Urteil des VG Neustadt vom 21.04.2010

VG Neustadt: subjektives recht, klageänderung, vergnügungssteuer, anfechtungsklage, fälligkeit, vorverfahren, rechtsschutzinteresse, untätigkeitsklage, hessen, behörde

VG
Neustadt/Wstr.
21.04.2010
1 K 1171/09.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Urteil vom 21.04.2010 - 1 K 1171/09.NW
Prozessrecht, Steuerrecht
Verkündet am: 21.04.2010
gez. …
Justizbeschäftigte als Urkunds-
beamtin der Geschäftsstelle
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Urteil
Im Namen des Volkes
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Firma A.,
- Klägerin -
gegen
die Stadt Neustadt an der Weinstraße, vertreten durch den Oberbürgermeister, Marktplatz 1, 67433
Neustadt an der Weinstraße,
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwaltskanzlei Rapp, Landauer Straße 15-17, 67434 Neustadt an
der Weinstraße,
wegen Vergnügungssteuer
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 21. April 2010, an der teilgenommen haben
Richter am Verwaltungsgericht Scheurer
Richter am Verwaltungsgericht Pirrung
Richter am Verwaltungsgericht Bender
ehrenamtlicher Richter Dipl.-Ing. Finkbeiner
ehrenamtlicher Richter Maschinenschlosser Leithmann
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Erlass von Vergnügungssteuer und Säumniszuschlägen für die Jahre 2001 bis
2005.
Ihren hierauf gerichteten Antrag vom 23. November 2005 begründete sie gegenüber der Beklagten u.a.
damit, dass sie nicht in der Lage sei, die nach ihrer Auffassung überhöhte Vergnügungsteuer zu
entrichten. Insbesondere sei ihr die Möglichkeit abgeschnitten, Kredite zu erlangen. Gegen die sachliche
Richtigkeit der Besteuerung könne sie keine Einwendungen vorbringen, da es ihr mangels
entsprechenden Zahlenmaterials nicht möglich sei, den in der Rechtsprechung geforderten
Schwankungsbreitennachweis zu führen.
Mit Bescheid vom 14. Dezember 2005 lehnte die Beklagte den Erlass der Vergnügungssteuer ab. Sie
begründete die Ablehnung u.a. damit, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Situation nicht umfassend
dargelegt habe. Das vorgelegte Zahlenmaterial weise auf einen überhöhten Mietzins hin, den die Klägerin
für die Spielhallennutzung an ihren Geschäftsführer entrichte. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass der
Klägerin bei der Meldung von Spielgeräten Unregelmäßigkeiten vorzuwerfen seien.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 lehnte die Beklagte auch den Erlassantrag hinsichtlich der
geschuldeten Säumniszuschläge ab.
Gegen beide Bescheide erhob die Klägerin fristgerecht Widerspruch.
Im Rahmen der Sitzung des Stadtrechtsausschusses der Beklagten am 30. März 2006 beantragte der
Geschäftsführer der Klägerin, ihm die Möglichkeit zur Vorlage eines umfassenden Schriftsatzes
einzuräumen sowie nach dem Termin die Abänderung des Sitzungsprotokolls des
Stadtrechtsausschusses.
Ein Widerspruchsbescheid wurde nicht erlassen.
Die Klägerin hat am 29. Oktober 2009 Klage erhoben, mit der sie zunächst die Verurteilung der Beklagten
beantragte, ihren Erlassantrag unverzüglich stattgebend zu verbescheiden. Sie begehrt nunmehr die
Verpflichtung der Beklagten, ihren Widerspruch gegen die Bescheide vom 14. und 15. Dezember 2005
rechtsmittelfähig zu bescheiden.
Die Klägerin trägt ergänzend vor, dass die Beklagte jahrelang nicht über ihre Widersprüche entschieden
habe. Diesen sei stattzugeben, weil das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2009 den der Besteuerung
zugrunde liegenden Stückzahlmaßstab beanstandet habe. Sie sei auch erlasswürdig, weil ein
Gewerbeuntersagungsverfahren eingestellt worden sei und für sie hinsichtlich eines laufenden
Steuerverfahrens eine Unschuldsvermutung gelte. Sie habe bei der Beklagten inzwischen die Aufhebung
aller Vergnügungssteuerbescheide von 1997 bis 2005 beantragt.
Die Klägerin beantragt,
1) die Beklagte zu verurteilen, den Widerspruch vom 17. Januar 2006 gegen die Ablehnungsbescheide
vom 14. und 15. Dezember 2005 in Form von rechtsmittelfähigen Widerspruchsbescheiden unverzüglich
zu bescheiden.
2) Bei der Bescheiderteilung die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in
Form seines Beschlusses vom 4. Februar 2009 (-1 BvL 8/05- DVBl. 2009, 777 ff. -) zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert, dass sie der Änderung der Klage widerspreche. Die geänderte Klage sei zudem unzulässig,
weil die Klägerin kein rechtlich schützenswertes Interesse am Erlass eines Widerspruchsbescheids habe.
In der Sache komme ein Erlass nicht in Betracht, weil die Klägerin inzwischen die Aufhebung sämtlicher
Steuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2005 beantragt habe. Das Erlassverfahren könne dem
Festsetzungsverfahren jedoch nicht vorgreifen. Es lägen auch keine sachlichen Unbilligkeitsgründe vor.
Denn allein der Umstand, dass eine bestandskräftig festgesetzte Steuer in Widerspruch zu einer später
entwickelten Rechtsprechung stehe, rechtfertige keinen Steuererlass. Die Steuerbescheide seien im
Zeitpunkt ihres Erlasses nicht offenkundig fehlerhaft gewesen. Erst seit den Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts vom April 2005 habe für die Kommunen Anlass zur positiven Vergewisserung
hinsichtlich der Schwankungsbreite von Einspielergebnissen bestanden. Jedenfalls für den hier
maßgeblichen Zeitraum habe die Beklagte mangels tragfähigen Zahlenmaterials weiter von der
Wirksamkeit des Stückzahlmaßstabs und damit ihrer Satzung ausgehen dürfen. Erst das
Bundesverfassungsgericht habe endgültig den Stückzahlmaßstab verworfen, aber im konkreten Fall eine
Übergangsfrist für die Behörde bis zum 1. Oktober 2005 akzeptiert. Schließlich könne sich die Klägerin
nicht auf persönliche Billigkeitsgründe berufen. Zum einen fehle es infolge steuerrechtlicher Verstöße an
der Erlasswürdigkeit der Klägerin. Zum anderen bestehe aber auch keine Erlassbedürftigkeit, denn sie -
die Beklagte - habe im Jahr 2006 erfolgreich eine Forderung der Klägerin in Höhe von ca. 120.000,- €
gepfändet, ohne dass eine konkrete Existenzgefährdung der Klägerin eingetreten sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die eingereichten Schriftsätze,
Unterlagen und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Der Klage bleibt der Erfolg versagt (§ 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
Soweit die Klägerin ursprünglich die Verurteilung der Beklagten begehrte, den steuerlichen Erlassantrag
vom 23. November 2005 stattgebend zu verbescheiden, war diese Klage mangels Rechtsschutzinteresse
unzulässig. Denn die Beklagte hatte bereits mit ihren Verfügungen vom 14. und 15. Dezember 2005 das
Erlassbegehren der Klägerin abgelehnt. Für eine Bescheidungsklage bleibt damit kein Raum mehr.
Die Änderung der Klage mit dem Ziel, die Beklagte zum Erlass eines Widerspruchsbescheids zu
verurteilen, ist unzulässig. Zwar ermöglicht § 91 VwGO eine Klageänderung, wenn die übrigen Beteiligten
einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung
liegen hier aber nicht vor.
Die Beklagte hat der Klageänderung ausdrücklich widersprochen.
Die Klageänderung ist auch nicht sachdienlich. Sachdienlich im Rechtssinne ist die Änderung einer
Klage, wenn der bisherige Streitstoff im Wesentlichen gleich bleibt und die endgültige Beilegung des
Streits durch die Klageänderung gefördert wird (BVerwGE 57, 34). Dabei lässt die Kammer offen, ob eine
Klageänderung bereits dann nicht sachdienlich ist, wenn die geänderte Klage unzulässig ist (so BVerwGE
61, 51). Die Sachdienlichkeit ist hier jedenfalls deshalb zu verneinen, weil der bisherige Streitstoff nach
der Klageänderung im Wesentlichen nicht mehr mit dem aktuellen Streitstoff vergleichbar ist und die
verfolgten Klageziele sich grundlegend unterscheiden. Dies beruht auf der Erwägung, dass die
ursprüngliche Klage nur die Prüfung des Rechtsschutzinteresses der Klägerin an einer Verbescheidung
ihres Erlassantrags anhand prozessualer Aspekte gebot. Die geänderte Klage erfordert hingegen die
Zugrundelegung eines insoweit wesentlich unterschiedlichen Lebenssachverhalts, weil - anders als zuvor
- von der sachlichen Bescheidung der Klägerin auszugehen und erstmals zu prüfen ist, ob auf der
Grundlage des neuen Lebenssachverhalts nunmehr ein Anspruch auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids im laufenden Klageverfahren besteht. Hinzukommt, dass durch die
Klageänderung gerade nicht die endgültige Streitbeilegung gefördert wird, weil die Klägerin - anstatt eine
abschließende gerichtliche Klärung ihres Erlassbegehrens herbeizuführen - zunächst auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids beharrt.
Doch selbst, wenn das Gericht (hilfsweise) die Zulässigkeit der Klageänderung gemäß § 91 VwGO
unterstellt, so ist die geänderte Klage mangels Statthaftigkeit einer auf den Erlass eines
Widerspruchsbescheids gerichteten Klage sowie mangels Rechtsschutzinteresse der Klägerin an einer
entsprechenden Verpflichtung der Beklagten unzulässig.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass in der Literatur (vgl. Kopp/Schenke, Kommentar zur VwGO, 16.
Auflage, vor § 68 Rn.1 und § 75 Rn. 1a) teilweise die Auffassung vertreten wird, dass eine entsprechende
Klage grundsätzlich zulässig sei, um dem Rechtsschutz suchenden Bürger eine zusätzliche
"Kontrollinstanz" in Gestalt der Widerspruchsbehörde oder eines Ausschusses, zu sichern. Die in Teilen
der Literatur zum Beleg dieser Auffassung herangezogenen Entscheidungen betreffen jedoch regelmäßig
keine prozessuale Verpflichtungs- sondern eine Anfechtungskonstellation gemäß § 79 Abs. 2 VwGO (vgl.
z.B.: BVerwGE 13, 195; 61, 51; OVG Rheinland-Pfalz, AS 19, 267).
Die Kammer schließt sich der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung an, dass - mit
Ausnahme einer hier nicht vorliegenden Drittwiderspruchskonstellation - grundsätzlich kein subjektives
Recht auf den Erlass eines Widerspruchsbescheids besteht (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9.
Februar 1993 - 5 S 1650/92; VGH Bayern, Urteil vom 22. Oktober 1975 - 181 IV 74; VGH Hessen, Urteil
vom 4. Dezember 2008 - 4 A 882/08). Dies erschließt sich bereits aus der gesetzlichen Systematik. Denn §
79 Abs. 2 VwGO eröffnet zwar in Ergänzung der Regelungen zur Anfechtungsklage die Möglichkeit, einen
Widerspruchsbescheid isoliert anzufechten. Eine entsprechende gesetzliche Erweiterung der Regelungen
zur Verpflichtungsklage dahin gehend, dass auf den Erlass eines Widerspruchsbescheids geklagt werden
darf, kennt die Verwaltungsgerichtsordnung allerdings nicht. § 68 Abs. 2 VwGO verdeutlicht vielmehr, dass
die Verpflichtungsklage sich auf die Vornahme eines abgelehnten Verwaltungsakts, nicht aber auf einen
Widerspruchsbescheid, bezieht. Die Regelungen der §§ 68 ff. VwGO beschreiben somit vorprozessuale
Obliegenheiten, enthalten aber keine isoliert einklagbaren Rechte und Pflichten innerhalb des
Verwaltungsrechtsverhältnisses; die rechtlichen Interessen der Klägerseite sind insoweit durch die
Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO hinreichend geschützt (OVG
Sachsen, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 1 A 62/08, m.w.N.). § 68 VwGO beschränkt sich also aus
kompetenzrechtlichen Gründen (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz - GG -) auf die Verpflichtung, regelmäßig
vor Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes ein Vorverfahren durchlaufen zu müssen; eine
Anspruchsposition auf Erlass eines Widerspruchsbescheids lässt sich hieraus nicht ableiten (OVG
Lüneburg, Beschluss vom 24. April 2009 - 4 PA 276/09). Dies bestätigt auch § 75 VwGO, der für den Fall
der Untätigkeit der Widerspruchsbehörde nur bestimmt, dass nach Ablauf der dort genannten Frist der
materielle Verpflichtungsanspruch unmittelbar, das heißt ohne Durchführung eines Vorverfahrens, mit der
entsprechenden Klage verfolgt werden darf (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. April 2009, a.a.O.).
Hingegen begründet § 75 VwGO keine den Katalog der VwGO erweiternde Klageart auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids (VG Mainz, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - 1 K 1224/09.Mz). Die
Untätigkeitsklage ist somit lediglich eine besondere Spielart der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage
und kann im Falle eines Verpflichtungsbegehrens nur auf Erlass eines abgelehnten oder unterlassenen
Verwaltungsakts gerichtet sein (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 14. September 1967 - 2 B 40/67 =
NJW 1967, 2329 und Beschluss vom 19. Januar 1971 - 2 B 3/71 = AS 12, 25; VGH Hessen, Beschluss
vom 19.12.2008 - 2 M 71.08). Dies gilt hier umso mehr, als der Gesetzgeber in § 113 Abs. 5 VwGO den
Gerichten vorgibt, in welcher Weise ein Verpflichtungsbegehren zum Gegenstand eines gerichtlichen
Urteilsausspruchs zu machen ist, ohne dort die Verpflichtung zum Erlass eines Widerspruchsbescheids
anzuführen. Schließlich führt selbst die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften im Vorverfahren,
wenn der Widerspruchsbescheid darauf beruht, gemäß § 79 Abs. 2 VwGO nur zur Aufhebung des
Widerspruchsbescheids; ein Verpflichtungsausspruch gegenüber der Widerspruchsbehörde, einen
(erneuten) Widerspruchsbescheid zu erlassen, erfolgt hingegen nicht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24.
April 2009, a.a.O.).
Die Zulässigkeit einer auf den Erlass eines Widerspruchsbescheids gerichteten Klage kann auch nicht
aus einer vermeintlichen Regelungslücke der Verwaltungsgerichtsordnung hergeleitet werden. Das
Rechtsschutzsystem der Verwaltungsgerichtsordnung ist insoweit lückenlos, weil der Gesetzgeber für den
Fall der Nichtentscheidung über einen Widerspruch in § 75 VwGO mit der Möglichkeit der Erhebung einer
Verpflichtungsklage ohne vorausgegangenes Vorverfahren eine den klägerischen Interessen hinreichend
Rechnung tragende Regelung getroffen hat. Zudem bestimmt § 75 Satz 3 VwGO, dass das Gericht im
Falle eines zureichenden Grundes für eine noch nicht erfolgte Entscheidung über einen Widerspruch das
Verfahren unter Fristsetzung aussetzt. Eine Verurteilung zum Erlass eines Widerspruchsbescheids sieht
die Verwaltungsgerichtsordnung auch in dieser Konstellation nicht vor. Schließlich kann dem Gesetzgeber
nicht unterstellt werden, er habe in der Verwaltungsgerichtsordnung ungewollt eine Regelungslücke
gelassen, soweit es den hier streitigen Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids betrifft.
Hiergegen spricht, dass der Gesetzgeber mit §§ 79 Abs. 2 und 115 VwGO den Anwendungsbereich der
Anfechtungsklage um die isolierte Anfechtung eines Widerspruchsbescheids erweitert hat. Da dem
Gesetzgeber aber die Verpflichtungsklage als "Pendant" der Anfechtungsklage geläufig war (vgl. z.B. § 68
Abs. 2 VwGO), kann ihm nicht unterstellt werden, er habe eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der
Verpflichtungsklage um die Möglichkeit der isolierten Verpflichtung auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids schlicht vergessen.
Zuletzt sprechen auch prozessökonomische Erwägungen gegen eine Erweiterung des
Anwendungsbereichs der Verpflichtungsklage. Denn im Rahmen einer nach den Vorgaben der
Verwaltungsgerichtsordnung zulässigen Untätigkeitsklage kann ein Kläger ohne weitere Verzögerung
eine gerichtliche Entscheidung über sein Verpflichtungsbegehren herbeiführen. Die dennoch auf Erlass
eines Widerspruchsbescheids gerichtete Klage führte hingegen zu einer zeitlichen Verschleppung der
rechtsverbindlichen Klärung, ohne dass aus Sicht des Bürgers hierdurch eine größere Richtigkeitsgewähr
der Rechtskontrolle erreicht würde. Kostenaspekte sprechen zudem regelmäßig gegen die Durchführung
eines Widerspruchverfahrens trotz bereits anhängiger Klage, da die Kosten des Vorverfahrens noch
zusätzlich zu den ohnehin schon angefallenen Gerichtskosten zu entrichten wären. Zudem erlangt der
Kläger mit einem stattgebenden gerichtlichen Urteil, im Gegensatz zum Widerspruchsbescheid, einen
Vollstreckungstitel (vgl. § 168 Nr. 1 VwGO).
Bei alledem verkennt die Kammer nicht, dass im vorliegenden Verfahren mit dem Erlassbegehren gemäß
§ 227 Abgabenordnung (AO) eine Ermessensentscheidung im Raum steht und der Stadtrechtsausschuss
der Beklagten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 des Ausführungsgesetzes zur VwGO (AGVwGO) sowohl die
Rechtmäßigkeit als auch die Zweckmäßigkeit der Versagung eines steuerlichen Erlasses überprüft. Zwar
hat sich die oben zitierte Rechtsprechung bei der Prüfung, ob ein Anspruch auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids besteht, im Wesentlichen mit gebundenen Entscheidungen befasst (vgl. auch
OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 20. Mai 2009 - 2 O 22/09). Die aufgezeigten systematischen
Erwägungen zu den §§ 68, 75, 79 Abs. 2, 113 Abs. 5 und 114 VwGO gelten jedoch nicht nur für
gebundene Entscheidungen, sondern auch im Falle eines der Behörde eingeräumten Ermessens. Denn
die Frage der Ausgestaltung des gesetzlichen Klagekatalogs und die prozessuale Zulässigkeit einer
Klage hängen insoweit nicht von der dem materiellen Recht zuzuordnenden Frage ab, ob die
maßgebliche Norm (hier § 227 AO) eine gebundene oder eine Ermessensentscheidung erfordert.
Selbst wenn aber die in der Literatur vertretene Annahme eines subjektiven Rechts auf Erlass eines
Widerspruchsbescheids, jedenfalls bei einer Befugnis der Widerspruchsbehörde oder des Ausschusses
zur Ausübung eigenen Ermessens, als beachtlich unterstellt würde, fehlte es im vorliegenden Fall
dennoch an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse. Denn zu Lasten der Klägerin ist hinsichtlich ihres
Erlassbegehrens gemäß § 227 AO eine Ermessensreduzierung auf Null eingetreten, wie nachfolgend
noch ausgeführt wird. Zumindest bei derart gebundenen Entscheidungen ist ein gerichtlich durchsetzbarer
Anspruch auf Erlass eines Widerspruchsbescheids zu verneinen (BVerwG, Beschluss vom 28. April 1997 -
6 B 6/97).
Die vorliegende Klage bleibt aber auch dann ohne Erfolg, wenn ihr Rechtsschutzziel hilfsweise
dahingehend ausgelegt wird, dass die Klägerin die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der
streitbefangenen Forderungen unter Aufhebung der Bescheide vom 14. und 15. Dezember 2005 begehrt.
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall zweifellos keinen Anspruch gemäß § 227 AO auf einen der Sache
nach begehrten Erlass von Vergnügungssteuer und Säumniszuschlägen. Die Beklagte hat den
Erlassantrag mit ihren Bescheiden vom 14. und 15. Dezember 2005 zu Recht abgelehnt (§ 113 Abs. 1 und
5 VwGO). Ihr durch § 227 AO eingeräumtes Ermessen ist auf die im Rahmen des Ermessensspielraums
getroffene Entscheidung geschrumpft.
Dabei lässt die Kammer ausdrücklich offen, ob das Erlassbegehren der Klägerin bereits deshalb
abzuweisen ist, weil diese mit ihren Aufhebungsanträgen hinsichtlich der
Vergnügungssteuerfestsetzungen von 1997 bis 2005 eine Fortführung des steuerlichen
Festsetzungsverfahrens betreibt, die ihrem Erlassbegehren entgegensteht. Eine verfahrensrechtliche
Vorgreiflichkeit dergestalt, dass das Gericht das vorliegende Erlassverfahren bis zum Ausgang des
Festsetzungsverfahrens aussetzen müsste, besteht freilich nicht.
Eine den Erlass der steuerlichen Hauptforderung aus persönlichen Gründen rechtfertigende Billigkeit liegt
offenkundig nicht vor. Dabei kann hier dahinstehen, ob die Klägerin erlasswürdig im Rechtssinne ist.
Denn es fehlt im vorliegenden Fall die erforderliche Erlassbedürftigkeit, weil durch die Versagung des
Erlasses die wirtschaftliche Existenz der Klägerin zweifelsfrei nicht gefährdet war (vgl. hierzu BVerwG,
Urteil vom 23. August 1990 - 8 C 42/88). Vielmehr hat die Beklagte zutreffend darauf verwiesen, dass sie
im Jahr 2006 eine Forderung der Klägerin in Höhe von ca. 120.000,- € gegen das zuständige Finanzamt
beigetrieben hat, ohne dass eine wirtschaftlich existentielle Gefährdung eingetreten ist.
Auch eine Billigkeitsentscheidung aus sachlichen Gründen scheidet aus.
Allein die von der Klägerin angeführte Änderung der Rechtsprechung zum Vergnügungssteuerrecht nach
Festsetzung der hier streitbefangenen Vergnügungssteuerforderungen rechtfertigt nicht die Annahme
einer sachlichen Unbilligkeit (BFH, Urteil vom 29. Mai 2008 - V R 45/06). Vielmehr hat der Gesetzgeber
aus Gründen der Rechtssicherheit eine Grundentscheidung zugunsten der Bestandskraft von
Steuerfestsetzungen getroffen, die einem Erlass entgegen steht, wenn es die Klägerin - wie hier -
unterlassen hat, gegen Steuerbescheide den Rechtsweg auszuschöpfen (vgl. BFH, Urteil vom 29. Mai
2008, a.a.O.; Beschlüsse vom 9. Oktober 2008 - V R 45/06 und vom 26. Mai 2000 - V B 28/00). Schließlich
waren die Steuerfestsetzungen aus damaliger Sicht auch nicht offensichtlich und eindeutig fehlerhaft (vgl.
zur Versagung eines Erlasses aus diesem Grund sowie zum maßgeblichen Bewertungszeitpunkt "ex
ante": BFH, Urteil vom 29. Mai 2008, a.a.O.). Erst nach Erlass der Steuerbescheide für die Jahre 2001 bis
2005 wies das Bundesverwaltungsgericht (Urteile vom 13. April 2005 - 10 C 5/04 und 10 C 8/04) auf
mögliche Schwächen des steuerlichen Stückzahlmaßstabs hin, falls bei den Einspielergebnissen vor Ort
Schwankungsbreiten von mehr als 25 v.H. auftreten. Es hat hierzu umfassende Vorgaben zur Erarbeitung
entsprechenden Zahlenmaterials gemacht und Hinweise zur "Beweislast" im Steuerverfahren gegeben.
Von einer offenkundigen Rechtswidrigkeit der hier maßgeblichen Steuerfestsetzungen konnte vor diesem
Hintergrund, jedenfalls im Jahr 2005, noch nicht ausgegangen werden. Das Bundesverfassungsgericht
hat schließlich erst mit Urteil vom 4. Februar 2009 (1 BvL 8/05) den Stückzahlmaßstab endgültig
verworfen, in dieser Entscheidung aber eine Übergangsfrist bis zur Einführung eines neuen
Besteuerungsmodells (dort bis zum 1. Oktober 2005) akzeptiert.
Zuletzt kommt auch ein Billigkeitserlass hinsichtlich der gemäß § 240 AO angefallenen Säumniszuschläge
zweifelsfrei nicht in Betracht. Dabei ist von der gesetzgeberischen Grundentscheidung auszugehen,
wonach verwirkte Säumniszuschläge Bestand haben sollen (BFH, Beschluss vom 15. Oktober 2004 - III B
2/04).
2/04).
Eine persönliche Unbilligkeit, die ohnehin nur den Erlass der Hälfte der Säumniszuschläge rechtfertigte
(BFH, Urteil vom 9. Juli 2003 - VR 57/02), scheidet im Anschluss an die Beurteilung der Erlassfrage im
Zusammenhang mit der steuerlichen Hauptforderung aus. Es bestand im Zeitpunkt der Fälligkeit der
Steuerforderungen in den Jahren 2001 bis 2005 keine wirtschaftliche Gesamtlage, die im Falle der
Klägerin ein Hinausschieben der Fälligkeit der Steuerforderungen geboten und damit der inneren
Rechtfertigung von Säumniszuschlägen die Grundlage entzogen hätte (BVerwG, Urteile vom 23. August
1990, a.a.O. und vom 8. Juli 1998 - 8 C 31/96).
Auch eine sachliche Unbilligkeit kommt hier nicht in Betracht. Denn ein "Überhang" des gesetzlichen
Tatbestands über die Wertung des Gesetzgebers liegt nicht vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1998,
a.a.O.). Die Säumniszuschläge waren nach der Fälligkeit der Steuerforderungen als Druckmittel geeignet,
erforderlich und angemessen, um die Klägerin nachdrücklich zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten
anzuhalten. Insbesondere war die Klägerin im Zeitpunkt der Verwirkung der Säumniszuschläge nicht
zahlungsunfähig oder in ihrer Finanzkraft derart geschwächt, dass sie selbst unter dem Druck anfallender
Säumniszuschläge nicht mehr zur Erfüllung ihrer steuerlichen Verbindlichkeiten im Stande gewesen wäre.
Hierauf hat die Beklagte - wie oben bereits im Zusammenhang mit der Pfändung einer Forderung der
Klägerin in Höhe von ca. 120.000,- € angeführt - zutreffend hingewiesen. Weiterhin besteht auch mit Blick
auf die Finanzierungsfunktion der Säumniszuschläge kein Erlassgrund. Denn die Beklagte hat in Folge
der verzögerten Zahlung der Steuerschuld durch die Klägerin Einnahmeausfälle erlitten, die durch die
Zahlung von Zinsen oder Säumniszuschlägen kompensationsfähig und -bedürftig sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt den §§ 167 VwGO, 708 ff.
ZPO.
Rechtsmittelbelehrung …
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 120.706,63 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).
Die Festsetzung des Streitwertes kann nach Maßgabe des § 68 Abs. 1 GKG mit der
Beschwerde
angefochten werden; hierbei bedarf es nicht der Mitwirkung eines Bevollmächtigten.
gez. Scheurer
gez. Pirrung
gez. Bender