Urteil des VG Stuttgart vom 11.04.2014

VG Stuttgart: einzelrichter, einzelnes mitglied, kollegialgericht, übertragung, rechtspflege, einverständnis, bad, entlastung, form, umkehrschluss

VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 11.4.2014, 1 S 400/14
Leitsätze
Über die Streitwertbeschwerde entscheidet beim Verwaltungsgerichtshof der Berichterstatter als
Einzelrichter auch dann, wenn im erstinstanzlichen Verfahren die Streitwertfestsetzung im
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes durch den Vorsitzenden gemäß § 80 Abs. 8 VwGO
erfolgte.
Tenor
Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin gegen die
Streitwertfestsetzung im Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 29. August 2013 - 6 K
1629/13 - wird verworfen.
Gründe
1 Über die Beschwerde entscheidet der Senat gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 2
GKG, nachdem der Einzelrichter dem Senat das Verfahren übertragen hat, weil der Frage
grundsätzliche Bedeutung zukommt, ob über eine Beschwerde gegen die Festsetzung des
Streitwerts für den ersten Rechtszug im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach
§ 80 Abs. 8 VwGO durch den Vorsitzenden das Beschwerdegericht durch eines seiner
Mitglieder als Einzelrichter zu entscheiden hat.
2 Gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG entscheidet das
Beschwerdegericht durch eines seiner Mitglieder über die Beschwerde gegen den
Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr festgesetzt worden ist, „wenn die
angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder Rechtspfleger erlassen wurde“.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats entscheidet über die Streitwertbeschwerde
der Berichterstatter als Einzelrichter auch dann, wenn im erstinstanzlichen Verfahren die
Streitwertfestsetzung durch den Berichterstatter gemäß § 87a VwGO erfolgte (vgl. nur
jüngst Senat [Einzelrichter], Beschl. v. 12.02.2014 - 1 S 110/14 -). Der Senat folgt hier der
Rechtsprechung des 9. Senats des VGH Baden-Württemberg, der insofern ausführt (vgl.
VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 02.06.2006 - 9 S 1148/06 - NVwZ-RR 2006, 648):
3
„Entscheidet erstinstanzlich ein einzelner Richter über die Erinnerung, so beschließt auch
im Beschwerdeverfahren nur ein Mitglied des Senats über die dagegen eingelegte
Beschwerde. Dies folgt zwingend aus § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG. Hierbei ist ohne
Belang, ob in erster Instanz der Einzelrichter nach § 6 VwGO, der Berichterstatter nach §
87a VwGO oder aufgrund sonstiger Regelungen ein einzelnes Mitglied der Kammer
entschieden hat, denn dieses
ist
GKG. Nichts anderes gilt für die Entscheidung über die Streitwertbeschwerde.
4
Die Entscheidung durch ein Mitglied des Senats setzt insoweit voraus, dass der
Streitwertfestsetzungsbeschluss erster Instanz „von einem Einzelrichter“ getroffen wurde.
Dass dieser
eine
Voraussetzungen gegenüber demjenigen in Halbsatz 1 der genannten Regelung erfüllen
muss, erschließt sich dem Senat nicht. Der Ansicht des OVG Berlin (Beschl. v. 14.09.2004
- 4 L 22.0 -) und des Hessischen VGH (Beschl. v. 19.01.2005 - 11 TE 3706/04 - NVwZ-RR
2005, 583, ihnen folgend VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 19.12.2005 - 4 S 2273/05 -), wonach
unter „einem Einzelrichter“ nur der Richter zu verstehen sei, dem durch die Kammer
gemäß § 6 VwGO die Entscheidung des Rechtsstreits übertragen wurde, kann der Senat
nicht beitreten.
5
Der Wortlaut der Regelung gibt diese Einschränkung nicht her (vgl. hierzu auch BVerwG,
Beschl. v. 25.01.2006, a.a.O.). Der systematische Zusammenhang des § 66 Abs. 6 Halbs.
2 GKG mit dem 1. Halbsatz der Regelung widerspricht dieser Auffassung. Auch wird
übersehen, dass nicht nur der durch Kammerbeschluss bestimmte Einzelrichter (§ 6
VwGO), sondern auch der gemäß § 87a Abs. 2, 3 VwGO im Einverständnis der
Beteiligten anstelle der Kammer entscheidende Berichterstatter ebenso Einzelrichter im
Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist (Eyermann/Geiger, VwGO, 11. Aufl., § 5 Rdnr. 4).
Eine Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung des von der Kammer bestimmten
zu dem konsentierten Einzelrichter ist nicht zu erkennen. Gleiches gilt für die kraft
Gesetzes normierte Zuständigkeit des Berichterstatters zur Entscheidung in bestimmten
Fällen im vorbereitenden Verfahren (§ 87a Abs. 1 Nr. 2 und 4, Abs. 3 VwGO). Zu Recht
weist das OVG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 15.07.2005 - 21 E 811/05 -) darauf hin,
dass die Übertragung der Entscheidung von einem Spruchkörper auf eines seiner
Mitglieder kraft Gesetzes jedenfalls keine geringeren Rechtswirkungen entfalten kann als
die Übertragung durch den Spruchkörper im Einzelfall.
6
Die Entstehungsgeschichte des § 66 Abs. 6 GKG führt nicht zu einer Beschränkung
seines Anwendungsbereiches auf den streitentscheidenden Einzelrichter nach § 6
VwGO. Richtig ist, dass die Vorschrift in Anlehnung an § 568 Satz 1 und 2 ZPO gestaltet
wurde (BT-DrS 15/1971 S. 157) und hierzu eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs
zur Abgrenzung der Entscheidung der Kammer für Handelssachen von derjenigen durch
den Vorsitzenden dieser Kammer vorliegt (BGH, Beschl. v. 20.10.2003 - II ZB 27.92 -,
NJW 2004, 854). Dies ist jedoch für die Entscheidung, ob im verwaltungsgerichtlichen
Verfahren ein Einzelrichter in erster Instanz einen Beschluss erlassen hat oder der von
einem einzelnen Richter gefasste Beschluss nicht als Einzelrichterbeschluss angesehen
wird, nicht behilflich, da es - wie oben ausgeführt - auf die jeweilige Verfahrensordnung
ankommt.
7
Im Gegenteil spricht der in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommene Wille des
Gesetzgebers für die Auslegung des Senats. Es soll eine Vereinfachung und Straffung
des kostenrechtlichen Verfahrens erfolgen. Die Regelung soll 'einerseits zu einer
Entlastung der Rechtspflege beitragen und andererseits die Akzeptanz der auf die
(weitere) Beschwerde ergehenden Entscheidung durch die Betroffenen sicherstellen, in
dem Entscheidungen eines Kollegialgerichts auch nur durch ein anderes Kollegialgericht
korrigiert werden können' (BT-DrS a.a.O. S. 157/158). Wenn auch der
Beschleunigungseffekt durch die Entscheidung eines Senatsmitglieds im
Beschwerdeverfahren gegenüber der Beschlussfassung mit drei richterlichen Mitgliedern
nicht überschätzt werden darf, weil wohl im allgemeinen in einfach gelagerten Fällen die
Entscheidung auch in voller Senatsbesetzung im Umlaufverfahren erfolgt, so ist er
gleichwohl nicht von der Hand zu weisen. Dass dann, wenn in der ersten Instanz ein
Kollegialgericht entschieden hat, aus Akzeptanzgründen auch im Rechtsmittelverfahren
durch eine kollegiale Besetzung entschieden werden soll, lässt den Umkehrschluss zu,
dass dann, wenn in erster Instanz ein einzelner Richter die Entscheidung getroffen hat,
dies auch im Rechtsmittelzug gelten soll und nicht zu einem Akzeptanzverlust führt.
Entscheidet in erster Instanz ein einzelner Richter, dann ist im Beschwerdeverfahren auch
ein Mitglied des Senats allein zur Entscheidung berufen.“
8 Diese Erwägungen gelten in vergleichbarer Form auch hier. Zwar unterscheidet sich die
Fallgestaltung der Entscheidung durch den Vorsitzenden nach § 80 Abs. 8 VwGO von der
einer Entscheidung durch den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 VwGO und einer
Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 87a VwGO. Die Entscheidung durch den
Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 VwGO setzt voraus, dass die Sache keine besonderen
Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und keine grundsätzliche
Bedeutung hat. Die Entscheidung durch den Berichterstatter nach § 87a Abs. 1 Nr. 4, Abs.
3 VwGO ergeht im vorbereitenden Verfahren. Die Entscheidung durch den Berichterstatter
nach § 87a Abs. 3, 2 VwGO setzt das Einverständnis der Beteiligten voraus, dessen
Erteilung häufig davon abhängt, ob die Beteiligten der Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung beimessen. Hingegen ist bei einer Entscheidung durch den Vorsitzenden nach
§ 80 Abs. 8 VwGO lediglich Voraussetzung, dass es sich um einen dringenden Fall
handelt. Nur dieses Eilbedürfnis ist maßgeblich dafür, dass nur ein Richter entscheidet,
nicht hingegen die Schwierigkeit oder Bedeutung der Sache.
9 Gleichwohl ist auch für die Entscheidung über die Beschwerde gegen eine
Streitwertfestsetzung durch den Vorsitzenden im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 8 VwGO beim Beschwerdegericht der Einzelrichter
zuständig. Maßgebliche Bedeutung kommt insoweit auch hier der Auslegung des Begriffs
des Einzelrichters in § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG zu. Der Gesetzgeber war von der
Vorstellung geleitet, dass aus Gründen der Akzeptanz Entscheidungen eines
Kollegialgerichts nur durch ein anderes Kollegialgericht korrigiert werden können und
dass andererseits eine Entlastung der Rechtspflege dadurch eintreten soll, dass bei
Entscheidungen eines Einzelrichters im Beschwerdeverfahren nur ein Einzelrichter
entscheidet. Dieses Verständnis hat in der Verwendung des Begriffs des Einzelrichters im
§ 66 Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 GKG hinreichenden Niederschlag gefunden. Eine Anknüpfung
an die Begrifflichkeit der Verwaltungsgerichtsordnung erfolgt in § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2
GKG nicht (ebenso zur Fallgestaltung des § 87a VwGO: OVG Bremen, Beschl. v.
15.01.2010 - 1 S 318/09 - juris, m.w.N.). Die Gesichtspunkte der Bedeutung und
Schwierigkeit des zugrundeliegenden Verfahrens waren für den Gesetzgeber ersichtlich
nicht ausschlaggebend.
10 Die statthafte Beschwerde, mit der die Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin aus
eigenem Recht gemäß § 32 Abs. 2 RVG, § 68 Abs. 1 GKG die Heraufsetzung des vom
Verwaltungsgericht auf 2.500,-- EUR festgesetzten Streitwerts auf 5.000.-- EUR begehren,
ist nicht zulässig. Der Beschwerdewert von 200,-- EUR (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG) ist nicht
überschritten.
11 Beschwerdewert ist bei Beschwerden von Rechtsanwälten nach § 32 Abs. 2 RVG der
Unterschiedsbetrag zwischen der entstandenen und voraussichtlich noch entstehenden
Gesamtvergütung (Gebühren und Auslagen), die sich auf Grund der bisherigen
Festsetzung gerade für diesen Anwalt als Beschwerdeführer ergibt, und der entstandenen
und voraussichtlichen Gesamtvergütung, die sich nach dem behaupteten und vom Anwalt
mit seiner Beschwer erstrebten Wert ergibt. Dabei ist die Umsatzsteuer einzurechnen;
denn sie stellt für den Anwalt einen Teil der Gesamtvergütung dar, auch wenn er sie ganz
oder unter Berücksichtigung von Freibeträgen an das Finanzamt abführen muss (vgl. OVG
Hamburg, Beschl. v. 05.02.1981 - Ws I 5/81 - AnwBl. 1981, 501; BayVGH, Beschl. v.
03.09.2013 - 6 C 13.1598 - juris; OVG LSA, Beschl. v. 28.11.2013 - 1 O 127/13 - juris; je
m.w.N.). Gerichtsgebühren und Kosten des gegnerischen Rechtsanwalts bleiben außer
Betracht (vgl. Mayer, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 32 Rn. 126; Römermann, in:
Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 32 Rn. 45).
12 Bei einem Streitwert von 2.500.-- EUR beträgt eine Gebühr nach Anlage 2 zum RVG 201.--
EUR, bei einem Streitwert von 5.000.-- EUR würde sie 303.-- EUR betragen. Für das
Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes fällt nach Nr. 3100 der Anlage 1 zum RVG
eine Verfahrensgebühr mit einem Satz von 1,3 an. Die sich daraus ergebende Differenz
beträgt daher, ausgehend von einer Gebührendifferenz von 102,-- EUR, einem
Gebührensatz von 1,3 und einer Mehrwertsteuer von 19 %, nur 157,80 EUR. Der
Beschwerdewert erreicht damit - auch unter Berücksichtigung einer Auslagenpauschale
von 20.-- EUR zzgl. Mehrwertsteuer nach Nr. 7002 der Anlage 1 zum RVG - nicht den
Beschwerdewert von 200.-- EUR. Für weitere Gebühren und etwaige Auslagen ist weder
etwas ersichtlich noch von den Beteiligten, die auf den Beschwerdewert von 200.-- EUR
hingewiesen wurden, vorgetragen.
13 Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich, da das Verfahren über die Beschwerde
gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden.
14 Dieser Beschluss ist unanfechtbar.