Urteil des VG Stuttgart vom 18.12.2012

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VGH Baden-Württemberg Beschluß vom 18.12.2012, 4 S
1540/12
Leitsätze
Eine disziplinarische Maßnahme gegen einen Pfarrer der katholischen Kirche (hier: Verweis und
Buße) kann im Verwaltungsrechtsweg nicht überprüft werden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom
03. Juli 2012 - 12 K 1513/12 - wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 10.044,-- EUR festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, aber nicht begründet. Das
Verwaltungsgericht hat seinen Antrag, der Antragsgegnerin durch Erlass einer
einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihm die ab dem 01.08.2011 zustehenden Bezüge
ohne Kürzung auszuzahlen, zu Recht abgelehnt. Der Antrag kann schon deshalb keinen
Erfolg haben, weil die Maßnahme der Antragsgegnerin nicht der Kontrolle durch die
staatliche Gerichtsbarkeit unterliegen dürfte (Art. 19 Abs. 4 GG, § 40 VwGO).
2 Zwar ist es den öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften nach § 135 Satz 2 BRRG -
diese Vorschrift ist mit Inkrafttreten des Beamtenstatusgesetzes am 01.04.2009 nicht außer
Kraft getreten (§ 63 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG) - überlassen, nicht nur die
Rechtsverhältnisse ihrer Beamten und Seelsorger dem Beamtenrechtsrahmengesetz
entsprechend zu regeln, sondern auch die Vorschriften dieses Gesetzes über den
Verwaltungsrechtsweg für Klagen aus dem Beamtenverhältnis (§§ 126, 127 BRRG) für
anwendbar zu erklären. Eine solche kirchenrechtliche Rechtswegzuweisung an die
staatlichen Verwaltungsgerichte liegt hier jedoch nicht vor. Dies gilt auch in Ansehung von
§ 2 der Priesterbesoldungs- und Versorgungsordnung der Antragsgegnerin, wonach die
für die Beamten des Landes Baden-Württemberg geltenden Bestimmungen des
Besoldungsrechts entsprechend anzuwenden sind. Eine Rechtswegzuweisung beinhaltet
diese Regelung nicht. Gegen die vom Antragsteller angegriffene Maßnahme ist im
Übrigen ein innerkirchlicher Rechtsweg gegeben. Nach der dem Dekret vom 22.06.2011
beigefügten Rechtsmittelbelehrung steht dem Antragsteller hiergegen das Rechtsmittel
des hierarchischen Rekurses (cann. 1732 bis 1739 CIC) zu. Von diesem Rechtsmittel hat
er Gebrauch gemacht.
3 Nach Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung (WRV), der aufgrund des Art. 140
GG Bestandteil des Grundgesetzes ist, ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft
ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden
Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen
Gemeinde. Hierdurch wird den Kirchen das Recht zur eigenständigen Ordnung und
Gestaltung ihrer inneren Angelegenheiten verfassungsrechtlich gewährleistet. Diese
Gewährleistung fügt der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) die für diese freie
Betätigung unerlässliche - weitere - Freiheit der Kirchen zur Bestimmung über
Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzu. Das Selbstbestimmungsrecht der
Religionsgemeinschaften ist neben der Religionsfreiheit und der Trennung von Staat und
Kirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV) Grundprinzip der staatskirchenrechtlichen
Ordnung des Grundgesetzes. Es gilt für alle Religionsgesellschaften unabhängig davon,
ob sie - wie die Antragsgegnerin - Körperschaften des öffentlichen Rechts oder
privatrechtliche Vereine sind oder der Rechtsfähigkeit überhaupt ermangeln (BVerwG,
Urteil vom 30.10.2002 - 2 C 23.01 -, BVerwGE 117, 145, m.w.N.; Senatsurteil vom
08.06.1993 - 4 S 2776/92 -, NVwZ-RR 1994, 422).
4 Dort, wo die Kirchen über das Recht zur Selbstbestimmung verfügen, unterliegen sie auch
nicht der staatlichen Gerichtsbarkeit. Dem stehen Art. 19 Abs. 4 GG und § 40 VwGO nicht
entgegen. Beide Vorschriften eröffnen die Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen Akte
staatlicher Gewalt. Kirchliche Gewalt ist infolge der öffentlichen Rechtsstellung und
öffentlichen Wirksamkeit der Kirchen, die sie aus ihrem besonderen Auftrag herleiten und
durch die sie sich von anderen gesellschaftlichen Gebilden prinzipiell unterscheiden, zwar
öffentliche, aber nicht staatliche Gewalt. Streitigkeiten wegen Maßnahmen, welche die
Kirche in Ausübung des ihr verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts
getroffen hat, sind auch dann keine öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 40
VwGO, wenn die Religionsgesellschaft den Status einer öffentlich-rechtlichen
Körperschaft (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) besitzt. Dieser Status ist Mittel zur
Entfaltung der Religionsfreiheit; er soll die Eigenständigkeit und die Unabhängigkeit der
Religionsgemeinschaft unterstützen, sie aber nicht bei der Ordnung ihrer inneren
Angelegenheiten zu einem Handeln in den Formen und mit den Mitteln des öffentlichen
Rechts befähigen (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O., m.w.N.).
5 Ein vor jeder staatlichen Einflussnahme geschütztes Selbstbestimmungsrecht steht den
Religionsgesellschaften bei rein innerkirchlichen Maßnahmen zu. Das sind Maßnahmen,
die materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach als eigene
Angelegenheiten der Kirchen oder Religionsgemeinschaften anzusehen sind. Auch wenn
die Maßnahme „hinübergreift“ in den Bereich des Öffentlichen, des
Gesellschaftspolitischen und dort mittelbar wirkt, beseitigt das nicht ihren Charakter als
kircheninterne Maßnahme. Erst für kirchliche Maßnahmen, die unmittelbare Wirkung in
dem vom Staat zu ordnenden Bereich haben, gilt das uneingeschränkte
Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).
6 Durch den Zusatz in Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV „innerhalb der Schranken des für alle
geltenden Gesetzes“ ist die Garantie der kirchlichen Selbstverwaltung nicht unter einen
allgemeinen Gesetzesvorbehalt gestellt. Es handelt sich bei der Formel nicht um einen
Gesetzesvorbehalt. Gesetze, die für alle und damit auch für die Religionsgesellschaften
bei der Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten gelten, sind nur solche Rechtsnormen,
die für die Kirche dieselbe Bedeutung haben wie für jedermann. Trifft das Gesetz die
Kirche in ihrer Besonderheit als Kirche, weil nämlich ihr Selbstverständnis, insbesondere
ihren geistlich-religiösen Auftrag beschränkend, und damit anders als den normalen
Adressaten, bildet es insoweit keine Schranke (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).
7 Jede den kircheninternen Bereich ergreifende Reglementierung durch staatliches Gesetz
hat diese Wirkung. Eine solche Regelung trifft die Kirche in ihrer ureigenen Funktion, den
Glauben zu verkünden, Seelsorge zu betreiben und karitativ tätig zu sein. Die Art und
Weise, wie die Kirche diesen geistlich-religiösen Auftrag auffasst und erfüllt, ist staatlicher
Reglementierung nicht zugänglich. Dies gilt auch für die durch Art. 137 Abs. 3 Satz 2
WRV, Art. 140 GG garantierte Autonomie, die Ämter im Bereich der Seelsorge zu
verleihen und zu entziehen. Das Dienstrecht der Geistlichen gehört zum Kernbereich der
innergemeinschaftlichen Angelegenheiten der Kirchen. Die Entscheidungen der Kirchen
und Kirchengerichte hierzu sind von den staatlichen Gerichten hinzunehmen. Die
Exemtion von der staatlichen Gerichtsbarkeit bezieht sich auch auf die Einhaltung der
„fundamentalen Grundsätze der staatlichen Rechtsordnung“ durch die kirchlichen Stellen,
die die Entscheidung getroffen haben (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).
8 Auch aus der staatlichen Justizgewährungspflicht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem
Rechtsstaatsprinzip, Art. 92 GG) ergibt sich nicht die Befugnis der staatlichen Gerichte,
über kircheninterne Maßnahmen zu entscheiden. Aufgrund der Justizgewährungspflicht
sind zwar die Gerichte zur Entscheidung aller Rechtsfragen berufen, deren Beantwortung
sich nach staatlichem Recht richtet. Im Bereich der eigenen Angelegenheiten der Kirche
ist jedoch kein staatliches Recht zulässig, das die Selbstbestimmung der
Religionsgemeinschaften einschränkt (BVerwG, Urteil vom 30.10.2002, a.a.O.).
9 Ausgehend davon steht hier eine rein innerkirchliche Maßnahme im Streit. Der Bischof der
Antragsgegnerin hat in seinem Dekret vom 22.06.2011 ausgeführt, einen Verweis könne
der Ordinarius demjenigen erteilen, aus dessen Lebenswandel ein Ärgernis oder eine
schwere Verwirrung der Ordnung entstehe, wobei der Verweis in einer Weise zu erteilen
sei, die den besonderen Verhältnissen der Person und der Tat entspreche (can. 1339 § 2
CIC). Einem Verweis könne der Ordinarius nach can. 1340 CIC nach seinem klugen Urteil
Bußen hinzufügen, die u.a. darin bestünden, ein Werk der Caritas zu leisten.
Entsprechend ist er verfahren und hat dem Antragsteller - gestützt auf can. 1339 CIC und
can. 1340 CIC - einen Verweis erteilt und ihm als Buße die Kürzung seiner Bezüge
zugunsten eines Fonds ab dem 01.08.2011 um 20% auf die Dauer von drei Jahren
auferlegt. Dabei handelt es sich nicht um eine rein vermögensrechtliche, sondern um eine
dienstrechtliche, an einen Pflichtenverstoß des Antragstellers anknüpfende
disziplinarische Maßnahme. Der Antragsteller ist, wie die Antragsgegnerin vorgetragen
hat, zum kanonischen Gehorsam seinem Bischof gegenüber verpflichtet (can. 273 CIC)
und unterliegt dem kirchlichen Straf- und Disziplinarrecht (can. 1311 bis 1399 CIC). Die
Disziplinargewalt der Kirchen aber ist nicht vom Staat verliehen, sondern eine auf
ursprünglicher Gewalt der Kirchen beruhende innerkirchliche Angelegenheit und damit
staatlichen Eingriffen entzogen, denn das Disziplinarrecht der Kirche wurzelt als Teil ihres
Amtsrechts in ihrem geistlichen Wesen und bildet deshalb einen Kernpunkt ihres
Selbstbestimmungsrechts (vgl. dazu Senatsurteil vom 15.11.1968 - IV 181/68 -, NJW 1969,
1363; Senatsbeschlüsse vom 24.07.1973 - IV 401/73 - und vom 20.08.1974 - IV 256/74 -;
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.02.1978 - VIII A 215/75 -, DVBl. 1978, 925).
10 Soweit das Bundesverwaltungsgericht in mehreren Entscheidungen vom 25.11.1982 (2 C
21.78, 2 C 22.78 und 2 C 38.81, jeweils Juris) die Frage erörtert - und letztlich offen
gelassen - hat, „ob Kirchenbediensteten wegen ihrer vermögensrechtlichen Ansprüche
staatlicher Gerichtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG zukomme, weil die Kirche in diesem
Bereich öffentliche Gewalt im Sinne dieser Grundrechtsbestimmungen ausübe“, ist eine
vergleichbare Fallgestaltung hier nicht gegeben. Hier geht es nicht um die
vermögensrechtlichen Auswirkungen einer innerkirchlichen Maßnahme, sondern um die
innerkirchliche - disziplinarische - Maßnahme selbst. Eine derartige Maßnahme ist aber
unabhängig von der konkret verhängten Art der Buße der Natur der Sache nach als eigene
Angelegenheit der Kirche und damit als eine rein innerkirchliche Maßnahme anzusehen.
Die von der Verfassung anerkannte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen
Gewalt würde geschmälert werden, wenn der Staat seinen Gerichten das Recht
einräumen würde, innerkirchliche Maßnahmen, die im staatlichen Zuständigkeitsbereich
keine unmittelbaren Rechtswirkungen entfalten, zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 09.12.2008 - 2 BvR 717/08 -, NJW 2009, 1195).
11 Ungeachtet dessen bliebe die Beschwerde aber auch dann ohne Erfolg, wenn man davon
ausginge, dass auch in einem Fall wie dem vorliegenden staatlicher Rechtsschutz im
Bereich der vermögensrechtlichen Leistungen, die der sozialen Sicherung dienten, zu
gewähren wäre. Denn die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass der Antragsteller
schon keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe, es ihm vielmehr zumutbar sei,
seinen Zahlungsanspruch in einem Hauptsacheverfahren zu verfolgen, wird durch das
Beschwerdevorbringen nicht erschüttert. Ebenso wenig hätte der Antragsteller einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Es wäre auch nichts dafür ersichtlich, dass die
vermögensrechtlichen Auswirkungen der Maßnahme der Antragsgegnerin das
Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verletzten.
12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf
§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 3 GKG.
13 Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).