Urteil des VG Potsdam vom 09.03.2009

VG Potsdam: aufschiebende wirkung, unternehmen, belastung, ermessen, entlastung, behörde, auskunftspflicht, stichprobe, rechtswidrigkeit, verzicht

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Gericht:
VG Potsdam 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 129/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 BStatG, § 1 DlStatG, § 2
DlStatG, § 5 DlStatG
Dienstleistungsstatistik; Voraussetzungen der Auskunftspflicht;
mehrfache Heranziehung
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 3 K 393/09) der Antragstellerin vom 9. März
2009 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. November 2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2009 wird angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag der Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom
26. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 6. Februar 2009
anzuordnen,
ist zulässig und begründet.
Die nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gemäß § 15
Abs. 6 des Gesetzes über die Statistik für Bundeszwecke – Bundesstatistikgesetz
(BStatG) – vom 22. Januar 1987 (BGBl. I S. 462, 565), zuletzt geändert durch Art. 3 des
Gesetzes vom 7. September 2007 (BGBl. I S. 2246), von Gesetzes wegen entfallende
aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage kann nach § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO auf Antrag vom Gericht angeordnet werden, wenn bei summarischer
Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes
bestehen. Dabei ist zu beachten, dass der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden
Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) nicht eine gesteigerte Rechtmäßigkeitsvermutung
zugunsten des Verwaltungsakts begründet (vgl. Schoch/ Schmidt-Aßmann/Pietzner,
VwGO-Kommentar, Band I/Stand: September 2007, § 80 Rn. 261), sondern nur ein
überschießendes Beschleunigungsinteresse zum Ausdruck gebracht wird. Dieses ist im
Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG) –
orientiert am materiellen Recht (u. a. am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) – durch das
Gericht ggf. wieder zurückzuführen (vgl. VGH München, Beschluss vom 14. Januar 1991 -
14 CS 90.3166-, NVwZ 1991, 1002).
Solche ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes
sind nach summarischer Prüfung hier gegeben.
Ermächtigungsgrundlage für die Heranziehung sind §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs.
2 sowie § 5 des Gesetzes über Statistiken im Dienstleistungsbereich
(Dienstleistungsstatistikgesetz - DlStatG -) vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I 2000,
1765) zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 17. März 2008 (BGBl. I S. 399).
Danach besteht für die Inhaber und Leiter der Unternehmen für die jährlichen
Erhebungen im Bereich der von § 2 Abs. 1 DlStatG erfassten Dienstleistungsbereiche
eine Auskunftspflicht über bestimmte statistische Erhebungsmerkmale. Nach § 1 Abs. 2
DlStatG umfasst die Statistik jährliche Erhebungen, die als Stichprobe bei höchstens 15
Prozent aller Erhebungseinheiten nach § 2 Abs. 2 DlStatG durchgeführt werden (Satz 1).
Die Erhebungseinheiten werden nach einem mathematisch-statistischen Verfahren
ausgewählt (Satz 2). Diese Voraussetzungen sind nur zum Teil erfüllt. Zwar unterfällt die
Antragstellerin - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - dem persönlichen und dem
sachlichen Anwendungsbereich des Dienstleistungsstatistikgesetzes. Ihre Auswahl
entspricht jedoch nicht den methodischen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen
des Dienstleistungsstatistikgesetzes und erweist sich als unverhältnismäßig.
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Der Kreis derjenigen, die zur Auskunft herangezogen werden können, ist in den §§ 5 und
2 DlStatG geregelt. Allerdings können von diesen „potentiell Betroffenen“ nach § 1 Abs.
2 Satz 1 DlStatG nur bis zu einer Höchstgrenze von 15 % - die sich, da es sich um eine
Bundesstatistik handelt, auf das gesamte Bundesgebiet bezieht - tatsächlich zur
Auskunft herangezogen werden. Hierzu ist die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen
gehalten, Auswahlgrundsätze zu entwickeln (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. November
1989 - 1 B 136/89 -, NVwZ-RR 1990, 418), wobei die Erhebungseinheiten nach einem
mathematisch-statistischen Verfahren auszuwählen sind (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2
DlStatG).
Die gerichtliche Überprüfung der Auswahlentscheidung beschränkt sich gem. § 114
VwGO darauf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht überschritten wurden
oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden
Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben spricht nach der im vorläufigen
Rechtschutzverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung Überwiegendes dafür,
dass die erneute Heranziehung der Antragstellerin für das Berichtsjahr 2007
ermessensfehlerhaft erfolgt ist. Das dem Auswahlverfahren zu Grunde liegende
mathematisch-statistische Verfahren zur Auswahl der Erhebungseinheiten trägt dem
gesetzlichen Gebot der Begrenzung der Belastung der Auskunftspflichtigen nicht
angemessen Rechnung. Zwar sind diese Defizite dem vom Statistischen Bundesamt
erarbeiteten Auswahlverfahren geschuldet. Der Antragsgegner muss sich diese jedoch
zurechnen lassen. Aus der Rechtswidrigkeit der Auswahlkriterien folgt die
Rechtswidrigkeit der hier angefochtenen Auswahlentscheidung. Nach den Intentionen
des Gesetzgebers soll das Auswahlverfahren sicherstellen, dass ein systematischer
Austausch der jeweils Auskunftspflichtigen erfolgt, um die Belastung der Befragten, die
durch eine jährlich wiederholte Beteiligung an der Erhebung entsteht, abzubauen und
somit eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Auskunftspflichtigen zu erreichen.
Dabei räumt der Gesetzgeber in Abhängigkeit vom Auswahlsatz in den einzelnen
Stichproben ein, dass ggf. nur eine partielle Rotation der Stichprobeneinheiten in Frage
kommen könnte (vgl. Gesetzesbegründung, Bundestagsdrucksache 14/4049, S. 14715).
Diesem vom Gesetzgeber beabsichtigten privaten Interesse der wiederholt zu
Erhebungszwecken herangezogenen Auskunftspflichtigen an einer Entlastung tragen die
vom Antragsgegner dargelegten Auswahlgrundsätze nicht angemessen Rechnung. Der
Antragsgegner räumt selbst ein, dass die Antragstellerin zum Berichtsjahr 2003 (bis
zum Berichtsjahr 2005 unter der Firmierung „R. Brandenburg GmbH“) einem
Berichtskreis (sog. Schicht) der Größenklasse 10 zugeordnet wurde, der so gering
besetzt ist, dass jedes darin befindliche Unternehmen auskunftspflichtig ist (sog.
Totalerfassung). In Totalschichten lasse sich keine Rotation durchführen, mit der Folge,
dass die Antragstellerin seit dem Berichtsjahr 2003 jährlich - jedenfalls bis zum
Berichtsjahr 2007 - zu Strukturerhebungen im Dienstleistungsbereich herangezogen
wurde. Der dieser Totalerfassung zugrunde liegende Stichprobenplan sei das geeignete
Mittel zur Bereitstellung belastbarer Ergebnisse für die Unternehmen und Einrichtungen
aus den in § 2 Abs. 1 DIStatG erfassten Wirtschaftsabschnitten der Klassifikation der
Wirtschaftszweige auf Bundes- und Landesebene. Jährlich stattfindende Erhebungen mit
einem immer neuen 15 %-igen Stichprobenumfang, einer Erhebung mit geringerem
Stichprobenumfang (d. h. einer geringen Anzahl von Unternehmen) oder einer
geringeren Schichtung innerhalb des Auswahlplanes könnten keine belastbaren
Ergebnisse liefern. Ein Verzicht auf Totalschichten allein einer Rotationsmöglichkeit
wegen würde die Ergebnisqualität beeinträchtigen.
Diese Vorgehensweise entspricht nicht dem Gesetzeszweck eines systematischen
Austauschs der jeweils Auskunftspflichtigen, um die Belastung der Befragten, die durch
eine jährlich wiederholte Beteiligung an der Erhebung entsteht, abzubauen und damit
eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Auskunftspflichtigen zu erreichen. Es fehlen
konkrete zeitliche Vorgaben, wann die wiederholte Inanspruchnahme unter
Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen angesichts der Belastung der Auskunftspflichtigen
ohne vollständige bzw. partielle Rotation für unzumutbar gehalten wird (vgl. OVG
Münster, Beschluss vom 29. August 2008 - 8 B 959/08 -, NWVBl 2009, 156 f.). Es mag
zutreffen, dass der Verzicht auf die Bildung von sog. Totalschichten die Ergebnisqualität
der Strukturerhebung im Dienstleistungsbereich erheblich beeinträchtigen würde, dies
rechtfertigt jedoch nicht – auch nicht unter Berücksichtigung der öffentlichen Interessen
an einem hohen Genauigkeitsgrad der Ergebnisse statistischer Erhebungen – die
Anwendung von Auswahlkriterien, die dem vom Gesetzgeber als besonders
schützenswert eingestuften privaten Interesse einer Entlastung der wiederholt
Auskunftspflichtigen durch Rotation entgegenstehen. Eine dauerhafte Erfassung von
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Auskunftspflichtigen durch Rotation entgegenstehen. Eine dauerhafte Erfassung von
Unternehmen ist vom Dienstleistungsstatistikgesetz nicht gedeckt. Die Begründung
eines solchen Auswahlkriteriums kann deshalb auch nicht in das Ermessen der Behörde
gestellt sein (a. A.: VG Wiesbaden zu § 8 Handelsstatistikgesetz, Urteil vom 18. Januar
2008 - 6 E 1559/06 -, LKRZ 2008, 236 f.).
Die über mehrere Jahre andauernde Heranziehung der Antragstellerin greift
unverhältnismäßig in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2
Abs. 1 Grundgesetz (GG) ein, das die Befugnis des Einzelnen gewährleistet,
grundsätzlich über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu
bestimmen. Auch unter Berücksichtigung der mit der Heranziehung verfolgten
öffentlichen Interessen von erheblichen Gewicht – amtliche Statistiken sind die
wesentlichen Grundlagen einer aktuellen und situationsbezogenen Wirtschaft-, Sozial-
und Arbeitsmarktpolitik – überschreitet die beanstandete Maßnahme die Grenze des
Zumutbaren. Soweit der Antragsgegner zum Beleg seiner gegenteiligen Auffassung auf
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. März 2009, Az.: VG 2 A 143.08,
verweist, betrifft dieser einen anderen Sachverhalt. Der dort Auskunftspflichtige unterfiel
zum einen nicht einer sog. Totalschicht und es stand mit einiger Wahrscheinlichkeit zu
erwarten, dass er im Rahmen der Neuregelung der Erhebungseinheiten zum 1. Januar
2009 nicht mehr der dann auszuwählenden Stichprobe angehören wird. Das ist hier
gerade nicht der Fall. Vielmehr vermag der Antragsgegner derzeit keine Aussage
darüber zu treffen, ob die Antragstellerin im Berichtsjahr 2008 im Rahmen einer
grundsätzlichen Überarbeitung der Wirtschaftsklassifikation und der damit
einhergehenden Bildung neuer Stichproben sowie Schichtungen künftig nicht mehr einer
sog. Totalschicht angehören wird.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
2. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 i. V. m. § 53 Abs. 2 GKG. Die Kammer
hat im Hinblick auf die mit der angestrebten Entscheidung verbundene faktische
Vorwegnahme der Hauptsache den Regelstreitwert in Höhe von 5.000 Euro zugrunde
gelegt.
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