Urteil des VG Sigmaringen vom 10.03.2017

kosovo, gefahr, psychiatrische behandlung, verschlechterung des gesundheitszustandes

VG Sigmaringen Urteil vom 10.3.2017, A 3 K 3493/15
Abschiebungsverbot; Folgeantrag; Retraumatisierung; Suizidalität; Kosovo
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot in Bezug auf den Kosovo gem. §
60 Abs. 7 S. 1 AufenthG festzustellen. Der Bescheid vom 16.09.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
1 Der Kläger begehrt die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder 7 S. 1 AufenthG.
2 Der Kläger ist am ...1983 in M., Kosovo, geboren. Er ist kosovarischer Staatsangehöriger albanischer
Volkszugehörigkeit.
3 Der Kläger hatte bereits im Jahre 1993 (mit seiner Restfamilie) unter dem BAMF-Aktenzeichen ...-138 einen
Asylantrag gestellt, welcher am 19.05.1994 durch Urteil des VG Sigmaringen vom 20.04.1994, Az. A x K
.../... ..., unanfechtbar abgelehnt wurde. Im Urteil wurde u. a. festgestellt, dass hinsichtlich des Klägers eine
Feststellung von Abschiebungsverboten nicht in Betracht komme.
4 Der Kläger beantragte über seine Prozessbevollmächtigte gegenüber der Beklagten mit schriftlichem
Folgeantrag vom 19.07.2013, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs.
2-7 AufenthG vorliegen.
5 Zur Begründung führte er aus, er sei aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, selbst bei dem
Bundesamt vorzusprechen und einen Asylantrag zu stellen. Er verweise insoweit auf das ärztliche Attest
des Dr. F. vom 02.07.2013, aus welchem sich die Reiseunfähigkeit des Klägers ergebe. Die Voraussetzungen
des § 71 Abs. 2 AsylG lägen vor. Im Juni 2013 sei er nach Deutschland eingereist. Grund hierfür sei
gewesen, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen sei, für sich selbst im
Kosovo zu sorgen und die medizinische Behandlung dort in Anspruch zu nehmen.
6 Der Kläger leide unter einer mittelgradigen depressiven Episode, unter Hämorriden und weiteren multiplen
körperlichen Beschwerden. Der Kläger habe sich vom 05.06.-13.06.2013 in stationärer Behandlung im ZfP
Süd-Württemberg, Abteilung Psychiatrie/Psychotherapie, befunden. Dort seien die oben genannten
Diagnosen gestellt worden. Grund für die Einlieferung seien zunächst Suizidgedanken gewesen, von
welchen der Kläger sich jedoch habe distanzieren können.
7 Der Kläger habe sich bereits einmal in Deutschland aufgehalten. Im Rahmen des Kosovo-Krieges sei die
gesamte Familie nach Deutschland geflohen, sodass der Kläger seine Jugend und Schulzeit in Deutschland
verbracht habe. Kurz vor seinem 18. Geburtstag habe er – von seiner Restfamilie getrennt – Deutschland
verlassen müssen. Dies sei der Hintergrund für die psychischen Probleme des Klägers.
8 Im Kosovo sei er zwar ärztlich untersucht worden, Hilfe sei ihm jedoch keine angeboten worden. Die
medizinischen Hilfeleistungen, welche er im Kosovo erhalten habe, seien für ihn auch schwer zu finanzieren
gewesen, da er über keine private Krankenversicherung verfügt habe.
9 Der Gesundheitszustand des Klägers habe sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschlechtert.
Insbesondere seine psychischen Probleme stünden bei der Bewertung seines Gesundheitszustands im
Vordergrund.
10 Im Attest des behandelnden Hausarztes vom 02.07.2013 heißt es: Bei dem Kläger bestehe aus
medizinischen Gründen derzeit Reiseunfähigkeit. Er leide an einer rezidivierenden Depression bei derzeit
schwergradiger Episode, die einer psychiatrischen Behandlung bedürfe.
11 Dem Attest des ZfP Südwürttemberg vom 03.07.2013 ist Folgendes zu entnehmen: Der Kläger klage über
multiple körperliche Beschwerden wie Druck im Kopf, Surren in den Ohren, Schmerzen im Magen-
Darmbereich sowie in den Füßen, bei denen zumindest teilweise eine psychosomatische Genese
anzunehmen ist.
12 Zu seiner Vorgeschichte ist vermerkt: Der Kläger sei 1993 mit seiner Familie aus dem Kosovo nach
Deutschland gekommen. Seine Eltern sowie fünf Geschwister lebten alle hier; er habe jedoch vor seinem 18.
Lebensjahr zurück in den Kosovo gemusst, wo er zunächst für zwei Jahre in einer Unterkunft der UNICEF
und anschließend (bis heute) bei einem Onkel gelebt habe. Dort fühle er sich aber nur geduldet, seine wahre
Heimat sei Deutschland. Im Kosovo habe er nie richtige Arbeit gefunden, habe angefangen zu Rauchen und
zu Trinken und zeitweise regelmäßig Cannabis konsumiert.
13 Aus dem Einzelgespräch habe sich ergeben, dass der Kläger seine damalige Abschiebung in den Kosovo noch
immer als starke Belastung empfinde. Zusätzlich habe er seit dem letzten Jahr verstärkt körperliche
Beschwerden. Ein Behandlungsversuch mit Mirtazapin sei aufgrund subjektiver Nebenwirkungen
abgebrochen worden. Am 13.06. habe der Kläger entlassen werden können, nachdem Rückhaltegründe i. S.
e. Eigen- oder Fremdgefährdung nicht mehr vorhanden gewesen seien. Zur weiteren Stabilisierung werde
eine ambulante Psychotherapie empfohlen.
14 Im Verwaltungsverfahren legte der Kläger ein weiteres Attest des ihn behandelnden
Internisten/Gastroenterologen vom 16.07.2013 vor, wonach bei dem Kläger eine Refluxoesophagitis Grad. I
sowie der Verdacht auf chronische Antrum- und Korpusgastritis zu diagnostizieren seien.
15 Aus einem weiteren Arztbericht des ZfP Südwürttemberg vom 14.10.2013 geht hervor, dass der Kläger
unter einer Somatisierungsstörung (F45.0) und einer mittelgradigen depressiven Episode (F32.1) leide.
Unter einer medikamentösen Therapie und regelmäßigen stützenden Gesprächen habe sich der
Gesundheitszustand des Klägers gebessert. Zur weiteren Stabilisierung sei sicherlich die regelmäßige
psychiatrische Behandlung des Klägers unabdingbar, wobei zunächst geordnete und zukunftsorientierte
Lebensumstände die Grundvoraussetzung für eine anhaltende Besserung seien.
16 Schließlich ist einer weiteren ärztlichen Bescheinigung des ZfP Südwürttemberg vom 06.05.2014 zu
entnehmen, dass der Kläger das Medikament Citalopram AbZ 10mg (2x morgens) verschrieben bekommen
hat.
17 Aus einem weiteren Attest des behandelnden Hausarztes vom 19.08.2015 ergibt sich, dass er Kläger als
Dauermedikamente Mirtazapin 15 mg 0-0-1 sowie Omeprazol 20 mg 1-0-0 erhält.
18 Mit Bescheid vom 16.09.2015 lehnte das Bundesamt den Wiederaufgreifensantrag auf Abänderung des nach
altem Recht ergangen Bescheides vom 14.12.1993 (Az. ...-...) bzgl. der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7
AufenthG ab.
19 Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Die Voraussetzung für ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1
Nr. 1 bis 3 VwVfG lägen nicht vor. Zwar stelle der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt der Erkrankung
eine neue Sachlage i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG dar. Diese sei jedoch nicht geeignet, um sich zu seinen
Gunsten auszuwirken, da die vorgetragenen Erkrankungen im Kosovo behandelbar seien.
20 Gründe, die unabhängig von den Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eine Abänderung der
bisherigen Entscheidung zu § 53 AuslG gem. § 49 VwVfG rechtfertigten, lägen ebenfalls nicht vor: Die
rezidivierende Depression, mittelgradige Episode und die chronische Refluxösophagitis seien im Kosovo
behandelbar. So gebe es im Kosovo Psychiater und Gastroenterologen, die eine Weiterführung der hier
begonnenen Behandlung durchführen könnten (vgl. ZIRF Auskunft ZC204/12.12.2013 und
ZC52/07.03.2012). Zudem seien die dem Kläger verordneten Medikamente im Kosovo erhältlich. Das
Medikament Omeprazol stehe auf der EDL 2013 und sei somit kostenfrei erhältlich. Das Medikament
Mirtazapin koste für 30 Tabletten á 30mg 10 EUR, die Kosten von 5 EUR im Monat seien für den Kläger
tragbar. Vor diesem Hintergrund sei nicht zu erkennen, dass für die vorgetragenen Erkrankungen eine
erforderliche medizinische Behandlung nicht gewährleistet oder aus finanziellen Gründen nicht erreichbar
wäre.
21 Einer erneuten Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung bedürfe es wegen der vollziehbaren
Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung aus dem vorangegangenen und abgeschlossenen
Asylverfahren nicht.
22 Der Bescheid wurde am 17.09.2015 als Einschreiben zur Post gegeben und am 21.09.2015 zugestellt.
23 Der Kläger hat am 30.09.2015 die vorliegende Klage erhoben.
24 Zur Begründung der Klage trägt der Kläger ergänzend vor: Der Einschätzung des Bundesamts, die
Erkrankungen des Klägers seien im Kosovo behandelbar, müsse widersprochen werden. Es sei auch dann von
einer relevanten Erkrankung auszugehen, soweit aus individuellen Gründen der Betroffene die medizinisch
grundsätzlich vorhandene Hilfe nicht annehmen könne. Diese individuellen Gründe konnten in seinem
Krankheitsbild begründet sein. Ein psychisches Krankheitsbild sei oftmals auch dadurch geprägt, dass die
Unterstützung der Familie benötigt werde, um eine grundsätzlich vorhandene Hilfeleistung auch annehmen
zu können. Verwiesen werde auf das Urteil des VG Braunschweig vom 23.02.2015 – 8 A 353/13. Weil der
Kläger labil sei und er in der Vergangenheit im Kosovo nur rudimentär Hilfe erlangt habe, habe die
erforderliche medizinische Versorgung nicht sichergestellt werden können. Es sei daher nicht von vornherein
auszuschließen, dass sich bei einer Rückkehr des Klägers in den Kosovo erneut eine für den Kläger
aussichtslose Situation ergeben könnte. Die derzeit bei dem Kläger durchgeführte Gesprächstherapie könnte
im Kosovo nicht fortgeführt werden. Die Behandlungsweise im Kosovo sei wesentlich medikamentös
beherrscht. Weiter sei zu berücksichtigen, dass Medikamente oftmals selbst gezahlt werden müssten und
nicht zuverlässig vorhanden seien.
25 Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hat der Kläger weitere Atteste vorgelegt. Aus dem Attest vom
27.11.2015 ergibt sich – neben den bereits bekannten Umständen – eine Medikation des Klägers mit
Mirtazapin AAA-Pharma 15 mg 0-0-1-0. Auf richterlichen Hinweis legte der Kläger am 22.12.2016 eine
weitere fachärztliche Stellungnahme des ZfP Südwürttemberg vor, aus der sich – zusätzlich zu den bereits
bekannten Umständen – eine abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung (F60.7) ergibt. Erläuternd wird
ausgeführt: Ein Rücktransport ins Heimatland müsste als eine einschneidende Veränderung betrachtet
werden, mit einer Retraumatisierung und erneuter psychischer Dekompensation sei zu rechnen. Ohne
subjektiv sichere Umgebung, kontinuierliche psychiatrische Begleitung und regelmäßige medikamentöse
Therapie müsste mit einer Verschlechterung des derzeitigen Krankheitsbildes und mit einer
Verschlechterung der gesamten Behandlungsprognose gerechnet werden. Der Kläger werde derzeit mit
Lyrica 25mg 1-1-0 medikamentös behandelt.
26 Der Kläger beantragt zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung,
27 den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2015 aufzuheben und festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot
nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG in Bezug auf den Kosovo vorliegt.
28 Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
29 die Klage abzuweisen.
30 Zur Begründung führt sie aus: Der Klage fehle hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft das
Rechtsschutzbedürfnis, da diese nicht Gegenstand des Verwaltungsverfahrens gewesen sei. Im Übrigen
beziehe sich die Beklagte auf den streitgegenständlichen Bescheid.
31 Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hat (sachdienlich gefasst) als Antrag im Rahmen der Klageerhebung
ursprünglich angekündigt, den Bescheid der Beklagten vom 16.09.2015 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise, ihm subsidiären Schutz
zuzuerkennen, weiter hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 S. 1
AufenthG vorliegen.
32 Mit Beschluss vom 27.04.2016 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter
zur Entscheidung übertragen.
33 Das Gericht hat am 03.03.2017 über die Sache mündlich verhandelt. Auf das Sitzungsprotokoll,
insbesondere auf dessen Anlage, wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
34 Dem Gericht lagen die Behördenakten der Beklagten sowie das Urteil des Erstverfahrens (vom 20.04.1994,
Az. A x K .../... ...) vor. Hierauf sowie auf die im vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze wird
wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe
35 Trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung konnte abschließend über die Klage
entschieden werden, nachdem die Beklagte auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde und das persönliche
Erscheinen nicht angeordnet war, § 102 Abs. 2 VwGO. Nach Übertragung des Rechtsstreits auf den
Einzelrichter entscheidet dieser anstelle der Kammer, § 76 Abs. 1 AsylG.
36 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung eines
Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG in Bezug auf den Kosovo. Der Bescheid ist
rechtswidrig, soweit er diesen Anspruch verneint und insoweit aufzuheben, § 113 Abs. 5, 1 VwGO.
37 Dabei bewertet der erkennende Einzelrichter den klägerischen Antrag als von Anfang an beschränkt auf die
Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5, 7 S. 1 AufenthG. Zwar hat die Klägervertreterin
im Rahmen der Klageerhebung einen umfänglichen, auch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft,
der Asylanerkennung und des subsidiären Schutzes gerichteten Klageantrag angekündigt und geht der VGH
BW (Urteil vom 26.10.2016 - A 9 S 908/13 - juris Rn. 31) zutreffend davon aus, dass der mit der
Klageerhebung angekündigte Antrag den Streitgegenstand bestimmt, auch wenn es sich lediglich um einen
angekündigten Antrag handelt. Dieser derart angekündigte Antrag bestimmt jedoch den Streitgegenstand
nicht allein, sondern muss zusammen mit der (ggf. später nachgereichten) Klagebegründung betrachtet
werden. Angesichts des Umstands, dass sich die Klage vorliegend gegen einen Bundesamtsbescheid richtet,
in dem lediglich die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5, 7 S. 1 AufenthG geprüft
wurde, und der allein darauf bezogenen Klagebegründung im Schriftsatz vom 17.12.2015, kam eine
Zuerkennung der Flüchtlings- oder Asyleigenschaft sowie des subsidiären Schutzes von vornherein nicht in
Betracht. Der im Rahmen der mündlichen Verhandlung gestellte sachdienliche Antrag - gerichtet allein auf
die Feststellung von Abschiebungsverboten - war folglich als Klarstellung des ursprünglich angekündigten
Antrags anzusehen und stellt mithin (i. S. d. zitierten Rechtsprechung des VGH BW) keine nachträgliche
Teilrücknahme i. S. d. § 92 VwGO dar.
38 Die Klage hat auch in der Sache Erfolg.
39 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist gemäß § 77 Abs. 1, 2. Hs. AsylG der Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung und damit das Asylgesetz und das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der letzten Änderung
durch Art. 2 Abs. 2 und 3 des Gesetzes v. 04.11.2016, BGBl. I, S. 2460.
1.
40 Das Bundesamt ist zurecht davon ausgegangen, dass die Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60
Abs. 5 oder 7 AufenthG nur unter den (erschwerten) Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG in Betracht
kommt: Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder – wie hier – unanfechtbarer Ablehnung eines früheren
Asylantrags erneut einen Asylantrag, so ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die
Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG). An diesem Umstand
ändert auch die Vorschrift des § 31 Abs. 3 S. 1 AsylG nichts. Denn diese sagt nichts darüber aus, unter
welchen Voraussetzungen (d. h. nach welchem Prüfungsmaßstab) die Prüfung der nationalen
Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu erfolgen hat. War die Prüfung von
Abschiebungsverboten bereits Gegenstand des ersten Asylantrags, kommt eine erneute Prüfung nur in
Betracht, wenn Wiederaufgreifensgründe i. S. v. § 51 VwVfG vorliegen (ebenso BeckOK AuslR/Heusch AsylG
§ 31 Rn. 21).
41 Vorliegend wurde der damalige (1993) Asylantrag des Kläger, welcher bereits seinerzeit die Feststellung von
Abschiebungsverboten beinhaltete (§ 53 AuslG a. F.), durch Urteil des VG Sigmaringen vom 20.04.1994
unanfechtbar abgelehnt.
2.
42 Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG sind – anders als die Beklagte meint – vorliegend
gegeben.
a)
43 Wie die Beklagte zutreffend ausführt, stellt der vom Kläger vorgetragene Sachverhalt seiner Erkrankung
nach Verlassen der Bundesrepublik Deutschland ab dem Jahre 2001 eine neue Sachlage i. S. d. § 51 Abs. 1
Nr. 1 VwVfG dar.
b)
44 Anders als die Beklagte meint, führt dieser Umstand auch zu einer – ggü. dem Erstverfahren –
abweichenden, für den Kläger positiven Entscheidung.
45 Denn dem Kläger droht im Falle einer Rückkehr in den Kosovo mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine
ernsthafte konkrete Gefahr i. S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.
aa)
46 Nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat
abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder
Freiheit besteht. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG vermag danach einen Anspruch auf Abschiebungsschutz nur
dann zu begründen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers
in seinem Heimatstaat verschlechtert. Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutsverletzung darf nicht nur im Bereich des
Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 02.11.1995 - 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 zu § 53 Abs. 6 AuslG;
NdsOVG, Urteil vom 10.11.2011 - 8 LB 108/10 - juris). Eine Gefahr ist „erheblich“, wenn eine
Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist. Das wäre der Fall, wenn sich der
Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Eine
wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des
Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder
psychischen Schäden. Außerdem muss die Gefahr „konkret“ sein, was voraussetzt, dass die
Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr des Betroffenen in sein Heimatland
eintreten wird (vgl. NdsOVG, Urteil vom 12.09.2007 - 8 LB 210/05 - juris Rn. 29 m. w. N.). Die Gefahr, dass
sich eine Erkrankung des Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat verschlimmert, ist in
der Regel als individuelle Gefahr, die auch durch die jeweilige Konstitution des Ausländers bedingt oder
mitbedingt sein kann, einzustufen. Bedarf der Betroffene zur Abwendung einer im Sinne von § 60 Abs. 7 S.
1 AufenthG erheblichen Gefahr einer notwendigen ärztlichen Behandlung oder Medikation und ist diese in
dem Zielstaat der Abschiebung wegen des geringen Versorgungsstandes nicht verfügbar, so führt dies zum
Vorliegen der Voraussetzungen der bezeichneten Vorschrift. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und
Leben besteht nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 29.10. 2002 -
1 C 1.02 - juris Rn. 9) auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur
Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen
nicht zugänglich ist. Die mögliche Unterstützung durch Angehörige im In- und Ausland ist in die gerichtliche
Prognose, ob bei einer Rückkehr in den Heimatstaat eine Gefahr für Leib und Leben besteht, mit
einzubeziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.10.2001 - 1 B 185.01 - juris = Buchholz 402.240 § 53
AuslG Nr. 51).
bb)
47 Zwar mag es so sein, dass – wie die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid ausführt – die von dem
Kläger vorgetragenen Erkrankungen im Kosovo grundsätzlich behandelbar sind (begründete Zweifel insoweit
erweckend die Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, SFH-Länderanalyse, Kosovo:
Gesundheitsversorgung vom 06.03.2017: unzureichende Gesundheitsversorgung, Mangel an
Medikamenten, schlechte Qualität der Gesundheitsdienstleistungen, Patientinnen- und Patientenrechte
nicht gesichert; staatliche Maßnahmen zur Verbesserung des Gesundheitssystems ungenügend, staatliche
Investitionen weiterhin zu niedrig; Umsetzung des Krankenversicherungsgesetzes von 2014 erneut
verschoben; nötige Vorbereitungen hierzu weiter ausstehend; zu erwartende diesbezügliche
Umsetzungsprobleme; fehlendes Budget und fehlende Infrastruktur insoweit; Unklarheiten über die Liste
der von der Versicherung abgedeckten Krankheiten, Medikamente und Leistungen; erforderliche hohe
private Zuzahlungen - einschließlich für „essentielle Medikamente“, die eigentlich kostenlos sein sollten;
hohe Korruption im Gesundheitssektor; mangelnde Deckung durch private Versicherungen bei bereits
bestehenden oder chronischen Erkrankungen; schwierige sozioökonomische Situation; ähnlich bereits die
Einschätzung der SFH-Länderanalyse Kosovo: Psychiatrische Behandlung vom 04.07.2016: begrenzte
Behandlungsmöglichkeiten und hohe Wartezeiten wegen mangelnder Kapazität im Mental Health Center in
Prizren und in anderen Landesteilen, dort auch schlechte Qualität der Behandlung; der Einschätzung des
Bundesamts im angegriffenen Bescheid z. T. widersprechend Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und
abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo / Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Republik Kosovo
als sicheres Herkunftsland i. S. d. § 29a AsylG, September 2015, S. 24: „Nicht oder kaum nachgefragte
Medikamente, …, sind im Kosovo oftmals nicht erhältlich. Dies gilt auch für Medikamente aus der „Essential
Drug List“. Es kann vorkommen, dass Medikamente aufgrund des hohen Preises, insbesondere Medikamente
der neuen Generation, nicht in die „Essential Drug List“ aufgenommen werden, bzw. dass Medikamente aus
der „Essential Drug List“ nicht immer bzw. nicht in allen Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens
in gleicher Weise verfügbar sind.“; Dass das dem Kläger verschriebene Medikament Omeprazol kostenfrei
sei, weil es auf der EDL 2013 stehe, kann dem Lagebericht ebenfalls nicht entnommen werden: „Für
medizinische Leistungen sowie für Basismedikamente aus der „Essential Drug List“ zahlen Patienten
Eigenbeteiligungen, die nach vorgegebenen Sätzen pauschal erhoben werden. Von der Zuzahlungspflicht
befreit sind Invaliden und Empfänger von Sozialhilfeleistungen, Rentner, Schwangere, chronisch Kranke,
Kinder bis zum 15. Lebensjahr, Schüler und Studenten bis zum Ende der Regelausbildungszeit,
Kriegsveteranen und Personen über 65 Jahre.“ Ersichtlich unterfällt der Kläger keiner dieser
Personengruppen).
48 Tatsächlich ist – mit dem VGH BW (Beschluss vom 04.02.2010 - A 11 S 331/07 - juris Rn. 38 unter Verweis
auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes - Kosovo - vom 19.10.2009, S. 24; ferner jüngst OVG NRW,
Beschluss vom 07.02.2017 - 13 A 1836/16.A - juris Rn. 8) – davon auszugehen, dass psychische
Erkrankungen im Kosovo grundsätzlich (wenn auch nicht optimal) behandelbar sind. Ob dies auch für die
weiteren von dem Kläger vorgetragenen und ärztlich attestierten körperlichen Erkrankungen gilt, bedarf
(mangels Entscheidungserheblichkeit) keiner abschließenden Beurteilung.
49 Zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes genügt ferner nicht, dass im Falle einer Abschiebung des
Klägers in den Kosovo die reelle Gefahr besteht, dass die in Deutschland begonnenen und
erfolgversprechenden Behandlungsansätze wieder zunichte gemacht würden. Denn auf die Fortführung der
in Deutschland begonnenen Behandlung besteht kein Anspruch.
50 Unentschieden kann auch bleiben, ob die notwendige medizinische Versorgung für den Kläger im Falle seiner
Rückkehr in den Kosovo auch individuell tatsächlich und finanziell erreichbar wäre, woran der erkennende
Einzelrichter angesichts des Umstands, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine vom staatlichen
Krankenversicherungssystem automatisch versicherte Person (s.o.) handelt, und weil alle anderen (engen)
Familienangehörigen des Klägers in Deutschland leben, sodass er im Falle seiner Rückkehr in den Kosovo dort
nicht auf ein Netz familiärer Sicherheit zurückgreifen kann, erhebliche Zweifel hat.
51 Auf all dies kommt es entscheidungserheblich aber nicht an. Denn dessen ungeachtet drohten die vom
Kläger glaubhaft geschilderten und fachärztlich attestierten Erkrankungen ungeachtet ihrer prinzipiellen
Behandelbarkeit im Kosovo bei dem Kläger zu einer erheblichen konkreten Gesundheitsverschlechterung i.
S. d. § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG zu führen. Wie der VGH BW im Urteil vom 27.04.2016 (Az. A 6 S 916/15 -
juris Rn. 42 - zwar zu Mazedonien, jedoch auf alle derartigen Fälle übertragbar) erkannt hat, kann sich ein
Abschiebungsverbot ungeachtet der prinzipiell ausreichenden Behandelbarkeit und Versorgungsmöglichkeit
psychischer Erkrankungen auch daraus ergeben, dass eine Abschiebung aus in der Erkrankung selbst
liegenden Gründen für den Betroffenen unzumutbar ist: Dies ist in der bisherigen Rechtsprechung
insbesondere für die schwerwiegende Verschlimmerung psychischer Leiden, namentlich der Gefahr einer zu
irreparablen Gesundheitsschäden führenden (Re-)Traumatisierung anerkannt (vgl. etwa: Hess. VGH, Urteil
vom 26.02.2007 - 4 UE 1125/05.A -; OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28.09.2006 - 4 LB 6/06 -; OVG
Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.02.2007 - 10 A 10952/06 -; Bay. VGH, Urteil vom 09.09.2013 - 9 B 10.30261
-, jew. juris; Niedersächs. OVG, Beschluss vom 26.06.2007 - 11 LB 398/05 -, NVwZ-RR 2008, 280). Unter
dem Begriff der „Retraumatisierung“ wird die durch äußere Ursachen oder Bedingungen (Trigger), die dem
zu Grunde liegenden traumatischen Erlebnis gleichen, ähneln oder Anklänge daran haben, ausgelöste
Reaktualisierung der inneren Bilder des traumatischen Erlebens in der Vorstellung und den körperlichen
Reaktionen des Betroffenen verstanden, die mit der vollen oder gesteigerten Entfaltung des Symptombildes
der ursprünglichen traumatischen Reaktion auf der körperlichen, psychischen und sozialen Ebene einhergeht
(vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.04.2005 - 21 A 2152/03.A -, EzAR-NF 051 Nr. 7; Niedersächs.
OVG, Beschluss vom 26.06.2007, a.a.O.; Marx, InfAuslR 2000, 357, 360).
52 Eine derartige Gefahr ist hinsichtlich des Klägers beachtlich wahrscheinlich. Der Kläger leidet ausweislich der
jüngsten fachärztlichen Stellungnahme vom 14.12.2016 (u. a.) an einer mittelgradigen depressiven Episode
und einer abhängigen (asthenischen) Persönlichkeitsstörung. Als Folgeerkrankungen leidet der Kläger an
einer Somatisierungsstörung sowie weiteren körperlichen Erkrankungen, die er auch in der mündlichen
Verhandlung wiederholt nachvollziehbar geäußert hat.
53 Die vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen genügen – jedenfalls in ihrer Gesamtschau, die den
Erkrankungs- und Behandlungsverlauf nachvollziehen lassen – auch den (hohen) Anforderungen an ärztliche
Atteste im psychiatrischen/psychologischen Fachgebiet, wie sie das BVerwG (wegweisend Urteil vom
11.09.2007 – 10 C 8.07 – juris Rn. 15 = InfAuslR 2008, 142) fordert.
54 Wie die behandelnden Psychiater/Psychologen in Ansehung des Klägers bzw. seiner Krankheit erkannt
haben, müsste eine Rückkehr in den Kosovo als eine „einschneidende Veränderung betrachtet werden, mit
einer Retraumatisierung und erneuter psychischer Dekompensation wäre zu rechnen. Ohne subjektiv
sichere Umgebung, kontinuierliche psychiatrische Begleitung und regelmäßige medikamentöse Therapie
müsste mit einer Verschlechterung des derzeitigen Krankheitsbildes und mit einer Verschlechterung der
gesamten Behandlungsprognose gerechnet werden.“
55 Der erkennende Einzelrichter hat – auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung – keine
Anhaltspunkte dafür, an dieser fachärztlichen Einschätzung zu zweifeln. Eine eigene gerichtliche
Beurteilung des Krankheitsbildes des Klägers im Wege der Einholung eines gerichtlichen
Sachverständigengutachtens war daher nicht (mehr) angezeigt. Mit dem hinreichenden Grad an
Überzeugungsbildung steht auch fest, dass es bei dem Kläger im Falle der Rückkehr in den Kosovo mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit – wie es erforderlich ist – zu einer erheblichen Gefahr der
Gesundheitsverschlechterung kommen dürfte. Hierfür spricht, dass neben den diagnostizierten psychischen
Erkrankungen – aufgrund ihrer Somatisierungstendenz – bei dem Kläger weitere Folgeerkrankungen
bestehen, die zwar derzeit – wie vom Kläger geschildert – weitgehend unter Kontrolle gehalten werden
können, im Falle einer (zwangsweisen) Rückkehr in den Kosovo aber – wie bereits in der Vergangenheit –
erneut pathologisch zu Tage treten würden. Hinzu kommt in Bezug auf die psychischen Erkrankungen des
Klägers (auch in Ansehung der Regelungen in § 60 Abs. 7 S. 2 und 3 AufenthG, vgl. BT-Drs. 18/7538, S. 18),
dass jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit einer Suizidalität des Klägers gerechnet werden
müsste, zumal ein derartiger Verdachtsmoment bereits früher (aufgrund der für den Kläger als ausweglos
geschilderten Situation im Heimatland) bestand. Angesichts der Brisanz der Schutzgutsgefährdung im Falle
der Suizidalität sind an den Grad der Wahrscheinlichkeit geringere Anforderungen zu stellen, die –
zusammen mit obigen Ausführungen – zur Annahme einer beachtlich wahrscheinlichen Gefahr der
erheblichen Gesundheitsverschlechterung berechtigen (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom
27.08.2014 - A 11 S 1128/14 – juris Rn. 27 = EzAR-NF 62 Nr. 34; unter Verweis auf BVerwG, Urteile vom
05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris = NVwZ 1992, 582 und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 - juris = NVwZ 2013,
936). Gefahrerhöhend kommt in Ansehung des Klägers wiederum hinzu, dass er im Falle einer Rückkehr in
den Kosovo nicht auf ein sicheres Netz familiärer Beziehungen zurückgreifen könnte, weil alle seinen nahen
Angehörigen in Deutschland leben. Der Onkel, bei dem er vor seiner Ausreise Unterkunft gewährt
bekommen hat, kann ihm derartiges nach glaubhafter Darstellung des Klägers auch nicht bieten, da das von
dem Kläger bewohnte Zimmer unbewohnbar geworden ist und die finanziellen Mittel nicht ausreichen, um
es wieder bewohnbar zu machen.
56 Die Gefahr der Retraumatisierung, wie sie die Fachärzte als erheblich eingestuft haben, ist auch aus
tatrichterlicher Perspektive ohne weiteres nachvollziehbar. Der Kläger hat im Rahmen der mündlichen
Verhandlung (erneut) glaubhaft geschildert, dass der Umstand, dass er zu Beginn seiner Volljährigkeit - von
der Restfamilie getrennt - ohne eine Ausbildung, Unterkunft, umfassende Sprachkenntnisse und finanzielle
Absicherung in eine unsichere Umgebung allein in den Kosovo zurück musste, die wesentliche Ursache für
seine psychischen und körperlichen Probleme darstellt. Dass dies zu einer psychischen Instabilität mit
Dekompensationsbestrebungen führen kann, ist nachgerade offensichtlich.
57 Eine andere (rechtliche) Bewertung ist auch nicht wegen § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG geboten:
58 Nach der Neufassung des § 60 Abs. 7 AufenthG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter
Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. 2016, S. 390-393) ist gem. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG erforderlich,
dass die schwerwiegende Gefahr bereits zum Zeitpunkt der Abschiebung besteht und nicht erst im Zielstaat
konkret droht. Gem. § 60 Abs. 7 S. 3 AufenthG wird - in Rezeption der bisherigen Rechtsprechung (vlg. etwa
VG Minden, Urteil vom 22.09.2009 - 7 K 3426/09.A - asyl.net, M15847) - klargestellt, dass die medizinische
Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in Deutschland nicht gleichwertig sein muss. Gem. § 60 Abs. 7
S. 4 AufenthG genügt es (nunmehr auch), dass diese Versorgung nur in Teilen des Zielstaates erreichbar ist.
Ferner hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Behauptung des Vorliegens von Erkrankungen in §
60a Abs. 2c S. 2 und 3, Abs. 2d AufenthG konkretisiert bzw. (ggü. der bisherigen Rechtsprechung)
verschärft; diese Anforderungen dürften auch für die Geltendmachung zielstaatsbezogener
Abschiebungsverbote i. S. d. § 60 Abs. 7 AufenthG gelten (vgl. Hager, Asylmagazin 2016, 160 (163) m. w.
N.). Schließlich hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass das Vorliegen einer
posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) regelmäßig keine schwerwiegende Erkrankung i. S. d. § 60
Abs. 7 S. 1 AufenthG darstellt (BT-Drs. 18/7538, S. 18: „In Fällen einer PTBS ist die Abschiebung regelmäßig
möglich, es sei denn, die Abschiebung führt zu einer wesentlichen Gesundheitsgefährdung bis hin zu einer
Selbstgefährdung.“).
59 Eine Verschärfung des Prüfungsmaßstabs bzw. des Gefährdungsgrades gegenüber der bisherigen Rechtslage,
insbesondere wie sie durch die Rechtsprechung bereits bisher ausgelegt worden ist, ist mit § 60 Abs. 7 S. 2
und 3 AufenthG aber nicht verbunden. Weitergehende Anforderungen ergeben sich mithin aus § 60 Abs. 7
S. 2 und 3 ggü. S. 1 AufenthG nicht.
60 Nach alledem ist hinsichtlich des Klägers ein Abschiebungsverbot in Bezug auf den Kosovo festzustellen.
3.
61 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten fallen gem. § 83b AsylG nicht
an.