Urteil des VG Stuttgart vom 27.08.2014

VG Stuttgart: überstellung, mitgliedstaat, aufschiebende wirkung, ablauf der frist, beginn der frist, ausreise, verordnung, asylbewerber, abschiebung, annahme des antrags

VGH Baden-Württemberg Urteil vom 27.8.2014, A 11 S 1285/14
Leitsätze
1. Sowohl die Verordnung(EG) Nr. 343/2003 (VO Dublin II) als auch die Verordnung(EU) Nr.
604/2013 (VO Dublin III) stehen einer nationalen Regelung entgegen, die eine Überstellung auf
eigene Initiative (freiwillige Ausreise) und eine kontrollierte Überstellung in den zuständigen
Mitgliedstaat ausschließen.
2. § 34a Abs. 1 AsylVfG ist einer unionsrechtskonformen Anwendung zugänglich.
3. Zum Lauf der Überstellungsfrist nach Art. 19 Abs. 3 und Art. 20 Abs. 2 VO Dublin II bzw. Art. 29
Abs. 2 VO Dublin III im Falle eines negativen Ausgangs des Verfahrens des vorläufigen
Rechtsschutzes.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 5. Mai 2014 -
A 4 K 1410/14 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1 Der am xx.xx.1992 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger Er reiste seinen
Angaben zufolge am 04.10.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am
07.10.2013 einen Asylantrag. Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung gemäß §
25 AsyIVfG durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Kläger am
22.10.2013 an, im September 2013 mit dem Schiff kommend in Italien eingereist zu sein,
wo er auch erkennungsdienstlich behandelt worden sei.
2 Auf ein Übernahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom
30.12.2013 an die zuständige italienische Behörde reagierte Italien nicht. Das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge wies Italien mit Schreiben vom 03.03.2014 darauf hin, dass
das Übernahmeersuchen gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO als angenommen gelte.
3 Hierauf stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 12.03.2014
fest, dass der Asylantrag unzulässig ist, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach
Italien an. Die Zustellung des Bescheids an den Kläger erfolgte am 17.03.2014.
4 Am 19.03.2014 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart, die nicht näher
begründet wurde und mit der er die Aufhebung des Bescheids vom 12.03.2014 und die
Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung eines Asylverfahrens begehrte.
5 Die Beklagte trat der Klage entgegen.
6 Ein beim Verwaltungsgericht am 19.03.2014 gestellter Antrag auf Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes blieb ohne Erfolg (Beschluss vom 07.04.2014 - A 4 K 1411/14 - zugestellt
am 09.04.2014).
7 Durch Urteil vom 05.05.2014 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab und führte aus:
Nach § 27a AsyIVfG sei ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von
Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen
Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Für die Durchführung
des Asylverfahrens des Klägers sei Italien zuständig. Die Zuständigkeit bestimme sich hier
nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 (VO Dublin II), da
noch unter der Geltung der VO Dublin II um Aufnahme nachgesucht worden sei (vgl. Art.
29 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 343/2003 i.V.m. Art. 49 Abs. 1 und 2 der Verordnung (EU) Nr.
604/2013 vom 26.06.2013 - VO Dublin III). Damit sei Italien gemäß Art. 16 Abs. 1 VO
Dublin II gehalten, den Kläger nach Maßgabe des Art. 20 VO Dublin II
wiederaufzunehmen. Im Rahmen des Art. 20 bestehe dabei zum einen die Möglichkeit,
dass der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme ausdrücklich zustimme (vgl. Art. 20
Abs. 1 lit. d); zum anderen könne davon ausgegangen werden, dass der ersuchte
Mitgliedstaat die Wiederaufnahme des Asylbewerbers akzeptiere, wenn er innerhalb der
Frist von einem Monat bzw. der Frist von zwei Wochen, wenn das
Wiederaufnahmegesuch Hinweise enthalte, aus denen der ersuchte Mitgliedstaat
entnehmen könne, dass er zuständig sei, keine Antwort erteile (vgl. Art. 20 Abs. 1 lit. c). Im
vorliegenden Fall habe die Beklagte am 30.12.2013 ein Übernahmeersuchen an die
italienischen Behörden gerichtet. Dieses Übernahmeersuchen sei bis heute unbeantwortet
geblieben. Damit stehe gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. c) fest, dass Italien der Wiederaufnahme
des Klägers (stillschweigend) zugestimmt habe. Nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs der Europäischen Union könne der Asylbewerber in einem Fall, in dem ein
Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers zugestimmt habe bzw. eine solche
Zustimmung als erteilt gelte, einer Überstellung nur damit entgegentreten, dass er
systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber
in diesem Mitgliedstaat geltend mache, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte
Gründe für die Annahme darstellten, dass er tatsächlich Gefahr laufe, einer
unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt
zu werden. Es obliege dem Asylbewerber, der sich auf systemische Mängel im jeweiligen
Aufnahmestaat berufe, diese unter Angabe von Quellen darzulegen Der Kläger habe das
Vorliegen solcher systemischer Mängel für Italien nicht geltend gemacht, solche seien im
Übrigen für das Gericht auch nicht erkennbar Die Abschiebungsanordnung sei ebenfalls
rechtmäßig. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordne das Bundesamt die Abschiebung
in den zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststehe, dass die Abschiebung
durchgeführt werden könne, d. h. rechtlich und tatsächlich möglich sei. Diese
Voraussetzungen seien gegeben. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines inländischen
Vollstreckungshindernisses, das vom Bundesamt bei Erlass einer
Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG zu prüfen sei, seien weder
vorgetragen noch ersichtlich.
8 Das Urteil wurde dem Kläger am 09.05.2014 zugestellt.
9 Am 10.06.2014 (Dienstag nach Pfingsten) hat der Kläger die Zulassung der Berufung
beantragt.
10 Durch Beschluss vom 02.07.2014 hat der Senat hinsichtlich der im Bescheid vom
12.03.2014 enthaltenen Abschiebungsanordnung (Ziffer 2) die Berufung zugelassen und
im Übrigen den Antrag abgelehnt. Der Beschluss wurde dem Kläger am 10.07.2014
zugestellt.
11 Am 11.08.2014 (einem Montag) hat der Kläger die Berufung unter Stellung eines Antrags
begründet.
12 Er trägt vor: § 34a Abs. 1 AsylVfG sei nicht mit Unionsrecht vereinbar, weil es eine
Abschiebung anordne, die typischerweise mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs
durchgesetzt werde und dadurch eine Eingriffsschärfe aufweise, die unverhältnismäßig sei
und bei realistischer Betrachtung das abgestufte Regelungswerk der Modalitäten der
Aufenthaltsbeendigung ausschließe, welches das Unionsrecht vorgebe. Es sei auch keine
unionsrechtskonforme Auslegung oder Handhabung möglich, da der Inhalt des Begriffes
der Abschiebungsanordnung einen zwingenden Imperativ enthalte, von dem nicht
ersichtlich sei, wie von ihm abgerückt werden könne. Die Abschiebungsanordnung sei ein
dem Aufenthaltsrecht durchaus bekanntes Regelungsinstrument, es finde sich ebenfalls in
der Regelung des § 58a AufenthG. Danach könne die Oberste Landesbehörde gegen
einen Ausländer unter anderem zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit
der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorherige
Ausweisung eine Abschiebungsandrohung erlassen. Hier sei eine hohe Eingriffsschwelle
gegeben. Es bedeute für einen Flüchtling eine diskriminierende Behandlung, wenn er
durch die identische Rechtsfolge des angeordneten Verwaltungshandelns im Grunde
genommen mit Gefährdern der öffentlichen Sicherheit oder mit Terroristen auf eine Stufe
gestellt werde. In materiell-rechtlicher Hinsicht stelle eine Abschiebungsanordnung eine
neue Form der Aufenthaltsbeendigung dar, da sie ohne vorherige Ausweisung ergehen
könne und zur Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts führe. Sie lasse anders
als die Ausweisung keine Abwägung zwischen den Belangen der Betroffenen zu, sondern
verabsolutiere einseitig das öffentliche Interesse. Sie schließe auch für dauernd die
Wiederkehroption aus (§ 11 Abs. 1 Satz 7 AufenthG). Insofern stelle die
Abschiebungsanordnung ein bislang dem deutschen Recht nicht bekanntes schärfstes
Schwert zur Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts dar. Bei realistischer und
praktischer Betrachtung sei es für einen betroffenen Asylbewerber selbst dann, wenn die
Behörde die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylVfG nicht ausführe, wohl
eher nicht möglich, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben.
Die „Selbstüberstellung" sei aus der Sicht eines einfachen Flüchtlings kaum durchführbar,
da Akte der Zusammenarbeit und der Kontaktaufnahme zwischen den Behörden der
beiden zuständigen Mitgliedstaaten notwendig seien und es schwer vorstellbar sei, wie
und auf welche Art und Weise ein Flüchtling sich anschicken solle, selbst die Reise
anzutreten, denn es müsse geregelt sein, wohin genau er sich begeben müsse und wie
die Reise vonstattengehen solle. Deshalb würden auch so wenige
Überstellungsentscheidungen später tatsächlich vollzogen. Die Ausführungen der
Beklagten zu der Rechtsterminologie würden ebenfalls nicht weiterhelfen. Es sei zunächst
darauf hinzuweisen, dass die Regelung im Unionsrecht, wonach die Überstellung „gemäß
den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates" erfolge, keine
Freigabe enthalte, Maßnahmen zu ergreifen, die über eine „Überstellung" hinausgingen,
der Begriff der Überstellung markiere einen Rahmen. Dieser werde zum Beispiel in der
englischen Sprache mit „Transfer" beschrieben. Für den Begriff der „Abschiebung" gebe
es sowohl in der englischen als auch in der französischen Sprache einen eigenständigen
Begriff, nämlich den der sogenannten „Deportation". Somit handele es sich um zwei
unterschiedliche Arten des Verwaltungshandelns. „Überstellung" schließe nicht als
allgemeiner Begriff eine „Abschiebung" mit ein. Aus der Sicht des Klägers bedeute die
„Überstellung" eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung, nämlich eine
Aufenthaltsbeendigung „sui generis", welche die Notwendigkeit einer eigenständigen
Ergänzung des Asylverfahrensgesetzes oder des Aufenthaltsgesetzes erforderlich
gemacht hätte. Gegebenenfalls müssten auch die Detailregelungen VO Dublin III direkt
angewandt werden. Auch verlange Art. 19 Abs. 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II,
dass im Bescheid bereits die Frist für die Überstellung und ggf. der Zeitpunkt und der Ort
anzugeben seien, zu dem oder an dem sich der Betroffene zu melden habe; diesen
Anforderungen genüge der Bescheid der Beklagten nicht.
13 Der Kläger beantragt,
14 das Urteil des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 05.05.2014 - A 4 K 1410/14 - zu ändern
und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 12.03.2014 aufzuheben.
15 Die Beklagte beantragt,
16 die Berufung zurückzuweisen.
17 Sie führt aus: § 34a Abs. 1 AsylVfG stehe nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen
Vorgaben, zumindest sei er einer Auslegung zugänglich, die die Wirksamkeit der
Vorschrift unberührt lasse. Soweit geltend gemacht werde, § 34a Abs. 1 AsylVfG verstoße
gegen die in Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin genannten drei unterschiedlichen Modalitäten der
Überstellung, sei zunächst fraglich, ob der europäische Verordnungsgeber den
Mitgliedstaaten überhaupt die Vorgabe habe machen wollen, grundsätzlich alle drei
Überstellungsmodalitäten nebeneinander vorzusehen, oder ob er dem nationalen
Gesetzgeber insoweit einen Gestaltungsspielraum eingeräumt habe. Hinsichtlich der
deutschen Gesetzeslage sei insbesondere die Frage von Bedeutung, ob dem
Asylbewerber die Möglichkeit eingeräumt werden müsse, sich auf eigene Initiative
innerhalb einer vorgegebenen Frist in den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben.
Letzteres sei vom Wortlaut her nicht zwingend. Für einen Gestaltungsspielraum des
nationalen Gesetzgebers spreche vielmehr die Formulierung, "die Überstellung in den
zuständigen Mitgliedstaat kann auf eine der folgenden Weisen erfolgen". Von einem
Gestaltungsspielraum gehe auch Art. 29 Abs. 1 Satz 1 VO Dublin III aus, wonach die
Überstellung "gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden
Mitgliedsstaats" erfolge. Der Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften wäre
überflüssig, wenn der europäische Verordnungsgeber die Modalitäten der Überstellung
abschließend hätte regeln wollen. Es sei deshalb davon auszugehen, dass den
Mitgliedstaaten grundsätzlich die Möglichkeit eröffnet sei, eine Durchsetzung der
Überstellung ausschließlich im Wege des Verwaltungszwangs vorzusehen. Ein Verstoß
gegen Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin liege damit auch dann nicht vor, wenn § 34a AsylVfG
keine freiwillige Ausreise zulassen sollte. Es sei auch fraglich, ob der betroffene
Asylbewerber durch eine nach § 34a Abs. 1 AsylVfG ergangene Abschiebungsanordnung
rechtlich gehindert sei, sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat zu
begeben. Dies sei nicht der Fall. Denn wegen § 34a Abs. 2 AsylVfG könne die
Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe nicht vollstreckt
werden. Zwar erkläre § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG die Abschiebung nur bei rechtzeitiger
Antragstellung nach § 80 Abs. 5 VwGO für unzulässig. Das Recht, gemäß § 34a Abs. 2
Satz 1 AsylVfG innerhalb einer Woche Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu stellen, liefe
jedoch leer, wenn eine Abschiebung innerhalb dieser Wochenfrist zulässig wäre. Der
Zeitraum einer Woche verbleibe dem Asylbewerber also in jedem Fall, um sich freiwillig in
den zuständigen Mitgliedstaat zu begeben, es sei denn, er befinde sich in Haft. Haft
jedoch komme nach Art. 28 Abs. 1 u. 2 VO Dublin III nur in begründeten Einzelfällen in
Betracht. Der mögliche Ausreisezeitraum sei von Gesetzes wegen mit einer Woche klar
umrissen, was den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 Buchstabe a DVO Dublin genüge.
Damit stehe § 34a AsylVfG auch dann nicht im Widerspruch zu Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin,
falls diese Vorschrift die Möglichkeit einer Ausreise "auf Initiative" zwingend vorschreiben
sollte. Soweit weitergehend vertreten werde, § 34a Abs. 1 AsylVfG verstoße bereits
deshalb gegen Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin bzw. Art. 29 Abs. 1 Satz 2 VO Dublin III, weil
diese nur eine "Überstellung" zuließen, nicht jedoch eine "Abschiebung", werde verkannt,
dass europäische Rechtstexte, die regelmäßig in englischer oder französischer Sprache
verfasst und für die Übersetzung in weitere Sprachen gedacht seien, nicht an der
Rechtsterminologie eines einzelnen Mitgliedstaates gemessen werden könnten. Die
Formulierung "Überstellungen (..) in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung"
(engl. "transfers (...) carried out by supervised departure or under escort") sei deshalb im
"untechnischen" Sinne zu verstehen. Sowohl die "kontrollierte Ausreise" als auch die
"begleitete Ausreise" ließen sich unter den deutschen Rechtsbegriff der "Abschiebung"
subsumieren, so dass bei zutreffender Auslegung ein Widerspruch zu den
unionsrechtlichen Vorgaben nicht bestehe.
18 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
19 Dem Senat liegen die Akten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts vor.
Entscheidungsgründe
20 Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie unter Stellung eines Antrags frist- und
formgerecht begründet.
21 Die Berufung bleibt jedoch ohne Erfolg.
22 I. Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung vom 12.03.2014 ist § 34a Abs. 1
AsylVfG.
23 1. Diese Bestimmung ist nach Maßgabe der folgenden Ausführungen mit den
unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (ABl. Nr.
L 50, 1 - VO Dublin II) wie auch der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (ABl.
Nr. L 180, 31 - VO Dublin III) vereinbar. Der Senat kann daher offen lassen, ob hier im
Hinblick auf Art. 49 Abs. 2 VO Dublin III auf das eigentliche Überstellungsverfahren, das
erst nach dem 31.12.2013 eingeleitet wurde, schon die Neufassung anzuwenden ist, auch
wenn das Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen bereits vor dem 01.01.2014 gestellt
worden war.
24 a) Es widerspricht insbesondere nicht dem Unionsrecht, wenn nach dem nationalen Recht
zwingend der Erlass einer Abschiebungsanordnung vorgesehen ist, die nach ihren
Tatbestandsvoraussetzungen verlangt, dass feststehen muss, dass die Abschiebung in
den jeweiligen Zielstaat durchgeführt werden kann. Denn der Wortlaut ist zumindest in
einer Weise offen, dass hieraus nicht abgleitet werden kann, dass eine Abschiebung
ausnahmslos stattfinden muss, selbst wenn Unionsrecht dem entgegensteht.
25 Nach Art. 20 Abs. 1 lit. e) VO Dublin II teilt u. a. im Fall des Art. 16 Abs. 1 lit. e) der
ersuchende Mitgliedstaat dem Asylbewerber die Entscheidung des zuständigen
Mitgliedstaats über seine Wiederaufnahme mit. Diese Entscheidung ist zu begründen. Die
Frist für die Durchführung der Überstellung ist anzugeben und „gegebenenfalls“ der Ort
und der Zeitpunkt zu nennen, an dem bzw. zu dem sich der Asylbewerber zu melden hat,
wenn er sich auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begibt. Gegen die
Entscheidung kann ein Rechtsbehelf eingelegt werden. Ein gegen diese Entscheidung
eingelegter Rechtsbehelf hat keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der
Überstellung, es sei denn, die Gerichte oder zuständigen Stellen entscheiden im Einzelfall
nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders, wenn es nach ihrem innerstaatlichen
Recht zulässig ist. Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat ein Laissez-
passer nach dem Muster aus, das gemäß dem Verfahren nach Artikel 27 Absatz 2 VO
Dublin II festgelegt wird. Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat
gegebenenfalls mit, dass der Asylbewerber eingetroffen ist bzw. dass er sich nicht
innerhalb der vorgegebenen Fristen gemeldet hat. Nach Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II
erfolgt die Überstellung gemäß den nationalen Rechtsvorschriften.
26 Diese Regelungen entsprechen den für die Aufnahme geltenden Vorgaben in Art. 19 Abs.
2 Sätze 1 bis 4 und Abs. 3 UA 1 und 2 VO Dublin II.
27 Die VO Dublin III unterscheidet hinsichtlich des Überstellungsverfahrens nicht mehr
zwischen der Aufnahme und der Wiederaufnahme und trifft insoweit einheitliche
Regelungen. Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III bestimmt, dass die Entscheidung nach Absatz 1
eine Rechtsmittelbelehrung enthält, die, falls „erforderlich“, auch auf das Recht, die
aufschiebende Wirkung zu beantragen, hinzuweisen hat; außerdem hat sie Informationen
zu enthalten über die Frist für die Durchführung der Überstellung mit erforderlichenfalls
Angaben über den Ort und den Zeitpunkt, an dem oder zu dem sich die betreffende Person
zu melden hat, wenn diese Person sich auf eigene Initiative in den zuständigen
Mitgliedstaat begibt. Art. 29 Abs. 1 VO Dublin III regelt, dass die Überstellung gemäß den
innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgt.
28 Art. 7 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 02.09.2003 mit
Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (ABl. 2003, Nr. L 222 S.
3 - im Folgenden DVO Dublin), der nicht durch die DVO (EU) Nr. 118/2014 vom
30.01.2014 (ABl. Nr. L 39, 1) geändert wurde, sieht vor, dass die Überstellung in den
zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen erfolgen kann: a) auf Initiative
des Asylbewerbers innerhalb einer vorgegebenen Frist, b) in Form der kontrollierten
Ausreise, wobei der Asylbewerber bis zum Besteigen des Beförderungsmittels von einem
Bediensteten des ersuchenden Staates begleitet wird und dem zuständigen Staat Ort,
Datum und Uhrzeit seiner Ankunft bis zu einer vereinbarten Frist vor der Ankunft mitgeteilt
wurden oder c) in Begleitung, wobei der Asylbewerber von einem Bediensteten des
ersuchenden Staates oder einem Vertreter einer von dem ersuchenden Staat zu diesem
Zweck beauftragten Einrichtung eskortiert und den Behörden des zuständigen Staats
überstellt wird. Nach Art. 7 Abs. 2 der genannten Durchführungsverordnung erhält der
Asylbewerber in den Fällen des Absatzes 1 lit. a) und b) einen Passierschein und im Fall
lit. c) ein Laissez-passer.
29 Das insoweit unmittelbar anzuwendende Unionsrecht geht - in Kenntnis des Risikos, dass
der Asylbewerber diese ihm eingeräumte Möglichkeit missbrauchen kann - nach den
dargestellten Bestimmungen somit unzweifelhaft von der Möglichkeit einer freiwilligen
oder kontrollierten Ausreise in den zuständigen Mitgliedstaat aus. Davon zu trennen ist
aber die Frage, ob diese Möglichkeit nur dann zu gewähren ist, wenn auch das nationale
Recht die freiwillige oder kontrollierte Ausreise bei Dublin-Überstellungen ausdrücklich
vorsieht, oder ob es eine bindende unionsrechtliche Vorgabe darstellt, dass jeder
Mitgliedstaat - quasi als milderes Mittel - auch eine freiwillige oder kontrollierte Ausreise
vorsehen muss und in welchem (rechtlichen) Rahmen dies zu geschehen hat.
30 b) Unter Berufung auf die in Art. 19 Abs. 2 Satz 2 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO
Dublin II enthaltene Klausel „gegebenenfalls“, die auch so schon im Kommissionsentwurf
enthalten war (vgl. Art. 21 KOM/2001/0447endg.), sowie den Verweis auf die nationalen
Rechtsvorschriften, wird die Auffassung vertreten, eine freiwillige oder kontrollierte
Ausreise sei nur dann zu ermöglichen, wenn das innerstaatliche Recht eine Ausreise auf
eigene Initiative ausdrücklich vorsehe, was im deutschen Recht nicht der Fall sei. Dies
werde auch dadurch belegt, dass Art. 7 DVO Dublin die dort genannten Alternativen der
Aufenthaltsbeendigung nicht in ein Rangverhältnis stelle und die begleitete Überstellung
nicht von dem Erfordernis der vorher eingeräumten Möglichkeit der freiwilligen Ausreise
oder kontrollierten Ausreise abhängig gemacht werde (HessVGH, Beschluss vom
31.08.2006 - 9 UE 1464/06.A - juris). Wenn nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 DVO
Dublin die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf eine der folgenden Weisen
erfolgen könne, so bedeute dies nur, dass die Wahl des Vorgehens im Einzelfall allein
nach den innerstaatlichen Vorschriften erfolge (so etwa VG Stuttgart, Beschluss vom
29.03.2005 - A 18 K 10372/05 - juris Rn. 3). Gem. Art. 7 Abs. 1 DVO Dublin bestehe eine
durch innerstaatliches Recht auszufüllende Gestaltungsmöglichkeit eines jeden
Mitgliedstaats (VG Bremen, Urteil vom 25.10.2006 - 1 K 222/05.A - juris Rn. 20). Die
Verwendung des Wortes „gegebenenfalls“ zeige, dass es grundsätzlich in der
Entscheidungsfreiheit des die Überstellung durchführenden Mitgliedstaats liege, ob
tatsächlich eine freiwillige Überstellung erfolgen solle, mithin jedenfalls kein
Rechtsanspruch des Asylbewerbers auf eine solche Vorgehensweise bestehen könne.
Der Erlass einer Abschiebungsanordnung wird mit diesen Überlegungen als
unionsrechtskonform angesehen (vgl. auch BremOVG, Beschluss vom 03.11.2009 - 2 A
460/06 - juris Rn. 9; BayVGH, Urteil vom 25.02.2008 - 21 B 06.30145 - juris - Rn. 20; a.A.
aber etwa GK-AsylVfG, § 34a Rn. 53 und § 27a Rn. 252 ff.
; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 27a
AsylVfG Rn. 2).
31 c) Dem folgt der Senat nicht. Der Verweis auf die innerstaatlichen Rechtsvorschriften
besagt nur, dass die Verordnung insoweit keine abschließende, ins Einzelne gehende
Regelung treffen wollte, was das gesamte Verfahren der Aufenthaltsbeendigung bzw.
Überstellung betrifft, nicht aber, dass es im Belieben eines jeden Mitgliedstaats stehen
soll, nationale Regelungen zu treffen, die eine Überstellung ausschließlich im Wege der
Abschiebung, d.h. einer förmlichen Vollstreckung mit den Mitteln des Verwaltungszwangs
zulassen. Sowohl der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III liegt vielmehr zugrunde,
dass die Mitgliedstaaten im Einzelfall eine konkrete Ermessensentscheidung
dahingehend zu treffen haben, in welcher Weise die Aufenthaltsbeendigung erfolgen soll,
denn die unionsrechtlich vorgesehenen Varianten der Aufenthaltsbeendigung werden
zumindest auch mit Blick auf die Betroffenen und deren hiervon berührte Interessen
eröffnet, weshalb auch in diesem Sinne von ihnen Gebrauch zu machen ist. Dieses
Ermessen ist nationalrechtlich für die Bundesrepublik allerdings in zulässiger Weise durch
§ 58 Abs. 1 und 3 AufenthG gebunden.
32 Dem steht die von der VO Dublin II verwendete „Gegebenenfalls-Klausel“, die sich in der
VO Dublin III in sinngemäßer, aber inhaltsgleicher Weise in Art. 26 Abs. 2 wiederfindet,
nicht entgegen. Diesen Begriff als eine derart weitgehende „Öffnungsklausel“ für das
nationale Recht einzustufen, stellt eine nicht gerechtfertigte Überinterpretation dar; nichts
anderes gilt für den Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften. Die Klausel bezieht
sich nur auf eine Notwendigkeit, dem oder der Betroffenen Ort und Zeit zu nennen, wo
bzw. wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat zu melden hat, wenn die Überstellung auf
freiwilliger Basis ermöglicht wird. Durch die Nennung dieser Daten wird sichergestellt,
dass der Asylbewerber seinen „Treffpunkt“ kennt - falls er (oder ihn betreuende
Organisationen oder sein Rechtsanwalt) nicht ohnehin im Rahmen einer Ausreise aus
eigener Initiative unmittelbar mit den für ihn zuständigen Stellen im Aufnahme- bzw.
Wiederaufnahmemitgliedstaat im Vorfeld Kontakt aufgenommen hat und ihm daher
bekannt ist, wann und wo er sich einzufinden hat. Im Übrigen kann die Bekanntgabe von
Ort und Zeit auch dazu dienen, dem zuständigen Mitgliedstaat die Mitteilung an den
ersuchenden Staat über das Eintreffen des Asylbewerbers zu erleichtern (vgl. Art. 19 Abs.
3 UA 3 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. e) Satz 3 VO Dublin II bzw. Art. 29 Abs. 1 UA 4 VO Dublin
III). Soweit die VO Dublin II in Art. 19 Abs. 3 UA 1 bzw. in Art. 20 Abs. 1 lit d) Satz 2 bzw.
die VO Dublin III in Art. 29 Abs. 1 UA 1 auf die „Maßgeblichkeit des innerstaatlichen
Rechts“ abstellen, zwingt dies nicht dazu, von einer unbegrenzten Wahlfreiheit der
Mitgliedstaaten auszugehen. Mit einer solchen Sicht der Dinge würde nicht angemessen
berücksichtigt, dass Zwangsmittel nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen möglichst
zurückhaltend einzusetzen sind (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II, 3. Aufl., Art. 19 K6, S.
151). Der Umstand, dass jedes staatliche Handeln dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
genügen muss und eine zwangsweise Durchsetzung einer Ausreisepflicht – ungeachtet
der hierdurch möglicherweise nach § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AufenthG verbundenen
Rechtsfolgen – stets mit erheblichen Beeinträchtigungen von Freiheitsrechten verbunden
ist (vgl. auch den 15. Erwägungsgrund der VO Dublin II sowie den 19. und 32.
Erwägungsgrund der VO Dublin III), spricht auch dafür, dass es unionsrechtlich nicht
zulässig ist, völlig ungeachtet der persönlichen Verhältnisse des Betroffenen die
Überstellung allein im Wege der Abschiebung vorzusehen und durchzuführen. Da bei
einer Abschiebung immer auch Grundrechte (Art. 2 Abs. 1 GG und ggf. Art. 2 Abs. 2 GG
bzw. Art. 6 GRCh) betroffen sind, steht für den Senat außer Zweifel, dass die Art der
Überstellung und deren Durchführung an ihnen zu messen sind und in letzter Konsequenz
eigene einklagbare Rechte des Asylbewerbers betreffen. Für die neue Rechtslage wird
dies durch den 24. Erwägungsgrund der VO Dublin III, namentlich dessen Satz 2,
unterstrichen, wonach die Mitgliedstaaten sich durch entsprechende Informationen des
Antragstellers für Überstellungen auf freiwilliger Basis einsetzen und sicherstellen sollten,
dass Überstellungen in Form der kontrollierten Ausreise oder Begleitung in humaner
Weise und in voller Übereinstimmung mit den Grundrechten und unter Achtung der
Menschenwürde sowie dem Wohl des Kindes etc. vorgenommen werden. Dieser
„Sicherstellungsauftrag“ verbietet eine Interpretation der Verordnung dahingehend, dass
es in das Belieben der Mitgliedstaaten gestellt sein könnte, ob sie die Möglichkeit einer
Überstellung in freiwilliger oder kontrollierter Form vorsehen wollen (ebenso
Filzwieser/Sprung, Dublin II VO, 3. Aufl., Art. 19 K6, S. 151 u. zu Art. 7 DVO K4, S. 224).
33 c) Aus den unionsrechtlichen Vorgaben der VO Dublin II wie auch der VO Dublin III lässt
sich allerdings nicht entnehmen, den Betroffenen müsste zunächst generell die
Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise in der Weise eingeräumt werden, dass ihnen – dem
deutschen allgemeinen Aufenthaltsrecht vergleichbar (vgl. § 59 AufenthG) – die
Abschiebung unter Setzung einer Frist zu freiwilligen Ausreise angedroht werden muss
(vgl. auch § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG). Deshalb kann die Entscheidung über den
konkreten Vollzug der Überstellungentscheidung den hierfür zuständigen
Ausländerbehörden der Länder überlassen werden und bedarf keiner Regelung im
Bescheid des Bundesamts, der aus den dargestellten Gründen des Unionsrechts nur nicht
in der Weise verstanden werden darf, dass eine Überstellung lediglich in der Form der
Abschiebung, d.h. der begleiteten Überstellung erfolgen darf (wohl auch BVerwG,
Beschluss vom 18.12.2008 - 10 B 40/08 - juris Rn. 3, wonach es an einer Darlegung fehle,
warum sich im Fall des Klägers, der seinen Asylantrag erst nach Aufgriff durch die Polizei
im Anschluss an einen - nach seinen Angaben - zweiwöchigen Aufenthalt im
Bundesgebiet gestellt habe, der Erlass und die Vollstreckung einer
Abschiebungsanordnung infolge einer Ermessensreduzierung nicht aufgedrängt haben
solle; VG München, Beschluss vom 24.01.2014 - M 4 S 14.30061 - juris Rn. 20, wonach
die Entscheidung über die Art und Weise der Überstellung Aufgabe der Ausländerbehörde
sei und es ist nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller von Anfang an zur freiwilligen
Ausreise bereit gewesen wäre; ebenso VG Berlin, Beschluss vom 27.11.2013 - 33 L
500.13 A - juris Rn. 27, vgl. auch VG Freiburg, Beschluss vom 30.10.2006 - A 3 K 710/06 -
juris Rn. 4, wonach keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass sich die
Antragstellerin überhaupt auf eigene Initiative in den zuständigen Mitgliedstaat begeben
wolle). Allerdings könnte der Wortlaut der Bestimmungen der Art. 19 Abs. 2 und Art. 20
Abs. 1 lit. e) VO Dublin II bzw. des Art. 26 Abs. 2 VO Dublin III auch so gedeutet werden,
dass all das, was die Überstellung betrifft, also die Entscheidung über die Aufnahme bzw.
Wiederaufnahme einschließlich der Modalitäten der Überstellung, in einer einzigen
Entscheidung geregelt werden soll, gegen die dann Rechtsschutz möglich ist; zwingend
ist ein solches Verständnis jedoch nicht. Es ist nämlich zu bedenken, dass der gesamte
Komplex des Verwaltungsvollzugs und dessen Ausgestaltung regelmäßig Sache des
einzelnen Mitgliedstaats ist, so dass auch ein Ineinandergreifen verschiedener
Behördenzuständigkeiten durch das Unionsrecht akzeptiert wird mit der Folge, dass in
Konsequenz des föderalen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug im
Einzelnen von den zuständigen Ausländerbehörden der Länder durchzuführen und zu
organisieren ist. Insoweit kommt dann der in beiden Verordnungen enthaltene Vorbehalt
zugunsten der nationalen Rechtsvorschriften zum Tragen, wenn wie hier, keine
eindeutigen unionsrechtlichen Vorgaben gemacht werden. Wesentlich ist allein, dass die
Entscheidung über die konkrete Form der geplanten Überstellung und alle Einzelheiten
und Modalitäten so rechtzeitig getroffen und gleichermaßen rechtzeitig den Betroffenen
bekanntgeben werden, dass sie noch effektiven Rechtsschutz erlangen können, sofern sie
mit der Entscheidung nicht einverstanden sind, die von der nach nationalem Recht für den
Vollzug zuständigen Behörde getroffenen wurde.
34 Der Senat leitet dieses Ergebnis auch aus der Tatsache ab, dass etwa die
Informationsrechte nach Art. 4 VO Dublin III i.V.m. den Anhängen X bis XIII der DVO
Dublin zu umfangreichen bis ins Detail gehenden Vorgaben führen, worüber der
Asylbewerber zu belehren und zu informieren ist. Ihm werden die Fristen für die
Überstellung und die möglichen Rechtsmittel erklärt. Es findet sich aber kein Hinweis auf
die Arten der Überstellung, insbesondere auch nicht zur freiwilligen Ausreise. Das spricht
dagegen, dass nach den beiden Verordnungen generell die freiwillige Ausreise
einzuräumen ist - auch wenn die VO Dublin II diese umfangreichen Informationsblätter
noch nicht kannte. Des Weiteren spricht die in Art. 7 Abs. 1 der DVO zum Ausdruck
kommende Wahlfreiheit dafür, es allein der Entscheidung im Einzelfall zu überlassen, wie
die Überstellung erfolgt.
35 Will der Betroffene freiwillig ausreisen, so müssen ihm folglich die Einzelheiten (bis wann
er ausgereist sein muss, wo und wann er sich im zuständigen Mitgliedstaat einzufinden
hat) durch die Ausländerbehörde im Außenverhältnis (und nicht durch das Bundesamt)
mitgeteilt werden. Eine Konsequenz des seit 06.09.2013 nunmehr ausdrücklich in § 34a
Abs. 2 AsylVfG eröffneten Rechtsschutzes nach § 80 Absatz 5 VwGO (der im Übrigen
auch schon für Überstellungen nach der VO Dublin II gilt, falls diese hier noch
anzuwenden sein sollte) ist, dass, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen
Verhandlung bestätigt hat, Abschiebungen nunmehr erst konkret geplant werden, wenn
die Wochenfrist für den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelaufen ist,
weshalb auch aus diesem Grund eine ins Detail gehende Regelung durch das Bundesamt
in der von ihm zu erlassenden Verfügung nach § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG wenig
praktikabel wäre und v.a. auch nicht immer ausreichend zeitnah die konkreten
individuellen Verhältnisse der Betroffenen in den Blick nehmen könnte. Die Frist des § 34a
Abs. 2 Satz 1 AsylVfG genügt für die Betroffenen ebenfalls, um sich mit der
Ausländerbehörde in Verbindung zu setzen und die Möglichkeiten einer freiwilligen
Ausreise zu klären. Kommt die zuständige Ausländerbehörde zu der Auffassung, dass
eine Abschiebung (zunächst) nicht erforderlich ist und unverhältnismäßig wäre und
insbesondere die Abschiebungsvoraussetzungen nach § 58 Abs. 1 und 3 AufenthG nicht
vorliegen, sind die dargestellten weiteren Einzelheiten von ihr zu veranlassen. Eine
Konsequenz der unterschiedlichen Behördenzuständigkeit ist allerdings, dass
unterschiedlicher bzw. zusätzlicher Rechtsschutz erforderlich werden kann. Das ist etwa
dann denkbar, wenn der Asylbewerber sich primär gegenüber der Beklagten z.B. mit dem
Argument, Deutschland sei für sein Asylverfahren zuständig (geworden), gegen die
Aufnahme oder Wiederaufnahme wendet, er allerdings jedenfalls auch seine freiwillige
Ausreise durchsetzen möchte, die ihm bisher als Möglichkeit von der Ausländerbehörde
verweigert wird (gegen den Träger der zuständigen Ausländerbehörde). Solches ist
jedoch nicht unzumutbar, zumal dadurch auch eine zeitnahe Beurteilung der konkreten
Verhältnisse möglich ist.
36 2. a) Bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats steht die
Rechtmäßigkeit der verfügten Abschiebungsanordnung auch nicht deshalb infrage, weil
etwa die Überstellung nach Italien nicht mehr durchgeführt werden könnte. Geht man
davon aus, dass das Übernahmeersuchen am 30.12.2013 an Italien übermittelt wurde, so
war die hier maßgebliche Beantwortungsfrist nach Art. 20 Abs. 1 lit. c) Alt. 2 VO Dublin II
von zwei Wochen am 13.01.2014 abgelaufen. Die Überstellungsfrist von sechs Monaten
nach Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II wäre dann möglicherweise am Montag, den
14.07.2014, abgelaufen mit der Folge, dass die Bundesrepublik wieder zuständig
geworden wäre. Unklar ist in diesem Zusammenhang, welche Konsequenzen aus der
Tatsache zu ziehen sind, das im vorliegenden Fall ein Verfahren des vorläufigen
Rechtschutzes – allerdings mit für den Kläger negativem Ausgang – durchgeführt worden
war, während dessen Anhängigkeit gem. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG eine Vollziehung
der Überstellungsentscheidung durch die Bundesrepublik Deutschland nicht zulässig war,
und dass auch vom Zeitpunkt der Zustellung der Entscheidung der Beklagten an den
Kläger bis zur Antragstellung mit Rücksicht auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bzw. Art. 47 Abs.
1 GRCh ein vorübergehendes Abschiebungsverbot bestanden hatte. Nach den in Art. 19
Abs. Abs. 3 UA 1 bzw. Art. 20 Abs. 1 lit. d) VO Dublin II oder Art. 29 Abs. 1 UA 1 VO Dublin
III enthaltenen Wertungen kann kaum angenommen werden, dass die Überstellungsfrist in
dieser Zeit uneingeschränkt läuft und in letzter Konsequenz ablaufen kann. In diesem
Zusammenhang ist nämlich zu betonen, dass der unionsrechtliche Begriff der
„aufschiebenden Wirkung“ nicht in dem spezifischen rechtstechnischen Sinn des
deutschen Verwaltungsverfahrens- und -prozessrechts verstanden werden kann und darf,
da das Unionsrecht keine genauere Ausgestaltung des Rechtsschutzverfahrens bzw.
Rechtschutzsystems vornimmt, sondern den nationalen Regelungsbestand voraussetzt
(vgl. zu alledem auch GK-AsylVfG, § 27a Stand November 2013 Rn. 227 ff.). Nach
Auffassung des Senats hält sowohl die VO Dublin II wie auch die VO Dublin III für diese
Fallkonstellation keine angemessene Regelung vor (a.A. aber wohl VG Göttingen,
Beschluss vom 30.06.2014 - 2 B 86/14 - juris, das zu Unrecht nicht einmal eine
Ablaufhemmung annimmt, sondern den Fristlauf ausschließlich mit Ergehen eines
positiven Beschlusses beginnen lassen will, was aber einer sehr formalistischen
Betrachtungsweise geschuldet ist, die die von den entsprechenden Bestimmungen der
Verordnungen berücksichtigten Belange der Mitgliedstaaten, die der Europäische
Gerichtshof in der Sache Petrosian, Urteil vom 29.1.2009 - C- 19/08 - InfAuslR 2009, 139,
herausgearbeitet hat, und die notwendigen Rechtsfolgen einer effektiven
Rechtsschutzgewährung nicht angemessen in den Blick nimmt). Der EuGH hat im
genannten Urteil u.a. Folgendes ausgeführt:
37 „…32. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 erfolgt die
Überstellung eines Asylbewerbers in den Mitgliedstaat, der ihn wieder aufnehmen muss,
sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten
nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat
oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.
Nach Art. 20 Abs. 2 geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über, in dem der
Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb einer Frist von
sechs Monaten durchgeführt wird.
38 33. Der Wortlaut dieser Bestimmungen an sich erlaubt nicht die Feststellung, ob die Frist
zur Durchführung der Überstellung bereits ab einer vorläufigen gerichtlichen
Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des Überstellungsverfahrens ausgesetzt
wird, oder erst ab einer gerichtlichen Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des
genannten Verfahrens entschieden wird.
39 34. Nach ständiger Rechtsprechung sind jedoch bei der Auslegung einer
Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die
Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. u.
a. Urteile vom 18. Mai 2000, KVS International, C-301/98, Slg. 2000, I-3583, Randnr. 21,
und vom 23. November 2006, ZVK, C-300/05, Slg. 2006, I-11169, Randnr. 15).
40 35. Gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 in Verbindung mit Abs.
1 Buchst. c können je nach den Umständen drei Ereignisse den Lauf der Frist von sechs
Monaten auslösen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um die Überstellung
des Asylbewerbers durchzuführen. Es kann sich erstens um die Entscheidung des
ersuchten Mitgliedstaats handeln, die Wiederaufnahme des Asylbewerbers zu
akzeptieren, zweitens um den fruchtlosen Ablauf der Frist von einem Monat, die dem
ersuchten Mitgliedstaat für eine Stellungnahme zum Antrag des ersuchenden
Mitgliedstaats auf Wiederaufnahme des Asylbewerbers gesetzt worden ist, und drittens
um die Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser im ersuchenden Mitgliedstaat
aufschiebende Wirkung hat.
41 36. Diese drei Ereignisse müssen in Abhängigkeit davon analysiert werden, ob es in den
Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats einen Rechtsbehelf mit
aufschiebender Wirkung gibt oder nicht, wobei das Ziel zu berücksichtigen ist,
dessentwegen die Verordnung Nr. 343/2003 eine Frist für die Durchführung der
Überstellung vorsieht.
42 37. Hierbei sind zwei Konstellationen zu unterscheiden.
43 38. Wie aus dem Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003
hervorgeht, läuft in der ersten Konstellation, wenn kein Rechtsbehelf mit aufschiebender
Wirkung vorgesehen ist, die Frist zur Durchführung der Überstellung ab der
ausdrücklichen oder vermuteten Entscheidung, durch die der ersuchte Mitgliedstaat die
Wiederaufnahme des Betreffenden akzeptiert, unabhängig von den Unwägbarkeiten,
denen der Rechtsbehelf unterliegt, den der Asylbewerber gegebenenfalls gegen die
seine Überstellung anordnende Entscheidung vor den Gerichten des ersuchenden
Mitgliedstaats erhoben hat.
44 39. Dann bleiben lediglich die Modalitäten für die Durchführung der Überstellung zu
regeln und insbesondere deren Datum festzusetzen.
45 40. In diesem Zusammenhang erlegt Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr.
343/2003 dem ersuchenden Mitgliedstaat eine Frist von sechs Monaten für die
Durchführung der Überstellung auf. Somit verfolgt diese Frist in Anbetracht der
praktischen Komplexität und der organisatorischen Schwierigkeiten, die mit der
Durchführung der Überstellung einhergehen, das Ziel, es den beiden betroffenen
Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich im Hinblick auf die Durchführung abzustimmen, und
es insbesondere dem ersuchenden Mitgliedstaat zu erlauben, die Modalitäten für die
Durchführung der Überstellung zu regeln, die nach den nationalen Rechtsvorschriften
dieses letztgenannten Staates erfolgt.
46 41. Außerdem ergibt sich aus der Darlegung der Gründe zu dem von der Kommission am
26. Juli 2001 vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von
Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines
Asylantrags zuständig ist, den ein Staatsangehöriger eines dritten Landes in einem
Mitgliedstaat gestellt hat (KOM[2001] 447 endg., S. 5, 19 und 20), dass die Kommission
gerade deshalb, um den für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Überstellung
bestehenden praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, vorgeschlagen hat, die
Frist für die Durchführung der Überstellung zu verlängern. Diese Frist, die im am 15. Juni
1990 in Dublin unterzeichneten Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen
Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften
gestellten Asylantrags (ABl. 1997, C 254, S. 1), das durch die Verordnung Nr. 343/2003
ersetzt wurde, mit einem Monat festgesetzt wurde, wurde sodann entsprechend dem
genannten Verordnungsvorschlag in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d dieser Verordnung auf
sechs Monate erhöht.
47 42. Für die zweite Konstellation – wenn der ersuchende Mitgliedstaat einen Rechtsbehelf
mit aufschiebender Wirkung kennt und das Gericht dieses Mitgliedstaats seiner
Entscheidung eine derartige Wirkung beilegt – sieht Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der
Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass die Frist für die Durchführung der Überstellung ab der
„Entscheidung über den Rechtsbehelf“ läuft.
48 43. In dieser zweiten Konstellation ist zwar der Beginn der Frist zur Durchführung der
Überstellung ein anderer als der, der für die erste angeführte Konstellation festgelegt
wird, doch bleibt es dabei, dass sich jeder der beiden betroffenen Mitgliedstaaten bei der
Organisation der Überstellung mit den gleichen praktischen Schwierigkeiten konfrontiert
sieht und folglich über die gleiche Frist von sechs Monaten verfügen sollte, um diese
Überstellung zu bewerkstelligen. Denn der Wortlaut von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der
Verordnung Nr. 343/2003 enthält keinen Hinweis darauf, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber beabsichtigt hätte, diese beiden Konstellationen
unterschiedlich zu behandeln.
49 44. Daraus folgt, dass angesichts des Ziels, das damit verfolgt wird, dass den
Mitgliedstaaten eine Frist gesetzt wird, der Beginn dieser Frist in der zweiten
Konstellation so zu bestimmen ist, dass die Mitgliedstaaten wie in der ersten
Konstellation über eine Frist von sechs Monaten verfügen, die sie in vollem Umfang zur
Regelung der technischen Probleme für die Bewerkstelligung der Überstellung nutzen
sollen.
50 45. Die Frist für die Durchführung der Überstellung kann daher erst zu laufen beginnen,
wenn grundsätzlich vereinbart und sichergestellt ist, dass die Überstellung in Zukunft
erfolgen wird, und wenn lediglich deren Modalitäten zu regeln bleiben. Dass diese
Überstellung erfolgen wird, kann nicht als sichergestellt angesehen werden, wenn ein
Gericht des ersuchenden Mitgliedstaats, bei dem ein Rechtsbehelf anhängig ist, über die
Frage in der Sache nicht entschieden hat, sondern sich darauf beschränkt hat, zu einem
Antrag auf Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Entscheidung Stellung zu
nehmen.
51 46. Daraus ergibt sich, dass zur Wahrung der praktischen Wirksamkeit von Art. 20 Abs. 1
Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003, mit dem die Frist zur Durchführung der
Überstellung festgelegt wird, diese Frist in der zweiten angeführten Konstellation nicht
bereits ab der vorläufigen gerichtlichen Entscheidung läuft, mit der die Durchführung des
Überstellungsverfahrens ausgesetzt wird, sondern erst ab der gerichtlichen
Entscheidung, mit der über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entschieden wird und die
dieser Durchführung nicht mehr entgegenstehen kann.
52 47. Dieses Ergebnis wird durch zwei weitere Reihen von Erwägungen bestätigt, die sich
einerseits aus der Wahrung des von einem Mitgliedstaat gewährleisteten gerichtlichen
Schutzes und zum anderen aus der Beachtung des Grundsatzes der
Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten herleiten.
53 48. Erstens ist davon auszugehen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht die Absicht
hatte, dem Erfordernis der zügigen Bearbeitung der Asylanträge den gerichtlichen Schutz
zu opfern, den die Mitgliedstaaten gewährleisten, deren Gerichte die Durchführung einer
Überstellungsentscheidung aussetzen können, wodurch sie dem Asylbewerber
ermöglichen, die ihn betreffenden Entscheidungen wirksam anzugreifen.
54 49. Die Mitgliedstaaten, die Rechtsbehelfe schaffen wollten, die zu Entscheidungen mit
aufschiebender Wirkung im Rahmen des Überstellungsverfahrens führen können, dürfen
nämlich nicht im Namen der Einhaltung des Erfordernisses einer zügigen
Sachbehandlung in eine weniger günstige Lage versetzt werden als diejenigen
Mitgliedstaaten, die dies nicht für notwendig erachtet haben.
55 50. So befände sich der Mitgliedstaat, der im Rahmen des Überstellungsverfahrens
beschlossen hat, gegebenenfalls mit aufschiebender Wirkung versehene Rechtsbehelfe
zu schaffen, und der daher hinnehmen müsste, dass die Frist, über die er für die
Ausweisung des Asylbewerbers verfügt, um die Zeit verkürzt wird, die die
innerstaatlichen Gerichte benötigen, um über den Rechtsstreit in der Sache zu
entscheiden, in einer misslichen Lage, da er, wenn es ihm nicht gelänge, die
Überstellung des Asylbewerbers innerhalb des sehr kurzen Zeitraums zu organisieren,
der zwischen der Entscheidung des Tatrichters und dem Ablauf der Frist für die
Durchführung der Überstellung liegt, Gefahr liefe, nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr.
343/2003 – wonach, sobald die Frist für die Durchführung der Überstellung einmal
abgelaufen ist, die Annahme der Zuständigkeit durch den ersuchten Mitgliedstaat
hinfällig wird – letztlich als für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig bestimmt zu
werden.
56 51. Die Auslegung der Bestimmungen von Art. 20 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr.
343/2003, der den Beginn der Frist festlegt, die dem ersuchenden Mitgliedstaat für die
Vornahme der Überstellung des Asylbewerbers gesetzt wird, kann folglich nicht zu dem
Ergebnis führen, dass sich der ersuchende Mitgliedstaat im Namen der Einhaltung des
Gemeinschaftsrechts über die aufschiebende Wirkung der vorläufigen gerichtlichen
Entscheidung hinwegsetzen müsste, die im Rahmen eines Rechtsbehelfs ergangen ist,
der eine derartige Wirkung haben kann, die dieser Staat in seinem innerstaatlichen Recht
doch vorsehen wollte.
57 52. Was zweitens die Beachtung des Grundsatzes der Verfahrensautonomie der
Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass bei einer Auslegung von Art. 20
Abs. 1 Buchst. d der Verordnung Nr. 343/2003 dahin, dass die Frist für die Durchführung
der Überstellung bereits ab der vorläufigen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung
läuft, das nationale Gericht, das die Einhaltung dieser Frist mit der Beachtung einer
vorläufigen gerichtlichen Entscheidung mit aufschiebender Wirkung vereinbaren wollte,
veranlasst wäre, über die Rechtmäßigkeit des Überstellungsverfahrens vor Ablauf der
genannten Frist durch eine Entscheidung zu befinden, die gegebenenfalls wegen
Zeitmangels der Richter nicht in zufriedenstellender Weise dem komplexen Charakter
des Rechtsstreits Rechnung tragen konnte. Wie einige Regierungen und die Kommission
in ihren dem Gerichtshof vorliegenden Stellungnahmen betonen, liefe eine derartige
Auslegung dem genannten Grundsatz zuwider, wie er in der
Gemeinschaftsrechtsprechung niedergelegt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom
11. September 2003, Safalero, C-13/01, Slg. 2003, I-8679, Randnr. 49, und vom 13. März
2007, Unibet, C-432/05, Slg. 2007, I-2271, Randnr. 39)…“
58 Die vorliegend vom Senat zu beurteilende Fallkonstellation wurde vom Europäischen
Gerichtshof nicht genauer angesprochen, geschweige denn beschieden. Die VO Dublin II,
aber auch die VO Dublin III, die insoweit keine Änderungen gebracht hat, befassen sich
mit dieser Fallgestaltung nicht. Orientiert man sich (zu) eng am Wortlaut der
Bestimmungen, so wäre der Fristlauf nicht gehemmt, noch viel weniger wäre die Frist erst
mit der Bekanntgabe der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt worden.
Außerdem kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass es der Bundesrepublik Deutschland
aufgrund Verfassungsrechts wie auch einfachen Gesetzesrechts bis zur unanfechtbaren
Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes unmöglich ist, die
Überstellung durchzuführen, mit der Folge, dass bei einem langwierigeren Verfahren des
vorläufigen Rechtsschutzes die Frist ohne weiteres ablaufen kann, ohne dass eine
Überstellung möglich gewesen wäre. Andererseits akzeptiert, wie der Europäische
Gerichtshof im genannten Urteil ausdrücklich herausgearbeitet hat, das Unionsrecht
ausdrücklich, dass für den ersuchenden Mitgliedstaat bestehende rechtliche Hindernisse
berücksichtigt werden müssen, um nicht zu untragbaren Ergebnissen zu kommen. Dieses
zugrunde gelegt muss davon ausgegangen werden, dass eine zu schließende
Regelungslücke vorliegt. Diese ist in einer Weise zu schließen, die einen möglichst beide
Seiten schonenden Interessenausgleich zwischen dem ersuchenden und dem ersuchten
Mitgliedstaat bewirkt. Diesem Anliegen entspricht es aus der Sicht des Senates am
besten, wenn hier während des vorübergehenden Vollstreckungshindernisses (in der Zeit
zwischen der Zustellung des Bescheids bis zur Zustellung der negativen Entscheidung
des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, hier vom
17.03.2014 bis zum 09.04.2014) eine Ablaufhemmung angenommen wird mit der Folge,
dass die Frist sich entsprechend verlängert (vgl. § 209 BGB entspr.). Allerderdings ist
dieser Sicht der Dinge immanent, dass der ersuchende Mitgliedstaat nach der
Zustimmung durch den ersuchten Mitgliedstaat die Überstellungsentscheidung
unverzüglich erlassen muss, um nach einer negativen Gerichtsentscheidung noch
ausreichend Zeit für die Durchführung der Überstellung zur Verfügung zu haben. Diese
Konsequenz entspricht aber durchaus den berechtigen und wohl verstandenen Interessen
des ersuchten Mitgliedstaats (und mittelbar auch denen des betroffenen Flüchtlings).
Übertragen auf den vorliegenden Fall wäre die Überstellungsfrist hiernach zum Zeitpunkt
der mündlichen Verhandlung abgelaufen mit der Folge, dass die Zuständigkeit gem. Art.
19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 20 Abs. 2 Satz 1 VO Dublin II bzw. Art. 29, Abs. 2 Satz 1 VO
Dublin III auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen ist.
59 b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - juris)
kann allerdings der Kläger den Zuständigkeitsübergang nicht mit Erfolg einwenden,
solange die Überstellung an den bisher zuständigen Mitgliedstaat noch zeitnah möglich
ist. Abgesehen davon ist ihm der Einwand hier auch deshalb abgeschnitten, weil die Ziffer
1 des angegriffenen Bescheids unanfechtbar geworden ist; er müsste insoweit erst ein
Verfahren auf Wiederaufgreifen einleiten. Etwas anderes müsste nur dann gelten, wenn
Italien eine zeitnahe Durchführung der Überstellung nunmehr ablehnen würde. Von einer
zeitnahen Möglichkeit der Überstellung ist jedoch nach den Ausführungen des Vertreters
der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auszugehen. Denn die Beklagte hatte
Italien im vorliegenden Fall mitgeteilt, dass die Überstellungsfrist mit Rücksicht auf ein
durchgeführtes Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes erst am 09.10.2014 ablaufe, was
darauf beruht, dass die Beklagte der Auffassung ist, die Überstellungsfrist werde erst durch
die Zustellung der negativen gerichtlichen Entscheidung in Lauf gesetzt. Nach den
plausiblen weiteren Ausführungen des Beklagtenvertreters werden diese nationalen
Vorgaben und Mitteilungen jedoch regelmäßig von den ersuchten Mitgliedstaaten
akzeptiert, weshalb der Senat davon ausgeht, dass eine Überstellung noch zeitnah
möglich ist.
60 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO und 83b AsylVfG. Die
Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (vgl. §
132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).