Urteil des VG Stuttgart vom 04.04.2014

VG Stuttgart: nummer, abrechnung, absicht, satzung, zerstörung, karies, beihilfe, bad, zusammenarbeit, verordnung

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 4.4.2014, 2 S 78/14
Leitsätze
Die Trepanation eines Zahnes nach der GOZ-Nummer 2390 (Eröffnung der Zahnhöhle) ist keine
selbständig abrechenbare Leistung, wenn unmittelbar danach weitere endodontische
Leistungen erbracht werden.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.
Oktober 2013 - 12 K 434/13 - geändert. Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt Kassenleistungen für die Trepanation (Eröffnung der Zahnhöhle) eines
Zahnes.
2 Der Kläger ist B1-Mitglied der Beklagten. Sein Sohn ist über ihn mit einem
Bemessungssatz von 20 % mitversichert. Mit Antrag vom 26.09.2012 machte der Kläger
u.a. Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen, die für seinen Sohn zwischen dem
21.08.2012 und dem 17.09.2012 erbracht worden waren, geltend. Mit Bescheiden vom
05.10.2012 und vom 06.11.2012 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab, soweit er
Aufwendungen für die Trepanation eines Zahnes zum Gegenstand hatte. Eine Erstattung
der hierfür in Ansatz gebrachten GOZ-Nummer 2390 könne neben der GOZ-Nummer 2410
nicht erfolgen. Dem Kläger verblieb hiernach ein Selbstbehalt in Höhe von 3,36 EUR an
Kassenleistungen.
3 Am 30.11.2012 erhob der Kläger Widerspruch. Zur Begründung verwies er auf ein
beigefügtes Schreiben seiner Zahnarztpraxis vom 06.11.2012. Danach habe die
Bundeszahnärztekammer am 20.01.2012 entschieden, dass die GOZ-Nummer 2390
neben weiteren endodontischen Leistungen zulässig sei, weil es sich bei den einzelnen
Leistungen um verschiedene Behandlungsschritte handele.
4 Mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2013 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers zurück. In diesem führte sie aus, nach der Begründung zur GOZ könne der Ansatz
der Leistung nach GOZ-Nummer 2390 allenfalls im Rahmen einer Notfallbehandlung
angezeigt sein. Sie sei nur als selbständige Leistung berechnungsfähig und nicht als
Zugangsleistung zur Erbringung der Leistungen nach den GOZ-Nummern 2410, 2430 und
2440.
5 Am 04.02.2013 hat der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben. Zur
Begründung trägt er vor: Die selbständige Leistung „Trepanation" sei mit der Eröffnung
des koronalen Pulpenkavums abgeschlossen. Weitere endodontische Maßnahmen seien
andere eigenständige Leistungen. Für die eigenständige Abrechnung der hier in Rede
stehenden Gebührenpositionen spreche auch die Tatsache, dass der Verordnungsgeber
die Trepanation gemäß der Gebührenposition GOZ-Nummer 2390 nicht als „alleinige",
sondern als „selbständige" Leistung ausgestaltet habe.
6 Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem
Kläger weitere Kassenleistungen in Höhe von 3,36 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.02.2013 zu gewähren. In den
Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Die fehlende Anerkennung der Abrechnung der
GOZ-Nummer 2390 sei im konkreten Einzelfall nicht berechtigt. Die Beklagte nehme für
ihre ablehnende Entscheidung Bezug auf die Begründung zur GOZ, wonach der Ansatz
der Leistung nach der Nummer 2390 allenfalls im Rahmen einer Notfallbehandlung
angezeigt sein könne. Sie sei nur als selbständige Leistung berechnungsfähig und nicht
z.B. als Zugangsleistung zur Erbringung der Leistungen nach den GOZ-Nummern 2410,
2430 und 2440. Der vorliegenden Leistungslegende lasse sich eine derartige
Einschränkung aber nicht entnehmen. Nach dem Wortlaut sei die Trepanation eines
Zahnes nicht als alleinige Leistung definiert, sondern lediglich als selbständige Leistung.
In der Kommentierung zur GOZ werde insoweit ausgeführt, dass es auch zahnmedizinisch
gute Gründe gebe, dass sich eine solche Einschränkung in der Leistungsnummer nicht
finde. Denn die Trepanation sei keine „Zugangsleistung" zur Erbringung anderer
Leistungen (also eine unselbständige Teilleistung), sondern stelle eine eigene
selbständige Therapiemaßnahme dar. Diese könne entweder solitär im Rahmen einer
Notfallendodontie erfolgen oder aber kombiniert werden mit weiteren eigenständigen
endodontischen Behandlungsmaßnahmen. Die Trepanation stelle auch keinen
methodisch zwingenden Bestandteil einer Wurzelbehandlung dar. So müsse in Fällen von
Zahnfrakturen mit freiliegender Pulpa oder in Fällen großflächiger Zerstörung von
Zahnhartsubstanz durch Karies nicht trepaniert werden, bevor z.B. eine
Wurzelkanalaufbereitung nach der GOZ-Nummer 2410 erfolgen könne. Die durchgeführte
Trepanation sei somit als selbständige Leistung nach GOZ-Nummer 2390 zu vergüten.
7 Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 09.01.2014 die Berufung
wegen ernstlicher Zweifel zugelassen. Zur Begründung ihrer fristgerecht eingelegten
Berufung macht die Beklagte geltend: Die Auffassung des Verwaltungsgerichts
widerspreche dem Wortlaut der Vorschrift, der erklärten Absicht des Normgebers und dem
in § 4 Abs. 2 GOZ statuierten Zielleistungsprinzip. Die Leistung nach GOZ-Nummer 2390
könne allenfalls im Rahmen einer Notfallbehandlung und nicht wie hier als
Zugangsleistung zur Erbringung der Leistungen nach den GOZ-Nummern 2410 und 2440
berechnungsfähig sein.
8 Die Beklagte beantragt,
9
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31.10.2013 - 12 K 434/13 - zu ändern
und die Klage abzuweisen.
10 Der Kläger beantragt,
11 die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
12 Er verweist in erster Linie auf das angefochtene Urteil und macht ergänzend geltend, nach
der Kommentarliteratur sei die Trepanation in den Leistungsbeschreibungen der GOZ-
Nummern 2410 und 2440 nicht enthalten und daher gesondert berechnungsfähig.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten der Beklagten und
des Verwaltungsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14 Nach §§ 125 Abs. 1, 101 Abs. 2 VwGO entscheidet der Senat mit dem Einverständnis der
Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
15 Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Sie hat die Bewilligung von Kassenleistungen für
die Trepanation eines Zahnes im vorliegenden Fall zu Recht abgelehnt, da der Kläger
keinen entsprechenden Anspruch besitzt (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Daher hat das
Verwaltungsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben.
16 Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten in ihrer hier maßgeblichen, im
Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen geltenden Fassung vom 01.05.2012 (82.
Änderung) haben die Mitglieder Anspruch auf die in den §§ 31 bis 48 der Satzung
festgelegten Leistungen. Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 32
Abs. 1 der Satzung grundsätzlich erstattungsfähig. Nach § 32 Abs. 2 Satz 2 der Satzung
müssen die Rechnungen allerdings nach der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ)
erstellt sein. Die Erstattungsfähigkeit setzt demnach grundsätzlich voraus, dass der
Zahnarzt die Rechnungsbeträge auf der Basis einer zutreffenden Auslegung der
Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 27.06.2007 -
4 S 2090/05 -; BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 2 C 30.03 - ZBR 2005, 168 zur Beihilfe).
Dies ist hier in Bezug auf die vorgenommene Trepanation eines Zahnes nicht der Fall.
17 Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die zahnärztliche Leistung nach der GOZ-
Nummer 2390 - „Trepanation eines Zahnes, als selbständige Leistung“ (Eröffnung der
Zahnhöhle) - sei auch neben anderen endodontischen Behandlungsmaßnahmen wie z.B.
der Aufbereitung des Wurzelkanals nach GOZ-Nr. 2410 oder der Füllung eines
Wurzelkanals nach GOZ-Nr. 2440 gesondert abrechenbar (vgl. hierzu einerseits:
Kommentar der Bundeszahnärztekammer in Zusammenarbeit mit den (Landes-)
Zahnärztekammern, GOZ-Nr. 2390; Hinweis der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe von
Mai 2012 unter Hinweis auf die Auffassung der Bundeszahnärztekammer vom 20.12.2012;
Liebold/Raff/Wissing, GOZ-Kommentar, GOZ-Nr. 2390, S. 9; andererseits: Kommentierung
der PKV zur GOZ-Nr. 239 a.F. bzw. 2390 n.F.). Dies trifft jedoch nicht zu. Die Auffassung
des Verwaltungsgerichts widerspricht der erklärten Absicht des Normgebers. In der
Begründung des Entwurfs einer Verordnung zur Änderung der Gebührenordnung für
Zahnärzte (Referentenentwurf Stand 24.03.2011, S. 27) heißt es zur Leistung nach GOZ-
Nummer 2390, dass diese allenfalls im Rahmen einer Notfallbehandlung angezeigt sein
könne und nicht z.B. als Zugangsleistung zur Erbringung der Leistungen nach den GOZ-
Nummern 2410 und 2440 berechnungsfähig sei. Diese Absicht des Normgebers hat durch
den ausdrücklichen Zusatz „als selbständige Leistung“, der in der „Vorgängervorschrift“
(GOZ in der Fassung vom 22.10.1987, GOZ-Nummer 239) noch nicht enthalten war, auch
hinreichend deutlich ihren Niederschlag im Wortlaut der Vorschrift gefunden. Dies
verbietet es, die Trepanation auch dann als selbständig abrechenbare Leistung
anzusehen, wenn unmittelbar danach weitere endodontische Leistungen erbracht werden.
Eine gesonderte Abrechnung der Trepanation nach der GOZ-Nummer 2390 würde in
einem solchen Fall sowohl dem Wortlaut der Regelung, wonach eine Abrechenbarkeit
ausdrücklich eine selbständige Leistung erfordert, wie auch der Absicht des Normgebers
widersprechen, nach der die Trepanation gerade nicht als Zugangsleistung anderer
endodontischer Leistungen abrechenbar sein soll.
18 Nachdem bereits ein speziell geregelter ausdrücklicher Ausschluss der Abrechenbarkeit
vorliegt, kommt es nicht mehr darauf an, ob die gesonderte Abrechnung der Trepanation
eines Zahnes nach GOZ-Nummer 2390 als Zugangsleistung für andere endodontische
Maßnahmen auch schon nach dem allgemein geltenden Zielleistungsprinzip (vgl. § 4 Abs.
2 GOZ) ausgeschlossen wäre, wie die Beklagte meint. Für diese Auffassung könnte aber
sprechen, dass z.B. die Aufbereitung des Wurzelkanals nach GOZ-Nr. 2410 oder die
Füllung eines Wurzelkanals nach GOZ-Nr. 2440 wohl typischerweise voraussetzen, dass
zuvor eine Eröffnung der Zahnhöhle - also eine Trepanation - erfolgt ist, auch wenn es
atypische Ausnahmefälle geben mag, in denen die Pulpa bereits aufgrund einer
Zahnfraktur oder in Fällen großflächiger Zerstörung von Zahnhartsubstanz durch Karies
bereits eröffnet ist.
19 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die in § 132 Abs. 2 VwGO
genannten Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
20
Beschluss vom 04. April 2014
21 Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3,36 EUR festgesetzt (§ 47 Abs. 1, § 52
Abs. 3 GKG).
22 Der Beschluss ist unanfechtbar.