen bleiben, ob der weiter gestellte Antrag, die vorläufige
Einstellung der Vollstreckung anzuordnen, zulässig sei. Jedenfalls sei er aus den
darstellten Gründen nicht erfolgreich. Es gebe keinen Anlass, die weitere Vollstreckung
auszusetzen.
11 b) Zutreffend rügt die Beschwerde, dass das Verwaltungsgericht nicht mitteile, aus
welchen anderen Verfahren es die Erbacher Seenplatte kenne und damit das Recht des
Antragstellers auf rechtliches Gehör verletze.
12 aa) Aus § 108 Abs. 2 VwGO, der in Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO über den Wortlaut
des § 122 Abs. 1 VwGO hinaus anwendbar ist (Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier,
VwGO, Stand: Januar 2012, § 122 Rn. 3) und Art. 103 Abs. 1 GG folgt der Anspruch der
Verfahrensbeteiligten, alle Erkenntnisquellen, auf die sich das Gericht stützen will, vor der
Entscheidung zur Kenntnis nehmen zu können, um sich gegebenenfalls mit ihnen
auseinandersetzen und Einwände anbringen zu können (BVerwG, Beschluss vom
19.07.2012 - 1 B 6.12 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 89; vgl. allgemein auch
BVerwG, Urteil vom 22.03.1983 - 9 C 860.82 - BVerwGE 67, 83; vgl. Senatsbeschluss vom
30.06.2011 A 8 S 700/11 - juris Rn. 7). Jedenfalls soweit die in Bezug genommenen
Erkenntnisquellen den Beteiligten nicht aus vorangegangenen Verfahren bekannt sind,
bedarf es auch im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich eines entsprechenden
Hinweises des Gerichts, um sie zum Gegenstand des Verfahrens zu machen (vgl.
BVerwG, Beschluss vom 03.05.2002 - 4 B 1.02 - juris Rn. 9; VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 01.03.1999 - 13 S 819/98 - VBlBW 1999, 265), wenn es sie
entscheidungstragend verwerten will. Allein in Fällen besonderer Dringlichkeit der
Angelegenheit kann im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes anderes gelten (vgl.
Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Januar 2012, § 122 Rn. 3.). Der
Anspruch auf rechtliches Gehör bezieht sich nur auf Tatsachen, die nach der
Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserheblich sind (BVerwG, Beschluss vom
29.07.2010 - 8 B 106.09 - Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 77 Rn. 33 f. m.w.N.).
13 bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hat das Verwaltungsgericht das Recht des
Antragstellers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt. Das Verwaltungsgericht hat vor
seiner Entscheidung nicht alle Erkenntnisquellen offen gelegt, auf die es seine
Tatsachenfeststellung gestützt hat. Denn nach der Rechtsauffassung des
Verwaltungsgerichts kommt es darauf an, dass es im Bereich der „Erbacher Seenplatte“
keine anderen ungenehmigten Bauwerke gibt, die von Umfang und Intensität her dem
Anwesen des Antragstellers auch nur ansatzweise gleichkommen. Dieser Umstand führt
nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts dazu, dass der Eintritt in die Vollstreckung
gegen den Antragsteller vor dem Abschluss der Verfahren hinsichtlich andere
ungenehmigter Bauten nicht gleichheitswidrig sei. Die Kenntnis von „Umfang und
Intensität“ der anderen Bauten hat das Verwaltungsgericht auch aus „verschiedenen
anderen Verfahren“ gewonnen, ohne dass für den Antragsteller oder das
Beschwerdegericht erkennbar wäre, welche Verfahren dies sind und welche genauen
Erkenntnisse in diesen Verfahren gewonnen worden wären, die die tatrichterliche Wertung
zu Umfang und Intensität anderer Bauwerke stützen.
14 2. a) Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung des Beschwerdegerichts (§
146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts
die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt,
hat es umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu
gewähren ist (Senatsbeschluss vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 - VBlBW 2013, 384
m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der angegriffene Beschluss unter Verstoß gegen § 108
Abs. 2 VwGO zustande gekommen und dies mit der Beschwerde geltend gemacht worden
ist. Eine isolierte Prüfung, ob der Gehörsverstoß sich auch nach der Rechtsauffassung des
Beschwerdegerichts auf eine entscheidungserhebliche Tatsache bezieht, hat im
Unterschied zum Berufungszulassungsverfahren, zur Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision und zum Revisionsverfahren (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow,
VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124a Rn. 224) zu unterbleiben. Denn im Unterschied zu den
genannten Verfahrensarten ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich unmittelbar auf die
endgültige Entscheidung über das Rechtsschutzgesuch gerichtet. Das
Berufungszulassungsverfahren und das Verfahren über die Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision dienen zur Entlastung der Rechtsmittelgerichte hingegen als
„Filter“ (Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 124 Rn. 21), so dass es
gerechtfertigt ist, durch eine Kontrolle des Beruhens eines Gehörsverstoßes auf der
Grundlage der Rechtsauffassung des Rechtsmittelgerichts im Zulassungsverfahren zu
überprüfen, ob es des - weiteren - Rechtsmittelverfahrens bedarf. Gleiches gilt für die
Geltendmachung des absoluten Revisionsgrundes der Versagung des rechtlichen Gehörs
(§ 138 Nr. 3 VwGO), da hier der sonst regelmäßig notwendigen Zurückverweisung der
Sache zur anderweitigen (Berufungs-)Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Satz
1 Nr. 2 VwGO) vorgebeugt werden soll, wenn die vom Gehörsverstoß betroffenen
Tatsachen nach Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht
entscheidungserheblich sind. Für das Beschwerdeverfahren hingegen ist es jedenfalls für
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Hintergrund der regelmäßig nur
summarischen Prüfung der Sachlage durch die Verwaltungsgerichte geboten, im Falle
eines Gehörsverstoßes dem Beschwerdegericht die vollständige Prüfung des
Rechtsschutzgesuchs anhand der allgemeinen Maßstäbe zu eröffnen.
15 b) Die umfassende Prüfung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch den Senat führt zur
Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die
Zwangsgeldandrohungen im Bescheid des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom
22.05.2013.
16 Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 12 LVwVG für zulässig
erachtet. Die vom Senat zu treffende umfassende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs des
Antragstellers fällt aber nunmehr zu dessen Gunsten aus. Denn zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Senats, der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei der
Anfechtung einer Zwangsgeldandrohung bei noch ausstehender
Widerspruchsentscheidung maßgeblich ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom
21.02.1996 - 9 S 91/94 - NVwZ-RR 1997, 444 (445)), erweisen sich die
Zwangsgeldandrohungen als derzeit rechtswidrig, weil sie bereits in formeller Hinsicht
dem Begründungserfordernis aus § 39 Abs. 1 LVwVfG nicht gerecht werden und daraus
auch ein Verstoß gegen materielles Recht unmittelbar folgt.
17 aa) Nach § 39 Abs. 1 LVwVfG ist u.a. ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer
Begründung zu versehen (Satz 1). In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen
und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen
haben (Satz 2). Die Begründung von Ermessensentscheidung soll auch die
Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres
Ermessens ausgegangen ist (Satz 3).
18 Sowohl die Entscheidung, ob ein Verwaltungsakt mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden
soll, die Auswahl des Zwangsmittels (§ 19 LVwVG) als auch die Bestimmung der Höhe
des Zwangsgelds, dessen Festsetzung angedroht werden soll (§ 20 Abs. 4 LVwVG und §
23 LVwVG) stehen im Ermessen der Vollstreckungsbehörde (VGH Baden-Württemberg,
Urteil vom 04.12.2003 - 5 S 2781/02 - VBlBW 2004, 226). Weder die Auswahl des
Zwangsmittels - bei der vertretbaren Handlung des Abbruchs baulicher Anlagen käme
auch die Ersatzvornahme in Betracht, ohne dass es nach baden-württembergischen
Landesrecht einen gesetzlichen Vorrang des einen vor dem anderen Zwangsmittel gäbe -
noch die Bestimmung der jeweiligen Höhe der angedrohten Zwangsgelder ist im Bescheid
vom 22.05.2013 begründet worden. Da die Ausnahmebestimmungen des § 39 Abs. 2
LVwVfG hier sämtlich nicht einschlägig sind und weder die Zwangsmittelauswahl noch die
Bestimmung der Zwangsmittelhöhe im nur intendierten Ermessen der
Vollstreckungsbehörde stehen (vgl. zur möglicherweise fehlenden Begründungspflicht in
diesem Fällen: Senatsurteil vom 22.04.2002 - 8 S 177/02 - VBlBW 2003, 123 (127)),
verstößt dies ersichtlich gegen die Vorgaben des § 39 Abs. 1 LVwVfG.
19 bb) Ist eine Ermessensentscheidung unter Verstoß gegen § 39 Abs. 1 LVwVfG nicht
begründet, leidet sie auch inhaltlich an einem Mangel, der zu ihrer Rechtswidrigkeit führt
(OVG Niedersachsen, Urteil vom 10.02.2011 - 12 LB 318/08 - NZV 2012, 100 (101); vgl.
auch Sächsisches OVG, Beschluss vom 19.10.2012 - 2 A 762/11 - juris Rn. 9). Daher
erweisen sich die angegriffenen Zwangsgeldandrohungen derzeit auch als materiell
rechtswidrig.
20 cc) Gründe, die trotz der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldandrohungen
für ein Fortbestehen ihrer sofortigen Vollziehbarkeit stritten, gibt es keine. Angesichts der
auch materiellen Rechtswidrigkeit der Ermessensentscheidungen ist die bloße
Möglichkeit der Heilung der hier beanstandeten Fehler im Widerspruchsverfahren nicht
ausreichend, um von einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzusehen. Dem
Antragsgegner bleibt ein Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO nach einer
hinreichenden Begründung der Zwangsgeldandrohungen unbenommen.
21 3. Der sachdienlich ausgelegte, zusätzlich und nicht nur hilfsweise gestellte Antrag, bis zu
einer rechtskräftigen Entscheidung über die bei dem Verwaltungsgericht Sigmaringen
unter dem Aktenzeichen 7 K 1980/13 anhängige Klage die Vollstreckung aus der
Abbruchsverfügung des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 08.10.1997 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen einstweilen einzustellen, ist
nicht zulässig, denn dem Antragsteller fehlt insoweit das notwendige
Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller erreicht mit dem Widerspruch gegen die
ergangenen Zwangsgeldandrohungen und der - im Beschwerdeverfahren erzielten -
Anordnung der aufschiebenden Wirkung effektiven - nachgänglichen - Rechtsschutz
gegen die Vollstreckung. Sollte der Antragsgegner die Vollstreckung aus der Verfügung
vom 08.10.1997 weiter betreiben und entweder unter Aufhebung der
Zwangsgeldandrohungen vom 22.05.2013 eine andere Zwangsgeldandrohung erlassen
oder aber die Ersatzvornahme androhen - andere Zwangsmittel (§ 19 LVwVG) kommen
ersichtlich nicht in Betracht - kann gegen die jeweiligen Verwaltungsakte (vgl. zur
Verwaltungsaktqualität von Zwangsgeldandrohung und -festsetzung BVerwG,
Gerichtsbescheid vom 26.06.1997 - 1 A 10.95 - NVwZ 1998, 393) erneut Widerspruch
eingelegt und vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO gesucht werden. Es
besteht derzeit keine Notwendigkeit, vorläufigen vorbeugenden Rechtsschutz mit dem Ziel
der Verhinderung einer Zwangsmittelandrohung zu eröffnen (vgl. Kuhla, in: Posser/Wolff,
BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2013, § 123 Rn. 10).
III.
22 1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsgegner ist im
Sinne dieser Vorschrift nur zu einem geringen Teil unterlegen, so dass der Antragsteller
die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Denn das Obsiegen hinsichtlich der
Vollziehbarkeit der Zwangsgeldandrohungen fällt gegenüber dem Obliegen hinsichtlich
der erstrebten endgültigen oder vorläufigen Einstellung der Vollstreckung, der im
Vergleich eine ungleich höhere wirtschaftliche Bedeutung zukommt (siehe auch III. 2.),
kaum ins Gewicht. Der Ausspruch der Kostentragungspflicht auch für das Verfahren vor
dem Verwaltungsgericht erfolgt zur Klarstellung.
23 2. Die Streitwertfestsetzung und -abänderung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs.
2 Satz 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1, 45 Abs. 1 Satz 3, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
GKG. Die Bedeutung der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht erstrebten Einstellung
der Zwangsvollstreckung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die unter dem
Aktenzeichen 7 K 1980/13 anhängige Klage für den Antragsteller, nach der der Streitwert
zu bestimmen ist (§ 52 Abs. 1 GKG), ist als Bruchteil von dem Wert zu bestimmen, die dem
Angriff auf die zu vollstreckende Grundverfügung zukommt. Dieser wurde vom
erkennenden Gerichtshof (Beschluss vom 09.04.2008 - 8 S 2930/07) und vom
Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 13.01.2009 - 4 B 70.08 - juris) auf 50.000,-
EUR festgesetzt. Der Senat setzt hier ein Viertel dieses Wertes, also 12.500,-- EUR, an.
Der Streitwert für den Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung, der sich in
Anlehnung an Nr. II. 1. 5 und 1.6.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichts
errechnet - und sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht nach § 52
Abs. 3 GKG bestimmen kann, weil eine Zwangsgeldandrohung keinen auf eine bezifferte
Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt darstellt -, ist entgegen § 39 Abs. 1 GKG nicht mit
dem Wert von 12.500,-- EUR für die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung
zusammenzurechnen, weil die beiden Rechtsschutzanträge denselben Gegenstand im
Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG betreffen. Denn der Antrag auf vorläufige Einstellung
der Vollstreckung umfasst bei wirtschaftlicher Betrachtung - auf diese kommt es im
Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG entscheidend an (BGH, Beschluss vom 12.09.2013 -
I ZR 58/11 - WRP 2014, 192 Rn. 6) - den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsgeldandrohungen und geht über ihn hinaus.
24 Im Beschwerdeverfahren tritt - durch die unzulässige Antragserweiterung - der Streitwert
für die beantragte - endgültige - Einstellung der Zwangsvollstreckung hinzu. Die
Bedeutung dieses Antrags bemisst der Senat mit der Hälfte des Wertes, die der
Anfechtung der Grundverfügung zukommt, so dass sich für das Beschwerdeverfahren ein
Streitwert von 25.000,-- EUR ergibt. Dem steht § 47 Abs. 2 Satz 1 GKG mit seiner
Begrenzung des Streitwerts auf den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs
nicht entgegen, weil der Streitgegenstand - wenn auch unzulässigerweise - erweitert
worden ist, § 47 Abs. 2 Satz 2 GKG. Einer Addition der Streitwerte für die weiteren mit der
Beschwerde verfolgten Begehren steht wieder § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG entgegen.
25 Der Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.