Urteil des VG Stuttgart vom 07.10.2010

VG Stuttgart (kläger, bundesrepublik deutschland, iran, trennung von kirche und staat, bad, verfassungsschutz, unterstützung, organisation, anspruch auf einbürgerung, bundesamt für migration)

VG Stuttgart Urteil vom 7.10.2010, 11 K 4710/09
Einbürgerung: Ablehnung der Einbürgerung eines iranischen Staatsangehörigen wegen Unterstützung
der Volksmodjahedin; kollektive Haltungsänderung
Leitsätze
Der NWRI und der sie tragende MEK (Volksmodjahedin Ivan) haben sich von Bestrebungen abgewandt, die durch
Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der BRD gefährden.
Auf diese kollektive Haltungsänderung kann sich der Kläger individuell berufen.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 24.04.2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart
vom 26.11.2009 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Kläger in den deutschen Staatsverband
einzubürgern.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigen im Vorverfahren war notwendig.
Tatbestand
1
Die Kläger begehren ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
2
Der Kläger zu 1 ist 1962 geboren und iranischer Staatsangehöriger. Er reiste 1986 mit einem falschen Pass ins
Bundesgebiet ein und wurde auf seinen Antrag vom 22.03.1986 mit Bescheid vom 11.11.1987 als
Asylberechtigter anerkannt. Seit 24.12.1987 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis bzw.
Niederlassungserlaubnis.
3
Der Kläger zu 2 wurde 1995 geboren und entstammt der ersten, 1999 geschiedenen Ehe des Klägers zu 1, der
auch das Sorgerecht ausübt. Der Kläger zu 2 ist ebenfalls iranischer Staatsangehöriger und im Besitz einer
befristeten Aufenthaltsgenehmigung.
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Die Kläger zu 1 beantragte am 28.07.2005 für sich und den Kläger zu 2 die Einbürgerung in den deutschen
Staatsverband. Er legte Nachweise über seine Einkünfte aus einem unbefristeten Arbeitsverhältnisse und
seine Rentenansprüche vor. Außerdem gab der Kläger zu 1 am 05.06.2006 die sog. Loyalitätserklärung ab. Die
vom Beklagten eingeholten Auskünfte bei den Polizeibehörden und beim Bundeszentralregister führten zu
keinen belastenden Ergebnissen. Ein Verfahren zum Widerruf der Asylberechtigung des Klägers zu 1 wurde
nicht eingeleitet.
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Mit Erlass vom 09.02.2006 forderte das IM Bad.-Württ. unter Hinweis auf verschiedene Erkenntnisse des
Landesamts für Verfassungsschutz den Beklagten auf, den Kläger zu 1 anzuhören und ihm im Hinblick auf die
von ihm abgegebene Loyalitätserklärung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Erkenntnisse
beinhalteten die Teilnahme des Klägers zu 1 an Demonstrationen der Volksmodjahedin am 20.06.1992 in
Heidelberg, an Versammlungen am 05.07.1992 und am 13.03.1994 in Stuttgart, am 18.10.1992 in Heidelberg,
an Veranstaltungen am 16.07.1994 in Stuttgart, am 26.05.2002 in Karlsruhe, am 17.06.2004 in Frankreich und
am 02.01.2004 sowie am 10.02.2005 in Berlin, außerdem die Anmeldung von zahlreichen Informationsständen
der Volksmodjahedin am 10.06.1988 in Karlsruhe sowie weiterer Informationsstände zwischen 1993 und 1995.
Es wurde auf den revolutionär-marxistisch-islamistischen Charakter der Volksmodjahedin und ihrer
Organisationen und auf ihre totalitär-undemokratischen Strukturen hingewiesen, deren bewaffnete Kräfte 2002
im Iran einen Guerillakampf geführt hätten, um Anhänger für einen gewaltsamen Umsturz zu mobilisieren.
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In einem Aktenvermerk vom 26.07.2006 notierte der Beklagte über die am Tage zuvor erfolgte Anhörung, der
Kläger zu 1 streite seine bisherigen politischen Aktivitäten in seiner Studienzeit nicht ab. Derzeit engagiere er
sich für das Zentrum zur Integration iranischer Emigranten in Stuttgart. Er wende sich gegen die Atompolitik
des Iran, die Unterdrückung der Menschenrechte und der Frauen. Seine frühere Teilnahme an Demonstrationen
und Veranstaltungen der Volksmodjahedin seien nicht gesetzeswidrig gewesen, von seiner Einstellung her
verfolge er nur verfassungsgemäße Ziele und habe auch deshalb keine Probleme mit der Loyalitätserklärung
gehabt. Er distanziere sich von jeglichen verbotenen Handlungen des NWRI, er würde sich auch von der
Organisation distanzieren, unterstütze deren Aktivitäten jedoch seit geraumer Zeit nicht mehr. - In einer
schriftlichen Stellungnahme vom 29.07.2007 führte der Kläger zu 1 außerdem aus: Er habe niemals an
gewalttätigen Aktionen teilgenommen und lehne Gewaltanwendung strikt ab, er habe sich stets für die
parlamentarische Demokratie und die Einhaltung der Menschenrechte eingesetzt und unterstütze nur solche
Kräfte, die sich zu diesen Zielen bekennten, als Opfer des islamischen Fundamentalismus werbe er für einen
toleranten Islam. Sein derzeitiges Engagement verfolge nur die Ziele, die deutsche Öffentlichkeit für die
Menschenrechtsverletzungen im Iran zu sensibilisieren und vehement gegen das iranische Atomprogramm
vorzugehen. Für diese Ziele setze sich auch des NWRI ein, weshalb er ihn unterstütze, genauso wie er andere
Bewegungen mit dieser Zielsetzung unterstützen werde. Die Ziele des NWRI würden weltweit auch von
zahlreichen westlichen Parlamentariern unterstützt.
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Mit Erlass vom 11.02.2008 verweigerte das IM Bad.-Württ. die Zustimmung zur Einbürgerung des Klägers zu
1. Es wiederholte die gegen den Kläger zu 1 vorliegenden Erkenntnisse und wies ergänzend darauf hin, der
Kläger zu 1 habe im Asylverfahren erklärt, er sei schon im Iran Anhänger der Volksmodjahedin und für sie tätig
gewesen, in Deutschland habe er Kontakte zu ihnen unterhalten und an Veranstaltungen zwischen 1986 und
1987, vornehmlich in Bonn, teilgenommen. - Die Erklärungen des Klägers zu 1 hierzu seien widersprüchlich, so
habe er 2006 erklärt, den NWRI nicht mehr zu unterstützen, während er 2007 erklärt habe, er unterstütze den
NWRI weiterhin. Die Stellungnahme überzeuge nicht, zumindest könne sie nicht als Abwenden im Sinne des
StAG anerkannt werden.
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Nachdem die Sachbearbeiterin des Beklagten ihre Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer
Ablehnungsentscheidung in einem Vermerk vom 12.02.2008 nieder gelegt hatte, lehnte der Beklagte die
Anträge der Kläger auf Einbürgerung mit Bescheid vom 24.04.2008 ab und zwar im wesentlichen unter
Ausführung der Gründe, die dem Erlass des IM Bad.-Württ. vom 11.02.2008 zugrunde lagen. Danach habe der
Kläger zu 1 Bestrebungen im Sinne des § 11 S. 1 Nr. 1 StAG unterstützt, von welchen er sich auch nicht
abgewendet habe. Ergänzend wurde ausgeführt, es komme auch keine Ermessenseinbürgerung in Betracht,
weil der Ausschlussgrund das Ermessen der Behörde reduziere. Da eine selbständige Entlassung des Klägers
zu 2 aus der iranischen Staatsangehörigkeit nicht möglich sei, komme auch keine Einbürgerung des Klägers
zu 2 in Betracht.
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Hiergegen ließen die Kläger am 16.05.2008 Widerspruch erheben und zur Begründung vorbringen: Nach der
Rechtsprechung des BVerwG müsse die Behörde, um eine Unterstützungshandlung annehmen zu können,
auch feststellen, dass der Einbürgerungsbewerber nach seinem Wissensstand als verfassungsfeindlich
feststehende Ziele und Absichten erkennen konnte oder musste. Dafür trage die Behörde die materielle
Beweislast. Der Kläger zu 1 habe darauf hingewiesen, nie an gewalttätigen Aktionen teilgenommen und
Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele stets abgelehnt zu haben. Die Veranstaltungen und
Versammlungen, an welchen der Kläger zu 1 teilgenommen habe, hätten nicht erkennbar verfassungsfeindliche
Ziele verfolgt, auch der Einsatz für die Streichung der MEK von der Liste des EU-Rates über terroristische
Organisationen könne im Hinblick auf die Feststellung des EuGH vom 12.12.2006 kaum ins Gewicht fallen.
10 Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beharrte das IM Bad.-Württ. mit Erlass vom 22.07.2009 auf seiner
vom Landesamt für Verfassungsschutz bezogenen Einschätzung. Mit Bescheid vom 26.11.2009 wies deshalb
das Regierungspräsidium Stuttgart den Widerspruch unter Übernahme der Ausführungen des IM Bad.-Württ.
zurück und führte ergänzend dazu noch aus: Die Einbürgerungsvoraussetzungen für den Kläger zu 2 lägen
nicht vor, insbesondere nicht die Voraussetzungen für eine vorübergehende Hinnahme der Mehrstaatigkeit im
Rahmen einer Einbürgerung nach § 8 StAG.
11 Am 21.12.2009 haben die Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Zur Begründung wird auf die
vom iranischen Regime ausgehenden Gefahren, wegen welcher Sanktionen der USA und der EU beraten
würden, auf die Legitimität des dagegen gerichteten Widerstands der Volksmodjahedin und auf das
Widerstandsrecht nach dem Grundgesetz hingewiesen. Außerdem wird auf ein Gutachten des früheren
Verfassungsrichters Hassemer Bezug genommen.
12 Die Kläger beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 24.04.2008 und den Widerspruchsbescheid des
Regierungspräsidiums Stuttgart vom 26.11.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die
Kläger in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
14 Der Beklagte beantragt,
15
die Klage abzuweisen.
16 Er hat auf die Klage nicht erwidert.
17 In der mündlichen Verhandlung vom 10.05.2010 hat das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des
Herrn K. vom Landesamt für Verfassungsschutz als (sachverständigen) Zeugen vom Hörensagen. Wegen der
Einzelheiten wird auf die Niederschrift verwiesen.
18 Die Beteiligten haben auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet.
19 Dem Gericht lagen die Behördenakten vor. Hierauf, auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die
Gerichtsakten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
20 Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a
Abs. 2 und 3 VwGO) und ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entscheiden.
21 Die - zulässige - Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzt die Kläger in
ihren Rechten. Die Kläger haben Anspruch auf Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
22 Die Frage, ob den Klägern der geltend gemachte Anspruch zukommt, beurteilt sich grundsätzlich nach der
Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.08.1996,
InfAuslR 1996, 399). Allerdings bestimmt § 40 c StAG i.d.F. des am 18.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes
zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. 08.2007 (BGBl. I
S. 1970), dass auf Einbürgerungsanträge, die bis zum 30.03.2007 gestellt worden sind, die §§ 8-14 und § 40 c
in der vor dem 28.08.2007 geltenden Fassung anzuwenden sind, soweit sie günstigere Bestimmungen
enthalten. Bei vor dem 30.03.2007 gestellten Einbürgerungsanträgen ist deshalb die jeweils dem
Einbürgerungsbewerber günstigere Regelung anzuwenden, so dass sich ein Einbürgerungsbegehren teils nach
bisherigem, teils nach neuem Recht beurteilen kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 - 13 S
1487/06 - -). Im Falle der Kläger findet diese Günstigkeitsregelung Anwendung, da sie die
Einbürgerungsanträge im Juli 2005 gestellt haben.
23 1. Der Kläger zu 1 hat danach einen Einbürgerungsanspruch nach der insgesamt günstigeren Regelung des §
10 Abs. 1 StAG a.F. Dieser Anspruch wird entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch § 11 Satz 1 Nr.
2 StAG a.F. , der durch die Neuregelung insoweit keine Veränderung gefunden hat, ausgeschlossen.
24 Danach ist die Einbürgerung (u.a. dann) zu versagen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme
rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder
unterstützt hat, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige
Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, es sei denn, der Einbürgerungsbewerber macht glaubhaft,
dass er sich von der früheren Verfolgung oder Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
25 Zu den auswärtigen Belangen der Bundesrepublik Deutschland gehört das Bestreben, Gewaltanwendung
jedenfalls außerhalb von staatlich getragenen bewaffneten Interventionen nach Maßgabe der UN-Charta als
Mittel der Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Interessen und Ziele umfassend zu bannen (Berlit,
Gemeinschaftskommentar zum Staatsangehörigkeitsrecht -GK-StAR-, Anm. 127 und 131 zu § 11 StAG).
Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland
gefährden, liegen bereits dann vor, wenn eine Organisation zwar nicht im Bundesgebiet Gewalt anwendet oder
vorbereitet, wohl aber im Herkunftsland gewaltförmig agiert oder – als politische Exilorganisation – dortige
entsprechende Bestrebungen durch Propaganda, Sammeln und Überweisen von Spenden oder Anwerbung von
Kämpfern unterstützt (Berlit, a.a.O., Rn. 131; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.07.2002, - 13 S 1111/01
-, ). Hierunter fallen Anschläge mit Waffen oder Sprengstoff gegen Personen oder Sachen sowie die
unter Einsatz von Gewalt erfolgende Eintreibung von Mitteln für die Organisation, wie Spendenerzwingung. Zu
den Vorbereitungshandlungen gehören z.B. die Waffenbeschaffung oder das Sammeln oder Bereitstellen hierfür
erforderlicher Geldmittel (Berlit, a.a.O., Anm. 129, 130).
26 Dass der Einbürgerungsbewerber Bestrebungen in diesem Sinne unterstützt, muss nicht mit dem üblichen
Grad der Gewissheit festgestellt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr ein
tatsachengestützter hinreichender Tatverdacht. Damit soll nach dem Willen des Gesetzgebers angesichts der
Nachweisprobleme gegenüber vielfach verkappt agierenden Aktivisten unter Senkung der Nachweisschwelle
die Einbürgerung von PKK-Aktivisten oder radikalen Islamisten auch dann verhindert werden, wenn
entsprechende Bestrebungen nicht sicher nachgewiesen werden können (vgl. BT-Drs. 14/533 S. 18 f.).
Andererseits genügen allgemeine Verdachtsmomente, die nicht durch bezeichenbare, konkrete Tatsachen
gestützt sind, nicht. Erforderlich ist eine wertende Betrachtungsweise, bei der auch die Ausländern
zustehenden Grundrechte (Art. 5 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG) zu berücksichtigen sind. Dabei können aber
auch legale Betätigungen herangezogen werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002, - 13 S 1111 /01
- -; VGH München, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 01.1805 - - ; VGH Kassel, Beschluss vom
06.01.2006, NVwZ-RR 2006, 429). Mit § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. wird der Sicherheitsschutz im
Einbürgerungsrecht weit vorverlagert in Handlungsbereiche, die strafrechtlich noch nicht beachtlich sind und für
sich betrachtet auch noch keine unmittelbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder
der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellen (vgl. VGH München, Urteil vom 27.05.2003, - 5 B
01.1805 -, a.a.O.; VGH Kassel, Beschluss vom 06.01.2006, - a.a.O. -). Auch Unterstützungshandlungen in der
Vergangenheit lösen ein zeitlich unbefristetes Einbürgerungshindernis aus; dann obliegt es dem Ausländer,
glaubhaft zu machen, dass er sich hiervon abgewandt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.04.2008, - 13 S
298/06 -).
27 Als tatbestandsmäßiges Unterstützen iSd. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. ist jede Handlung anzusehen, die für
die dort genannten Bestrebungen objektiv vorteilhaft ist. Dazu zählt jede Tätigkeit auch eines Nichtmitglieds
einer Vereinigung, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung, ihren Fortbestand oder
die Verwirklichung ihrer inkriminierten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr
Gefährdungspotential stärkt. Hierunter fallen neben der Gewährung finanzieller Unterstützung oder der
Teilnahme an Aktivitäten zur Verfolgung oder Durchsetzung der inkriminierten Ziele auch die öffentliche oder
nichtöffentliche Befürwortung von gemäß § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. inkriminierten Bestrebungen. Auf einen
beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es dabei nicht an.
Allerdings sind nur solche Handlungen ein Unterstützen, die eine Person für sie erkennbar und von ihrem Willen
getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt. An einem Unterstützen fehlt es, wenn jemand
allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung
der inkriminierten Ziele befürwortet und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in
Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche
Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die
Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung
selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu
fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potentiell gefährliches Unterstützen iSd. § 11 Satz 1 Nr.
2 StAG a.F. vor; die Freiheit der Meinungsäußerung ist insoweit beschränkt. Eine Unterstützung im Sinne von
§ 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. kommt ferner in Betracht, wenn der Einbürgerungsbewerber durch zahlreiche
Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer inkriminierten Vereinigung auch als
Nichtmitglied in eine innere Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung gerät, die er durch sein Engagement
als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor
allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr
Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotentials
beiträgt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 15.03.2005, BVerwGE 123, 114 = NVwZ 2005, 1091 = DVBl.
2005, 1203 und Urteil vom 22.02.2007, - a.a.O.-; OVG Hamburg, Urteil vom 06.12.2005, - 3 Bf 172/04 -,
-; OVG Saarlouis, Urteil vom 08.03.2006, - 1 R 1/06 -, ).
28 Für den Begriff des Unterstützens ist ferner zu berücksichtigen, dass er mit dem gleichen Inhalt bei der Frage
der Abwendung in Bezug genommen wird. Wenn für das Abwenden von einer früheren Unterstützung über das
bloße Unterlassen hinaus ein Element der Nachhaltigkeit gefordert wird, so ist dieses auch für die
Unterstützung selbst zu fordern (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 -, ). Die
materielle Beweislast für das Vorliegen des Ausschlussgrundes liegt bei der Behörde (vgl. VGH Bad.-Württ.,
Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - -).
29 Nach den o.a. Grundsätzen erfüllen die dem Kläger vorgehaltenen Handlungen überwiegend die
Voraussetzungen nach § 11 Abs. 1 Nr. 2 StAG.
30 Zumindest bis 2001/2003 gehörten die Volksmodjahedin bzw. ihre Auslandsorganisationen in Deutschland und
auch anderswo in Europa (MEK) zu den Organisationen, die derartige Bestrebungen verfolgt haben (vgl. VG
Hamburg, Urteile v. 30.09.2004, 10 K 4177/03, - 10 K 6189/03 -; Urteil vom 08.02.2005, - 10 K 1706/03 -; Urteil
vom 06.02.2007, - 10 K 1773/06 -; Urteil vom 12.05.2009, - 10 K 906/08 -; VG Berlin, Urteil vom 23.08.2005, -
2 A 103.03 -; vgl. auch Berlit, aaO., Anm. 132).
31 Der Kläger zu 1 hat Bestrebungen dieser Gruppierung im o.g. Sinne auch (aktiv) unterstützt. Er hatte bereits im
Rahmen seiner Anhörung im Asylverfahren (am 15.09.1987) angegeben, er habe auch in der Bundesrepublik
Deutschland Kontakte zu den Volksmodjahedin, er habe an drei Demonstrationen teilgenommen jeweils aus
Anlass des 30. Khordad, an seinem Aufenthaltsort verteile er die Zeitung "Freiheit für Iran". Er habe einen
Informationsstand der Volksmodjahedin in Geislingen angemeldet, auf einer Veranstaltung zum Tag des
Flüchtlings habe er als Anhänger der Volksmodjahedin gesprochen, worüber in der Lokalzeitung berichtet
worden sei. Darüber hinaus hat der Kläger zu 1 mehrfach auch die Aktivitäten eingeräumt, die ihm aufgrund der
Feststellungen des Landesamtes für Verfassungsschutz entgegen gehalten worden sind. Dazu zählen die
Teilnahme an einer Demonstration 1992 in Heidelberg, die Teilnahme an drei Versammlungen der
Volksmodjahedin zwischen 1992 und 1994 in Heidelberg und Stuttgart, die Teilnahme an fünf Veranstaltungen
der Volksmodjahedin zwischen 1994 und 2005 in Stuttgart, Karlsruhe, Berlin und Frankreich, sowie die
Anmeldung von Informationsständen der Volksmodjahedin in den Jahren zwischen 1988 und 1995.
32 Diese Aktivitäten sind eindeutig als Unterstützungshandlungen für die o.g. Bestrebungen anzusehen. Es
handelte sich dabei um weit mehr als nur die gelegentliche Unterstützung einzelner Ziele wie Gewaltlosigkeit,
Einhaltung der Menschen- bzw. der Frauenrechte, Verhinderung der nuklearen Bewaffnung durch den Iran, wie
der Kläger zu 1 dies nunmehr geltend macht. Vielmehr waren die Unterstützungshandlungen geeignet, die
seinerzeit noch unmittelbar auf den bewaffneten Kampf gerichteten Aktivitäten der Volksmodjahedin auch in
der Bundesrepublik Deutschland zu rechtfertigen und durch Gewinnung von Sympathisanten und Anhängern
von hier aus zu unterstützen. Als hierauf gerichtet müssen die vom Kläger zu 1 beantragten und/oder geführten
Informationsstände für die Volksmodjahedin angesehen werden. Gleiches muss für Versammlungen der
Volksmodjahedin gelten. Die vom Landesamt für Verfassungsschutz angeführten Versammlungen hatten
eindeutig zumindest werbenden Charakter für den damaligen bewaffneten Kampf der Volksmodjahedin.
Dasselbe muss zumindest teilweise auch für die von den Volksmodjahedin ausgerichteten Veranstaltungen
gelten, an denen der Kläger zu 1 teilgenommen hat und bei welchen für die Teilnahme an Demonstrationen, um
Spenden für die Finanzierung der militärischen Einheit oder für die Unterstützung des Nationalen
Widerstandsrates Iran (NWRI) geworben wurde. Damit ist auch die vorausgesetzte Erkenn- und
Zurechenbarkeit dieser Unterstützungshandlungen in Bezug auf die inkriminierten Bestrebungen der
Volksmodjahedin zu bejahen. Der Einwand des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung, er habe nicht
wissen können, was Gegenstand der Versammlungen oder Veranstaltungen sein würde, ist unglaubhaft,
insbesondere bei Versammlungen der Volksmodjahedin dürfte deren Anlass und Gegenstand jedem Teilnehmer
schon im Voraus bekannt gewesen sein. Auch hat der Kläger zu 1 nicht dargelegt, dass und ggfs. wie er seine
nur partielle und zieldifferenzierende Unterstützung damals nach außen hin so zum Ausdruck gebracht hat,
dass ihm die Teilnahme an den Veranstaltungen nicht bereits als Unterstützungshandlung angelastet werden
könnte. Ebenso wenig überzeugt der Hinweis des Klägers zu 1 in der mündlichen Verhandlung, es habe sich
bei den Veranstaltungen überhaupt nicht im solche der Volksmodjahedin gehandelt, sondern um solche der
iranischen Opposition in Deutschland, was schon seine Stellungnahme vom 29.07.2007 deutlich machte. Der
Kläger zu 1 hatte zudem bereit in der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) von Exilgruppierungen der Volksmodjahedin
gesprochen. Auch das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Veranstaltungen den Volksmodjahedin
zugeschrieben, die als Exilorganisation (MEK) schon von der Gründung an die größte Gruppierung innerhalb
des Nationalen Widerstandsrats ausmachen (s. dazu noch die nachfolgenden Ausführungen). Schließlich
waren die vom Landesamt für Verfassungsschutz dargestellten Versammlungen nicht zuletzt gerade zur
Unterstützung des bewaffneten Arms der Volksmodjahedin im Iran (bzw. später im Irak: die sog. NLA)
durchgeführt worden.
33 Die Berücksichtigung dieser dem Kläger zu 1 anzulastenden Umstände in der Vergangenheit lösen ein zeitlich
unbeschränktes Einbürgerungshindernis aus (vgl. Berlit, aaO., Anm. 150). Deshalb kommt es auf die Frage, ob
die Aktivitäten des Klägers zu 1 in dem "Zentrum zur Integration iranischer Emigranten" in Stuttgart als eben
solche Unterstützungshandlung anzusehen sind, vorliegend nicht mehr an. Allerdings ist dazu zu bemerken,
dass der als Zeuge einvernommene Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht in der Lage war,
Tatsachen für die Annahme zu bezeichnen, die für Bestrebungen dieses Vereins im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr.
2 StAG sprechen könnten. Daher sind diese Vorwürfe im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht verwertbar.
34 Der Kläger zu 1 hat sich auch nicht individuell von den somit einbürgerungsrelevanten
Unterstützungshandlungen für die Volksmodjahedin, von denen hiernach auszugehen ist, glaubhaft abgewandt.
35 Ein Abwenden iSd. § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. erfordert mehr als ein bloß äußeres - zeitweiliges oder
situationsbedingtes - Unterlassen der früheren Unterstützungshandlungen und setzt einen individuellen oder
mitgetragenen kollektiven Lernprozess voraus, aufgrund dessen angenommen werden kann, dass mit
hinreichender Gewissheit die zukünftige Verfolgung oder Unterstützung inkriminierter Bestrebungen
auszuschließen ist. Die Glaubhaftmachung der Abwendung erfordert die Vermittlung einer entsprechenden
überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - juris -).
Weiter ist die Glaubhaftmachung einer Abwendung nur möglich, wenn der Einbürgerungsbewerber einräumt
oder zumindest nicht bestreitet, früher eine durch § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. inkriminierte Bestrebung
unterstützt zu haben (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 a.a.O.). Der Einbürgerungsbewerber muss
andererseits zur Glaubhaftmachung der Abwendung die früheren Aktivitäten weder bedauern noch ihnen
abschwören (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 13.12.2004, InfAuslR 2005, 64). Die Umstände, die seine
Abwendung belegen, hat der Einbürgerungsbewerber so substantiiert und einleuchtend darzulegen, dass man
diese Gründe als „triftig“ anerkennen kann; Nachvollziehbarkeit der Erklärung im Hinblick auf einen inneren
Gesinnungswandel kann aber dann genügen, wenn dieser auch durch äußere Handlungen nach außen hin
erkennbar wird (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.12.2004, - aaO.-). Der bloße Zeitablauf allein kann
ein Abwenden von inkriminierten Bestrebungen nicht belegen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom
02.04.2008 - 13 S 171/08). Liegen die einbürgerungsschädlichen Aktivitäten jedoch bereits erhebliche Zeit
zurück, führt dies zu einer zusätzlichen Herabsetzung der Anforderungen an die Glaubhaftmachung innerer
Lernprozesse (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.12.2004 a.a.O. und Beschluss vom 12.12.2005,
NVwZ 2006, 484). Auch die Art, Gewicht und Häufigkeit der Handlungen sind für die an die Glaubhaftmachung
zu stellenden Anforderungen maßgeblich (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.12.2005 a.a.O. und Urteil
vom 20.02.2008 - 13 S 457/06 -).
36 Der Kläger zu 1 hat dazu in seinen Stellungnahmen (insbesondere vom 29.07.2007) zu den Erkenntnissen des
Landesamts für Verfassungsschutz ausgeführt, er selbst habe nie an gewalttätigen Aktionen teilgenommen
und Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer Ziele stets abgelehnt. Die Veranstaltungen und
Versammlungen, an denen er teilgenommen habe, hätten nicht erkennbar verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.
Er setze sich für eine parlamentarische Demokratie, die Einhaltung der Menschenrechte und einen toleranten
Islam ein. Nach seiner Überzeugung setze sich der NWRI, zu welchem auch die Volksmodjahedin gehörten, für
diese Ziele ein und deshalb unterstütze er ihn. - Diese Äußerung lässt vermuten, dass der Kläger zu 1 sich
zwar über die Bedeutung seiner früheren Aktivitäten als objektive Unterstützungshandlungen für die
Volksmodjahedin nicht im Klaren ist, ändert jedoch an deren - objektiver - Bewertung nichts. Die aktive
Betätigung des Einbürgerungsbewerbers in einer Organisation, die Ziele iSd § 11 Abs. 1 Nr. 2 StAG a.F.
verfolgt, reicht als tatsächlicher Anhaltspunkt in der Regel für die Annahme des Ausschlussgrundes aus. Sie
ist unabhängig von den Motiven des Einbürgerungsbewerbers für Beitritt und Tätigkeit in dieser Organisation
und es ist unerheblich, ob die Organisation neben den zu beanstandenden auch nicht zu beanstandende Ziele
verfolgt und Aktivitäten entfaltet, wie im Bereich der Kulturpflege oder der sozialen/humanitären Unterstützung
(vgl. Berlit, aaO., Anm. 71 f.). Eine Reflexion in Bezug auf das eigene Handelns als Unterstützungshandlung
sowie auf die Bestrebungen der Volksmodjahedin in der Zeit bis etwa 2001/2003 hat der Kläger zu 1
ebensowenig erkennen lassen wie die Einsicht in den Umstand, dass sein Verhalten zumindest objektiv
geeignet war, die damaligen Bestrebungen der Volksmodjahedin zu fördern. Daher kann von einer Abwendung
als Ergebnis eines individuellen Erkenntnisprozesses nicht ausgegangen werden.
37 Jedoch sprechen diese Äußerungen und die weiteren Umstände dafür, dass der Kläger zu 1 die inzwischen
eingetretene kollektive Abwendung der iranischen Opposition in Europa, die den Exilgruppen der
Volksmodjahedin bzw. dem NWRI zugeordnet werden, nachvollzogen hat und sich insoweit auf die veränderten
Rahmenbedingungen berufen kann. Bei veränderten Rahmenbedingungen kann eine Abwendung auch dann
vorliegen, wenn für eine in der Vergangenheit liegende historisch-politische Situation die Entscheidung für die
Verfolgung oder Unterstützung der inkriminierten Bestrebungen weiterhin als richtig behauptet, aber hinreichend
deutlich erkennbar wird, dass und aus welchen Gründen sich die Rahmenbedingungen nachhaltig geändert
haben und aus diesem Grunde eine von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. angesprochene Tätigkeit nicht mehr zu
befürchten ist (vgl. VGH München, Urteil vom 27.05.2003 - 5 B 00.1819 und 5 B 01.1805, jew. ; VGH
Bad.-Württ., Urteil vom 20.02.2008 - 13 S 457/06 und Urteil vom 10.11.2005 - 12 S 1696/05 - -). Die
Glaubhaftmachung der Abwendung erfordert die Vermittlung einer entsprechenden überwiegenden
Wahrscheinlichkeit (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.07.2002 - 13 S 1111/01 - -). In diesem Sinne
kann sich der Kläger zu 1 darauf berufen, dass sich die im NWRI repräsentierten iranischen Exilgruppen,
insbesondere auch der MEK, inzwischen von der Anwendung von Gewalt als Mittel zum angestrebten
Regimewechsels im Iran abgewendet haben und dies zur Überzeugung des Gerichts - nicht zuletzt aufgrund
der geschaffenen Fakten - glaubhaft ist (vgl. dazu schon VG Berlin, Urteil vom 17.04.2008, - VG 23 X 27.06 -.
n.v.). Dies ergibt sich aus folgenden Feststellungen, die auf allgemein zugänglichen oder ins Verfahren
eingeführten Quellen beruhen:
38 Die ursprünglich gegen das Schah-Regime gerichtete Vereinigung der Volksmodjahedin entwickelte sich
zunächst zu einer linksislamischen Massenbewegung und kämpfte in der iranischen Revolution gemeinsam mit
Anhängern des iranischen Revolutionsführers Chomeini, dessen Machtapparat sie später jedoch -
insbesondere nach einer Massendemonstration am 20.06.1981 - selbst verfolgte. Dadurch wurde die
Organisation in den Untergrund gezwungen und antwortete zunächst mit Anschlägen auf Repräsentanten des
neuen Staates. Die Organisation wurde im Iran schließlich zerschlagen. 1981 wurde in Paris der NWRI
gegründet, der nach dem Sturz der Machthaber im Iran eine Übergangsregierung bilden sollte. Der NRWI
bestand vor allem aus den Volksmodjahedin und einigen kleineren iranischen Exilgruppen. Das vom NWRI
veröffentlichte Programm unterschied sich in wesentlichen Teilen von den Zielsetzungen der Volksmodjahedin
im Iran und verfolgte u.a. die Trennung von Kirche und Staat, die Wiederherstellung der Grundrechte, die
Verstaatlichung aller ausländischen Wirtschaftsunternehmen, die Durchführung einer Landreform, eine
Alphabetisierungskampagne, den Schutz nationaler Minderheiten. Alle entscheidenden Positionen wurden und
werden von Mitgliedern der Volksmodjahedin (MEK) bekleidet.
39 Die Nationale Befreiungsarmee (NLA) wurde 1987 gegründet und begann, mit Unterstützung von Saddam
Hussein vom Irak aus, den Iran zu bekämpfen. Ziel war der Sturz der klerikalen Herrschaft im Iran. Bis 2000
wurden durch NLA-Kommandos Angriffe auf Militär- und Polizeigebäude und Anschläge auf Repräsentanten
des iranischen Staates durchgeführt. Dazu wurden in öffentlichen Veranstaltungen in Europa, so auch in
Deutschland, neue Kämpfer rekrutiert. Im Irak-Krieg wurde die NLA allerdings entwaffnet und seit 2003
befinden sich ca. 3800 NLA-Angehörige im heute einzigen Volksmodjahedin-Lager "Ashraf" nahe Bagdad,
ursprünglich unter amerikanischer, heute unter irakischer Aufsicht, mit dem Status von "geschützten
Personen".
40 In Europa bemühte sich der NWRI um Anerkennung als legale iranische Opposition. MEK und NLA wurden im
Jahr 2002 von der Europäischen Union in die Liste der terroristischen Organisationen aufgenommen, der NWRI
wurde dabei jedoch ausdrücklich ausgenommen. Seither bemühte sich der NWRI insbesondere darum, die
Streichung der Untergliederungen aus der Liste zu erreichen. Auch seine politischen Ziele wurden revidiert. Seit
Oktober 2003 fordert er, dass in einem Referendum über die künftige Staatsform des Iran entschieden werden
soll, was in klarem Kontrast zum angestrebten militärischen Sturz des iranischen Regimes mit Hilfe der NLA in
den 90er Jahren steht (vgl. zu allem: "Imagewandel der Volksmodjahedin Iran", Landesamt für
Verfassungsschutz NRW, August 2005, www.im.nrw.de). Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt im
Bericht für 2008 (S. 256 ff.) dazu weiter aus, die Organisation konzentriere ihre Aktivitäten auf politische Ziele
in Westeuropa und den USA. Dabei komme dem NWRI die führende Rolle zu. Die aktuellen Aktionen des
NWRI seien weiterhin durch Gewaltfreiheit gekennzeichnet. Die Organisation wolle als demokratische iranische
Oppositionsbewegung wahrgenommen werden.
41 Mit Urteil vom 12.12.2006 hat der EuGH einer Klage des NWRI bzw. der MEK auf Streichung von der Liste der
terroristischen Organisationen stattgegeben (Az. T-228/02). Die darauf ergangene Entscheidung des
Ministerrats vom 30.01.2007, die Volksmodjahedin Iran erneut auf die Terrorismus-Liste zu nehmen bzw. zu
belassen, beruhte auf der unzutreffenden Einschätzung, das Urteil sei von einem reinen und heilbaren
Verfahrensfehler bei der Aufnahme der Volksmodjahedin in die Liste ausgegangen, und führte zu einer weiteren
Klage, der der EuGH wiederum - mit Urteil vom 23.10.2008 (T-256/07) - stattgab. Erneut befolgte der
Ministerrat diese Anordnung nicht (Ministerratsbeschluss vom 15.07.2008), sodass der EuGH ein drittes Mal,
nämlich mit Urteil vom 03.12.2009 (T-284/08), entscheiden musste und den Beschluss 2008/583/EG des Rates
vom 15.07.2008 zur Durchführung von Art.2 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen
bestimmte Personen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung
des Beschlusses 2007/868/EG für nichtig erklärte, soweit er die People's Mojahedin Organization of Iran betraf
. In der Begründung wurde u.a. ausgeführt, es sei festzustellen, dass nicht rechtlich hinreichend erwiesen sei,
dass der angefochtene Beschluss im Einklang mit Art. 1 Abs. 4 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 und
Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 2580/2001 erlassen worden sei und keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler
enthalte. - Maßgeblich in allen drei Verfahren war die Feststellung des EuGH, dass der Ministerrat nicht
substantiiert zur Rechtfertigung seiner Entscheidung über die Aufnahme in die Liste vorgetragen habe, dem
Gericht habe nichts vorgelegen, was es hätte rechtlich prüfen können. Als Folge hätten sich die Kläger auch
nicht zu den Vorwürfen äußern können, ihr Recht auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren sei dadurch
verletzt worden (vgl. dazu Bernd Häusler, Die Organisation der Volksmodjahedin Iran - ein Fall für die
Wissenschaft?, Anlage 1 zum Erlass des Regierungspräsidium Stuttgart vom 22.07.2009, Bl. 80 ff. der
Behördenakten).
42 In ihrer Erwiderung auf den Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom November 2008 ("BfV
Bericht - Ignoranz eines legitimen Volkswiderstandes"), S. 12. ff. bekräftigte der (allerdings an den
Feststellungen interessierte) NWRI den Gewaltverzicht und führte aus:
43
"Im Zusammenhang mit den 'Volksmodjahedin ist zu beachten, dass der PMOI-Führungsrat den
Vorschlag zur Einstellung militärischer Operationen im Iran auf dem Sonderparteitag vom Juni 2001 -
also 4 Monate vor dem 11. September - einbrachte und die Vollversammlung den entsprechenden
Beschluss fasste. Noch im Juli 2001 setzte der PMOI-Führungsrat diesen Beschluss im Inland durch
und die Volksmodjahedin beendeten ihre Operationen im Iran. Nach einem "Entwaffnungs- und
Konsolidierungsabkommen" im Mai 2003 übergaben die PMOI-Mitglieder den US-geführten
Koalitionskräften ihre sämtlichen Waffen freiwillig.
44
Dazu kommt noch, dass ebenfalls im Juli 2004 die Generalsekretärin und alle Mitglieder des
Führungsrates und der Organisation in einer Erklärung den Terrorismus verurteilt und sich abermals
von Gewalt distanzierten. Diese Stellungnahme wurde auch von Vertretern der Koalitionskräfte und der
US-Regierung bestätigt. Darauf begründet sich der Rechtsstatus der iranischen Volksmodjahedin, die
sich in Ashraf City aufhalten, als von der Vierten Genfer Konvention geschützte Personen. Sie haben
bereits damals ihre Verpflichtung zu einem Referendum für den Regimewechsel des Mullahregimes
unterstrichen..."
45 Diese kritisch zu hinterfragenden Verlautbarungen des NWRI entsprechen jedoch den Erkenntnissen, die schon
zur Streichung der Volksmodjahedin von der Liste terroristischer Organisationen in Groß-Britannien geführt
hatten. Diese beruhten auf einem förmlichen Erkenntnisverfahren der Proscribed Organisations Appeal
Commission (POAC) vom 30.11.2007, das zu dem Ergebnis gekommen war, die Volksmodjahedin hätten seit
August 2001 keinerlei terroristische Akte mehr verübt, sie hätten ihre militärischen Strukturen bis Ende 2002
aufgelöst und seit August 2002 keine Gewalt verherrlichenden Äußerungen mehr verlautbaren lassen, sie seien
seit Mai 2003 entwaffnet, es bestünden keine Anhaltspunkte für eine Rekonstruktion ihrer militärischen Macht
und keinerlei Anlass für einen Verdacht, Personen für militärische oder terroristische Aktionen zu rekrutieren
oder gar auszubilden (zitiert nach Häusler, aaO.).
46 Auch der frühere Verfassungsrichter Hassemer, der im Auftrag des NWRI und anderer iranischer Exilgruppen
die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder untersucht
hat (veröffentlicht unter www.ncr-iran.org/de/images/stories/2009/pdf/gutachten-endfassung.pdf), kommt zu
dem Ergebnis, dass Indizien für tatsächliche, hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht von
solchen Bestrebungen (im Sinne von § 3 Abs. 1 BVerfSchG) des NWRI zumindest seit 2001/2002/2003 nicht
vorliegen, die er auf den Seiten 94 bis 97 im einzelnen aufführt (auf welche Bezug genommen wird) und von
welchen neben bereits genannten Umständen zumindest folgende besondere Erwähnung verdienen: So wurden
in Deutschland zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder des NWRI und der MEK usw. eingestellt, der
Generalbundesstaatsanwalt beim BGH habe in einem Ermittlungsverfahren die Übernahme der Ermittlungen im
Hinblick auf §§ 129, 129a StGB abgelehnt; das VG Köln habe darauf hingewiesen, dass zu den verschiedenen
in Deutschland tätigen Vereinen der MEK keine Verbotsverfügung des BMI ergangen sei (Urteil vom
22.09.2005, - 16 K 6059/03.A-); der Britische Supreme Court of Judicature, Court of Appeal, habe den Antrag
der britischen Innenministerin vom September 2006, das Verbot der MEK nicht aufheben zu müssen,
abgewiesen (Urteil vom 07.05.2008 - 2007/9516-), u.a. weil auch die Sichtung von nicht öffentlich zugänglichen
Unterlagen nicht den Schluss zulasse, die MEK beabsichtige, künftig zum Terrorismus zurückzukehren;
schließlich habe die Präsidentin des NWRI bei einem Besuch des Mahnmals der Judenverfolgung am
25.11.2008 in Berlin Blumen niedergelegt, was auch wegen der anti-israelischen Haltung der derzeitigen
iranischen Staatsführung bemerkenswert und von rechtlicher Bedeutung sei.
47 Es sind dem Gericht keine Umstände bekannt, die diesen Feststellungen entgegenstehen. Das gilt auch unter
Berücksichtigung des aktuellen „Berichts des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante
Lage in der Islamischen Republik Iran“ (Stand: Juni 2010) vom 28.07.2010 sowie der Dokumente, die über die
Datenbank des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge für das Gericht zugänglich sind. Infolgedessen
erscheint es gerechtfertigt und folgerichtig, dass inzwischen sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als
auch das Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ. (im Übrigen zum Beispiel auch das Landesamt für
Verfassungsschutz Hessen) im jeweiligen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2009 auf eine die
Volksmodjahedin betreffende Berichterstattung verzichtet haben, worauf der Zeuge in der mündlichen
Verhandlung ausdrücklich hingewiesen hat. Soweit noch vertreten wird, der Gewaltverzicht sei nicht echt und
entspringe rein taktischen Überlegungen, eine Reaktivierung der NLA-Kämpfer im Lager Ashraf sei jederzeit
möglich oder der militärische Kampf werde fortgesetzt usf. (vgl. dazu beispielsweise Verwaltungsgericht
Hamburg, Urteil vom 12.05.2009, aaO.; Verfassungsschutzbericht 2009 des bayerischen Landesamtes für
Verfassungsschutz, Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg, „Für einen guten Zweck - NWRI
missbraucht Spendengelder“, 2010, http://www.verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.
php/lbm1.c.341980.de: „ein Teil der Mittel dient dazu, den militärischen Kampf zu finanzieren“), fehlt es dort an
der Benennung von Tatsachengrundlagen, die diese Schlussfolgerungen belegen könnten.
48 Mit der Darlegung seiner eigenen Einstellung und die Gewaltfreiheit der von ihm unterstützten exil-iranischen
Vereinigungen, die im Wesentlichen den dargelegten, seither propagierten politischen Zielen und Mitteln des
NWRI und der ihn tragenden Verbände entspricht, hat der Kläger zu 1 glaubhaft gemacht, dass er einen
kollektiven Umdenkungsprozess mitgetragen bzw. nachvollzogen hat, der ihm im Sinne einer
Abwendungshaltung zugute kommt. Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Abkehr von seinen früheren
Aktivitäten für die Volksmodjahedin nicht auf taktischen Erwägungen im Hinblick auf sein
Einbürgerungsverfahren beruht, was sich auch daraus ergibt, dass die dem Kläger zu 1 entgegen gehaltenen
Aktivitäten (jedenfalls die Teilnahme an Demonstrationen für die Streichung der MEK von der Terrorliste der
EU) bis ins Jahr 2005 reichte, also bis in den Zeitraum der vorliegenden Antragstellung. Außerdem hat der
Kläger zu 1 nie die Aktivitäten als solche geleugnet. An der individuell gewaltfreien Haltung des Klägers zu 1,
dem auch keine derartigen Handlungen vorgeworfen worden sind, hat das Gericht ohnehin keinen Zweifel.
49 Unter diesen Voraussetzungen hat das Gericht auch keine Zweifel an der Validität des vom Kläger abgelegten
Bekenntnisses nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 StAG a.F.
50 Damit kann der Kläger zu 1 seine Einbürgerung beanspruchen. Die Erfüllung der sonstigen
Einbürgerungsvoraussetzungen nach § 10 StAG a.F. steht vorliegend nicht in Frage, was der Beklagte in der
mündlichen Verhandlung vom 10.05.2010 ausdrücklich bestätigt hat. Dabei legt das Gericht für den Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung die Erklärung des Prozessbevollmächtigten des Klägers zu 1 vom 24.08.2010
zugrunde, wonach sich seither in seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nichts geändert hat.
Dem als Asylberechtigten anerkannten Kläger ist auch eine Entlassung aus der iranischen Staatsangehörigkeit
nach § 12 Abs. 1 Nr. 6 StAG nicht abzuverlangen. Weitere Gründe nach § 11 StAG, die einem
Einbürgerungsanspruch entgegen stehen könnten, sind nicht ersichtlich und vom Beklagten auch nicht
eingewandt worden.
51 2. Der Anspruch des Klägers zu 2 richtet sich ebenfalls nach § 10 StAG nach dem Günstigkeitsprinzip.
52 Der Kläger zu 2 erfüllt die Voraussetzungen nach dieser Norm. Er besitzt seit seiner Geburt eine
Aufenthaltserlaubnis und hat somit seither hier seinen rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt. Er verfügt er
über einen Unterhaltsanspruch zumindest dem Kläger zu 1 gegenüber (§ 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG), allerdings
muss der noch nicht 16-jährige und damit unter 23-jährige Kläger zu 2 wegen der günstigeren Regelung nach §
10 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit S. 3 StAG 2004 noch nicht seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten können.
Die altersgemäße Sprachentwicklung (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 7 in Verbindung mit S. 2 StAG 2007) kann - auch
aufgrund des nachgewiesenen Schulbesuchs - unterstellt werden, allerdings hat auch der Beklagte keine
abweichenden und auch keine aktuellen Feststellungen hierzu getroffen. Der Kläger zu 2 muss weiterhin auch
keine Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung iSd § 10 Abs. 1 Nr. 7 StAG 2007 vorweisen, weil er
nach Maßgabe von § 80 AufenthG noch nicht handlungsfähig ist (vgl. § 10 Abs. 1 S. 2 StAG 2007).
53 Schließlich kann der Kläger zu 2 beanspruchen, unter Hinnahme seiner iranischen Staatsangehörigkeit
eingebürgert zu werden, weil ihm die Entlassung aus dieser Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden kann
(§ 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, 2. Alt. StAG; vgl. dazu Ziff. 2 des Erlasses des Innenministeriums Baden-Württemberg
vom 31.10.2006 zur Einbürgerung iranischer Staatsangehöriger - Az 5-1015 -).
54 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren
durch die Kläger war wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären (§ 162 Abs.
2 Satz 2 VwGO).
55
Beschluss vom 22.10.2010
56 Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf
20.000,-- EUR