Urteil des VG Neustadt vom 27.07.2010

VG Neustadt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, aufschiebende wirkung, gaststätte, überwiegendes öffentliches interesse, verfügung, überwiegendes interesse, vollziehung, rauchverbot

VG
Neustadt/Wstr.
27.07.2010
4 L 716/10.NW
Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr.
Beschluss vom 27.07.2010 - 4 L 716/10.NW
Nichtraucherschutz
Verwaltungsgericht
Neustadt an der Weinstrasse
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
der Frau …
- Antragstellerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte Wagner & Barth, Bahnhofstraße 1, 66663 Merzig,
gegen
die Verbandsgemeinde Bruchmühlbach-Miesau, vertreten durch den Bürgermeister, Am Rathaus 2,
66892 Bruchmühlbach-Miesau,
- Antragsgegnerin -
wegen Nichtraucherschutz
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße aufgrund der Beratung vom
27. Juli 2010, an der teilgenommen haben
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Butzinger
Richter am Verwaltungsgericht Bender
Richter am Verwaltungsgericht Pirrung
beschlossen:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der
Antragsgegnerin vom 30. Juni 2010 wird wiederhergestellt, soweit in Ziffer 2.) die Rauchfreiheit des
Nebenzimmers gefordert wird. Außerdem wird die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
angeordnet, soweit unter Ziffer 4.) insoweit ein Zwangsgeld in Höhe 500,00 € angedroht wird. Im
Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 3/5 und die Antragsgegnerin zu 2/5.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO
zulässig. In ihrer Verfügung vom 30. Juni 2010 verlangt die Antragsgegnerin die Rauchfreiheit sowohl des
Thekenraums (Ziffer 1.) als auch des Nebenzimmers (Ziffer 2.) der Gaststätte der Antragstellerin und das
Anbringen von Hinweisen über dieses Rauchverbot (Ziffer 3.). Gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO hat die
Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung angeordnet (Ziffer 5.). Statthaft ist daher insoweit ein Antrag
nach § 80 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs der Antragstellerin. Soweit unter Ziffer 4.) der Verfügung Zwangsgelder angedroht werden,
ist diese Regelung gemäß § 20 AGVwGO kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Das Begehren der
Antragstellerin ist daher diesbezüglich zu verstehen als Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alternative
VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs.
Dieses statthafte Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nur teilweise begründet.
In formeller Hinsicht genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids vom 30. Juni 2010
den Anforderungen in § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, denn die Antragsgegnerin hat das überwiegende
öffentliche Interesse mit der Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts der Gesundheit der Bevölkerung
hinreichend begründet.
In materieller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ziffern 1.) und 3.) des Bescheids
vom 30. Juni 2010 rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Antragsgegnerin darin die Rauchfreiheit des
sogenannten Thekenraums und eine entsprechende Kennzeichnung des Rauchverbots anordnet,
überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Verfügung. Hingegen überwiegt das
Interesse der Antragstellerin, von Vollzugsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, soweit in Nummer
2.) der Verfügung auch ein Rauchverbot für das Nebenzimmer verlangt wird.
Für das Interesse des Betroffenen, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen
ausgesetzt zu sein, sind zunächst die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten
Rechtsbehelfs von Belang (vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 581). Ein überwiegendes Interesse eines
Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn
die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene Überprüfung ergibt, dass der angefochtene
Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist. Denn an der Vollziehung eines ersichtlich rechtswidrigen
Verwaltungsakts kann kein öffentliches Vollzugsinteresse bestehen. Ist der Verwaltungsakt dagegen
offensichtlich rechtmäßig, so überwiegt das Vollzugsinteresse das Aussetzungsinteresse des
Antragstellers dann, wenn zusätzlich ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung
des Verwaltungsakts besteht (vgl. BVerfG, NVwZ 2009, 240).
Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung
des unter Ziffer 1.) angeordneten Rauchverbots im sogenannten Thekenraum der Gaststätte der
Antragstellerin, weil der Bescheid vom 30. Juni 2010 insoweit ersichtlich rechtmäßig ist und mit seiner
Durchsetzung nicht bis zur Bestandskraft, deren Eintritt noch nicht abzusehen ist, abgewartet werden
kann.
Die Anordnung eines Rauchverbots im Thekenraum der Gaststätte der Antragstellerin hat ihre
Rechtsgrundlage in § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 des Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-
Pfalz in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 26. Mai 2009 ( - NRSG - ).
Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 NRSG kann die Antragsgegnerin die zur Umsetzung und Einhaltung dieses
Gesetzes erforderlichen Anordnungen treffen. Die Anordnung eines Rauchverbots im Thekenraum der
Gaststätte der Antragstellerin stellt eine solche erforderliche Maßnahme dar.
Gemäß § 7 Abs. 1 NRSG sind Gaststätten grundsätzlich rauchfrei. Ausnahmen davon sind nach § 7 Abs. 2
Gemäß § 7 Abs. 1 NRSG sind Gaststätten grundsätzlich rauchfrei. Ausnahmen davon sind nach § 7 Abs. 2
NRSG nur möglich für Gaststätte mit nur einem Gastraum und mit einer Grundfläche von weniger als 75
m². Bei einer Gaststätte mit mehreren, durch ortsfeste Trennwände voneinander getrennten Räumen kann
die Betreiberin oder der Betreiber gemäß § 7 Abs. 3 NRSG das Rauchen außerdem auch in einzelnen
Nebenräumen erlauben. Weitere Voraussetzung für eine solche Raucherlaubnis in einer
Mehrraumgaststätte ist, dass die Grundfläche und die Anzahl der Sitzplätze in den Nebenräumen mit
Raucherlaubnis nicht größer sind als in den übrigen rauchfreien Gasträumen.
Auf dieser gesetzlichen Grundlage, die keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet (vgl.
Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8. März 2010 - VGH 60 und 70/09 - ), hat die
Antragsgegnerin zu Recht ein Rauchverbot für den sogenannten Thekenraum der Gaststätte der
Antragstellerin angeordnet. Dieser Gastraum ist nämlich nach § 7 Abs. 1 NRSG rauchfrei zu halten.
Eine Ausnahme nach § 7 Abs. 2 NRSG kommt vorliegend nicht in Betracht, denn die Gaststätte der
Antragstellerin verfügt über zwei Gasträume und über eine Grundfläche von mehr als 75 m². Aber auch
eine Nutzung des sogenannten Thekenraums als Raucherraum im Sinne von § 7 Abs. 3 BRSG scheidet
aus. Erlaubt werden darf nach dieser Vorschrift nämlich nur das Rauchen in einzelnen Nebenräumen,
während der Hauptbereich der Gaststätte rauchfrei bleiben muss. Der sogenannte Thekenraum der
Gaststätte der Antragstellerin ist jedoch kein Nebenraum.
Die Räume, in denen nach § 7 Abs. 3 NRSG das Rauchen erlaubt werden darf, müssen durch ortsfeste
Trennwände vom rauchfreien Bereich getrennt sein und dürfen gemäß § 7 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 NRSG nicht
größer sein als die übrigen rauchfreien Gasträume. Außerdem muss es sich um
Neben
während der Hauptbereich rauchfrei bleiben muss. Kennzeichnend für einen Nebenraum im Sinne von §
7 Abs. 3 NRSG ist mithin nicht nur die untergeordnete Größe, sondern auch eine entsprechende
untergeordnete Funktion, die ihn von einem Hauptraum unterscheidet. Der zentrale Gastraum einer
Gaststätte, der eine zentrale Bewirtungsfunktion wahrnimmt und der von jedem Gast beim Besuch
zwangsläufig betreten werden muss, ist Haupt- und nicht Nebenraum. Ein solcher Raum ist deshalb in
einer Mehrraumgaststätte rauchfrei zu halten.
Der sogenannte Thekenraum ist der Hauptraum der Gaststätte der Antragstellerin. Dieser Raum verfügt
über eine Theke mit dahinterliegender Küche, der eine zentrale Bewirtungsfunktion zukommt. Außerdem
kann die Gaststätte nur über diesen Raum betreten werden. Sowohl der Haupteingang von der
Kaiserstraße her als auch der Hintereingang führen nämlich unmittelbar in diesen sogenannten
Thekenraum. Auch für die Benutzung der Toilette, die sich in einem Nebengebäude befindet, muss dieser
Raum durchschritten werden. Entsprechend diesen Gegebenheiten wurde der sogenannte Thekenraum
schon in der Gaststättenerlaubnis vom 25. August 1977 als „allgemeines Wirtszimmer“ bzw. „Gaststätte“
bezeichnet, während die zweite Räumlichkeit - ebenfalls zutreffend - als „Nebenzimmer“ ausgewiesen ist.
Als Nebenraum, in dem unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 NRSG in der Gaststätte der
Antragstellerin das Rauchen erlaubt werden kann, kommt mithin nur das sogenannte Nebenzimmer in
Betracht, während der sogenannte Thekenraum als Hauptraum rauchfrei bleiben muss.
Im Hinblick darauf bestehen auch gegen die Anordnung in Ziffer 3.) des Bescheids vom 30. Juni 2010,
wonach über das Rauchverbot durch deutlich wahrnehmbare Hinweise insbesondere an den beiden
Eingangsbereichen der Gaststätte zu informieren ist, keine rechtlichen Bedenken. Diese Anordnung
entspricht dem entsprechenden gesetzlichen Gebot in § 9 NRSG.
Erweisen sich mithin die Ziffern 1.) und 3.) der Verfügung vom 30. Juni 2010 als rechtmäßig, so besteht mit
Blick auf die Gewährleistung eines gesetzeskonformen Nichtraucherschutzes auch ein überwiegendes
öffentliches Interesse an ihrem sofortigen Vollzug.
Soweit hingegen in Nummer 2.) der Verfügung auch ein Rauchverbot für das Nebenzimmer verlangt wird,
überwiegt das Interesse der Antragstellerin, von Vollzugsmaßnahmen diesbezüglich vorläufig verschont
zu bleiben.
Die Anordnung dieses Rauchverbots erscheint der Kammer nicht erforderlich im Sinne von § 10 Abs. 2
Satz 1 Nr. 2 NRSG. Gegenwärtig wird dieses sogenannte Nebenzimmer von der Antragstellerin nämlich
bereits rauchfrei gehalten. Ob und wie sie diesen Raum im Hinblick auf das Rauchverbot, das die
Antragsgegnerin betreffend den sogenannten Thekenraum ausgesprochen hat, in einen Raucherraum
umgestaltet, ist derzeit unklar. Die Voraussetzungen, unter denen § 7 Abs. 3 NRSG das Rauchen in
diesem Nebenraum zulässt, sind jedoch ohne größere Umbauten erfüllbar. So erscheint schon
zweifelhaft, ob die Grundfläche des Nebenzimmers tatsächlich größer ist als die des Thekenraums. Dies
ist davon abhängig, ob der nachträgliche Einbau eines Ofens im Thekenraum zu einer Verringerung der
Grundfläche geführt hat. Insoweit bestehen deshalb Bedenken, weil nach Ziffer 3.2 der DIN 277-1, die für
die Ermittlung von Grundflächen von Bauwerken gilt, die Netto-Grundfläche auch die Flächen von fest
eingebauten Gegenständen, wie z.B. Öfen, einschließt. Im Übrigen ist der Thekenraum selbst bei Abzug
der Ofenfläche nur 0,24 m² kleiner als das Nebenzimmer. Falls überhaupt notwendig, wäre eine
entsprechende Verringerung der Grundfläche des Nebenzimmers gegebenenfalls ebenso leicht
realisierbar wie eine Reduzierung der Anzahl der Sitzplätze.
Entsprechend den bisherigen Ausführungen war die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
anzuordnen, soweit der Antragstellerin unter Ziffer 4.) der Verfügung vom 30. Juni 2010 ein Zwangsgeld in
Höhe 500,00 € für den Fall angedroht wird, dass sie der Anordnung in Ziffer 2.) nicht fristgerecht
nachkommt. Im Übrigen war der Antrag auch insoweit abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des
Streitgegenstandes ergibt sich aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.
Rechtsmittelbelehrung …
gez. Butzinger
gez. Bender
gez. Pirrung