Urteil des VG Sigmaringen vom 22.10.2014

überschreitung, verlängerung der frist, inbetriebnahme, europäische kommission

VG Sigmaringen Urteil vom 22.10.2014, 1 K 154/12
Einhaltung und Durchführung eines Luftreinhalteplans
Leitsätze
Ein Luftreinhalteplan muss ein Gesamtkonzept der Maßnahmen und ihrer
Auswirkungen umfassen, die für die Einhaltung der Grenzwerte erforderlich sind, und
einen Zeitpunkt benennen, in dem die Grenzwerte prognostisch eingehalten werden.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, den für Reutlingen geltenden Teilplan des
Luftreinhalteplans für den Regierungsbezirk Tübingen so zu ändern, dass dieser die
erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein
Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwerts für NO2 in Höhe von 40 µg/m³ und
des über den Tag gemittelten Immissionsgrenzwertes für Feinstaub PM10 von 50
µg/m³ bei 35 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr im Stadtgebiet von
Reutlingen enthält.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die außergerichtlichen Kosten des Klägers
und die Gerichtskosten jeweils zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten behalten sie
auf sich.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des
jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
1.
1 Der Kläger ist ein deutschlandweit tätiger Umweltschutzverband, der nach § 3
Umweltrechtsbehelfsgesetz anerkannt ist. Er begehrt den Erlass eines
Luftreinhalteplans für die Stadt Reutlingen, der auch die Einhaltung der Werte der
39. Bundesimmissionsschutzverordnung für Stickstoffdioxid (Jahresmittelwert) und
für Feinstaub PM10 (zulässige Überschreitung des Tagesmittelwertes)
gewährleistet.
2 In der Vergangenheit wurden diese Werte jedenfalls in der Lederstraße in
Reutlingen nicht eingehalten. Der gemessene Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid
(NO2) belief sich in der Lederstraße in Reutlingen in den Jahren 2008 bis 2013 auf
88, 91, 88, 84, 79 bzw. 72 µg/m³ (= Mikrogramm je Kubikmeter Luft) bei erlaubten
40 µg/m³. Der gemessene Tagesgrenzwert für Feinstaub PM10 von 50 µg/m³
wurde in den Jahren 2008 bis 2013 an 51, 57, 82, 67, 61 bzw. 79 Tagen
überschritten, bei zulässigen 35 Überschreitungen(Quelle: www.rp-
tuebingen.de/servlet/PB/1327649_pdrucken/drucken.htm, Zugriff 28.07.14).
3 Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 13.12.2011 beim Regierungspräsidium
Tübingen, den für die Stadt Reutlingen geltenden Luftreinhalteplan so zu ändern,
dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung der
in der 39. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetz geregelten
Grenzwerte für Feinstaub-PM10 und Stickstoffdioxid (NO2) im gesamten
Stadtgebiet enthält und setzte dem Beklagten dafür eine Frist bis zum 13.01.2012.
Zur Begründung führte er aus, die für das Stadtgebiet Reutlingen ergriffenen
Maßnahmen seien offenkundig nicht ausreichend, um eine
Grenzwertüberschreitung bei Stickstoffdioxid und Feinstaub zu verhindern. Auch
mit der aktuellen Fortschreibung des Luftreinhalteplans werde nicht in Aussicht
gestellt, dass die Einhaltung der Grenzwerte mit den darin aktuell befürworteten
Maßnahmen gelingen werde.
4 Im Zeitpunkt der Antragstellung waren der Luftreinhalteplan/Aktionsplan für den
Regierungsbezirk Tübingen, Städte Reutlingen und Tübingen, vom Dezember
2005, und der Luftreinhalteplan/Aktionsplan für den Regierungsbezirk Tübingen,
Städte Reutlingen und Tübingen, Planänderung Reutlingen vom November 2007
(= 1. Fortschreibung), in Kraft. Die 2. Fortschreibung befand sich in der
Aufstellungsphase.
5 Mit Schreiben vom 19.01.2012 teilte das Regierungspräsidium Tübingen dem
Kläger mit, es habe mit der aktuellen Fortschreibung im Rahmen des tatsächlich
und rechtlich Möglichen Maßnahmen festgesetzt, die geeignet seien, den Zeitraum
einer Überschreitung der PM10- sowie NO2-Grenzwerte so kurz wie möglich zu
halten. Momentan würden die im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung
eingegangenen Einwendungen und Anregungen geprüft und bewertet. Es sei das
Ziel des Regierungspräsidiums, die aktuelle Fortschreibung so bald wie möglich
abzuschließen. Die Fortschreibung des Plans solle im ersten Quartal 2012 mit
verbindlichen Maßnahmen beschlossen werden. Nach Abschluss der
Fortschreibung handele es sich dann auch nicht mehr um „Maßnahme-Optionen“,
sondern um verbindlich festgelegte Maßnahmen. Die im aktuellen Plan
festzusetzenden Maßnahmen seien geeignet, die Luftqualität zu verbessern, sie
reichten aber insbesondere bezüglich NO2 nicht aus, um die Grenzwerteinhaltung
zu gewährleisten. Hier stelle sich die Frage, ob dies mit verhältnismäßigen
Maßnahmen im Rahmen der Luftreinhalteplanung auf lokaler Ebene überhaupt
gelingen könne, oder ob insbesondere die dominierenden NO2-Emissionen aus
Kraftfahrzeugen nicht quellenbezogene Maßnahmen auf anderer Ebene
erforderten.
6 Hinsichtlich der Feinstaub(PM10)-Belastungswerte sei an der Reutlinger
Spotmessstelle im Jahr 2010 entgegen der ursprünglichen Erwartung ein Anstieg
zu verzeichnen. Dem sei mit einem mehrstufigen Fortschreibungsverfahren
begegnet worden. Der Plan enthalte im Kapitel 2.2 die Maßnahmen, die nach
Abschluss der jetzigen Fortschreibung umgesetzt würden. Weiter benenne die
Fortschreibung bereits eine Auswahl von in Betracht kommenden und derzeit
untersuchten Maßnahmen. Sie seien im Kapitel 2.3 der aktuellen
Planfortschreibung beschrieben. Dies zeige, dass nach der jetzigen
Fortschreibung direkt im Anschluss eine weitere Fortschreibung folge, die auch die
neu identifizierten Bereiche mit NO2-Überschreitungen beinhalten werde.
7 Im März 2012 ist die 2. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für den
Regierungsbezirk Tübingen, Teilplan Stadt Reutlingen, in Kraft getreten. Der
Beklagte führt darin aus, dass auch die Maßnahmen der 2. Fortschreibung nicht
zur Einhaltung der Grenzwerte führe und äußert darin Vorstellungen zum Inhalt
einer 3. Fortschreibung.
8 Die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für den Regierungsbezirk Tübingen,
Teilplan Stadt Reutlingen mit Eningen unter Achalm, vom Oktober 2014 befand
sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Auslegungsphase (vgl. § 47
Abs. 5a Satz 7 Bundesimmissionsschutzgesetz - BImSchG). Diese dauert bis
einschließlich zum 27.10.2014 an. Auch die Umsetzung der Maßnahmen der 3.
Fortschreibung führt nicht an allen Orten in der Stadt Reutlingen zur Einhaltung der
streitigen Werte für Stickstoffdioxid und Feinstaub PM10. Die 3. Fortschreibung
geht davon aus, dass der zulässige Tagesmittelwert für Feinstaub im Jahr 2013 in
der Lederstraße an 88 Tagen überschritten wird. Die festgelegten Maßnahmen
sollen auf der Basis des Jahres 2013 zu einer Reduzierung der Überschreitungen
um 5 Tage führen. Für Stickstoffdioxid geht die 3. Fortschreibung im Jahr 2013 in
der Lederstraße von 81,7 µg/m³ und einer Reduzierung durch die Maßnahmen auf
78,6 µg/m³ aus. Die gesetzlichen Grenzwerte werden damit nicht eingehalten. Die
3. Fortschreibung enthält ebenso wie die vorausgegangenen Pläne keine Aussage
dazu, wann mit der Einhaltung der Grenzwerte gerechnet werden kann. Sie trifft
auch keine Aussage dazu, wie sich die Fertigstellung des Scheibengipfeltunnels,
die für das Jahr 2017 vorgesehen ist, auf die Prognose der 3. Fortschreibung
auswirkt.
2.
9 Der Kläger hat bereits am 27.01.2012 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen
erhoben.
10 Er trägt vor, er sei als anerkannter Umweltschutzverband klagebefugt. Dies habe
das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren 7 C 21.12, an dem der Kläger
ebenfalls beteiligt gewesen sei, durch Urteil vom 05.09.2013 entschieden. Danach
sei die allgemeine Leistungsklage auch die richtige Klageart.
11 Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Änderung/Fortschreibung des für Reutlingen
geltenden Luftreinhalteplans zu. Er könne wie eine Person, die von einer
Grenzwertüberschreitung betroffen sei, die Aufstellung eines Luftreinhalteplans
verlangen, der Maßnahmen enthalte, die geeignet seien, auf einen Wert unterhalb
der Grenzwerte zurückzukehren (vgl. zum Anspruch einer betroffenen Person
während der Geltung der Richtlinie 96/62/EG des Rates über die Beurteilung und
die Kontrolle der Luftqualität: Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 25.07.2008 - C-
237/07 - „Janecek“). Diesen Anforderungen werde der Luftreinhalteplan des
Beklagten nicht gerecht. Dies ergebe sich daraus, dass der Plan für die
Schadstoffe Feinstaub und Stickstoffdioxid keine Maßnahmen aufzeige, die
geeignet seien, die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 BImSchG zu erfüllen.
Danach müssten die Maßnahmen des Luftreinhalteplans geeignet sein, den
Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden Immissionsgrenzwerten
so kurz wie möglich zu halten. Auch die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans
liefere schlichtweg keine Prognose dafür, wann dies bei Verwirklichung welcher
Maßnahmen jemals der Fall sein solle.
12 Der streitige Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid sei seit dem 01.01.2010
einzuhalten. Die Inanspruchnahme einer Fristverlängerung nach Art. 22 Abs. 1 der
Richtlinie 2008/50/EG sei gescheitert. Die Europäische Kommission habe gegen
die Verlängerung der Frist für den Jahresmittelwert bis zum 31.12.2014 mit
Beschluss vom 20.02.2013 Bedenken geäußert und sie damit abgelehnt.
13 Der Beklagte verkenne die rechtliche Situation. Ein Ermessen dahingehend, dass
ein Luftreinhalteplan aufgestellt werde, bei dem trotz Umsetzung der darin
enthaltenen Maßnahmen immer noch die Grenzwerte gerissen würden, bestehe
nicht. Dies sei bereits nach alter Rechtslage so gewesen und entspreche auch
dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Sache „Janecek“. Ein
Umsetzungsermessen stehe dem Beklagten nicht zu. Er habe lediglich ein
Auswahlermessen zur Wahl der zur Zielerfüllung geeigneten Maßnahmen. Das
Verhältnismäßigkeitsprinzip bestehe nur bei der Auswahl der zu treffenden
Maßnahmen, nicht aber bei der Frage, ob ein Luftreinhalteplan überhaupt
Maßnahmen enthalte, die eine Grenzwerteinhaltung in kürzest möglicher Zeit
gewährleisteten. Dem werde der Plan nicht gerecht, was auch die
Klageerwiderung nachdrücklich bestätige.
14 Ein Vorgehen in „Trippelschritten“, bei dem der Grenzwert für Feinstaub nach fast
zehn Jahren und der Grenzwert für Stickstoffdioxid nach fünf Jahren nach seinem
Inkrafttreten überschritten seien, sei mit dem Wortlaut der Richtlinie 2008/50/EG
unvereinbar. Nach Art. 23 Richtlinie 2008/50/EG müssten Maßnahmen ergriffen
werden, mit denen der Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie
möglich gehalten werden könne. Entsprechendes habe der Gerichtshof der
Europäischen Union in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien (Urteil
vom 19.12.2012 - C 68/11 -) festgestellt. Das von der Beklagten vorgelegte
Gutachten L. vom April/August 2012 bestätige, dass der Kläger nichts objektiv
Unmögliches verlange. Eine Grenzwerteinhaltung sowohl bei Stickstoffdioxid als
auch bei Feinstaub PM10 sei mit den darin aufgezeigten strengen Maßnahmen
(Konzept L. „SG-Tunnel, Eingriff-SZ, ZU-ST3M.B-STR“) möglich. Dagegen
benenne der Beklagte in seinen Fortschreibungen jeweils nur Maßnahmen, die er
aktuell als opportun ansehe.
15 Nur Fälle höherer Gewalt könnten nach der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs die Nichteinhaltung der Grenzwerte rechtfertigen. Die Notwendigkeit
der Aufwendung erheblicher finanzieller Mittel gehöre dazu nicht. Höhere Gewalt
liege nach dem Urteil vom 17.10.2013 - C-203/12 - nur dann vor, wenn sich der
Mitgliedstaat auf äußere Ursachen berufen könne, deren Folgen unvermeidbar
und unausweichlich seien und die zur Folge hätten, dass dem Mitgliedstaat die
Einhaltung seiner Verpflichtung objektiv unmöglich werde.
16 Neben der Durchführung des Konzepts L. kämen folgende Maßnahmen in
Betracht: Vollständige Ausstattung der kommunalen Busflotte mit SRCT-Filtern,
Anschaffung neuer Busse mit Euro 6-Standard, Systeme der Verkehrssteuerung,
kostenfreier ÖPNV, Einführung eines Bürgertickets, bundesweite Einführung einer
„blauen Plakette“, Umrüstung der Taxiflotte auf Erdgas- bzw. Benzinhybridtaxen,
deutlich schnellerer Ausbau der Fahrradmobilität.
17 Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung
vorgetragen, sein Ziel sei nicht die Verlagerung des Verkehrs von der Lederstraße
in die Oststadt. Mit Fantasie könne die Oststadt von zusätzlichem Verkehr
freigehalten werden. Jedenfalls nach der Fertigstellung des Scheibengipfeltunnels
sei Verkehr in der Lederstraße dort durch zusätzliche Maßnahmen weiter zu
vermindern.
18 Der Kläger beantragt,
19 den Beklagten zu verurteilen, den für Reutlingen geltenden Teilplan des
Luftreinhalteplans für den Regierungsbezirk Tübingen so zu ändern, dass dieser
die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein
Kalenderjahr gemittelten Emissionsgrenzwerts für NO2 in Höhe von 40 µg/m³ und
des über den Tag gemittelten Emissionsgrenzwertes für Feinstaub PM10 von 50
µg/m³ bei 35 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr im Stadtgebiet von
Reutlingen enthält,
20 hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, den Kläger unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts so zu bescheiden, dass eine Änderung des für
Reutlingen geltenden Luftreinhalteplans die erforderlichen Maßnahmen zur
schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten
Immissionsgrenzwertes für NO2 in Höhe von 40 µg/m³i und des über den Tag
gemittelten Immissionsgrenzwertes für Feinstaub PM10 von 50 µg/m³ bei 35
zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr im Stadtgebiet Reutlingen
enthält.
21 Der Beklagte beantragt,
22 die Klage abzuweisen.
23 In der Klageerwiderung macht der Beklagte detaillierte Ausführungen zu den
streitigen Grenzwerten in der Lederstraße in Reutlingen. Hauptverursacher sei der
Straßenverkehr (auf die Klageerwiderung wird insoweit verwiesen). Der Beklagte
habe von der Möglichkeit der Fristverlängerung für Feinstaub PM10 bis zum
11.06.2011 Gebrauch gemacht. Mit Entscheidung vom 26.11.2009 habe die EU-
Kommission hinsichtlich des Tagesgrenzwertes für Feinstaub die entsprechende
Fristverlängerung zugestanden.
24 Die Klage sei nicht begründet. Nach EU-Recht seien die Mitgliedstaaten
verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, die die Grenzwertüberschreitungen auf ein
Minimum verringerten, um schrittweise die Unterschreitung dieser Werte zu
erreichen. Die Auswahl der Maßnahmen habe entsprechend § 47 Abs. 4 BImSchG
nach planerischen Gesichtspunkten zu erfolgen. Hierbei stehe dem Beklagten ein
Gestaltungsspielraum zu, der lediglich einer eingeschränkten gerichtlichen
Kontrolle unterliege. Dies gelte auch im Hinblick auf den Zeitpunkt der Einhaltung
der Grenzwerte. Die Luftreinhaltebehörde habe zwischen den Belangen der von
den Immissionen Betroffenen und den Belangen der durch die Maßnahme
belasteten Verkehrsanlieger, Verkehrsteilnehmer und den allgemeinen
Verkehrsbedürfnissen abzuwägen. Dabei sei neben dem Umweltschutz auch der
Grundsatz des freien Warenverkehrs nach dem Europarecht zu berücksichtigen.
Gemäß § 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG müssten die Maßnahmen eines
Luftreinhalteplans geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung so kurz wie
möglich zu halten. Bewusst habe der Gesetzgeber angesichts der Umsetzbarkeit
nicht die Formulierung schnellstmöglich gewählt, wohlwissend, dass die
Luftreinhalteplanung ein langjähriger Prozess sei, der angesichts der Komplexität
nicht von heute auf morgen bewältigt werden könne. Infolgedessen bestehe auch
kein Anspruch des Klägers darauf, dass es zu keinerlei Überschreitungen mehr
komme.
25 Nach anerkannter Ansicht könnte an einen Luftreinhalteplan nicht der Anspruch
gestellt werden, das Problem der Luftverunreinigung kurzfristig vollständig zu
lösen. Im Einzelfall könne eine derart geforderte Gewährleistung tatsächlich
unmöglich und rechtlich unverhältnismäßig sein. So liege der Fall hier. Der
Handlungsspielraum der zuständigen Regierungspräsidien sei eingeschränkt, da
sie allenfalls Maßnahmen auf lokaler und regionaler Ebene veranlassen könnten.
Die EU-Vorschriften über den Schadstoffausstoß von Kraftfahrzeugen hinkten den
Anforderungen, die die Richtlinie 2008/50/EG an die Luftqualität stelle, hinterher.
Für die Beschränkung des Ausstoßes von Feuerungsanlagen sei der Bund
zuständig, der die entsprechenden Grenzwerte in der 1.
Bundesimmissionsschutzverordnung regele. Lokale und regionale
Gebietskörperschaften könnten die Verbesserung der Luftqualität vor Ort nur
räumlich begrenzt beeinflussen. Aufgrund der besonderen örtlichen
Gegebenheiten habe bislang keine anderweitige Lösungsmöglichkeit realisiert
werden können. Insbesondere habe die Verkehrsbelastung der Lederstraße nicht
durch generelle Fahrverbote (z.B. Lkw-Durchfahrtsverbote) gemindert werden
können. Bei der Lederstraße handele es sich um eine Verkehrsleistung von rund
54.000 Fahrzeugen am Tag und damit um eine zentrale Verkehrsachse. Eine
Umfahrungsmöglichkeit bestehe nicht. Eine solche Verkehrsachse könne nicht
kurzfristig in drastischer Weise in ihrer Verkehrsleistung beschränkt werden.
26 Es werde nicht verkannt, dass die Luftreinhaltebehörde unabhängig von diesen
Erwägungen verpflichtet sei, die Luftqualität durch lokale Maßnahmen schrittweise
und zeitnah unter Beachtung von Eignung und Wirkung und des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit weiter zu verbessern. Im Einzelnen handele es sich um die
Maßnahmen, die in der 2. und 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für
Reutlingen festgeschrieben seien.
27 Der Vorwurf des Klägers, seitens des Beklagten bestehe kein Konzept, wie einer
Einhaltung der Grenzwerte nähergekommen werde, sei unbegründet. Dies könne
am Beispiel Stickstoffdioxid verdeutlicht werden. Der Jahresmittelwert für
Stickstoffdioxid habe im Jahr 2005 bei 55 µg/m³ gelegen. Mit den Maßnahmen der
Fahrverbotsstufe 1 bis 3 und dem Verkehrsentwicklungsplan sei ein
Minderungspotenzial von 13 bis 14 µg/m³ erschließbar. Für die Maßnahme
Scheibengipfeltunnel seien zusätzlich weitere 13 bis 14 µg/m³ zu erwarten, so
dass durchaus ein Konzept bestanden habe, wie eine Einhaltung des Grenzwerts
für Stickstoff realisiert werden konnte. Allerdings hätten sich durch eine Reihe nicht
beeinflussbarer Effekte gegenläufige Entwicklungen ergeben. Zu nennen seien in
diesem Zusammenhang der seit 2005 zu beobachtende verstärkte Trend zu
dieselbetriebenen Kraftfahrzeugen, weiter steigende Fahrleistungen, generell
festgestellte Differenzen zwischen den Prognosen zugrunde liegenden
Emissionsfaktoren der Fahrzeuge bei Prüfstandsversuchen und den Emissionen
der Fahrzeuge im realen Verkehr. Weiter habe in der Reutlinger Lederstraße eine
Rolle gespielt, dass die seitherige Messstation abgebaut und an einer stärker
exponierten Stelle neu errichtet worden sei. Zusammenfassend könne daher
gesagt werden, dass die angespannte Situation hinsichtlich der Luftschadstoffe
Feinstaub PM10 und Stickstoffdioxid für den Beklagten Anlass sei, weitere
mögliche Maßnahmen zu prüfen. Es seien aufwändige Verfahren notwendig, die
einen gewissen zeitlichen Rahmen erforderten.
28 Nach dem Gutachten L. könne der Grenzwert in der Lederstraße nur eingehalten
werden, wenn der Verkehr um 60% vermindert werde. Dies hätte aber massivste
Eingriffe in den Straßenverkehr zur Folge (Rückbau der B312/313 von zwei
Fahrspuren pro Richtung auf einen Fahrstreifen pro Richtung, die Einführung einer
Busspur sowie Umsetzung und konsequente Durchsetzung von Tempo 30 auf
dieser Straße und zusätzlich auch die Inbetriebnahme des im Bau befindlichen
Scheibengipfeltunnels sowie ein ganzjähriges Fahrverbot in der Umweltzone
Reutlingen inklusive Bundesstraßen für Kraftfahrzeuge der Schadstoffgruppe 3
und ein Lkw-Durchfahrtsverbot auf der B312/313). Die damit verbundene
Verkehrsverlagerung würde jedoch zu einer erheblichen zusätzlichen Belastung in
das nachgeordnete städtische Straßennetz mit den Wohnstraßen führen, das
bereits heute schon stark belastet sei. Ein solches Extremszenario, welches zwar
punktuell an der Lederstraße die Einhaltung des NO2-Grenzwertes mit 39,5 µg/m³
ermöglichen könne, jedoch auch zu weiteren und zusätzlichen Überschreitungen
an anderen Stellen im Stadtgebiet führe, sei nicht verhältnismäßig.
29 Für die vom Kläger zuletzt vorgeschlagenen Maßnahmen fehle dem Beklagten die
Kompetenz. Im Ergebnis sei somit festzuhalten, dass der Beklagte alle ihm aktuell
zur Verfügung stehenden und geeigneten Maßnahmen ausgeschöpft habe.
30 Die Vertreter des Beklagten haben in der mündlichen Verhandlung vorgetragen,
das Lkw-Durchfahrtsverbot in der Eberhardstraße und in der Karlstraße, das aus
der 3. Veröffentlichung der 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Reutlingen
wieder ausgeklammert worden sei, werde durchgesetzt. Das fehlende
Einvernehmen der Beigeladenen mit dieser Maßnahme werde ersetzt werden. Das
Lkw-Durchfahrtsverbot diene in erster Linie den Personen, die in diesen Straßen
wohnten, nicht der Entlastung der Lederstraße.
31 Die Beigeladene beantragt,
32 die Klage abzuweisen.
33 Zur Begründung schildert die Beigeladene die Geschichte der Luftreinhaltepläne
für Reutlingen seit dem Jahr 2005 einschließlich der laufenden 3. Fortschreibung
und benennt weitere Maßnahmen. Sie zählt die Maßnahmen, die bereits
umgesetzt wurden, auf.
34 Im Wesentlichen befasst sich die Beigeladene mit dem vom Kläger favorisierten
Konzept L. „SG-Tunnel (=Scheibengipfel-Tunnel) + Konzept mit extremer
Grenzwerteinhaltung“. Kernpunkt dieses Konzepts ist die Einziehung jeweils einer
Fahrspur in beide Richtungen in der Lederstraße für den allgemeinen Verkehr und
die Reservierung der „eingezogenen“ Fahrspur für den öffentlichen Nahverkehr.
Die Beigeladene wendet sich gegen diese Maßnahme insbesondere vor der
Eröffnung des Scheibengipfeltunnels und trägt vor, die Maßnahme habe mehr als
eine Halbierung des Verkehrs in der Lederstraße zum Ziel. Eine Ausweichtrasse
entstehe aber erst mit der Eröffnung des Scheibengipfeltunnels. Folge sei eine
Verlagerung des Durchgangsverkehrs vor allem in die Oststadt Reutlingens,
welche aus verschiedenen Gründen (erhebliche Verkehrszunahme in der Oststadt
und dadurch Gefährdung der Verkehrssicherheit, insbesondere für Fußgänger,
und Zunahme des Verkehrslärms) unzumutbar sei. Das Ziel der Beigeladenen in
der Vergangenheit sei vielmehr eine Bündelung des Verkehrs in der Lederstraße,
wo relativ wenig Leute wohnten, und eine Entlastung der Oststadt gewesen, wo
aber dennoch bereits jetzt ein erheblicher Straßenverkehr stattfinde.
35 Der Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen hat in der mündlichen Verhandlung
nochmals das Interesse der Beigeladenen hervorgehoben, den Verkehr nicht von
der Lederstraße in andere innerstädtische Straßen zu verlagern. Die Fertigstellung
des Scheibengipfeltunnels sei abzuwarten. Bis dahin sei auch besser abzusehen,
wie sich andere in den Luftreinhalteplänen festgesetzte und umgesetzte
Maßnahmen und insbesondere auch die Modernisierung der Fahrzeugflotte
(Stichwort Euro-6 Norm) auswirkten.
36 Der Kammer haben die Akten des Beklagten aus der Aufstellung der
Luftreinhaltepläne für Reutlingen (einschließlich 2. Fortschreibung), 3 Bände
Beiakten, das Gutachten L. (April/August 2012) zur 2. Fortschreibung des
Luftreinhalteplans, die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans nebst Gutachten L.
(Dezember 2012/Mai 2013) und das Abwägungsdokument vorgelegen. Wegen der
weiteren Einzelheiten wird darauf sowie auf die Gerichtsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
37 Die Klage ist zulässig.
38 Die Klagebefugnis des Klägers sowie die Zulässigkeit der allgemeinen
Leistungsklage und des gestellten Antrags sind durch Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 05.09.2013 - 7 C 21.22 - juris (RdNr. 38 ff: Klagebefugnis; RdNr. 52 ff:
Bestimmtheit des Klageantrags) wird verwiesen.
39 Die Klage ist auch begründet.
40 Der Tatbestand gibt den protokollierten Antrag des Klägers wieder, in dem sich das
Wort „Emissionsgrenzwert“ findet. Die Kammer legt den Antrag entsprechend dem
schriftsätzlich gestellten Antrag in dem Sinne aus, dass es dem Kläger um die
Einhaltung der Immissionsgrenzwerte geht. Auf den Berichtigungsbeschluss der
Kammer vom 13.11.2012, der im Urteilstenor das Wort „Emissionsgrenzwert“ durch
das Wort „Immissionsgrenzwert“ ersetzt, wird verwiesen.
41 Die Klage ist bereits mit ihrem Hauptantrag begründet, weil der Beklagte seinen
Verpflichtungen aus § 47 Abs. 1 BImSchG, deren Erfüllung der Kläger einfordern
kann, mit den bestehenden Luftreinhalteplänen noch nicht nachgekommen ist. Der
Hauptantrag ist als Antrag im Sinne eines Bescheidungsantrags zu verstehen, da
der Kläger nicht die Verurteilung des Beklagten zur Aufnahme bestimmter
Maßnahmen in einen Luftreinhalteplan verlangt. Die vom Kläger in seiner
Begründung genannten Maßnahmen dienen nur der Verdeutlichung, dass der
Beklagte das Erforderliche noch nicht getan hat und Maßnahmen zur Einhaltung
der Grenzwerte noch in Betracht kommen (vgl. zur Einordnung eines
inhaltsgleichen Antrags als Bescheidungsantrag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil
vom 05.09.2013 - 7 C 21.22 - juris RdNr. 56). Mit diesem Bescheidungsantrag
beachtet der Kläger das Planungsermessen, das der Beklagte bei der Auswahl der
Maßnahmen für die Einhaltung der Grenzwerte hat.
42 Maßgeblich ist der Stand der Luftreinhalteplanung der 3. Fortschreibung des
Luftreinhalteplans für Reutlingen. Zwar befand sich die 3. Fortschreibung im
Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch in der Auslegungsphase und war
damit noch nicht rechtsverbindlich. Ihr Inhalt stand aber bei der Entscheidung der
Kammer bereits verbindlich fest und für ihr Wirksamwerden war außer dem
Zeitablauf der Auslegung nichts Weiteres mehr erforderlich. Die 3. Fortschreibung
tritt am 28.10.2014 in Kraft.
43 Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die Werte der 39.
Bundesimmissionsschutzverordnung auch bei Umsetzung der Maßnahmen, die
noch Gegenstand der 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Reutlingen sind,
nicht überall in Reutlingen eingehalten werden. Dies ist in der Lederstraße, der
Karlstraße, der Konrad-Adenauer-Straße und der Mittnachtstraße beim
Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid (§ 3 Abs. 2 39. BImSchV) der Fall (vgl. Tabelle
auf Seite 25 der 3. Fortschreibung). In der Lederstraße wird dieser Wert von 40
µg/m³ nach der Prognose für das Referenzjahr 2013 und Umsetzung der
Maßnahmen bezogen auf dieses Jahr beinahe um das Doppelte (78,6 µg/m³)
überschritten. In den übrigen Straßen ist die prognostizierte
Grenzwertüberschreitung (49,3 µg/m³, 41,7 µg/m³ und 41.7 µg/m³) weniger
gravierend. Beim Immissionsgrenzwert für Partikel (= Feinstaub) (PM10) liegt eine
Überschreitung der zugelassenen Überschreitungen des Tagesgrenzwertes (§ 4
Abs. 1 39. BImSchV) in der Lederstraße vor. Die 3. Fortschreibung geht von 83
Überschreitungen des Tagesgrenzwertes von 50 µg/m³ bezogen auf den
Referenzfall 2013 und bei Umsetzung der Maßnahmen bezogen auf das
Referenzjahr 2013 aus, bei 35 zulässigen Überschreitungen. Bei den übrigen
untersuchten Straßen kommt es nicht zu Überschreitungen des Feinstaubwerts
(vgl. Tabelle 5 auf Seite 9 des Gutachtens L. Dezember 2012/Mai 2013).
44 Damit ist den Anforderungen des § 47 Abs. 1 BImSchG nicht ausreichend
Rechnung getragen. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BImSchG hat die zuständige
Behörde einen Luftreinhalteplan aufzustellen, welcher die erforderlichen
Maßnahmen zur dauerhaften Verminderung von Luftverunreinigungen enthält,
wenn die Immissionsgrenzwerte einer Rechtsverordnung nach § 48a BImSchG
(hier: 39. Bundesimmissionsschutzverordnung) überschritten werden. Nach § 47
Abs. 1 Satz 3 BImSchG müssen die Maßnahmen eines Luftreinhalteplans
geeignet sein, den Zeitraum einer Überschreitung von bereits einzuhaltenden
Immissionsgrenzwerten so kurz wie möglich zu halten.
45 Die Werte für Feinstaub sind nach Ausschöpfung der Verlängerungsmöglichkeiten
seit dem 11.06.2011 einzuhalten. Der hier streitige Jahresmittelwert für
Stickstoffdioxid ist seit dem 01.01.2010 auch in Reutlingen verbindlich. Den
Verlängerungsantrag der Bundesrepublik Deutschland für die Einhaltung dieses
Wertes erst nach dem 31.12.2014 hat die EU-Kommission durch Beschluss vom
20.02.2013 abgelehnt.
46 Zu § 47 Abs. 1 BImSchG hat das Bundesverwaltungsgerichts in seinem bereits
angesprochenen Urteil vom 05.09.2013 - 7 C 21.22 - juris RdNr. 59f das Folgende
ausgeführt, das auch die Kammer ihrer Entscheidung zugrunde legt:
47 „[59] § 47 Abs. 1 Satz 3 BImSchG normiert in Übereinstimmung mit Art. 23 Abs. 1
UAbs. 2 Satz 1 RL 2008/50/EG eine zeitliche Vorgabe für die Erreichung des in §
47 Abs. 1 Satz 1 und 2 BImSchG festgelegten Ziels der Einhaltung der
Grenzwerte. Die Schadstoffbelastung der Luft soll im Interesse eines effektiven
Gesundheitsschutzes möglichst schnell auf das ausweislich des
Immissionsgrenzwerts als noch zumutbar erachtete Ausmaß zurückgeführt
werden. An diesem Minimierungsgebot muss sich die Entscheidung der Behörde
ausrichten; es ist zugleich rechtlicher Maßstab für die angesichts der
Gestaltungsspielräume der Behörde eingeschränkte gerichtliche Kontrolle. Das
Gebot, die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte möglichst schnell zu
beenden, fordert eine Bewertung der zur Emissionsminderung geeigneten und
verhältnismäßigen Maßnahmen gerade im Hinblick auf eine zeitnahe
Verwirklichung der Luftqualitätsziele. Daraus kann sich eine Einschränkung des
planerischen Ermessens ergeben, wenn allein die Wahl einer bestimmten
Maßnahme eine baldige Einhaltung der Grenzwerte erwarten lässt (vgl.
Köck/Lehmann, a.a.O. S. 70 f.). Auch insoweit wird aber nicht vorausgesetzt, dass
die zu ergreifenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen;
vielmehr kann auch hier - nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitgrundsatzes -
ein Vorgehen in mehreren Stufen vorgesehen werden (Köck/Lehmann, a.a.O. S.
71). Dem trägt das Verwaltungsgericht dadurch Rechnung, dass es im
Entscheidungsausspruch nicht zu einer sofortigen, sondern ausdrücklich nur zur
schnellstmöglichen Zielerreichung verpflichtet.
48 [60] bb) Der Beklagte kann sich zur Stützung seiner abweichenden
Rechtsauffassung, wonach es schon ausreiche, dass ein Luftreinhalteplan die
Einhaltung der Immissionsgrenzwerte jedenfalls schrittweise anstrebe, auf die
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 25. Juli 2008 in der
Rechtssache C-237/07, nicht berufen. Denn diese Entscheidung ist zu einer
insoweit anderen Rechtslage ergangen. Sie bezieht sich auf Aktionspläne nach
Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG. Abgesehen von der unterschiedlichen Zielsetzung von
Luftreinhalteplänen und Aktionsplänen bzw. Plänen für kurzfristig zu ergreifende
Maßnahmen ist in der genannten Vorschrift im Unterschied zu Art. 23 Abs. 1
UAbs. 2 RL 2008/50/EG der ausdrückliche Hinweis auf die Eignung der zu
ergreifenden Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des Grenzwerts
nicht enthalten; die Maßnahmen sollen nach Art. 7 Abs. 3 RL 96/62/EG lediglich
dazu dienen, die Gefahr der Überschreitung zu verringern und die Dauer der
Überschreitung zu beschränken. Der Europäische Gerichtshof hat aus dem
Aufbau der Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten entnommen,
Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Dauer der Überschreitung unter
Berücksichtigung aller Umstände auf ein Minimum zu reduzieren (Urteil vom 25.
Juli 2008 a.a.O. Rn. 45). Wenn hiernach auch insoweit ein Minimierungsgebot gilt,
ist der Entscheidung nicht etwa zu entnehmen, dass die Möglichkeit zur
schrittweisen Erreichung der Grenzwerte voraussetzungslos eingeräumt sein soll.
Vielmehr muss sich die Maßnahme auch unter Berücksichtigung des zeitlichen
Moments rechtfertigen lassen“.
49 Aus dem Wortlaut des § 47 Abs. 1 BImSchG und aus seiner Auslegung durch das
Bundesverwaltungsgericht folgt zur Überzeugung der Kammer, dass die Erstellung
eines Luftreinhalteplans erforderlich ist, der auf das Ziel der Einhaltung der
Grenzwerte in möglichst kurzer Zeit ausgerichtet ist. Aus dem Zusammenhang von
§ 47 Abs. 1 Satz 1 und 3 BImSchG folgt, dass der Plan (alle) Maßnahmen
enthalten muss, die für die Zielerreichung erforderlich sind und dass der Zeitraum,
der für die Einhaltung der Grenzwerte benötigt wird, so kurz wie möglich zu halten
ist. Der Zeitraum, der erforderlich ist, um die Überschreitung so kurz wie möglich zu
halten, lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Er hängt von jeweiligen örtlichen
Umständen und den erforderlichen Maßnahmen ab. Der Zeitraum kann kürzer
oder länger sein, je nachdem, wieviel Zeit die Umsetzung der Maßnahmen im
Einzelfall erfordert. Ob die zuständige Behörde ihren Verpflichtungen
nachgekommen ist, lässt sich aber nur dann feststellen, wenn hinter der Planung
ein Gesamtkonzept steht, das die Einhaltung der Werte zum Ziel hat. Es reicht
nicht aus, sich in der Planung nur mit einzelnen Maßnahmen zu beschäftigen und
dabei offen zu lassen, wann das Gesamtziel aufgrund welcher Maßnahmen
erreicht sein wird. Der Bürger und stellvertretend für ihn der Kläger kann nur dann
prüfen, ob seinem Anspruch auf Aufstellung eines effektiven Luftreinhalteplans
Genüge getan ist, wenn der Luftreinhalteplan entsprechende Aussagen enthält.
Sollte es punktuell mittelfristig rechtlich oder tatsächlich nicht möglich sein, das Ziel
zu erreichen, wäre auch das in einem Luftreinhalteplan darzustellen. Denn der
Bürger bzw. der Kläger soll schon im Vorfeld einer Klage erkennen können, ob
sein Anspruch erfüllt ist oder nicht, damit er sein Verhalten danach ausrichten
kann.
50 Diesen Anforderungen genügen die 2. und die 3. Fortschreibung des
Luftreinhalteplans für Reutlingen nicht. Ob die genannten Anforderungen in diesem
Umfang schon an den ursprünglichen Luftreinhalte- und Aktionsplan aus dem Jahr
2005 und seine erste Fortschreibung zu stellen waren, kann offen bleiben. Letztere
wurden unter der Geltung anderer rechtlicher Voraussetzungen aufgestellt. Damals
waren noch die Richtlinie 96/62/EG des Rates vom 27.09.1996 mit ihren später
erlassenen Tochterrichtlinien und die entsprechenden nationalrechtlichen
Vorschriften maßgeblich.
51 Die 2. und die 3. Fortschreibung des Luftreinhalteplans für Reutlingen bauen zwar
auf den vorangegangen Plänen auf. Sie dienen aber in erster Linie der
Rechtfertigung der in ihnen zusätzlich festgelegten Maßnahmen und lassen ein
Gesamtkonzept vermissen. Es bleibt in ihnen offen, welche Maßnahmen aus dem
Ursprungsplan noch aktuell sind. So scheint der als Teil-Maßnahme „RT-1“
bestimmte Bau der Dietwegtrasse aufgegeben worden sein, ohne diese
Maßnahme aus der Planung zu streichen und die Streichung nachvollziehbar zu
machen. Es wird in der 2. und 3. Fortschreibung auch nicht erkennbar, ob
zusätzlich zu den beschlossenen Maßnahmen aus früher beschlossenen
Maßnahmen noch ein Potential zur Verminderung der Grenzwerte besteht, das
neben den aktuell beschlossenen Maßnahmen dazu kommt. Der sich im Bau
befindliche Scheibengipfeltunnel ist zwar durchweg ein Thema. Es wird aber aus
den Fortschreibungen nicht deutlich, in welchem Umfang er sich zusammen mit
den neu beschlossenen Maßnahmen positiv auswirkt.
52 Der Bau des Scheibengipfeltunnels ist nach der Umsetzung bereits früher
beschlossener und verwirklichter Maßnahmen und neben den neuen Maßnahmen
der 3. Fortschreibung zwar eine zentrale Maßnahme zur Einhaltung der
Grenzwerte. Es ist aber nicht erkennbar, dass die Grenzwerte nach der
Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels eingehalten werden. Dies gilt jedenfalls
für die Einhaltung der Grenzwerte in der Lederstraße. Nach dem Gutachten L.
April/August 2012 (Seite 32 und 36) reicht die Entlastung durch den Bau des
Scheibengipfeltunnels zusammen mit anderen Maßnahmen zur Einhaltung der
Grenzwerte nur dann aus, wenn zusätzlich der Verkehr in der Lederstraße
beschränkt wird. Für Stickstoffdioxid wird im Falle von Verkehrsbeschränkungen in
der Lederstraße auf der Basis des Referenzfalls 2015 ein Jahresmittelwert von
39,5 µg/m³ und damit die Einhaltung des Grenzwertes prognostiziert. Für
Feinstaub PM10 geht das Gutachten von einem Jahresmittelwert von 25,2 µg/m³
aus. Dieser Wert spricht bei einem Schwellenwert von 28,0 µg/m³ für die
Einhaltung der zulässigen Überschreitungstage für den Tagesmittelwert 50,0
µg/m³. Das bedeutet, dass der Beklagte im Hinblick auf die Lederstraße
zusammen mit anderen bereits beschlossenen Maßnahmen noch nicht genug
veranlasst hat, um die Einhaltung der Grenzwerte sicherzustellen, da weitere noch
nicht beschlossene Maßnahmen erforderlich sind - dies obwohl der Beklagte und
die Beigeladene bereits umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der
Luftqualität umgesetzt haben.
53 Die Kammer ist zwar zu der Überzeugung gekommen, dass vor der
Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels eine Verminderung der
Leistungsfähigkeit der Lederstraße nicht in Betracht kommt, dass sie aber als
Objekt einer Maßnahme nicht ausscheidet, wenn nach der Eröffnung des
Scheibengipfeltunnels andere verhältnismäßige Maßnahmen für die Einhaltung
der Grenzwerte nicht zur Verfügung stehen. Die Verlagerung des Verkehrs weg
von der Lederstraße schon vor der Eröffnung des Scheibengipfeltunnels würde
nicht nur dazu führen, dass sich der Verkehr in andere innerstädtische Straßen der
Stadt Reutlingen verlagern würde. Auch der Durchgangsverkehr durch die Stadt
Eningen wurde sich merklich, nämlich um 3100 Fahrzeuge täglich, erhöhen (vgl.
Gutachten L. April/August 2012, Anhang A3, Schaubild ‚„Differenz „Planfall 1 zu
Bestand“ Gesamtstadt“‘). Der Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid liegt aber bereits
heute nicht unerheblich über dem Grenzwert, wie der Abbildung 4.8 auf Seite 44
des Gutachtens L., Dezember 2012/Mai 2013 zu entnehmen ist. Auf der Basis des
Referenzfalls 2013 liegt er bei mehr oder weniger 50 µg/m³ und sinkt bei
Erstreckung der Umweltzone auch auf Eningen nur auf ca. 49 µg/m³. Maßnahmen
zur Entlastung einer Straße, die zwangsläufig dazu führen, dass der Grenzwert an
anderer Stelle noch weiter als bisher überschritten wird, sind unzulässig.
54 Gleiches würde wohl für die Oststadt nicht gelten, da nach dem Gutachten L.
April/August 2012 die Grenzwerte für Stickstoffdioxid und Feinstaub PM10 dort
noch erheblich unterschritten werden und auch bei Entstehung zusätzlichen
Verkehrs die Grenzwerte nicht überschritten würden. Anders als vom
Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen vorgetragen, ist die Verlagerung von
Verkehr zur Einhaltung der Grenzwerte der 39.
Bundesimmissionsschutzverordnung auch nicht von vornherein unzulässig. So
führt auch der zweifellos rechtmäßige Bau des Scheibengipfeltunnels zu nichts
anderem als einer, in dem Fall dann aber erwünschten, Verkehrsverlagerung. Die
Kammer geht aber davon aus, dass derzeit eine Einschränkung der
Leistungsfähigkeit der Lederstraße aufgrund der Folgen, die sich vor der
Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels einstellen würden, unverhältnismäßig
wäre (vgl. zum Erfordernis der Verhältnismäßigkeit: Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 05.09.2013 - 7 C 21.22 - juris RdNr. 59, Jarass,
Bundesimmissionsschutzgesetz, 10. Auflage 2013, § 47 RdNr. 16). Die Frage der
Verhältnismäßigkeit steht in einem Spannungsverhältnis zu der
uneingeschränkten Verpflichtung zur Einhaltung der Grenzwerte und ist im Lichte
dieser Verpflichtung auszulegen. Führt das Unterlassen einer denkbaren
Maßnahme nur zu einer Verzögerung der Einhaltung der Grenzwerte und schließt
es die Einhaltung der Grenzwerte nicht auf erhebliche Zeit oder gar auf Dauer aus,
kann es der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtfertigen, die Maßnahme zu
unterlassen, wenn bereits eine andere Maßnahme auf den Weg gebracht ist, die
nach ihrer Verwirklichung die fragliche Maßnahme zum großen Teil wieder
überflüssig machen würde. Die Unverhältnismäßigkeit liegt derzeit darin begründet,
dass aufgrund der erheblichen Verkehrszunahme in den Straßen, die parallel zur
Lederstraße liegen, erhebliche Folgemaßnahmen durchzuführen wären, um die
Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten und um relevante
Unzuträglichkeiten für die dortigen Anwohner zu vermindern. Diese Maßnahmen,
die sich auch nicht von heute auf morgen umsetzten ließen, könnten aber mit der
Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels zumindest teilweise wieder obsolet
werden, weil dieser nach der vorliegenden Gutachtenlage zu einer erheblichen
Entlastungswirkung für die Reutlinger Innenstadt führen wird. Nach dem Vergleich
der Darstellungen im Gutachten L. April/August 2012 (Anhang A3, Schaubild
‚„Differenz „Planfall 1 zu Bestand“ Innenstadt“‘ einerseits und ‚„Differenz „Planfall 2
zu Bestand“ Innenstadt“‘) würde sich der Ausweichverkehr in der Innenstadt
Reutlingen wieder erheblich reduzieren. In der Albstraße geht die Prognose ohne
Scheibengipfeltunnel von zusätzlichen 4900 Fahrzeugen und mit
Scheibengipfeltunnel von zusätzlichen 1900 Fahrzeugen aus. In der Gartenstraße
betragen die entsprechenden Werte zwischen 2200 und 1800 Fahrzeuge bzw.
zwischen 500 und 300 bei etwa 11000 Fahrzeugen, die heute dort schon
verkehren.
55 Nach der Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels stellt sich die Frage der
Verhältnismäßigkeit der Reduzierung der Leistungsfähigkeit der Lederstraße
wegen des dann reduzierten Verkehrs wieder neu. Es reicht dann aber nicht aus,
lediglich die Probleme aufzuzählen, die entstehen, wenn nach der Inbetriebnahme
des Scheibengipfeltunnels die Leistungsfähigkeit der Lederstraße vermindert wird,
wie es der Beklagte und die Beigeladene bislang getan haben. Vielmehr ist es
bereits heute im Rahmen der Fortschreibung des Luftreinhalteplans erforderlich,
ernsthaft zu untersuchen, wie den Folgen einer zwar nicht unerheblichen, aber
gleichwohl zur Einhaltung der Grenzwerte unzureichenden Verkehrsverlagerung
nach Eröffnung des Scheibengipfeltunnels durch planerische und
verkehrslenkende Maßnahmen entgegengewirkt werden soll. Da der Zeitraum der
Überschreitung der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten ist, ist es Aufgabe
des Beklagten, bereits jetzt Maßnahmen zu untersuchen, die zusammen mit der
Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels zur Einhaltung der Grenzwerte führen
können. Ein Zuwarten bis nach Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels
verbietet sich aufgrund der durch die gesetzlichen Vorschriften vorgegebenen
zeitlichen Komponente zur Einhaltung der Grenzwerte. Nach Inbetriebnahme des
Scheibengipfeltunnels kann es nur noch um eine Feinsteuerung der erforderlichen
Maßnahmen gehen.
56 Sofern der Beklagte (wie er vorträgt) mit Maßnahmen in seiner eigenen Kompetenz
eine Einhaltung der Grenzwerte nicht gewährleisten kann, ist er auch verpflichtet,
konsensuale Lösungen mit der Beigeladenen und anderen Entscheidungsträgern
zu suchen, mit denen eine weitere Reduzierung der NO2- und Feinstaub PM10-
Werte erreicht werden kann. Solche Maßnahmen waren teilweise auch schon im
ersten Luftreinhalte- und Aktionsplan aufgenommen worden und sind auch in der
3. Fortschreibung erwähnt (vgl. S. 49 der 3. Fortschreibung). Dies betrifft einerseits
flankierende Maßnahmen im Falle der Verkehrsreduzierung in der Lederstraße,
sofern dann in der Oststadt verkehrslenkende bzw. straßenrechtliche Maßnahmen
durch die Beigeladene erforderlich sind. Andererseits wird der Beklagte auch zu
erwägen haben, ob er durch finanzielle Anreize Maßnahmen der Beigeladenen
oder anderer Entscheidungsträger anstoßen oder vorantreiben kann, die ebenfalls
zu einer Reduzierung der überschrittenen Werte beitragen können (z.B.
Ausbau/Umgestaltung der Parkraumbewirtschaftung, Förderung des Baus der
Stadtbahn, kostenloses oder verbilligtes ÖPNV-Ticket etc.). Ob und welche
Maßnahmen sinnvoll und verhältnismäßig sind, kann der Beklagte ggf. vorab
durch Einholung von Gutachten klären lassen.
57 Für die Karlstraße, die Konrad-Adenauer-Straße und die Mittnachtstraße sieht die
Situation auch ohne zusätzliche Beschränkung des Verkehrs in der Lederstraße
besser aus. Jedenfalls nach dem Gutachten L. April/August 2012 kann mit einer
Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxid gerechnet werden (vgl. Seite 32,
Tabelle 4.5, vorletzte Zeile). Die Ausgangswerte für Stickstoffdioxid beziehen sich
im Gutachten L. Dezember 2012/Mai 2013 (vgl. Seite 5, Tabelle 1, Zeile 1) auf ein
anderes Referenzjahr, das Jahr 2013, und liegen über denen aus dem Gutachten
April/August 2012. Auf der Basis des abweichenden Gutachtens Dezember
2012/Mai 2013 kann nicht festgestellt werden, ob Grenzwerte nach der
Fertigstellung des Scheibengipfeltunnels auf der Basis dessen Daten ohne
zusätzliche Maßnahmen an der Lederstraße auch in Bezug auf die zuletzt
genannten Straßen eingehalten werden können. Eine entsprechende Berechnung
fehlt. Mit einer Überschreitung der Feinstaubwerte ist aber in beiden Fällen nicht zu
rechnen (vgl. Gutachten L. April/August 2012 Seite 36, Tabelle 4.6, vorletzte Zeile,
Gutachten L. Dezember 2012/Mai 2013, Tabelle 5).
58 Auch für die Eberhardstraße und die Karlstraße sind die Aussichten nach der
Fertigstellung des Scheibengipfeltunnels günstiger. Dies bedeutet aber nicht, dass
das Lkw-Durchfahrtverbot für diese Straßen nicht weiter zu verfolgen wäre.
Maßnahmen, die zu einer Reduzierung der Überschreitung der Grenzwerte führen
und die einfach umzusetzen sind, dürfen nicht aufgeschoben werden, wenn die
Umsetzung anderer wirkungsvoller Maßnahmen noch Jahre in Anspruch nimmt.
59 Der Beklagte schuldet somit (zusammengefasst) eine weitere Fortschreibung des
Luftreinhalteplans für Reutlingen,
60 - der die noch aktuellen Maßnahmen aus den vorangegangenen Plänen darstellt,
- ein Gesamtkonzept der Maßnahmen und ihrer Auswirkungen umfasst, die für die
Einhaltung der Grenzwerte erforderlich sind,
- einen Zeitpunkt benennt, in dem die Grenzwerte prognostisch eingehalten
werden,
- und der auf die Zeit nach der Inbetriebnahme des Scheibengipfeltunnels
ausgerichtet ist
- sowie für den Fall, dass die punktuelle Einhaltung der Grenzwerte mittelfristig
rechtlich und tatsächlich nicht möglich ist, dafür eine ausführliche Begründung
enthält.
61 Diese Anforderungen stehen einem Vorziehen einzelner Maßnahmen wie dem wie
Lkw-Durchfahrtsverbot in der Eberhardstraße und der Karlstraße nicht entgegen.
62 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Entscheidung
über die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO in
Verbindung mit § 709 ZPO. § 708 Nr. 11 Alternative 2 ZPO ist nicht anwendbar, da
eine Vollstreckung von Kosten von mehr als 1.500,00 EUR möglich ist.
63 Die Berufung ist nach § 124a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen
grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Rechtssache hat wegen der Fragen
der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsprinzips bei der Einhaltung von
Grenzwerten nach der 39. Bundesimmissionsschutzverordnung und der
inhaltlichen Anforderungen an einen Luftreinhalteplan grundsätzliche Bedeutung.